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Fachartikel
04. Dezember 2024

Umweltpathogene im Verteilnetz

Hydranten als hygienische Problemzone

In Hydranten und deren Zuleitungen stagniert das Wasser und erwärmt sich. Dies kann zur Verkeimung und Vermehrung von Umweltpathogenen wie Legionellen, Pseudomonaden oder Mykobakterien führen. Mit der Klimaerwärmung wird sich dieses Problem in Zukunft verschärfen – insbesondere in der Schweiz, wo mit wenigen Ausnahmen das Leitungswasser nicht gechlort wird. Es müssen Abklärungen und eventuell Massnahmen ergriffen werden, um die Trinkwasserhygiene auch in Zukunft zu gewährleisten.
Hans Peter Füchslin, Federica Di Rosario, Yasemin Goekuguz, Silvan Kaufmann, Thomas Egli, 

Hydranten sind Armaturen zur Entnahme von Wasser aus einem Wasserversorgungsnetz. Aus Gründen der Löschwasserversorgung ist ein dichtes Netz von Hydranten in jedem Verteilungsnetz erforderlich. Im städtischen Bereich muss zur Bereitstellung von Löschwasser alle 80 bis 130 m ein Hydrant vorhanden sein [1]. Es wird geschätzt, dass die Zuleitung zu den Hydranten ca. 1% des Gesamtvolumens des Verteilnetzes entspricht. In Hydranten besteht die Gefahr von stehendem Wasser oder zumindest ständig feuchten Innenwänden. Ausserdem können die Hydranten in den Sommermonaten durch Sonneneinstrahlung stark erwärmt werden. Bei sonnenexponierten Hydranten können Temperaturen zwischen 50 bis 70 °C an der Oberfläche gemessen werden. Das Wasser der Zuleitung zum Hydranten erwärmt sich auf 25 bis 30 °C (Fig. 1). Durch die globale Erwärmung steigt potenziell die Temperatur des Wassers im Verteilnetz. Dies begünstigt die Vermehrung von Mikroorganismen. In der Schweiz wird das Leitungswasser nicht gechlort (mit wenigen Ausnahmen), was normalerweise als Schutzmassnahme gegen mikrobiologische Verunreinigungen dient. Ohne diesen Netzschutz sind die Verteilnetze anfälliger für das Wachstum von Mikroorganismen. Das Verteilnetz kann diesbezüglich in zwei Teile gegliedert werden: Während ein Teil regelmässig mit frischem, kühlem Wasser durchflossen und ausgetauscht wird, wie das Hauptverteilnetz, stagniert der andere Teil und erwärmt sich im Sommer, wie die Zuleitungen zu den Hydranten (Fig. 2).

ERHĂ–HTE ZELLKONZENTRATIONEN BEI HYDRANTEN

Aus einem Verteilnetz einer städtischen Wasserversorgung wurde die durchflusszytometrische Gesamtzellzahl (vgl. SVGW MW102) als Verkeimungsparameter in Proben aus Hydranten und Laufbrunnen gemessen (Fig. 3). Die Proben wurden im Sommer 2023 erhoben. Es wurden vier Hydranten nach vier und nach dreissig Litern Vorlauf beprobt. Hydrant Nr. 5 wurde zusätzlich auch nach zehn Minuten Vorlauf beprobt. Zum Vergleich wurden ausserdem Proben von drei Laufbrunnen genommen. Die Ergebnisse sind deutlich: Hydranten weisen höhere Zellkonzentrationen auf, und mit steigendem Vorlauf sinken die Zellkonzentrationen und die Temperatur. Nach dreissig Litern Vorlauf und mehr ist die Bakterienzellkonzentration deutlich reduziert, teils auf dem tiefen Niveau der Laufbrunnen. Diese Resultate weisen darauf hin, dass das Wasser aus den Hydranten und deren Zuleitungen stärker verkeimt ist als Wasser aus dem Hauptverteilnetz. Stagnation und Erwärmung des Wassers tragen sehr wahrscheinlich zur Verkeimung bei.

Heterogene Gruppe Der Umwelt­pathogenen

Neben der allgemeinen Verkeimung besteht aber auch die Gefahr, dass sich Umweltpathogene wie Legionellen, Pseudomonaden und Mykobakterien vermehren können. Die sogenannten Umweltpathogene umfassen eine heterogene Gruppe von Bakterien, die im Gegensatz zu den Fäkalpathogenen nicht von aussen durch Fäkalien tierischen oder menschlichen Ursprungs eingetragen werden, sondern sich im Verteilnetz vermehren [2]. Die wichtigsten Faktoren für ihre Vermehrung sind Temperatur, Stagnation und verfügbare Nährstoffe. Umweltpathogene haben gemeinsam, dass sie sich bei tiefen Nährstoffkonzentrationen und in Biofilmen vermehren können und häufig resistent gegenüber Amöben sind [2].

Pseudomonas-Messkampagne In Hydranten

In einer Messkampagne des Kantonalen Labors Zürich von 2015 bis 2017 wurde Pseudomonas aeruginosa in Proben von Hydranten nachgewiesen und quantifiziert [3]. In einem Versorgungsnetz, in dem sich infolge Stagnation das Wasser im Sommer bis auf 23 Grad erwärmen konnte, wurden über drei Jahre das Netzwasser wie auch Hydranten auf P. aeruginosa kontrolliert. Die Pseudomonaden konnten sich im Netz trotz der für sie günstigen Vermehrungsbedingungen nicht ausbreiten. Die Anzahl der kontaminierten Hydranten reduzierte sich während der dreijährigen Messkampagne.

Pseudomonaden konnten nur in Proben von Hydranten nachgewiesen werden, nicht aber im freien Wasser des Versorgungsnetzes. So waren alle Proben von Laufbrunnen frei von P. aeruginosa. Allerdings war 2017 immer noch ein Hydrant schwach mit P. aeruginosa kontaminiert. Dass ein geringer Teil der Hydranten mit P. aeruginosa kontaminiert ist, entspricht den Erfahrungen anderer Wasserversorgungen. Wesentliche Faktoren der Besiedlung mit P. aeruginosa sind die Wassertemperatur und die Stagnation. P. aeruginosa ist ein Umweltkeim und Biofilmbildner. Die Bakterien sind im Trinkwasser nicht lebensmittelrechtlich reglementiert. Aufgrund der vorliegenden Daten wurde von keiner Gefährdung der Trinkwasserqualität im Versorgungsnetz ausgegangen, da nur die Hydranten und nicht das Netz betroffen waren, und sich die Zahl der mit Pseudomonaden belasteten Proben wie auch die gemessenen Konzentrationen über die drei Jahre reduzierte [3]. Eventuell könnte die regelmässige Beprobung zu einer Auswaschung der Verkeimungen und einer Reduktion der Verkeimung mit P. aeruginosa geführt haben. Dies wäre ein Hinweis, dass regelmässiges Spülen von kontaminierten Hydranten eine mögliche, einfache Lösung wäre.

Legionellenmesskampagne Im Verteilnetz

Das Projekt «Relevanz von Legionellen im Verteilungsnetz» startete 2022 und wird Ende dieses Jahres abgeschlossen [4]. Es konnten aus den Proben von Hydranten Legionella spp. und vereinzelt auch Legionella pneumophila durch PCR wie auch durch Kultivierung nachgewiesen werden. Ähnlich wie im Beispiel von P. aeruginosa konnten im Netzwasser aber keine Legionellen kulturell nachgewiesen werden. Die Daten werden demnächst separat publiziert.

ANALYTISCHE HERAUSFORDERUNG

Als Schutz vor Vereisung im Winter werden Hydranten ausser Betrieb genommen und ordnungsgemäss entleert. Die Zuleitung zu den Hydranten bleibt aber mit Wasser gefüllt, ist gegenüber der Hauptleitung verbunden, offen und im Austausch. Auf diese Weise könnte sie Umweltpathogene in tiefer Konzentration an das vorbeifliessende Wasser abgeben, das in die Haushalte gelangt. Durch die starke Verdünnung im Leitungswasser sind die Konzentrationen gering, und der Nachweis entsprechend erschwert. Auch die Artenvielfalt der Umweltpathogene ist eine Herausforderung für den Nachweis. In der Schweiz sind Umweltpathogene für das Trinkwasser nicht reglementiert. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass Umweltpathogene nicht mit Fäkalindikatoren korrelieren. Auch ist die Einhaltung des Höchstwertes von 300 KBE/mlaerob mesophilen Keimen (Gesamtkeimzahl) kein Garant dafür, dass sich Umweltpathogene im Verteilnetz nicht unverhältnismässig vermehren können. So wird in den USA von Experten empfohlen, dass ab 15 °C und bei einem Chlorgehalt von < 0,2 mg/l Legionellen im Verteilnetz kontrolliert werden sollen [5]. Es gibt auch keinen Indikatorkeim für Umweltpathogene analog zu E. coli und Enterokokken als Indikator für fäkale Verunreinigungen.

Legionellosefälle

SchĂĽtzt Chlorung?

In den USA weisen Regionen mit ungechlortem Leitungswasser generell eine höhere Inzidenzrate von Legionellose (Legionärskrankheit) auf als Regionen mit Netzschutz. Auch in Deutschland weist die höchste Inzidenzrate der Legionärskrankheit der Stadtstaat Berlin auf, in dem nicht gechlortes Leitungswasser verteilt wird [6]. Aus Frankreich ist bekannt, dass die Inzidenzraten der Legionellose nicht gleichmässig verteilt, sondern im Nordosten höher sind als im Rest des Landes [7]. Die Konzentration von Chlornebenprodukten in den einzelnen Départements Frankreichs ist umgekehrt proportional zu den Inzidenzraten der Legionellose [8]: In den Départements mit hohen Chlornebenproduktkonzentrationen sind die Inzidenzraten der Legionellose im Allgemeinen niedrig, während sie in den Départements mit niedrigen Chlornebenproduktkonzentrationen hoch sind. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass in Frankreich, ähnlich wie in den USA, ungechlortes Leitungswasser ein höheres Infektionsrisiko durch Legionellen darstellt.

In Europa fallen die Niederlande, Dänemark und die Schweiz trotz guter Trinkwasserinfrastruktur durch überraschend hohe Inzidenzraten der Legionellose auf. In allen drei Ländern wird das Leitungswasser nicht gechlort [9]. Die höheren Inzidenzraten der genannten Länder könnten aber auch andere Gründe haben, z. B. einen grösseren Anteil an infektionsanfälliger Bevölkerung, besseres Meldewesen für Legionellose, mehr Kontrollen etc.

Saisonale Schwankungen

Die beobachteten saisonalen Schwankungen der Legionellose-Fallzahlen sind ein wenig verstandenes Phänomen. Im Sommer gibt es generell mehr Fälle als im Winter [10]. Die Warmwassersysteme in den Sanitäranlagen und Rohrleitungen der Gebäude können die saisonalen Schwankungen nicht erklären, da Warmwasser gemäss den technischen Standards das ganze Jahr über mit konstanter Temperatur erzeugt, gespeichert und verteilt wird. Im Gegensatz dazu unterliegt die Temperatur des kalten Leitungswassers saisonalen Schwankungen, die der Saisonalität der Anzahl Legionellosefälle in der Schweiz zumindest ähnlich sind.

Zunahme der infektionsanfälligen Bevölkerung

Die aktuell erwarteten demographischen Veränderungen führen dazu, dass ein immer grösserer Teil der Schweizer Bevölkerung ein Alter erreicht, in dem sie anfälliger für Infektionskrankheiten wird. Ausserdem hat ein zunehmender Teil der Bevölkerung ein permanent geschwächtes Immunsystem, zum Beispiel auf Grund chronischer Erkrankungen oder immununterdrückender Behandlungen. Dieser immunokompromitierte Anteil der Bevölkerung ist anfälliger gegenüber Infektionen durch wasserbedingte Umweltpathogenen.

OFFENE FRAGEN

Es ist davon auszugehen, dass Umweltpathogene, z. B. in Hydranten, über das Verteilungsnetz auch in die Trinkwasserinstallationen der Gebäude und zu den Konsumentinnen und Konsumenten gelangen. Allerdings werden die Umweltpathogenen stark verdünnt und sind im Leitungswasser in der Regel nicht nachweisbar. Sehr geringe Konzentrationen von Umweltpathogenen, die an sehr viele Menschen verteilt werden, könnten jedoch zu sporadischen Erkrankungen führen. So sind die meisten Fälle von Legionellose sporadische Einzelfälle, bei denen die Infektionsquelle nicht identifiziert werden kann [10]. Es ist auch möglich, dass Krankheitserreger aus dem Verteilnetz in die Hausinstallation gelangen, und sich dort unter günstigen Bedingungen weiter zu Konzentrationen vermehren, die dann zu Infektionen führen können.

Es ist allgemein bekannt, dass das Trinkwasser im Leitungsnetz nicht steril sondern lediglich keimarm ist. Unter diesen Mikroorganismen befinden sich auch Umweltpathogene. Ob Umweltpathogene in den Hydranten und deren Zuleitungen ein Gesundheitsrisiko darstellen, ist eine offene Frage. Der Nachweis dieser Umweltpathogene ist schwierig. Die ersten Messkampagnen geben Hinweise darauf, dass Wasserversorgungen unterschiedlich stark mit Umweltpathogenen besiedelt sind. Die Hauptfaktoren für die Vermehrung von Umweltpathogenen sind Stagnation, Temperatur und verfügbare Nährstoffe. Eventuell könnte eine regelmässigere Spülung von Hydranten in den Problemzonen der betroffenen Wasserversorgungen eine wesentliche Verbesserung bringen.

FAZIT

Die Schweizer Bevölkerung geniesst eine gute Trinkwasserqualität, und die Wasserversorgungen verzichten in der Regel auf die Chlorung des Leitungswassers. Die Klimaerwärmung wird in Zukunft zu höheren Leitungswassertemperaturen führen. Es ist daher zu erwarten, dass die Vermehrung von Bakterien und auch von Umweltpathogenen im Leitungsnetz begünstigt wird. Es sollten weitere Studien zur Risikobewertung durchgeführt werden, um abschätzen zu können, ob in Zukunft deswegen konkrete Massnahmen ergriffen werden müssen. konkrete Massnahmen ergriffen werden müssen.

 

Bibliographie

[1] Aargauische Gebäudeversicherung (AGV): Richtlinie für die Löschwasserversorgung des Kantons Aargau vom 4. November 2019

[2] Falkinham III, J. O.; Pruden, A.; Edwards, M. (2015). Opportunistic premise plumbing pathogens: increasingly important pathogens in drinking water. Pathogens, 4(2), 373–386

[3] Kantonales Labor ZĂĽrich (KLZH): Jahresbericht 2017, Kapitel 7.1 Bericht, Pseudomonas aeruginosa in Hydranten

[4] BLV: Forschungsprojekt «Relevanz von Legionellen im kommunalen Wasserverteilungsnetz» Nr. 4.22.02: https://www.aramis.admin.ch/Grunddaten/?ProjectID=50284

[5] National Academies of Sciences, Engineering, Medicine (2020): Management of Legionella in Water Systems. Available from: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/32200596

[6] Robert Koch Institut (RKI): Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten für 2019 und 2020 

[7] Campese, C. et al. (2011): Progress in the surveillance and control of Legionella infection in France, 1998-2008. Int J Infect Dis, 15(1): p. e30-7

[8] Corso, M. et al. 2018): An assessment of current and past concentrations of trihalomethanes in drinking water throughout France. Int. J. Environ. Res. Public Health

[9] European Centre for Disease Prevention and Control (2023): Legionnaires’ disease. In: ECDC. Annual Epidemiological Report for 2021. Stockholm: ECDC

[10] Bundesamt für Gesundheit (BAG): BAG-Bulletin 34 vom 19.08.2024, Bericht Legionärskrankheit in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein 2023

DANKSAGUNG

Das Projekt «Relevanz von Legionellen im Verteilungsnetz» wird finanziell unterstützt durch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), Bundesamt für Energie (BFE), Amt für Hochbauten der Stadt Zürich (AHB), Immobilien Stadt Zürich (IMMO) und die Aziende Industriali di Lugano (AIL). Die Projektpartner und Mitarbeitenden sind nebst Hans Peter Füchslin (KLZH), Hubert Hilbi (UZH), Adrian Egli (UZH), Valeria Gaia (Nationales Referenzzentrum Legionellen Bellinzona) sowie Tim Roloff, Anaisa Moreno, Tong Chen, Severin Wälty und Colin Schmid (alle UZH) und Daniel Mäusezahl und Melina Bigler (Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut).

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