Die Untersuchungen im Rahmen des BAFU-Projekts Hydro-CH2018 haben gezeigt, dass Grundwasser wesentlich weniger von den durch die Klimaerwärmung ausgelösten Veränderungen betroffen ist als Oberflächengewässer. Es ist daher wichtig, diese klimaresiliente, aber gleichwohl vulnerable Wasserressource in ihrem Bestand möglichst vollständig zu erhalten, vor nachteiligen Veränderungen zu schützen und ihre Nutzbarkeit sicherzustellen. Dies ist heute oft nicht der Fall. Um die steigende Bedeutung des Grundwassers zu verdeutlichen, seien zunächst die tiefgreifenden Veränderungen skizziert, von denen die hydrologischen Systeme der Schweiz erfasst werden.
Gemäss Hydro-CH2018 [1] wird um das Jahr 2060 die Jahresniederschlagsmenge im langjährigen Durchschnitt ähnlich sein wie heute. Allerdings wird sie sich ganz anders über den Jahreslauf verteilen. Im Winterhalbjahr wird es mehr Niederschlag geben, im Sommer deutlich weniger, die Regenfälle werden heftiger und es gibt längere Trockenphasen. Und natürlich wird es auch weiterhin trockenere und feuchtere Jahre geben, d.h. der Jahresniederschlag schwankt um den langjährigen Mittelwert.
Den eigentlichen Umbruch im Wasserhaushalt der Schweiz werden aber die künftig ganzjährig höheren Temperaturen auslösen. Denn sie bringen den gewohnten hydrologischen Grundrhythmus des Alpenraums aus dem Takt: den winterlichen Aufbau einer Schneedecke in hohen Lagen und dessen allmähliches Abschmelzen im Sommer. Zusätzlich beschleunigen höhere Temperaturen im Sommer die Verdunstung aus den Böden und führen zu einer insgesamt trockeneren Landschaft und Vegetation. Flüsse und Seen erwärmen sich um mehrere Grad, wodurch sich die Lebensbedingungen für Wasserlebewesen grundlegend verändern.
Wie stark die Speisung alpiner Flüsse und Seen vom Schnee abhängig ist, zeigte exemplarisch der Sommer 2022. Dieser Sommer war heiss und trocken, zudem ging ihm ein schneearmer Winter voraus – eine in jüngerer Zeit noch nie dagewesene Kombination. Die Trockenheit konnte daher nicht wie in früheren Trockensommern durch Schmelzwasser aus den Bergen kompensiert werden, der Wassermangel in den Flüssen verschärfte die sommerliche Knappheit noch. Auch die rekordhohe Gletscherschmelze im heissen Sommer 2022 konnte den fehlenden Schnee bei Weitem nicht ersetzen (in einem durchschnittlichen Jahr stammen ca. 2% des Rheinwassers in Basel aus Gletschern, 39% aus Schnee) [2].
Die Bedingungen im Sommer und Herbst 2022 geben einen Ausblick auf die zukĂĽnftige Hydrologie der Schweiz: Bei weiter steigenden Temperaturen wird der Niederschlag im Winter vermehrt als Regen fallen und direkt abfliessen. Es wird also wesentlich weniger Schnee eingelagert. Im Sommer und Herbst wird es daher keine nennenswerte Schneereserve mehr geben (Fig. 1).
Dies hat im Sommer und Herbst unmittelbare Auswirkungen auf die Wassermenge in den Flüssen. Dabei macht es einen grossen Unterschied, welche Klimamassnahmen die Weltgemeinschaft ergreift. Da sich das Weltklima derzeit entlang einem Pfad zwischen den Szenarien RCP 2.6 (Paris-Abkommen) und RCP 8.5 (keine Massnahmen) entwickelt, sind Abflussminderungen zu erwarten, die zwischen beiden Szenarien liegen. Für die Mittellandflüsse bedeutet dies im Sommer und Herbst einen Rückgang der Wassermenge um mindestens 20% gegenüber der Referenzperiode 1981–2010, im alpinen Bereich ist der Rückgang deutlich höher (Fig. 2). Diese Zahlen gelten wohlgemerkt für langjährig gemittelte Abflüsse, d.h. in Einzeljahren können die Abflüsse noch weit stärker zurückgehen. Ein extrem wasserarmes Jahr wie 2022 könnte schon 2060 der Normalfall sein.
Die Jahresabflüsse im Jahr 2022 (schneearmer Winter 2021/22, heisser und trockener Sommer) geben einen Eindruck, wie ausgeprägt die Schweizer Alpenflüsse auf die klimatischen Veränderungen reagieren. Auf der Alpensüdseite halbierte sich die Wasserführung (Tab. 1).
Gewässer | Abweichung gegenüber Normperiode 1991-2020 in Prozent |
Are (Brugg) | -22 |
Reuss (Mellingen) | -27 |
Limmat (ZĂĽrich) | -22 |
Ticino (Bellinzona) | -52 |
Tresa (Ponte Tresa) | -56 |
Inn (Martina) | -31 |
RhĂ´ne (Porte du Scex) | -6 |
Hydrologische Schweiz | -28 |
Tab. 1 Prozentuale Ă„nderung der AbflĂĽssse in Schweizer FlĂĽssen im Gesamtjahr 2022 [3]
Lässt sich den Fliessgewässern während Trockenphasen wenig Wasser entnehmen, richtet sich der Blick häufig auf das Wasserreservoir der Seen. Allerdings sind auch diese von Hitze- und Trockenphasen betroffen. Bei regulierten Seen wird dies erst sichtbar, wenn der erforderliche Mindestabfluss aus dem See und die Verdunstung nicht mehr durch Zuflüsse gedeckt sind und der Wasserstand sinkt. Doch schon lange bevor der Pegel fällt, spielen sich bei mangelndem Zufluss in einem See grosse Veränderungen ab: Die Durchströmung verlangsamt sich und damit die Erneuerung des Seewassers. In Kombination mit wärmeren Lufttemperaturen führt dies zu einer stabileren Schichtung des Seewassers und – da durch die Schichtung kein Sauerstoff in die Tiefe gelangen kann – einem für Wasserlebewesen gefährlichen Sauerstoffmangel in der Tiefe [4].
Bedingungen wie 2022 dürften sich in Zukunft häufiger einstellen, was auch Konsequenzen für das Management der Seen haben wird. Da die Wasserführung der unterliegenden Flüsse nicht unter definierte Mindestwerte fallen darf (Betrieb von Laufkraftwerken, Abwasserverdünnung), sinkt der Seepegel, wenn zu wenig Wasser zufliesst und die Verdunstung hoch ist. In solchen Situationen wirken sich jegliche Wasserentnahmen zusätzlich auf den Seepegel aus. Auf den ersten Blick sind die Auswirkungen gering – am Zürichsee entnehmen die Trinkwasserwerkeetwa 0,5 cm Wasser täglich. Hält eine Trockenphase aber mehrere Wochen an, machen sich diese Entnahmen bemerkbar.
Zwar beherbergen die grossen Seen der Schweiz einen enormen Wasservorrat, verfügbar davon ist aber nur ein kleiner Teil. Bei den meisten Seen führt schon eine Absenkung um 50 cm zu Problemen für die Schifffahrt und zum Trockenfallen von Flachwasserbereichen, die als Habitat für Fische unverzichtbar sind. Am Zürichsee entsprechen die obersten 50 cm einem Volumen von 44 Mio. Kubikmeter, 1,1% des Gesamtvolumens. Anders als vielfach angenommen, sind die Seen zwar eine grosse, aber besonders in Trockenzeiten keine unerschöpfliche Wasserressource.
Wie die vorhergehenden Abschnitte zeigen, werden Fliessgewässer und Seen in längeren Trockenperioden zukünftig nicht mehr uneingeschränkt als Wasserressource dienen können. Damit rückt das Grundwasser in den Mittelpunkt des Interesses, denn es wird von den klimatischen Veränderungen weit weniger beeinflusst. Mit dem Rückgang der Flüsse im Sommer vermindert sich zwar auch die Speisung der Grundwasservorkommen im Talschotter der Alpen- und Mittellandflüsse. Bleibt es bei den prognostizierten höheren Abflüssen in den Wintermonaten, können sie sich dann aber wieder erholen. Auch die Speisung aus Niederschlägen dürfte sich wenig verändern, denn die Grundwasserneubildung findet überwiegend in den Wintermonaten statt, für die tendenziell zunehmende Niederschläge erwartet werden. Vor allem aber stellt das Grundwasser aufgrund der Mächtigkeit der Vorkommen eine wesentlich verlässlichere Wasserreserve dar als die Oberflächengewässer – selbst wenn sich seine Neubildung in längeren Trockenphasen vorübergehend verringern sollte.
Stärker gefährdet sind oberflächennahe, direkt vom Niederschlag abhängige Quellen im Berggebiet. Werden sie zu grossen Teilen aus der Schneeschmelze gespeist, geht ihre Schüttung im Sommer und Herbst deutlich zurück. Ein Hinweis auf die Vulnerabilität vieler Quellen ist die Trinkwasserstatistik für das Jahr 2022. Laut dieser ist der Anteil an Quellwasser an der Versorgung drastisch zurückgegangen – von 40% in früheren Jahren auf 34% [5]. Ersetzt wurde der fehlende Beitrag der Quellen in den meisten Fällen durch vermehrte Förderung von Grundwasser – ein weiterer Hinweis auf dessen zunehmende Bedeutung.
Unter den fĂĽr Mitte und Ende des Jahrhunderts erwarteten Klimabedingungen wird also das Grundwasser zur entscheidenden Wasserressource, besonders in heissen und trockenen Phasen. Angesichts der enormen strategischen Bedeutung fĂĽr die Wasserwirtschaft stellt sich die Frage, ob der aktuelle Umgang mit Grundwasser noch angemessen ist. Vier Entwicklungen lassen Zweifel aufkommen.
Grosse Teile unseres Grundwassers besonders im Mittelland und den grossen Alpentälern sind mit Schadstoffen belastet und fallen für eine direkte Nutzung als Trinkwasser aus:
Die für den Schutz des Grundwassers erforderlichen Flächen sind durch die Raumplanung weiterhin nicht ausreichend gesichert [6]:
Nutzungskonflikte verursachen den Verlust von Grundwasserfassungen:
Vernetzungsstrategien fĂĽhren zur Aufgabe von Grundwasservorkommen:
Seit Jahren entstehen vor allem im Schweizer Mittelland ausgedehnte Wasserverbünde, um durch Verbindungsleitungen Wasser austauschen zu können. Dies ist sinnvoll, damit sich die benachbarten Versorgungsgebiete bei Notfällen gegenseitig aushelfen können. Dadurch kommt es aber häufig auch zur Aufgabe «redundanter» oder «unwirtschaftlicher» Grundwasserfassungen. Diese Vorkommen verlieren ihren Schutz und stehen in Zukunft nicht mehr als Trinkwasser zur Verfügung.
In Zukunft wird die Wahrscheinlichkeit extremer Trockenperioden zunehmen, etwa wenn mehrere Trockenjahre aufeinanderfolgen oder schneearme Winter mit nachfolgendem Mangel an Schneeschmelzwasser sich häufen. Um auch solche Situationen bewältigen zu können, muss die Wasserwirtschaft möglichst uneingeschränkt auf sauberes Grundwasser zurückgreifen können. Alle Entwicklungen, die dessen Verfügbarkeit dauerhaft einschränken, sind daher kritisch zu betrachten – ungeachtet der Ursache, die ihnen zugrunde liegt.
Die gesellschaftliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Grundwasser und seiner dauerhaften Nutzbarkeit sind angesichts seiner enormen wasserwirtschaftlichen Vorzüge erstaunlich. Es ist ein vulnerables System, aber weit besser gegen Verschmutzung geschützt als Flüsse und Seen, resilienter gegen Klimaextreme, fast überall lokal verfügbar und noch dazu ein mächtiger Überjahresspeicher für Wasser, mengenmässig bedeutender als die Stauseen der Wasserkraft. Doch wie kann die Gleichgültigkeit aufgebrochen, das Grundwasser als Wassergarant der Zukunft wieder in Wert gesetzt werden?
Die fünf nachfolgenden Punkte sind strategische Pfeiler, um dem Grundwasser wieder höchste Priorität zu geben.
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In Zukunft werden wir in heissen und trockenen Sommern auf zusätzliche Mengen sauberen Trinkwassers angewiesen sein, und das meiste davon wird aus Grundwasser stammen. Auch andere Nutzungen werden vermehrt Anspruch auf Grundwasser erheben. Trotzdem ist die Einsicht in die existenzielle Bedeutung des unterirdischen Wasserschatzes noch kaum in Gesellschaft und Politik verankert. Für eine gesicherte Versorgung mit sauberem Trinkwasser braucht es für das Grundwasser:
Die Schweiz muss realisieren, dass Grundwasser ihr wichtigster Wasserschatz ist – weit vor Gletschern, Flüssen und Seen. Politik, Verwaltung, Bevölkerung und sonstige Wassernutzende müssen diesen Schatz bewahren, vor Verschmutzung schützen und sparsam und bewusst nutzen. Es sei darauf verwiesen, dass die kürzlich lancierte Volksinitiative «Für eine sichere Ernährung» dieses Ziel aufgreift: Sie verlangt, sauberes Trinkwasser in Artikel 104a BV als Bestandteil der Ernährungssicherheit zu verankern. Wörtlich fordert sie «die Sicherung der Grundwasserressourcen für die nachhaltige Trinkwassergewinnung» – eine Bestimmung, die dem Grundwasser die nötige Priorität verschaffen würde [7].
Zugleich würde damit einem Leitsatz Rechnung getragen, den das BAFU schon 2008 in einer Publikation über das Grundwasser der Schweiz formulierte [8]: «Die flächendeckende Verfügbarkeit von Grundwasser, das ohne Aufbereitung genutzt werden kann, ist ein milliardenschwerer Wettbewerbsvorteil der Schweiz.» Angesichts absehbar extremerer Klimaeffekte wäre Stand heute hinzuzufügen: und ihre Lebensversicherung im Klima der Zukunft.
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[1] BAFU (2021): Hydro-CH2018 Synthesebericht, Bern, 134 Seiten
[2] Stahl, K. et al. (2016): Abflussanteile aus Schnee- und Gletscherschmelze im Rhein und seinen ZuflĂĽssen vor dem Hintergrund des Klimawandels. Internationale Kommission fĂĽr die Hydrologie des Rheingebietes (KHR), Bericht Nr. I-25
[3] Lustenberger, F. et al. (2023): Wasserhaushalt der Schweiz 2022. Wasser Energie Luft, 115. Jahrgang, Heft 2, S. 80–83
[4] Jane, S. F. et al. (2021): Widespread deoxygenation of temperate lakes. Nature, 594(7861), 66–70
[5] Freiburghaus, M. (2024): SVGW Trinkwasserstatistik 2022
[6] Lanz, K. (2021): Auswirkungen des Klimawandels auf die Wasserwirtschaft der Schweiz. Studie im Rahmen des BAFU-Projekts Hydro-CH2018. Evilard, 376 Seiten
[8] BAFU (2008): Management des Grundwassers in der Schweiz. Leitlinien des Bundesamtes fĂĽr Umwelt, Bern, 42 Seiten
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