Ein verheerendes Hochwasser mit Schäden von über zehn Millionen Franken machte im August 2007 deutlich, dass der Hochwasserschutz der rund 13 000 Einwohner zählenden jurassischen Kantonshauptstadt Delsberg grundsätzlich neu gedacht werden muss. Mit Hilfe einer neuen Gefahrenkarte wurde aufgezeigt, dass die Schäden bei seltenen Ereignissen sogar bis 100 Millionen Franken betragen könnten. Bevölkerung und Politik waren aufgerüttelt.
Zudem bot die Sorne in der Stadt ein trauriges Bild. Es zeugte vom Geist und Machbarkeitsglauben vergangener Zeiten, als man davon ausging, dass Wasser beherrschbar ist und möglichst schnell und platzsparend abgeleitet werden muss. Eine Folge davon sind die durchgehend kanalisierten Abschnitte und die im Zentrum vollständig gepflasterten Trapezprofile. Auch im zentrumsnahen Quartier ‹Morépont amont› waren die Ufer mit Blöcken hart verbaut, aber der Baumbestand war zum Teil schön und die Sohle weitgehend natürlich.
Aufgrund dieser Faktenlage wurde das integrale Gesamtprojekt ‹Delémont marée basse› (Ebbe in Delsberg) lanciert. Es ist ein integrales Schutz- und Aufwertungsprojekt der Sorne durch die ganze Stadt.
Die umfassende Vision vereint die verschiedenen Bedürfnisse der Bevölkerung und der Natur rund um die Themen Sicherheit, Naherholung, Umwelt und Landschaft. Daraus entstanden ist ein veritables Gesellschaftsprojekt, dessen Kredit bei der Bevölkerung eine Zustimmung von 83% fand. Die gesellschaftliche Dynamik stiess gleich weitere Projekte an, etwa den neuen Stadtpark und Passerellen.
Grosse Hochwasser werden auf dem SBB-Trassee um das Zentrum herumgeleitet. Die verschiedenen Gewässerabschnitte werden in unabhängigen Losen für den verbleibenden Abfluss ausgebaut und – je nach Platzverhältnissen – revitalisiert. So wird ein Schutz vor Hochwasser erreicht, die statistisch alle 300 Jahre auftreten können (HQ₃₀₀). Ermöglicht wird das Projekt durch eine umsichtige Raumplanung sowie einen intensiven Dialog mit den Betroffenen und Interessierten.
Cedric Neukomm, Stadtingenieur von Delsberg, sagte 2020 im Rahmen eines Artikels im BAFU-Magazin «die umwelt»: «Mit ‹Delémont Marée Basse› sorgen wir für Sicherheit, berücksichtigen gleichzeitig den Revitalisierungsbedarf und schaffen einen Bonus für die Bevölkerung, nämlich den direkten Zugang zum Fluss. Das Hochwasser von 2007 war ein Schock. Doch statt den Fokus nur auf den Hochwasserschutz zu legen, haben wir Chancen für die Verbesserung der Lebensqualität gesehen.»
Neben der Sorne im Abschnitt ‹Morépont Amont› befindet sich ein städtischer Entwicklungsschwerpunkt. Dort waren grossflächige Überbauungen geplant. Dennoch konnte der Sorne ein grosszügiger Raum bereitgestellt werden, der mit bis zu 40 m Breite deutlich über den Mindestanforderungen liegt. Meist wurde die Biodiversitätsbreite erreicht oder übertroffen. Dieser Gewässerraum verkleinerte natürlich die bebaubaren Parzellen. Durch die gleichzeitige Erhöhung der Ausnützungsziffer wurde dies für die Eigentümer und Investoren akzeptabel, da sie so insgesamt immer noch gleich grosse Nutzflächen realisieren konnten. Zudem wurde der ganze Stadtteil durch das Projekt neu vor Überschwemmungen geschützt.
Das Gerinne wurde aufgeweitet und rechtsufrig mit rückversetzten Dämmen oder Mauern ergänzt.
Insbesondere in der linksufrigen Aussenkurve wurden die Ufer mit einer Kombination aus Hartverbau und Ingenieurbiologie verstärkt. Die übrigen Ufer wurden gar nicht oder (wo nötig) mit ingenieurbiologischen Massnahmen stabilisiert. Dabei kamen verschiedene Techniken zum Einsatz, insbesondere Lebend- und Totholzfaschinen und Holzkasten. Die Sohle wurde an zwei Stellen vorsorglich mit eingegrabenen Steinblöcken (Sohlgurte) gegen Tiefenerosion gesichert, die bestehende Schwelle der Abflussmessstelle wurde entfernt.
Der Baumbestand wurde so weit wie möglich beibehalten, indem Gewässernebenarme hinter der bestehenden Bestockung geführt wurden. Diese teils permanent, teils nur bei Hochwasser durchströmten Nebenarme und die durch sie gebildeten Inseln wurden ein sich eigendynamisch entwickelndes Geflecht unterschiedlicher Lebensräume. Zusätzliche Strukturelemente erhöhen die Vielfalt, z. B. Wurzelstöcke, Stör- und Lenksteine, Kolke, Raubäume, Lebend- und Totholzfaschinen. Die Ufer und Terrassen unterschiedlicher Höhe werden unterschiedlich oft überflutet und bieten der terrestrischen und amphibischen Fauna vielfältige Lebensräume. Die grundsätzlich nährstoffarmen Flächen wurden mit entsprechenden Grasmischungen angesät und mit Totholz, Steinhaufen, Strauch- und Baumpflanzungen ergänzt.
Ein neuer, breiter Kiesweg säumt den natürlichen Gewässerbereich. Er dient gleichermassen der Naherholung (Spazieren) als auch der Fussverbindung verschiedener Quartiere (z. B. als Schulweg). Parallel zum Gewässerprojekt konnte ein neuer Stadtpark mit Spielplatz, Erholungszonen und Platz für Veranstaltungen realisiert werden. Beide Bereiche wurden von Anfang an aufeinander abgestimmt und als sich ergänzende Elemente konzipiert.
Die bestehenden baufälligen Fussgängerbrücken wurden durch neue Passerellen ersetzt, die den gesamten Gewässerraum überspannen und somit keine Einschränkung für das Gewässer mehr darstellen. Zudem wurde eine Hauptabwasserleitung aus dem Gewässerraum verlegt.
Der Gewässerabschnitt der Sorne im Bereich ‹Morépont amont› ist heute ein wichtiger Teil der Stadt. Das «wilde» Gewässer und seine Ufer stehen im Kontrast zum geordneten Stadtpark und den neuen und alten Quartieren. Das Gewässer und seine Ufer bieten eine grüne Oase im Alltag und zeigen, dass ein Leben mit der Natur nicht nur möglich, sondern eine Bereicherung ist.
Bauherr: Stadt Delémont
Dimensionierung: 135 m³/s
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Länge: ca. 3 km
Kosten: ca. 15 Mio. Fr.
Realisierung: 2008–2025
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Länge: 800 m
Kosten: ca. 3 Mio. Fr.
Realisierung: 2015–2017
Beteiligte Büros: Hunziker Betatech, Pepi Natale, Hintermann & Weber, urbaplan, BG Ingenieure und Berater, Biotec, ATB
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www.bafu.admin.ch (Magazin «die umwelt» 2/2020 - Naturgefahren gehen alle an)
www.delemont.ch (Projekt ‹Delemont-maree-basse›)
Durch eine Revitalisierung können Bäche, Flüsse und Seen ihre ökologischen Funktionen wieder wahrnehmen. Davon profitieren die Artenvielfalt der Schweiz, die Naherholung wie auch der Hochwasserschutz. Über den Zeitraum von 80 Jahren soll ein Viertel der rund 16 000 km verbauten Gewässer auf diese Weise aufgewertet werden.
In einer lockeren Aqua & Gas-Serie stellen Wasser-Agenda 21 und der VSA bereits abgeschlossene Revitalisierungsprojekte vor.
www.plattform-renaturierung.ch
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