Bis heute gibt es nur wenige Erkenntnisse ĂŒber die Emissionen, Umweltbelastungen oder toxischen Wirkungen organischer Schadstoffe in Sedimenten. Dies, obwohl Sedimente Hotspots der Artenvielfalt sind [1]. Pflanzenschutzmittel (PSM) sind eine Gruppe organischer Schadstoffe, die in Europa in einer Grössenordnung von Hunderttausenden von Tonnen pro Jahr auf landwirtschaftlichen FlĂ€chen ausgebracht werden. Sie stellen ein rasch wachsendes Risiko nicht nur fĂŒr die Böden, sondern auch fĂŒr die atmosphĂ€rische und aquatische Umwelt, die Ăkosysteme im Allgemeinen und die menschliche Gesundheit dar [2]. Da PSM biologisch aktive Wirkstoffe sind und bei den meisten Anwendungen in der Regel direkt in die Umwelt ausgebracht werden, lassen sich neben ihrer Wirkung auf Zielorganismen unerwĂŒnschte Effekte auf Nichtzielorganismen kaum verhindern. Aufgrund ihrer Anwendung und Funktion gehören PSM zu den allgegenwĂ€rtigen Umweltschadstoffen, die sich negativ auf die WasserqualitĂ€t, die BiodiversitĂ€t und die menschliche Gesundheit auswirken.
Vor allem im Boden sind Mischungen von typischerweise 10-15 PSM und ihre Transformationsprodukte (insgesamt bis zu 29 von 80 untersuchten Wirkstoffen und >â90 Transformationsprodukte) in niedrigen Konzentrationen noch Jahrzehnte nach ihrer Ausbringung vorhanden [3]. Dies zeigt, dass PSM-RĂŒckstĂ€nde ĂŒber viele Jahre im Boden verbleiben können, obwohl in den Zulassungsunterlagen deutlich kĂŒrzere Verweilzeiten, oft im Bereich von Wochen oder Monaten, vorgesehen waren. Ebenfalls besorgniserregend ist, dass PSM und ihre Transformationsprodukte zunehmend in Grund- und Trinkwasser in Mengen ĂŒber den gesetzlich zulĂ€ssigen Schwellenwerten (z.âB. Chlorothalonil-Abbauprodukte) nachgewiesen werden [4â6].
Der Eintrag und Verbleib der PSM in der Umwelt ist Ă€usserst komplex und trotz einiger Forschung noch nicht umfassend verstanden. Die wichtigsten Prozesse sind Sorption und Abbau. Trotz Abbau von PSM können stĂ€ndige NeueintrĂ€ge zu kontinuierlichen Befunden in der Umwelt fĂŒhren (Pseudopersistenz). Obwohl viele Studien die EintrĂ€ge diffuser PSM von landwirtschaftlichen FlĂ€chen in OberflĂ€chengewĂ€sser (z.âB. FlĂŒsse und BĂ€che) analysiert haben (z.âB. [4, 7, 8]), gibt es bisher kein umfassendes Bild des Transports und der Ablagerung von PSM aus der heutigen Nutzung in Sedimenten von SĂŒsswassersystemen, insbesondere der Effekte auf das benthische Ăkosystem.
Vom Feldrand gelangen PSM diffus durch Windabdrift bei der Applikation und Verdunstung sowie nach Regenereignissen durch Abschwemmung, OberflĂ€chenerosion oder punktuell durch Drainageleitungen und hydraulische KurzschlĂŒsse wie RegenwassereinlĂ€ufe, AbflusskanĂ€le und EinlaufschĂ€chte rasch in die GewĂ€sser [9]. PSM können, je nach chemischen Eigenschaften, gelöst sein oder an Schwebstoffe und Sedimentpartikel sorbieren. Sorbierte PSM setzen sich mit den Schwebstoffen in GewĂ€ssern ab und reichern sich in den Fluss- und Seebetten im Sediment an. Je langsamer die Fliessgeschwindigkeit ist, umso mehr feines Sediment mit grosser SorbtionsoberflĂ€che kann sich ablagern. Dies ist potenziell ein effizienter Mechanismus zur Mitablagerung sorbierter Schadstoffe.
Im schweizerischen Mittelland sind die Seen typischerweise sehr produktiv (eutroph) und im Sommer stabil geschichtet. Diese Kombination fĂŒhrt in der Regel zu saisonal oder permanent sauerstoffarmen oder sogar anoxischen Bedingungen im Hypolimnion von Seen. Folglich sind Seesedimente meist stark organisch und ebenfalls anoxisch. Unter anoxischen Bedingungen im Hypolimnion und in den Seesedimenten sind PSM meist weniger abbaubar, sodass die Speicherung und Anreicherung von PSM in anaeroben Sedimenten eine lang anhaltende potenzielle Senke und möglicherweise auch Quelle bei der Remobilisierung darstellt [10].
Seesedimente sind sehr komplexe dynamische Systeme, die unter anderem durch hydrodynamische Faktoren (Ăberflutungen, subaquatische Ab- und Umlagerungen, Bioturbation etc.), physikalisch-chemische Prozesse (Sorption, Redoxreaktionen) und mikrobielle Umwandlungen beeinflusst werden [11]. Jede Schicht im Seesediment widerspiegelt deshalb die Umweltbedingungen im See selbst, im Einzugsgebiet und in der AtmosphĂ€re zur Zeit der Sedimentation und liefert somit Aufzeichnungen ĂŒber vergangene VerĂ€nderungen von StoffeintrĂ€gen sowie vergangener Klima- und Umweltbedingungen.
Die technologischen Fortschritte in der Spurenanalytik der letzten 15 Jahre und der Zugang zu Referenzmaterialien, die EinfĂŒhrung der Multiresiduen-Analyse, Probenahme- und Extraktionstechniken u.âa. eröffnen neue Möglichkeiten fĂŒr die Extraktion und den Nachweis von PSM im Spurenbereich in Sedimenten [3].
Hinsichtlich der GefĂ€hrdung von Umwelt, BiodiversitĂ€t und Mensch spielt das Vorsorgeprinzip in der Gesetzgebung eine bedeutende Rolle. In der Schweizer GewĂ€sserschutzverordnung (GSchV) ist festgelegt, dass die WasserqualitĂ€t so beschaffen sein muss, dass Wasser, Schwebstoffe und Sedimente keine persistenten synthetischen Stoffe enthalten dĂŒrfen, um so den Schutz des Wasserlebens gewĂ€hrleisten zu können [11]. WĂ€hrend es fĂŒr GewĂ€sser numerische Anforderungen bezĂŒglich Pestizidgehalten gibt, fehlen solche im gleichen Masse fĂŒr Böden und Sedimente. Seit Kurzem erarbeitet das Oekotoxzentrum (Eawag/EPFL) ausgewĂ€hlte Sediment-QualitĂ€tskriterien (SQK) anhand von ökotoxikologischen Wirkungsdaten, die Schwellenkonzentrationen fĂŒr das Risiko fĂŒr benthische Organismen darstellen. Werden diese Schwellen ĂŒberschritten, können schĂ€dliche Wirkungen nicht ausgeschlossen werden [12].
Zudem bietet seit 2023 die GSchV mit Art. 48a die Möglichkeit zur ĂberprĂŒfung der Zulassung von PSM und Biozidprodukten, wenn wiederholt und verbreitet GrenzwertĂŒberschreitungen im OberflĂ€chengewĂ€sser vorkommen [11]. Hierzu können kantonale, bundesweite sowie universitĂ€re Monitoring-Kampagnen wichtige Daten fĂŒr den GewĂ€sserschutz liefern.
In der Schweiz sollen gemĂ€ss dem «Aktionsplan Pflanzenschutzmittel» [12] die Risiken von PSM halbiert und Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz gefördert werden. Ebenfalls sollen fĂŒr PSM die Risiken fĂŒr GewĂ€sser und naturnahe LebensrĂ€ume bis 2027 im Vergleich zur Periode 2012â2015 reduziert werden [14]. Ob und inwieweit sich diese Massnahmen auf den kurz-, mittel- und langfristigen Verbleib von PSM-RĂŒckstĂ€nden in der Umwelt auswirken, kann im Nachhinein durch die Untersuchung von Seesedimenten nachgewiesen werden.
Das Ziel unserer Forschungsarbeit ist es, die Transportwege der PSM durch verschiedene Kompartimente der Umwelt (Boden-Wasser-Luft) zu entschlĂŒsseln. Wir wollen ein umfassendes Bild von Transport und Ablagerung von gelösten (d.âh. bioverfĂŒgbaren) PSM-Konzentrationen in Seesedimenten gewinnen. Diese Prozesse sind im Zusammenhang mit der WasserqualitĂ€t und der ökotoxikologischen Risikobewertung von zunehmender Bedeutung. Hier stellen wir erste Erkenntnisse aus dem kĂŒrzlich gestarteten SNF-finanzierten Forschungsprojekt «TraPPP» (Tracing Plant Protection Products across the Environment) vor und geben einen Einblick der Sedimentkontamination mit Pflanzenschutzmitteln im Wohlensee und Moossee ĂŒber die letzten 70 Jahre.
Um die Möglichkeit der Rekonstruktion von PSM-Kontaminationen ĂŒber die Zeit zu untersuchen, wurden Sedimentkernproben des Wohlensees und des Moossees untersucht. Die Einzugsgebiete beider eutropher GewĂ€sser sind landwirtschaftlich geprĂ€gt; der grössere Wohlensee, ein Staufluss/See der Aare, besitzt ein deutlich grösseres Einzugsgebiet mit mehreren Abwasserreinigungsanlagen (Tab. 1).
See |  | FlÀche (ha) | Max. Tiefe (m) | à Sedimentationsrate (cm/Jahr) | Topografisches Einzugsgebiet (ha) | Anteil Landwirtschaft (%) | Anzahl Abwasser-reinigungsanlagen | Detektierte PSM # |
Moossee | eutroph, dimiktisch | 30,3 | 21,1 | 0,4 | 256 | 48 | 0 | 33 |
Wohlensee | mesotroph / eutroph, polymiktisch |
365 | 10â20 | 2,4 | 320â200 | 35 | 9 (7 Deponien) |
25 |
Tab. 1 Ăbersicht ĂŒber Charakteristika der untersuchten GewĂ€sser im Mittelland sowie Anzahl der detektierten Pflanzenschutzmittel (PSM) im Sediment.
Der Moossee ist ein Kleinsee, umgeben von einem höheren Anteil von fast 50% landwirtschaftlichen FlÀchen.
Die Sedimentkernproben im Wohlensee (47.0238°N, 7.4775°E; 18,7âm Tiefe) und Moossee (47.0238°N, 7.4775°E; 19âm Tiefe) wurden mit einem Sedimentkernprobennehmer (Uwitec) genommen (Fig. 1 und 2). Vom Moossee wurden zusĂ€tzlich OberflĂ€chensedimentproben (oberste 2â5âcm) an verschiedenen Stellen im See entnommen (Fig. 3).
Im Moossee stammt der Sedimentkern vom westlichen Becken ca. 200âm östlich vom Einfluss der Urtene. Die Sedimente bestehen aus braunem organischem Silt mit feinen, hellen Laminierungen aus Kalzit (Fig. 5).
Im Wohlensee wurde der Kern ca. 400âm sĂŒdlich des Stauwerks entnommen. Die Sedimente bestehen hauptsĂ€chlich aus grau-braunem bis oliv-braunem klastischem Material (50â80% siltiger Feinsand bis tonreicher Silt aus Silikaten und Karbonaten; Fig. 6).
Anhand der Sedimentchronologie der Sedimentkerne wurden die einzelnen Sedimentschichten (jeweils 4âcm) beprobt, mittels 210Pb und 137Cs datiert und der historische Verlauf der Sedimentablagerung und die Herkunft analysiert.
Mit einem Multiproxy-Workflow wurden >â60âPSM in den Sedimentproben untersucht. Die Sedimentproben wurden durch FlĂŒssigextraktion unter Druck (PLE) mit zwei Extraktionsmethoden extrahiert, gefolgt von einer QuEChERS-Reinigung und mit FlĂŒssigchromatografie und Tandem-Massenspektrometrie (LC-MS/MS) gezielt auf ausgewĂ€hlte PSM analysiert, fĂŒr die Referenzstandards vorhanden sind (Target-Analyse) [1].
Die Analyse der Sedimentkernproben bestĂ€tigt das Auftreten der PSM seit 1950 mit den höchsten Ablagerungen im Sediment zwischen 1980 und den spĂ€ten 1990er-Jahren (Fig. 4). Im Sediment beider Seen konnten, anders als erwartet, nicht nur hydrophobe organische PSM, sondern ebenfalls polare organische PSM detektiert werden (Tab. 2) [15]. In beiden GewĂ€ssern wurden die zugelassenen PSM Azoxystrobin, Cyprodinil, Difenoconazol, Diflufenican, Fenpropidin und Fludioxonil zu verschiedenen Zeitpunkten in den letzten 70 Jahren detektiert. Ausserdem wurden in beiden Seen die in den letzten Jahren/Jahrzehnten verbotenen PSM Atrazin, Carbendazim, Chlorpyrifos, Diuron, Epoxiconazol, Fenpropimorph, Flusilazol, Isoproturon, Linuron, Orbencarb, Prochloraz und Simazin nachgewiesen (Tab. 2). Seit 1960 schwanken die Konzentrationen der einzelnen sedimentĂ€ren PSM von <â1 bis 770âÎŒg/kgoc, dem Maximalwert fĂŒr Fenpropimorph im Wohlensee (1981). Im Sediment des Moossees wurden 34 PSM in einem Konzentrationsbereich von <â1 bis 300âÎŒg/kgoc gemessen, mit den höchsten Konzentrationen fĂŒr Difenoconazol, Epoxiconazol, Diflufenican, Prosulfocarb und Pendimethalin [1]. Die Zielanalyten decken sich grösstenteils mit den hĂ€ufig in der wĂ€ssrigen Phase gemessenen PSM, die 2019 z.âB. vom Amt fĂŒr Wasser und Abfall des Kantons Bern im ChrĂ€bsbach gemessen wurden (Epoxiconazol mit Konz. bis 53âÎŒg/l) [5]. Die PSM-Trends im Sediment korrelierten am stĂ€rksten mit der PSM-Anwendung (abgeleitet aus VerkĂ€ufen) und den regulatorischen Massnahmen (Verbote) [1]. Das Herbizid Atrazin zum Beispiel wurde im Jahr 2012 als PSM zum Schutz des Grundwassers zurĂŒckgezogen, folglich reduzierte sich der Einsatz in der Landwirtschaft, der Eintrag in den Boden und in die GewĂ€sser und folglich der Eintrag in die Sedimente. Dennoch ist Atrazin ĂŒber 20 Jahre nach seinem Verbot noch immer im Boden und Sediment nachweisbar (Fig. 4) [3, 16]. Es bleibt abzuwarten, wie lange nach dem Inkrafttreten der neueren Verbote diese PSM noch in Sedimente eingetragen werden. Neue Sedimentkerne könnten in der Zukunft die Wirksamkeit der aktuellen Regulierungen belegen.
In unserer Analyse werden nur PSM gefunden, die in den durchgefĂŒhrten Target-Screenings mit definierten Zielsubstanzen auch auf der Zielanalytenliste standen. Die ausgewĂ€hlten 69 PSM der Target-Liste entsprechen knapp einem Sechstel der in der Schweiz im letzten Jahrhundert verkauften und eingesetzten 400 PSM-Wirkstoffe (inkl. natĂŒrlicher und anorganischer Wirkstoffe) [17] (Tab. 2). Es ist deshalb zu erwarten, dass weitere PSM und andere organische Substanzen in den Sedimenten vorhanden sind, welche in der durchgefĂŒhrten Target-Analyse nicht auf der Zielanalytenliste standen.
# Eingesetzte (inkl. zurĂŒckgezogene) PSM-Wirkstoffe in der Schweiz 2008â2021: 438 |
||
# PSM in Messmethode Target-Screening (ohne Transformationsprodukte): 69 |
||
# detektierte PSM > BG | 35 | Â |
# zugelassene PSM | 17 | Azoxystrobin, Cyprodinil, Difenoconazole, Diflufenican, Ethofumesate, Fenpropidin, Fludioxonil, Flufenacet, Fluopicolide, Metalaxyl, Napropamide, Pendimethalin, Prosulfocarb, Pyrimethanil, Metolachlor, Tebuconazole, Terbuthylazine |
# zurĂŒckgezogene PSM (verboten) | 18 | Atrazin, Carbendazim, Chloridazon, Chlorpyrifos, Cyproconazol, Dinoseb, Diuron, Epoxiconazol, Fenpropimorph, Fipronil, Flusilazol, Ioxynil, Isoproturon, Linuron, Orbencarb, Prochloraz, Propiconazole, Simazin |
# nicht detektierte PSM | 34 |
2,4D, 2,6-Dichlorobenzamide, Acetochlor, Alachlor, Bentazon, Boscalid, Bromoxynil, Carbofuran, Clothianidin, Desethylterbuthylazine, Diazinon, Ethofumesate, Fluopyram, Fluxapyroxad, Imidacloprid, Isoxadifen-ethyl, Isoxaflutole, Mesotrione, Metamitron, Metribuzin, Oryzalin, Pethoxamid, Pirimicarb, Pyridat, Pyrifenox, Rimsulfuron, Sebuthylazine, Sulcotrione, Tebutam, Tembotrione, Thiacloprid, Thiamethoxam, Triadimenol, Trifloxystrobin |
Tab. 2 Ăbersicht ĂŒber die 69 Pflanzenschutzmittel(PSM)-Wirkstoffe ohne Transformationsprodukte des Target-Screenings in den beiden GewĂ€ssern. Auflistung der nicht detektierten und der mindestens einmal detektierten PSM-Wirkstoffe > Bestimmungsgrenze (BG). Unterscheidung zwischen als PSM zugelassener bzw. zurĂŒckgezogener Wirkstoff (Stand: Nov. 2023). Kursiv hervorgehoben sind PSM, die in beiden Seen detektiert wurden.
Messkampagnen zeigen, dass kleine GewĂ€sser am stĂ€rksten mit kurzfristigen PSM-Spitzenkonzentrationen belastet sein können, wenn die Einzugsgebiete stark durch landwirtschaftliche Nutzung geprĂ€gt sind und Flurleitungen nach StarkniederschlĂ€gen oder Ăberflutungen mit starker Auswaschung aus Böden einen raschen Transport von PSM in die GewĂ€sser ermöglichen [8, 18, 19]. Solch kurzfristige Spitzenwerte sind durch punktuelle Probenahmen oder zeitlich hochauflösende Messkampagnen nur mit grossem Ressourcenaufwand (z.âB. MS2field der Eawag [8]) zu erfassen. Im Gegensatz dazu zeichnen Seesedimente die Belastung durch PSM kontinuierlich und lĂŒckenlos auf und bilden somit eine wichtige ErgĂ€nzung zur Datenerhebung mittels Messkampagnen. Der Nachteil: Daten aus Seesedimenten sind zeitlich weniger hoch ausgelöst und ergeben bestenfalls Belastungswerte, integriert ĂŒber eine Saison oder wenige Jahre. Dies wiederum erlaubt das Erstellen von robusten Bilanzen, da alle Ereignisse langfristig und lĂŒckenlos erfasst werden. Dies gilt insbesondere fĂŒr kleine Seen mit hohen Sedimentationsraten. Seesedimente haben ausserdem den einmaligen Vorteil, dass sie Rekonstruktionen von beispielsweise PSM-Belastungen bis weit in die Vergangenheit ermöglichen â in eine Zeit, als niemand auf die Idee kam, Wasserproben zu sammeln und fĂŒr spĂ€tere Analysen zu archivieren. Diese natĂŒrlichen Umweltarchive bieten so die einzigartige Möglichkeit, Informationen ĂŒber die «Baseline» vor einer Intervention oder Störung zu erhalten.
Um die rÀumliche Verteilung von PSM innerhalb eines Sees zu untersuchen, wurden OberflÀchensedimentproben an verschiedenen Stellen und Tiefen aus dem Moossee untersucht. Die Auswertung zeigt die ungleichmÀssige rÀumliche Verteilung der PSM-Konzentrationen in den Sedimenten (Fig. 3). Zum Beispiel zeigt das Breitbandherbizid Diuron sehr hohe Konzentrationen im Osten des Sees, wÀhrend das Insektizid Chlorpyrifos hauptsÀchlich in der NÀhe des Zuflusses der Urtene im Westen des Sees abgelagert ist. Beide Substanzen haben vermutlich sehr unterschiedliche Eintragsquellen in den Wasserkörper des Moossees.x
Eine derart starke rÀumliche Differenzierung ist unerwartet und sehr erstaunlich, handelt es sich doch um wasserlösliche Substanzen. Dies legt aber nahe, dass es effiziente Mechanismen gibt, die PSM aus dem Seewasser in die Sedimente transportieren. Diese Prozesse des «Absetzens» oder «Scavenging» der PSM aus dem Wasserkörper des Sees sind nicht genau bekannt und nicht verstanden, jedoch offensichtlich von grundlegender Bedeutung. Weitere Studien zur Erforschung der Absetz-, Einbettungs-, Umwandlungs- und potenziellen Resuspensionsmechanismen von organischen Stoffen in Sedimenten sind deshalb notwendig.
Eine Ăberschlagsrechnung der akkumulierten MassenflĂŒsse im Sedimentkern am Beispiel von Diuron ergab hochgerechnet auf FlĂ€che und Sedimentvolumen ein Inventar fĂŒr Diuron von ca. 0,5âg/ha im Moossee und ca. 11âg/ha im deutlich grösseren Wohlensee. Diese AbschĂ€tzung bedarf Verfeinerung, da die PSM-Konzentrationen innerhalb eines Sees im Sediment rĂ€umlich stark schwanken (Fig. 3) und viele weitere Einflussfaktoren ausser Acht gelassen wurden. Dennoch gibt es einen Eindruck ĂŒber die Grössenordnung der Sedimentkontamination mit Diuron. Dabei ist nicht zu vergessen, dass viele Tausende bekannte und unbekannte PSM und Transformationsprodukte sich ebenfalls im Sediment befinden können [1].
In den Sedimentkernen des Wohlensees und des Moossees konnten wir 17 zugelassene PSM detektieren, trotz des in der GSchV verankerten Verunreinigungsverbotes. Ist dies nun problematisch oder unvermeidbar?
Die akkumulierten Konzentrationen von Pflanzenschutzmitteln können einen negativen Einfluss auf das Seesedimentökosystem haben. Um die chemische SedimentqualitĂ€t und das potenzielle Risiko fĂŒr aquatische Ăkosysteme zu bewerten, wurden die vorlĂ€ufigen UmweltqualitĂ€tskriterien fĂŒr Diuron (SQK [EQSsed]: 0,39â”g/kgTS) und fĂŒr Chlorpyrifos (SQK: 0,028 ”g/kgTS) mit einer Trockensubstanz (TS) fĂŒr Standardsedimente mit 1% OC (organischer Kohlenstoff) herangezogen [12, 20]. FĂŒr alle weiteren in dieser Studie detektierten PSM liegen keine SQK zur Bewertung vor.
Um den Risikoquotienten (RQ) der Pestizide im Sediment zu berechnen, werden die gemessenen Konzentrationen auf die Trockensubstanz des Standardsediments von 1% OC normiert und ins VerhĂ€ltnis zu den UmweltqualitĂ€tskriterien gesetzt. Im Moossee wurden die UmweltqualitĂ€tskriterien im Sediment bis zum Faktor >â20 fĂŒr Chlorpyrifos und bis zum Faktor >â2 fĂŒr Diuron ĂŒberschritten (Fig. 5). Nach der «Strategie zur Bewertung der SedimentqualitĂ€t in der Schweiz» des Oekotoxzentrums mĂŒsste die SedimentqualitĂ€t anhand der beiden berĂŒcksichtigten PSM vorlĂ€ufig als «unbefriedigend» bis «schlecht» bewertet werden (mit grosser Unsicherheit) [20]. Die Gesamtbelastungssituation wĂ€re höher, wĂŒrden alle PSM in der Berechnung der MischungstoxizitĂ€t berĂŒcksichtigt werden (offizielle UmweltqualitĂ€tskriterien zur Berechnung fehlen). WĂ€hrend sich fĂŒr Diuron die toxische Situation im Sediment seit 1990 verbessert, wurden fĂŒr Chlorpyrifos in den letzten Jahren bei stark steigender Tendenz die höchsten Ăberschreitungen der vorlĂ€ufigen UmweltqualitĂ€tskriterien erreicht (Fig. 5).
Eine Laborstudie mit Sediment vom Nachbarsee des Moossees, dem «Chli Moossee», konnte die schlechte SedimentqualitĂ€t bestĂ€tigen. In toxikologischen Tests mit Sedimenten des Chli Moossees gab es z.âT. 50% MortalitĂ€t und Wachstumshemmung bei Ostrakoden [21].
Unsere Forschung zeigt, dass Sedimente nicht nur hydrophobe organische Verbindungen enthalten, die sich schnell mit Boden, Sedimenten und Schwebstoffen verbinden, sondern auch polare organische Stoffe wie PSM. Die organischen Schadstoffe sind rĂ€umlich nicht gleichmĂ€ssig in den Sedimenten eines Sees verteilt, was zu ĂŒbermĂ€ssig hohen lokalen Konzentrationen und einer toxischen SedimentqualitĂ€t fĂŒhren kann, wie aus ökotoxikologischen Risikobewertungen und Laborstudien hervorgeht.
Die Analyse von Sedimentkernen (i) bietet einen umfassenden Ăberblick ĂŒber bekannte und unbekannte Verunreinigungen im Laufe der Zeit, (ii) dokumentiert systematisch den Zeitpunkt des Auftauchens und Verschwindens der Verunreinigungen und (iii) verifiziert VerĂ€nderungen aufgrund verschiedener Bewirtschaftungspraktiken und behördlicher Eingriffe oder UmweltverĂ€nderungen. In kĂŒnftiger Zeit planen wir, das Verhalten von weiteren persistenten und mobilen Substanzen (z.âB. per- und polyfluorierten Alkylverbindungen, kurz PFAS) in Schweizer GewĂ€ssern und Seesedimenten zu erforschen.
[1] Chiaia-Hernandez, A.C. et al. (2020): High-Resolution Historical Record of Plant Protection Product Deposition Documented by Target and Nontarget Trend Analysis in a Swiss Lake under Anthropogenic Pressure. Environ Sci Technol. 54(20): 13090â13100
[2] Landrigan, P.J. et al. (2018): The Lancet Commission on pollution and health. Lancet. 391(10119): 462â512
[3] Chiaia-Hernandez, A.C. et al. (2017): Long-Term Persistence of Pesticides and TPs in Archived Agricultural Soil Samples and Comparison with Pesticide Application. Environ Sci Technol. 51(18): 10642â10651
[4] Minkowski, C. et al. (2021): Langzeitmonitoring von Pflanzenschutzmitteln â GewĂ€ssermonitoring des Berner Pflanzenschutzprojekts. Aqua & Gas 7/8
[5] Ruff, M.; Rudin, E.; Ryser, N. (2023): Akuten Belastungen auf der Spur â MV-EintrĂ€ge aus Entlastungsbauwerken und der Landwirtschaft in ein MittellandgewĂ€sser. Aqua & Gas 9
[6] Kiefer, K. et al. (2019): Pflanzenschutzmittel-Metaboliten im Grundwasser. Aqua & Gas 11
[7] Ochsenbein, U. et al. (2012): Mikroverunreinigungen in AaretalgewĂ€ssern â ein Risiko?. Aqua & Gas 11
[8] la Cecilia, D. et al. (2021): Continuous high-frequency pesticide monitoring to observe the unexpected and the overlooked. Water Res X. 13: 100125
[9] Schönenberger, U. et al. (2020): Hydraulische KurzschlĂŒsse â Hohe Bedeutung fĂŒr die Belastung der GewĂ€sser mit Pflanzenschutzmitteln, Aqua & Gas. 11: 65â71
[10] Chiaia-Hernandez, A.C. et al. (2022): Sediments: sink, archive, and source of contaminants. Environ Sci Pollut Res Int. 29(57): 85761â85765
[11] Bundesamt fĂŒr Umwelt BAFU (2023): GewĂ€sserschutzverordnung. Bern
[12] Oekotoxzentrum (2023): VorschlĂ€ge des Oekotoxzentrums fĂŒr QualitĂ€tskriterien fĂŒr Sedimente. www.oekotoxzentrum.ch/expertenservice/qualitaetskriterien/sediment-qualitaetskriterien
[13] BLW (2017): Aktionsplan Pflanzenschutzmittel. Bundesamt fĂŒr Landwirtschaft. Bern
[14] Parlamentarische Initiative (2021): WAK-S 19.475. Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren. Bern
[15] Chiaia-Hernandez, A.C.; Krauss, M.; Hollender, J. (2013): Screening of lake sediments for emerging contaminants by liquid chromatography atmospheric pressure photoionization and electrospray ionization coupled to high resolution mass spectrometry. Environ Sci Technol. 47(2): 976â86
[16] Chiaia-Hernandez, A.C. et al. (2020): Target and suspect screening analysis reveals persistent emerging organic contaminants in soils and sediments. Sci Total Environ. 740: 140181
[17] BLW: Verkaufsmengen der Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe. 29.11.2023. Anhang 1 der Pflanzenschutzmittelverordnung (SR 916.161)
[18] Spycher, S. et al. (2019): Anhaltend hohe PSM-Belastung in BĂ€chen. NAWA-SPEZ-Studie 2017 Aqua & Gas. 4: 14â25
[19] Stalder-McCall, A.-K. et al. (2020): Echtzeit-Erfassung von Pflanzenschutzmitteln und ausgewĂ€hlten Abwasser-Markersubstanzen im Doubs mittels MS2field Trailer und Pyrethroid-Spezialanalytik. Eawag: DĂŒbendorf
[20] Casado, C. et al. (2021): Strategie zur Bewertung der SedimentqualitĂ€t in der Schweiz. 2021, Schweizerisches Zentrum fĂŒr angewandte Ăkotoxikologie: Lausanne
[21] Wagner, O. (2022): Anthropogenic Impacts on Aquatic Organisms in a Swiss Pond: The Influence of Plant Protection Products on Ostracods in Sediments of Chly Moossee, Bachelor Thesis. Geographisches Institut. UniversitÀt Bern: Bern
[22] Ross, K.A. et al. (2014) : Sedimentological changes since the damming of Wohlensee. In Bearbeitung, UniversitÀt Bern
[23] DĂŒr, M. (2022): Historical deposition of microplastic in Lake Wohlen: Unravelling microplastic input in a lake under urban development, Master Thesis. Geographisches Institut. 2022, UniversitĂ€t Bern: Bern
Die Sedimentchronologie des Kerns vom Moossee wurde mit 226Ra, 210Pb und 137Cs Radionukliddatierungen erstellt. Die IsotopenaktivitÀtsprofile wurden mit Gammaspektrometrie an der UniversitÀt Bern gemessen. Die Alters-Tiefen-Modelle wurden mit dem Constant Rate of Supply CRS (ohne Missing Inventory) gerechnet und mit den 137Cs-Peaks verifiziert [1].
Halbierter Sedimentkern aus dem Moossee mit 137Cs-AktivitÀtsprofil zur Altersbestimmung.
FĂŒr den Kern vom WohÂlensee wurden fĂŒr die Datierung die Markerschichten stratigrafisch mit einem bestehenden Sedimentkern korreliert [22, 23].
Halbierter Sedimentkern aus dem Wohlensee mit charakteristischer Schichtung/Laminierung.
Dank geht an Olivia Wagner fĂŒr die ToxizitĂ€tstests mit Ostracoden sowie an Carmen Casado vom Oekotoxzentrum. Herzlichen Dank der Abteilung fĂŒr PalĂ€olimnologie und dem cLab-Team der UniversitĂ€t Bern fĂŒr ihr Fachwissen in verschiedenen Bereichen. Und ein Dank an das AWA-Team fĂŒr die Beratung und die Zusammenarbeit â besonderer Dank an Matthis Ruff und Claudia Minkowski.
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