Im Projekt «Den Biodiversitätsverlust der Gewässer stoppen – trotz Klimawandel» - kurz LANAT-3 – entwickeln Forschende der Universität Bern und der Eawag zusammen mit dem Schweizerischen Kompetenzzentrum Fischerei evidenz-basierte Ansätze für ein integrales Gewässermanagement mit dem Ziel, die Biodiversität der Gewässer zu erhalten, wiederherzustellen und deren Resilienz gegenüber Klimaveränderungen zu stärken (s. Aqua & Gas No 9/23). Das Projekt wird von der Wyss Academy for Nature, dem Kanton Bern und dem Bundesamt für Umwelt getragen und ist in drei Hauptphasen unterteilt.
Die erste Phase (2020–2023) umfasste i) Erhebungen der Vielfalt aller Fischarten und ausgewählter Makroinvertebraten im Einzugsgebiet der Aare und des Rheins; ii) erste Modellierungen der aktuellen und zukünftigen Artenvielfalt und des Einflusses verschiedener anthropogener und klimatischer Faktoren; iii) eine Analyse der sozialen Netzwerke und einen partizipativen Prozess in der Testregion «Untere Emme».
In der zweiten Phase (2024–2027) werden vertiefende Erhebungen der Artenvielfalt, eine zweite Netzwerkanalyse und weitere partizipative Prozesse mit Fokus auf zwei Pilotregionen stattfinden. Dies mit dem Ziel, die Robustheit der Modelle zu festigen und deren Benutzerfreundlichkeit für den Vollzug sicherzustellen, Potenziale für verstärkte Zusammenarbeit zu identifizieren und schweizweit anwendbare Lösungsansätze für Herausforderungen im Schutz der Gewässerbiodiversität zu erarbeiten.
In der dritten Phase (2028–2029) liegt der Fokus auf der Anwendung der Modelle und Lösungsansätze.
Die Erkenntnisse der ersten Projektphase sind in einem Bericht dokumentiert und in einer Artikelreihe in Aqua & Gas vorgestellt. Der erste, vorliegende Artikel fokussiert auf den partizipativen Prozess in der Testregion «Untere Emme».
Die Arbeit in einer Testregion ermöglichte es, von Anfang an in einem konkreten Raum die Fragestellungen des Projekts mit Anspruchsgruppen zu diskutieren, Methoden zu erproben und inhaltliche und prozessuale Erkenntnisse für die Weiterarbeit zu gewinnen. Bei der Auswahl der Testregion wurden folgende Kriterien angewendet: überschaubarer Raum, möglichst diverse Herausforderungen in Bezug auf die Erhaltung der Gewässerbiodiversität, kantonsübergreifende Zusammenarbeit sowie Vorhandensein bestehender Datengrundlagen zur Fischbiodiversität, Pestizidbelastung und weiteren Faktoren beim kantonalen Fischereiinspektorat.
Die Testregion umfasste die Einzugsgebiete der Emme ab Burgdorf flussabwärts bis zur Aaremündung, des Limpach und der Urtenen – kurz als «Untere Emme» bezeichnet (s. Fig. 1). Die Region liegt in den Kantonen Bern und Solothurn und zeichnet sich aus durch mehrere klimatische Extremereignisse in den letzten zehn Jahren (Hochwasser in den Jahren 2014 und 2022, regelmässige komplette Teilaustrocknung in den Sommermonaten [1, 2]) sowie durch diverse anthropogene Einflüsse wie intensive agrarwirtschaftliche Landnutzung und eine starke Fragmentierung aufgrund einer Vielzahl von Wanderhindernissen.
Ein frühzeitiger, systematischer und repräsentativer Einbezug der Anspruchsgruppen ist wichtig, um die verschiedenen Perspektiven bezüglich des Anliegens «Gewässerbiodiversität trotz Klimawandel» zu verstehen und zu berücksichtigen, optimale Mitgestaltungsmöglichkeiten zu bieten, die Relevanz und Nützlichkeit der Outputs sicherzustellen und deren Akzeptanz zu fördern [3, 4]. Für das Projekt LANAT-3 sind jene Anspruchsgruppen relevant, die das Gewässer direkt oder indirekt (via Anrainergebiete) nutzen [5, 6], Interesse an der Wasser- und Landnutzung im Einzugsgebiet haben, von wasser- und landnutzungsbezogenen Entscheidungen betroffen sind oder Einfluss darauf nehmen.
Im Hinblick auf den partizipativen Prozess wurden die Anspruchsgruppen mithilfe des Leitfadens «Einzugsgebietsmanagement – Anleitung für die Praxis zur integralen Bewirtschaftung des Wassers in der Schweiz» [7], des «Handbuch für die Partizipation bei Wasserbauprojekten» [8], wissenschaftlicher Literatur [9, 10] und teaminternen Erfahrungsschatzes (vgl. [11]) identifiziert. Die resultierende Liste umfasst rund 180 individuelle und kollektive, private und öffentliche Akteure auf lokaler, kantonaler und nationaler Ebene. Sie vertreten relevante Sektoren wie Wasser, Umwelt, Raumplanung, Fischerei und Landwirtschaft und wurden den folgenden acht Kategorien zugeordnet: Behörden, Politik, Forschung/Wissenschaft, Ingenieurbüros/Consulting, Verbände/NGO, Vereine, breite Öffentlichkeit und andere.
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Der partizipative Prozess in der Testregion «Untere Emme» (s. Fig. 2) orientierte sich am AIDA-Prinzip aus der Werbung und hatte demnach zum Ziel:
Der Prozess erstreckte sich von Anfang 2023 bis zum Frühjahr 2024 und konzentrierte sich auf eine Serie von vier Workshops entlang der Methode der Zukunftskonferenz [12]. Im Vorfeld der Workshops wurden Gespräche mit Schlüsselakteuren geführt, um sie frühzeitig über das Projekt zu informieren sowie Fragen und Vorbehalte in einem geschützten Rahmen besprechen zu können.
An der Workshopserie waren schliesslich vertreten: die zuständigen Behörden der Kantone Bern und Solothurn, wasserbaupflichtige Organisationen, Gemeinden, lokale, kantonale und nationale Natur- und Gewässerschutzorganisationen, Fischereivereine, der kantonale und der regionale Bauernverband sowie das Projektteam.
Der erste Workshop diente der Vorstellung des Projekts und der Analyse der Herausforderungen mit explizitem Fokus auf die Gewässerbiodiversität. Daraus resultierte eine Sammlung von Themen, die aus Sicht der Anwesenden in Bezug auf die Gewässerbiodiversität relevant sind. Das Projektteam ordnete die genannten Themen jenen Parametern zu, die im Projekt LANAT-3 im Rahmen der natur- und sozialwissenschaftlichen Forschung untersucht werden (bioklimatische und physikalische Faktoren, Wasserqualität, Landnutzung, Habitatqualität, Vernetzung, Kommunikation und Partizipation) und unterschied dabei die für die Vollzugspraxis relevanten Kategorien «Daueraufgaben» und «Projekte» (s. Fig. 3).
Der zweite und dritte Workshop dienten dem Erfahrungsaustausch zu den beiden Kategorien «Daueraufgaben» und «Projekte» sowie dem Brainstorming bezüglich möglicher Lösungsansätze. Im vierten Workshop konsolidierten die Anwesenden die gesammelten Lösungsansätze und beurteilten deren Umsetzbarkeit, Umsetzungshorizont und Relevanz.
Aus den Workshops resultierten insgesamt 42 Lösungsansätze, die das Projektteam im Anschluss «5 Stossrichtungen zur Förderung der Gewässerbiodiversität» zuordnete. Diese wurden in einem nächsten Schritt mit den Begleitgremien des Projekts diskutiert und durch deren Rückmeldungen ergänzt. Anschliessend folgten schriftliche Konsultationen im Projektteam, mit den Anspruchsgruppen sowie mit der Steuerungsgruppe und den Begleitgremien.
Die fünf Stossrichtungen, die im Rahmen des partizipativen Prozesses entstanden sind, sind in Figur 4 abgebildet. Sie bilden eine Mischung aus dem bestehenden Fokus des Projekts (Klima-angepasster Schutz und Entwicklung der Gewässer und ihrer Lebensräume, Erhebung der Biodiversität, verstärkte Koordination und Zusammenarbeit sowie Einbezug von Interessengruppen) und zusätzlichen Anliegen der Teilnehmenden (Finanzierung und Politik sowie Aufbau von Kapazitäten). Die Stossrichtungen wurden zwar in einem spezifischen lokalen Kontext erarbeitet, sind aber mehrheitlich allgemeingültig. Im Anhang des Berichts aus Projektphase 1 sind für jede Stossrichtung und dazu gehörige Massnahme detaillierte Beschreibungen, Beurteilungen und weiterführende Referenzen festgehalten.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass die fünf Stossrichtungen ein Zwischenergebnis eines Lernprozesses darstellen und in erster Linie die Sichtweisen von (gut informierten) Einzelpersonen widerspiegeln. Die erfassten Informationen haben unterschiedliche Flughöhen, sind nicht abschliessend strukturiert und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sind somit keine endgültige Leitlinie für den Vollzug, sondern dienen – sowohl inhaltlich als auch methodisch – als Grundlage für die Weiterarbeit im Projekt und darüber hinaus.
Der erste partizipative Prozess im Rahmen des LANAT-3 bietet viele Gelegenheiten zum Lernen. Nachfolgend sind die wichtigsten Punkte festgehalten, welche im Hinblick auf die zukĂĽnftigen Partizipationsprozesse des Projekts wichtig sind.
Diese methodischen und organisatorischen Erkenntnisse können auch anderen, vergleichbaren Projekten dienen.
[1] Barben, D. (2022): Niedrigwasser in Burgdorfs Kanälen – Fast nichts mehr geht den Bach runter. Der Bund, 25.08.2022.https://www.derbund.ch/fast-nichts-mehr-geht-den-bach-runter-184043710493
[2] Graf, S. (2022): Innert vier Minuten verwĂĽstete die Emme das Kemmeriboden-Bad. Der Bund, 05.07.2022, https://www.derbund.ch/innert-vier-minuten-verwuestete-die-emme-das-kemmeriboden-bad-406109467414
[3] Videira, N. et al. (2006): Public and stakeholder participation in European water policy: A critical review of project evaluation processes. European Environment, 16(1), 19–31, https://doi.org/10.1002/eet.401
[4] OECD (2015): Stakeholder engagement for inclusive water governance. OECD Studies on Water, OECD Publishing, Paris, 279 S., https://doi.org/10.1787/9789264231122-en
[5] Herzog, L.M.; Ingold, K. (2019): Threats to Common-Pool Resources and the Importance of Forums: On the Emergence of Cooperation in CPR Problem Settings. Policy Stud J, 47: 77–113, https://doi.org/10.1111/psj.12308
[6] Ingold, K. et al. (2018): Misfit between physical affectedness and regulatory embeddedness: The case of drinking water supply along the Rhine River. Global Environmental Change, 48, 136–150, https://doi.org/https://doi.org/10.1016/j.gloenvcha.2017.11.006
[7] BAFU (2013): Einzugsgebietsmanagement – Anleitung für die Praxis zur integralen Bewirtschaftung des Wassers in der Schweiz. Umwelt-Wissen Nr. 1204, www.bafu.admin.ch/uw-1204-d
[8] BAFU (Hrsg.) (2019): Handbuch fĂĽr die Partizipation bei Wasserbauprojekten. Betroffene zu Beteiligten machen, 49 S., www.bafu.admin.ch/uw-1915-d
[9] Pisano, U. et al. (2015): The role of stakeholder participation in European sustainable development policies and strategies (Quarterly Report 39; S. 39). European Sustainable Development Network (ESDN), https://www.esdn.eu/fileadmin/ESDN_Reports/2015-December-The_role_of_Anspruchsgruppen_participation_in_European_sustainable_development_policies_and_strategies.pdf
[10] Reed, M. S. et al. (2009): Who’s in and why? A typology of Anspruchsgruppen stakeholder analysis methods for natural resource management. Journal of Environmental Management, 90(5), 1933–1949, https://doi.org/10.1016/j.jenvman.2009.01.001
[11] Aeschlimann, A. (2022): Zum Schutz kälteliebender Fischarten. Aqua&Gas, 102, 28–33
[12] initio (2022): Strategie- und Teamentwicklung mit Zukunftskonferenzen. Schritt fĂĽr Schritt Vision, Ziele und Team entwickeln. Abgerufen am 30.03.2024, https://organisationsberatung.net/zukunftskonferenz-moderator-teamentwicklung/
[13] Moosberger, H. et al. (2023): Biodiversity monitoring in Europe: user and policy needs. Preprint in bioRxiv, https://doi.org/10.1101/2023.07.12.548673
Résumé
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