Rund acht Jahre nach Inkrafttreten der gesetzlichen Grundlagen verfügen bereits über 20 Schweizer Abwasserreinigungsanlagen (ARA) über eine Reinigungsstufe zur Elimination von Mikroverunreinigungen (MV-Stufe) [1]. Die MV-Stufen, in denen das Abwasser entweder mit Ozon oder mit Aktivkohle behandelt wird, funktionieren gut und halten in der Regel den gesetzlich geforderten Reinigungseffekt von 80% ein [2]. Dies wird anhand von 12 sogenannten Leitsubstanzen überprüft [3]. Bis 2040 wird in insgesamt rund 120 ARA das Abwasser mit einer solchen MV-Stufe gereinigt. Heute fliessen bereits rund 13% des häuslichen Abwassers der Schweiz durch eine MV-Stufe, im Jahre 2040 werden es rund 70% sein. Die MV-Stufen entfernen ein breites Spektrum an Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser, entlasten somit die Gewässer und verbessern die Wasserqualität.
Der Bund zahlt 75% der Kosten von Massnahmen1 an jene ARA, welche die folgenden Kriterien erfüllen:
Im Folgenden wird dieses Programm, das seit 2016 gesetzlich verankert ist, als ARA-Ausbauprogramm (2016) bezeichnet.
1 Massnahmen zur Elimination von Mikroverunreinigungen auf ARA können neben dem Bau einer MV-Stufe auch der Anschluss einer ARA an eine andere ARA sein. Dies ist bis 2040 für rund 15 ARA geplant. Insgesamt treffen also im Rahmen des ARA-Ausbauprogramms (2016) rund 135 ARA Massnahmen.
2 Die 10% beziehen sich auf den Anteil des bezüglich organischer Spurenstoffe ungereinigten Abwassers am Minimalabfluss (Q347 ) des Gewässers [5].
Seit April 2020 sind ökotoxikologisch begründete Grenzwerte für Mikroverunreinigungen in Oberflächengewässern in der Gewässerschutzverordnung festgeschrieben [4]. Die chronischen Grenzwerte für drei Arzneimittel, die aus dem häuslichen Abwasser stammen, sind: 0,019 μg/l für Azithromycin, 0,12 μg/l für Clarithromycin und 0,05 μg/l für Diclofenac. Werden diese Werte überschritten, besteht das Risiko, dass Wasserlebewesen geschädigt werden. Diese Gewässergrenzwerte sind unabhängig von den bisherigen Kriterien des ARA-Ausbauprogramms (2016) einzuhalten, was zusätzliche Anforderungen an die ARA stellt.
Wie es diesbezüglich aktuell und nach Umsetzung des ARA-Ausbauprogramms (2016) aussieht, haben die beiden VSA-Plattformen «Verfahrenstechnik Mikroverunreinigungen» und «Wasserqualität» analysiert. Dazu werteten sie Gewässer- und ARA-Messungen aus und führten eine GIS- und Stoffflussmodellierung durch. Die Ergebnisse dieser Analysen werden im Folgenden präsentiert.
Bund und Kantone überprüfen, ob die drei Arzneimittel ihre Grenzwerte im Gewässer überschreiten. Im Jahre 2022 wurden hierfür u. a. 431 Zweiwochenmischproben aus 19 Fliessgewässern untersucht, die gereinigtes Abwasser enthalten (siehe Zusatzbox unten). In 159 Proben traten Überschreitungen von mindestens einem der drei Arzneimittel auf. Während Clarithromycin nur in einer dieser Probe über seinem Grenzwert lag, überschritt Diclofenac in 98% dieser Proben seinen Grenzwert. In den restlichen 2% der Proben verursachte einzig Azithromycin eine Grenzwertüberschreitung. Azithromycin überschritt zudem in weiteren 22% der Proben den Grenzwert, in denen es Diclofenac auch tat. Es ist zu beobachten, dass Azithromycin den Grenzwert meist in den Fliessgewässern überschreitet, in denen die Diclofenac-Konzentration dauerhaft über dem Grenzwert liegt. Da also das grösste Risiko für Wasserlebewesen von Diclofenac ausgeht, fokussiert der Artikel auf diesen Stoff.
Für 19 ausgewählte Schweizer Fliessgewässer (siehe Zusatzbox unten) wurden die zeitlichen Verläufe der Diclofenac-Konzentrationen im Vergleich zu den Abwasseranteilen ausgewertet. Figur 1 zeigt zehn charakteristische Beispiele. Die anderen neun Fliessgewässer sind nicht dargestellt, bestätigen aber die folgenden Beobachtungen.
Für die Interpretation der Diclofenac-Konzentrationen müssen folgende Aspekte beachtet werden:
Bei der Interpretation der ermittelten Abwasseranteile müssen die nachfolgenden Punkte beachtet werden:
3 Das Abwasservolumen wurde über die Anzahl der im Einzugsgebiet an den ARA angeschlossenen Personen und einem spezifischen Abwasservolumen von 375 l/Person/Tag berechnet [11].
Diclofenac überschreitet seinen Grenzwert in fast allen der 19 untersuchten Fliessgewässer, die häusliches Abwasser enthalten. Dabei nimmt die Anzahl und die Höhe der Überschreitungen mit zunehmendem Abwasseranteil zu (Fig. 1):
Die gereinigten Abwässer von ARA mit einer MV-Stufe führen zu deutlich weniger bis keinen Überschreitungen. Figur 1 zeigt die Verbesserungen in Rhein, Glatt (Thur) und Mönchaltorfer Aa. Die orangen Pfeile kennzeichnen das Jahr der Inbetriebnahme der MV-Stufe im jeweiligen Einzugsgebiet.
Der Rhein bei Basel enthält – mit seinem grossen Einzugsgebiet – das gereinigte Abwasser von rund drei Vierteln der Schweizer Bevölkerung. Im Jahr 2023 reinigten 17 Schweizer ARA mit einer MV-Stufe das häusliche Abwasser von 1,1 Millionen Personen im Rheineinzugsgebiet (nach Seen waren es 10 ARA mit MV-Stufe, die das Abwasser von 775'000 Personen behandelten). Seit vier Jahren treten im Rhein bei Basel keine Überschreitungen des Diclofenac-Grenzwertes mehr auf.
Von dem häuslichen Abwasser, das in die Glatt (Thur) eingeleitet wird, reinigt die Aktivkohlestufe der ARA Herisau seit 2015 rund ein Drittel. Da zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme noch keine vergleichbaren Gewässermessungen durchgeführt wurden, lässt sich rückblickend die Verbesserung der Gewässerqualität nicht darstellen. Das restliche Abwasser der Glatt (Thur) wird in der Aktivkohlestufe der ARA Oberglatt in Flawil behandelt, die seit Anfang 2022 im optimierten Betrieb läuft. Seither ist die Diclofenac-Konzentration im Gewässer deutlich zurückgegangen. Wo zuvor wegen eines hohen Abwasseranteils von 20–50% der Diclofenac-Grenzwert dauerhaft überschritten wurde, kam es 2022 nur noch zu einer Überschreitung pro Jahr. Überschreitungen sind weiterhin möglich, weil Aktivkohleverfahren Diclofenac nicht vollständig aus dem Abwasser entfernen.4
4 Aktivkohleanlagen entfernen Diclofenac aktuell zu rund 85%, während Ozonanlagen Diclofenac zu 99% eliminieren [3]. Doch nicht jedes Abwasser ist für eine Ozonung geeignet [16, 17]
Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Mönchaltorfer Aa. Seit Sommer 2021 reinigen die Aktivkohlestufen der ARA Egg-Oetwil (2020) und der ARA Gossau (2021) sämtliches Abwasser, das in die Aa eingeleitet wird. Die Diclofenac-Konzentrationen in der Mönchaltorfer Aa gingen deutlich zurück. Trotz des hohen Abwasseranteils von 96% lagen die Diclofenac-Konzentrationen 2021 erstmals für ein Fünftel des Jahres unterhalb des Grenzwerts.
Die letzten beiden Beispiele zeigen: Bei einem hohen Abwasseranteil braucht es Verfahren bzw. Betriebsweisen, die Diclofenac sehr gut entfernen. Ansonsten kann es trotz ARA-Ausbau weiterhin zu Überschreitungen der Grenzwerte im Gewässer kommen.
Im Rahmen des ARA-Ausbauprogramms (2016) müssen ARA mit mehr als 8000 angeschlossenen Personen Massnahmen treffen, die im Gewässer zu einem Abwasseranteil von über 10%2 führen. Die Situationen von Aare, Rhein und Rheintaler Binnenkanal (Fig. 1) zeigen, dass Überschreitungen auch in Fliessgewässern mit einem Abwasseranteil von weniger als 10% auftreten. Es stellt sich somit die Frage: Ab welchem Abwasseranteil überschreiten Diclofenac, Clarithromycin und Azithromycin ihre Grenzwerte?
Diese Frage kann nicht mit den Messdaten der untersuchten Fliessgewässer beantwortet werden, weil es dafür Daten von mehreren Fliessgewässern mit geringem Abwasseranteil bräuchte. Stattdessen wurden Konzentrationsmessungen der drei Arzneimittel im Ablauf von ARA ohne MV-Stufe betrachtet (Fig. 2). Die höchsten Konzentrationen wies Diclofenac auf. Sie lagen rund eine Grössenordnung über denjenigen von Clarithromycin und Azithromycin. Die ARA-Ablaufkonzentrationen aller drei Arzneimittel wiesen eine gewisse Schwankungsbreite auf. Diese kommt beispielsweise durch Verdünnung bei Regenwetter, durch Verdünnung mit Fremdwasser oder durch regionale Unterschiede im Konsumverhalten [3, 11] zustande. Die Variabilität wurde berücksichtigt, indem der mittlere Wert der Daten (Median, 50%-Quantil) und das 90%-Quantil bestimmt wurden (Fig. 2, Tab. 1). Letzteres gibt an, welchen Wert die unteren 90% der Daten nicht überschreiten. Mit der Verwendung des 90%-Quantils werden die meisten Fälle identifiziert, bei denen ein ökotoxikologisches Risiko für Wasserlebewesen besteht, ohne jedoch Extremsituationen einzubeziehen.
Der Abwasseranteil, ab dem im Gewässer Überschreitungen zu erwarten sind, errechnet sich jeweils aus dem Gewässergrenzwert und der Konzentration der betrachteten Mikroverunreinigungen im ARA-Ablauf (Tab. 1). Die Hochrechnungen ergaben, dass Diclofenac seinen Grenzwert bereits ab einem Abwasseranteil von 2% überschreiten kann. Für Azithromycin5 gilt das ab einem Abwasseranteil von 5% und für Clarithromycin ab 26% (Tab. 1). Werden diese Hochrechnungen mit den Gewässermessungen (Fig. 1) verglichen, zeigt sich, dass sie für Diclofenac gut passen. Denn die ersten Überschreitungen sind in Aare und Rhein ab einem effektiven Abwasseranteil von 3–4% zu sehen. Für Azithromycin und Clarithromycin scheinen die Hochrechnungen zu pessimistisch zu sein, denn für Azithromycin sind Überschreitungen erst in Fliessgewässern mit einem Abwasseranteil von > 10% zu beobachten. Für Clarithromycin wurde nur eine Überschreitung im Landgraben mit einem Abwasseranteil von > 50% gemessen.
5 Die Aussage zu Azithromycin basiert auf einer beschränkten Anzahl verfügbarer Konzentrationsdaten im Abwasser. Die Datengrundlage zur Elimination von Azithromycin in MV-Stufen ist nicht solide, deutet aber daraufhin, dass Azithromycin in Ozonungen [18] mit einer Eliminationsrate von rund 90% besser entfernt wird als in Aktivkohlestufen [19]. Bei hohem Abwasseranteil könnte es trotz MV-Stufe noch zu Überschreitungen kommen.
Die Schweizer Fliessgewässer enthalten auf einer Fliessstrecke von rund 5000 km gereinigtes Abwasser (Fig. 3). Im Rahmen einer GIS-Analyse wurde der Abwasseranteil dieser Fliessstrecke bei Q347 berechnet. Ein Abwasseranteil von > 2% wird für rund 3000 km vorausgesagt. Das heisst, dass auf diesen 3000 km Grenzwertüberschreitungen zu erwarten sind, wenn keine ARA Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser entfernen würden. Laut GIS-Analyse wird das laufende ARA-Ausbauprogramm (2016) diese Situation deutlich verbessern, indem es die Fliessgewässerstrecke mit Überschreitungen halbiert. Genauer gesagt, senkt der ARA-Ausbau (2016) auf 1300 km den Abwasseranteil auf < 2% (gelb in Figur 3). Weitere Massnahmen an ARA sind notwendig, um auch die verbleibenden 1700 km, für die noch Überschreitungen erwartet werden, zu entlasten (violett in
Figur 3).
Um abzuschätzen, wie viele weitere ARA ergänzend zum ARA-Ausbauprogramm (2016) Massnahmen treffen müssten, wurde eine schweizweite Stoffflussmodellierung durchgeführt (siehe Box 2). Diese berechnet u. a., welche ARA im Gewässer zu einem Abwasseranteil von > 2% bei Q347 führen. Betroffen sind rund 200 ARA mit mehr als 1000 angeschlossenen Personen und rund 90 ARA, an denen jeweils weniger als 1000 Personen angeschlossen sind. Bei rund 60 ARA kann aufgrund fehlender Q347-Werte der Handlungsbedarf nicht bestimmt werden. Insgesamt und im Gegensatz zum ARA-Ausbauprogramm (2016) sind über drei Viertel der betroffenen ARA klein, d. h., sie haben weniger als 8000 angeschlossene Personen. Mehr als die Hälfte der betroffenen ARA weisen an ihrer Einleitstelle im Gewässer einen Abwasseranteil von > 10% auf. Sie wurden bisher nicht verpflichtet, da das > 10%-Abwasseranteil-Kriterium erst ab 8000 angeschlossenen Personen gilt. Diese ARA verursachen vermutlich mehrfache bis dauerhafte Überschreitungen der Gewässergrenzwerte.
Der Bundesrat wurde mit der Motion 20.4262 vom Parlament beauftragt, die Vorschriften in der Gewässerschutzverordnung so anzupassen, dass alle ARA, deren Ausleitungen Grenzwertüberschreitungen zur Folge haben, Massnahmen zur Elimination von Mikroverunreinigungen umsetzen müssen.
[1] https://micropoll.ch/ara-ausbau/
[2] Brander, A. et al. (2024): MV-Stufen stabil betreiben – hilfreiche Betriebsparameter. Aqua & Gas1/2024: 54–61
[3] Wunderlin, P. et al. (2024): MV aus dem häuslichen Abwasser entfernen – Erkenntnisse aus sieben Jahren Überprüfung des Reinigungseffekts. Aqua & Gas 1/2024: 46–53
[4] GSchV vom 28. Oktober 1998, Anhang 2 Ziffer 11 Absatz 3
[5] GSchV vom 28. Oktober 1998, Anhang 3.1 Ziffer 2
[6] Nationale Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA): https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wasser/zustand/wasser--messnetze/nationale-beobachtung-oberflaechengewaesserqualitaet--nawa-.html
[7] Doppler, T. et al. (2020): Mikroverunreinigungen im Gewässermonitoring. Aqua & Gas 7/8-2020: 44–53
[8] Buser, H.-R. et al. (1998): Occurrence and Fate of the Pharmaceutical Drug Diclofenac in Surface Waters: Rapid Photodegradation in a Lake. Environ. Sci. Technol. 32(22): 3449–3456
[9] Tixier, C. et al. (2003): Occurrence and fate of carbamazepine, clofibric acid, diclofenac, ibuprofen, ketoprofen, and naproxen in surface waters. Environ. Sci. Technol. 37(6): 1061–1068
[10] Dominguez, D. (2016): Elimination von organischen Spurenstoffen bei Abwasseranlagen. Finanzierung von Massnahmen. Bundesamt für Umwelt, Bern, S. 34
[11] Gulde, R.; Wunderlin, P. (2024): Grenzwertüberschreitungen im Gewässer mit ARA-Ausbau beseitigen – Stoffflussanalyse identifiziert betroffene ARA. VSA, Glattbrugg
[12] BAFU: https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wasser/zustand/daten/messwerte-zum-thema-wasser-beziehen/datenservice-hydrologie-fuer-fliessgewaesser-und-seen.html
[13] AWA Bern: https://www.bvd.be.ch/de/start/themen/wasser/hydrologische-daten/datenbezug.html#textimage_1677724525
[14] AWEL Zürich: https://www.zh.ch/de/umwelt-tiere/wasser-gewaesser/messdaten/abfluss-wasserstand.html
[15] Staub, E. et al. (2003): Fischnetz-Publikation: Angelfang, Forellenbestand und Einflussgrössen: Regionalisierte Auswertung mittels GIS. Buwal/Eawag
[16] Wunderlin, P. et al. (2015): Behandelbarkeit von Abwasser mit Ozon: Testverfahren zur Beurteilung. Aqua & Gas 7/8-2015: 28-38
[17] VSA-Plattform «Verfahrenstechnik Mikroverunreinigungen» (2021): Betrieb von Ozonanlagen auf ARA: Erkennen von kritischen Entwicklungen im Einzugsgebiet (Empfehlung)
[18] Bourgin, M. et al. (2018): Evaluation of a full-scale wastewater treatment plant upgraded with ozonation and biological post-treatments: Abatement of micropollutants, formation of transformation products and oxidation by-products. Water Research 129: 486–498
[19] Margot, J. et al. (2013): Treatment of micropollutants in municipal wastewater: Ozone or powdered activated carbon? Science of the Total Environment 461: 480–498
[20] Ort, C. (2007): Stoffflussmodell «Strategie MicroPoll» Dokumentationn. Eawag.
[21] Schär, P. (2007): Projektdokumentation Modellstudie Schweiz (GIS-Teil)
[22] Ort, C. (2007): Mikroverunreinigungen – Nationales Stoffflussmodell. gwa 11/2007: 853–859
[23] Ort, C. et al. (2009): Model-based evaluation of reduction strategies for micropollutants from wastewater treatment plants in complex river networks. Envrion. Sci. Technol. 43(9): 3214–3220
[24] https://github.com/blosloos/SSM/wiki
[25] Binggeli, S. (2023): Kosten und Leistungen der Abwasserentsorgung. VSA und SVKI, Glattbrugg und Bern
Bund und Kantone überprüfen regelmässig die Qualität der Schweizer Fliessgewässer, u. a. im Rahmen des nationalen Dauermonitorings NAWA TREND [6]. Dieses erfasst neben Nährstoffen und biologischen Parametern seit 2018 auch Mikroverunreinigungen [7]. Die Messdaten von 19 Fliessgewässern, die gereinigtes Abwasser enthalten, wurden für den vorliegenden Artikel ausgewertet. An diesen Standorten nehmen die Kantone meist ganzjährig Zweiwochenmischproben. Die Messdaten stammen von NAWA TREND für Aare, Birs, Boiron de Morges, Furtbach, Glatt (Zürich), Landgraben, Mönchaltorfer Aa, Rhein, Rhône, Thur (Andelfingen), Urtenen, Vedegio, Venoge, vom Kanton St. Gallen für Glatt (Thur), Rheintaler Binnenkanal, Thur (Niederbüren) und vom Kanton Waadt für Aubonne, Broye, Thièle.
Die im Kapitel «Massnahmen an weiteren ARA notwendig» erwähnte Stoffflussmodellierung wird in dieser Box detailliert beschrieben. Ziel der Modellierung war, schweizweit die Anzahl an ARA abzuschätzen, die auch nach dem ARA-Ausbauprogramm (2016) noch zu Überschreitungen des Gewässergrenzwertes führen. Welche ARA im Einzelnen Massnahmen treffen müssen, legen die kantonalen Behörden im Rahmen einer detaillierten Betrachtung fest.
Das verwendete Stoffflussmodell berechnet im Gewässer nach jeder Schweizer ARA den Abwasseranteil sowie die erwarteten Frachten und Konzentrationen ausgewählter Mikroverunreinigungen bei Minimalabfluss Q347 [15, 20]. Es basiert auf dem von Ort et al. entwickelten Modell [20-23], wurde für diese Arbeiten weiterentwickelt, ist frei verfügbar [11, 24] und kann beispielsweise von den kantonalen Behörden für ihre Planung verfeinert werden. Es berücksichtigt sämtliche 649 Schweizer ARA mit mehr als 200 angeschlossenen Personen und beachtet die Topologie der ARA entlang der Gewässer. Es berücksichtigt die derzeitigen Bedingungen in Bezug auf den Diclofenac-Konsum und den Minimalabfluss (Q347).
Der Abwasseranteil berechnet sich aus der Anzahl angeschlossener Personen pro ARA und einer typischen Abwassermenge von 375 l/Person/Tag [11, 25]. Lediglich das Abwasser von ARA ohne MV-Stufe floss in die Berechnung des Abwasseranteils ein. Das Abwasser von rund 120 ARA mit MV-Stufe, die im Rahmen des ARA-Ausbauprogramms (2016) verpflichtet wurden, Massnahmen zu ergreifen, wurde entsprechend nicht miteinbezogen.
Mit diesem Ansatz wurden folgende Resultate erhalten: 246 bis 291 weitere ARA führen im Einleitgewässer zu einem Abwasseranteil von >3% (50%-Quantil) respektive > 2% (90%-Quantil). Bei weiteren 59 ARA war kein Wert für den Minimalabfluss Q347 verfügbar. Szenarien mit verschiedenen Quantilen wurden berechnet, da die zugrunde liegenden Konzentrationsmessungen variieren (siehe Kapitel «Überschreitungen ab einem Abwasseranteil von 2%»). Das 90%-Quantil identifiziert die meisten Fälle, bei denen ein ökotoxikologisches Risiko für Wasserlebewesen besteht, ohne jedoch Extremsituationen einzubeziehen. Deshalb werden im Haupttext die Ergebnisse dieses Szenarios verwendet.
Die Diclofenac-Konzentration im Gewässer wurde analog zum Abwasseranteil aus einer schweizweiten Diclofenac-Fracht im ARA-Auslauf von 600 µg/Person/Tag (50%-Quantil) beziehungsweise von 900 µg/Person/Tag (90%-Quantil) berechnet.
Die nachfolgenden Punkte unterscheiden sich vom Ansatz der Berechnung des Abwasseranteils:
So ergab sich Folgendes: Die modellierten Diclofenac-Konzentrationen zeigten, dass 238 (50%-Quantil) bis 274 (90%-Quantil) ARA zu Überschreitungen des Gewässergrenzwertes führen. Auch hier konnten für 59 ARA ohne Q347-Werte keine Berechnungen gemacht werden. Der im Vergleich zur Berechnung über den Abwasseranteil resultierende Unterschied ist gering und begründet sich hauptsächlich durch den Photoabbau von Diclofenac in Seen.
Die Modellvorhersage stimmt gut überein mit den gemessenen Diclofenac-Tagesfrachten in den Wintermonaten 2019 an den Flüssen Glatt (Zürich), Rhône, Thur (Andelfingen), Aare und Rhein (Fig. 4).
Ein grosses Dankeschön geht an die kantonalen Fachstellen, das BAFU und an die Eawag für das Zurverfügungstellen ihrer Messdaten. Dies sind: Messdaten von Mikroverunreinigungen im Gewässer und im Ablauf von ARA sowie Abflussdaten der Fliessgewässer. Für die wertvollen Diskussionen und Rückmeldungen zu diesem Artikel bedanken wir uns herzlichst bei D. Dominguez, S. Zimmermann-Steffens, F. Soltermann, A. Hofacker, U. Schönenberger (alle BAFU), R. Manser (AWA Bern), A. Joss (Eawag), E. Durisch, C. Götz (beide Awel Zürich) und C.-A. Jaquerod (DGE Vaud). Das Projekt wurde vom BAFU finanziell unterstützt.
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Kommentare (1)
Kosten
Arzneimittel im Gewässer!
Guten Tag Herr Aregger Vielen dank für Ihren Kommentar Sie bringen es auf den Punkt! Die Verursacher dieser Misere machen grosse Gewinne! und werden nicht einmal erwähnt, also fein raus!! Ich wünsche Ihnen alles gute Freundlicher Gruss Dani Stöckli