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Fachartikel
04. Oktober 2024

Förderung privater Schwammstadtprojekte

St. Gallens Weg zur Schwammstadt

Als erste Schweizer Stadt führte St. Gallen vor zwei Jahren einen Schwammstadtfonds für private Projekte ein. Bewusst werden private Massnahmen finanziell unterstützt, um sukzessive den natürlichen Wasserkreislauf in der gesamten Bauzone wiederherstellen zu können. Um dieses Ziel zu erreichen, sind nebst der Sensibilisierung der Bevölkerung auch Schwammstadtprojekte im öffentlichen Raum erforderlich.
Roland Lüthy 

St. Gallen nimmt in der Siedlungsentwässerung seit jeher eine Pionierrolle ein. So begannen bereits 1870 Stadtplaner mit dem Bau von riesigen Kanälen zur Entwässerung der schnell wachsenden Textilstadt [1]. Mit der Ableitung des Abwassers vor die Stadttore war es aber nicht getan. Zwischen 1914 und 1917 wurde im Osten der Stadt  die erste Kläranlage der Schweiz gebaut. Teile der Anlage sind bis heute in Betrieb.

Nicht alle der zur damaligen Zeit revolutionären Massnahmen in der Siedlungsentwässerung haben sich bewährt. Dazu gehören drei grössere Gewässer im Talboden, die zu Mischwasserkanälen umfunktioniert und abgeleitet wurden. Seither wuchs die Stadt um das Zentrum rasant. Folglich sind diese Kanäle heute überlastet. Zudem fehlen Gewässer für die Einleitung von Regenwasser und Oberflächenabfluss bei Starkregen.

Um die öffentlichen Kanäle, Regenrückhaltebecken und Kläranlagen effizienter zu betreiben, setzt St. Gallen seit über zehn Jahren ein eigens entwickeltes Kanalbewirtschaftungssystem ein. Dafür erhielt die Stadt 2019 den «Smart City Innovation Award».

Die zunehmende Verdichtung im urbanen Raum verschärft das Problem in der Siedlungsentwässerung weiter. Retentionsmassnahmen auf Privatgrundstücken helfen zwar, die Kanäle zu entlasten, nicht aber die Kläranlagen. Hinzu kommen die Folgen der Klimaerwärmung mit Starkregen und langen Trockenperioden. Neue Ideen sind somit gefragt.

Bereits seit rund sechs Jahren wird verstärkt versucht, das Regenwasser nicht mehr in die Kanalisation einzuleiten. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden private Grundstücke in die Gesamtbetrachtung miteinbezogen. Zu diesem Zweck führte St. Gallen als erste Schweizer Stadt 2022 einen Fonds zur Förderung von privaten Schwammstadtmassnahmen ein. Die Schwammstadt basiert auf dem Prinzip, das Regenwasser an Ort zurückzuhalten und es versickern oder verdunsten zu lassen.

Schwammstadt: Strategien zur Umsetzung

  • Da 85% des St. Galler Baugebiets Privatgrundstücke sind, wird hier angesetzt.
  • Die Ablösung von Mischsystemgebieten in Trennsysteme soll Kanäle und Kläranlagen von Regenwasser entlasten und die Gewässer schonen.
  • Regenrückhaltebecken in der Innenstadt führen zu weiteren Entlastungen. Sie werden zusammen mit grösseren Infrastrukturprojekten oder durch die Umnutzung von bestehenden Bauwerken realisiert.

Laufend geht die Stadt St. Gallen weitere Schwammstadtmassnahmen im öffentlichen Raum an. Dies erfordert eine engere Zusammenarbeit verschiedener Dienststellen innerhalb der Stadtverwaltung. Auch der Einbezug der Bevölkerung ist bedeutsam, um die nötige Akzeptanz bei der Umsetzung zu erhalten. Die Massnahmen im öffentlichen Raum sollen letztlich zur Nachahmung auf privaten Grundstücken motivieren. Dafür wird viel in die Öffentlichkeitsarbeit investiert (mehr dazu im Kap. «Fächerübergreifende Zusammenarbeit»).

Private Schwammstadtprojekte fördern

Das Gewässerschutzgesetz zählt zu den schärfsten Gesetzen in der Schweiz. Weitere gesetzliche Verschärfungen oder Verfügungen führen zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand. Darum setzt die Stadt St. Gallen auf die Bereitschaft der Bevölkerung und engagiert sich im Gegenzug in der finanziellen Förderung von ökologischen Projekten. Das Grundprinzip lautet «Fördern statt gesetzlich verfügen».

Der bereits erwähnte Schwammstadtfonds ist im Abwasserreglement [2] verankert und basiert auf den Grundlagen des generellen Entwässerungsplans (GEP). Dieser wird nun laufend an die Schwammstadtstrategie angepasst.

Der Fonds unterstützt Gewässerschutz- und Klimaprojekte von Privaten und Unternehmen. Er wird mit 300 000 Franken pro Jahr aus den Gebühren für Entwässerung und Abwasser geäufnet. Der Fonds fördert nur private Massnahmen, jene im öffentlichen Raum sind davon ausgenommen. Maximal 50% der entstandenen Mehrkosten werden an technische Massnahmen erstattet. Diese sind im Reglement [3] in drei Kategorien aufgeteilt:

  • Schliessen des Wasserkreislaufes auf Liegenschaften (Versickerung und Verdunstung).
  • Überführung bestehender Liegenschaften ins Trennsystem: Primär wird die Umsetzung von öffentlichen Trennsystemprojekten gefördert. Bei Umbauprojekten in potenziellen Trennsystem­gebieten werden Vorbereitungsarbeiten an der Liegenschaftsentwässerung sowie Retentionen unterstützt.
  • Technische Massnahmen wie die Regen- und Brauchwassernutzung, die Entlastung des öffentlichen Kanalnetzes, etwa mit Steuerungen.

Der schonende Umgang mit Regenwasser umfasst die Verdunstung über offene Wasserflächen, über Gartenanlagen sowie Gebäudebegrünungen wie Dächer und Fassaden. Die Entsiegelung leistet ebenfalls einen Beitrag bei der Umsetzung von ökologischen Massnahmen.

Interessierte werden durch die Mitarbeitenden der Stadtentwässerung bereits vor der Baugesuchseingabe beraten. Je früher Schwammstadtmassnahmen in die Projektierung aufgenommen werden, umso effizienter und kostengünstiger können sie ausgeführt werden. Ein anderer städtischer Fonds fördert die hochwertige, biodiverse Bepflanzung.

Messbarkeit von Schwammstadtprojekten

Die Fördergesuche werden nach folgenden Kriterien geprüft: Bewertet werden ökologische Parameter wie Biodiversität und Auswirkungen auf den lokalen Wasserhaushalt/Klima. Bei der Beurteilung der Projekte fliesst die Nachhaltigkeit in Bezug auf die Verwendung von Materialien und Verfahren sowie deren Wirtschaftlichkeit ein. Die positive Auswirkung auf das öffentliche Kanalnetz, die Gewässer und die Kläranlagen sowie auf den GEP ist vor allem bei Arealüberbauungen mit Flächen von mehr als einer Hektare bedeutsam.

Ein einzelnes Projekt lässt sich dank dieser Parameter messbar und vergleichbar machen. Im öffentlichen Kanalnetz oder auf der Kläranlage sind hydraulische Vergleiche zu den Jahren vor der Einführung von Schwammstadtmassnahmen schwierig zu ermitteln. Hingegen lässt sich seit der Umstellung zur konsequenten Retention von Oberflächenwasser im gesamten Baugebiet im Jahr 2019 erkennen, dass die Anzahl der Hochwasserentlastungen und damit die Entlastungsmengen leicht abgenommen haben. Der geringe Anstieg der behandelten Jahresabwassermenge auf der Kläranlage ist auf die mehrheitliche Entwässerung im Mischsystem zurückzuführen.

Herausforderungen

In der Umsetzung der Schwammstadt stehen in St. Gallen ortsspezifische Herausforderungen an. Die topografischen Gegebenheiten der Stadt sind oft ungünstig:

  • Aus dem schmalen Talboden steigen die Talflanken steil an.
  • Im Talboden schränken glaziale Seeablagerungen und torfige Schichten die Sickerfähigkeit ein.
  • Die angrenzenden Moränenhügel aus Mergel oder Nagelfluh sind nur mit einer geringen Abdeckschicht bedeckt.

Zudem fehlt in der Ausführung von Bauvorhaben leider oft Fachwissen im Umgang mit der Bodenbeschaffenheit. Insbesondere Humus reagiert sehr empfindlich auf die Verdichtung oder Vermischung mit ungeeignetem Material und verliert damit seine Speicherfähigkeit.

Verdunstungsmassnahmen lassen sich in ihrer Wirksamkeit schwer beurteilen. Sie sind von der Jahreszeit abhängig und auch nicht in der hydraulischen Bemessung greifbar. Zu beachten ist auch die Qualität des Oberflächenwassers, die durch verschiedene Nutzungen beeinträchtigt wird.

Die aktuell grösste Herausforderung ist die Auseinandersetzung zwischen Dachbegrünung versus Photovoltaikanlagen. Zwar können sich beide Systeme optimal ergänzen, doch die Debatte um eine Strommangellage führte seither zu einer Bevorzugung von PV-Anlagen.

Fächerübergreifende Zusammenarbeit

Für die erfolgreiche Umsetzung der Schwammstadt ist eine enge Zusammenarbeit mit anderen städtischen Stellen wie Stadtplanung, Umwelt und Energie, Tiefbauamt, Wasserbau sowie mit kantonalen Stellen von zentraler Bedeutung, ebenso der Austausch mit Fachverbänden und anderen Städten. Zwischenzeitlich wurden die interdisziplinären Fachgruppen «Stadtklima» und «sommerlicher Wärmeschutz» eingesetzt, um künftig koordinierte und übergeordnete Projekte realisieren zu können.

Die Bevölkerung wird regelmässig sensibilisiert durch öffentliche Informationsveranstaltungen für die lokalen Planenden und Auftraggebenden, Fachbeiträge in der lokalen Presse, in den sozialen Medien sowie im Lokalradio. Hinzu kommt der jährlich Auftritt in einer Sonderschau an der Ostschweizer Frühlingsmesse OFFA. Des Weiteren ist ein Lehrpfad mit der Visualisierung von Schwammstadtmassnahmen in einem öffentlichen Park geplant.

In den Bereichen Prävention von Naturrisiken sowie Schwammstadt besteht seit rund einem Jahr eine Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Mobiliar. Nebst dem Austausch von Fachwissen unterstützt die Versicherung die Stadt bei drei Projekten im öffentlichen Raum finanziell.

Schwammstadtbeispiele

St. Gallen zählt rund 11 000 Liegenschaften. Der Eingang von Fördergesuchen ist stark von Informationskampagnen abhängig. Seit der Einführung im März 2022 sind rund 85 Anfragen eingegangen, pro Jahr also ca. 40 bis 50 Anfragen, Tendenz steigend. Rund 70% betreffen Massnahmen im Zusammenhang mit Neu- und Ersatzbauten, viele sind noch in Planung oder in der Ausführung. Erfreulich ist, dass rund 30% der Gesuche bestehende Liegenschaften betreffen, die aus Überzeugung Schwammstadtmassnahmen umsetzen – oft unabhängig von baulichen Massnahmen auf Grundstücken. Rund ein Drittel der eingereichten Projekte brechen die Umsetzung wegen geologischer Schwierigkeiten ab.

Die folgenden zwei Projekte zeigen das breite Spektrum an Massnahmen auf:

Sanierung der Leichtathletikanlage Martinsbrugg

Das 2,2 Hektar grosse Leichtathletikareal wurde bei seinem Bau in den 1960er-Jahren an die Mischabwasserkanalisation angeschlossen. 2022 stand die Sanierung der Anlage an. In diesem Zug wurde ein Katalog an Schwammstadtmassnahmen umgesetzt:

Im Naturrasenspielfeld wurde ein Sicker- und Drainagekörper verlegt. Der stark verzögerte Abfluss von nicht versickerbarem Wasser über das Drainagesystem versorgt nun das nahe gelegene Gewässer über mehrere Tage mit frischem Wasser.

Das Dachwasser der Tribüne wurde von der Schmutzwasserkanalisation getrennt und versickert jetzt in einer begrünten Rigole. Wegen der teilweise schlechten Sickerfähigkeit des Bodens wurde die Mulde mit einem zusätzlichen Reten­tions-Versickerungskörper ergänzt.

Der Spitzenabfluss aus dem Areal konnte dank der Retentions- und Versickerungsmassnahmen von ursprünglich über 400 l/s auf maximal 128 l/s gedrosselt werden. Zudem wurde das gesamte Areal ins Trennsystem überführt. Dadurch nahm die Spitzenbelastung in der öffentlichen Mischabwasserkanalisation um bis zu 70% ab. Somit konnte auf deren Ausbau auf einer Länge von rund 350 m verzichtet werden.

Dank der umsichtigen Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft, dem Planerteam und der Stadtentwässerung entstand nebst Einsparungen für das Kanalnetz und nur geringen Mehrkosten im Sportplatzprojekt ein sehr nachhaltiges Gesamtkonzept punkto Gewässerschutz, Biodiversität und CO2-Bilanz.

Entsiegelung Innenhof mitten in der Altstadt

Die Altstadt ist stark versiegelt. Die Schaffung einer multifunktionalen Fläche im Innenhof eines Hotels mitten in der Altstadt ist ein Projekt mit Vorbildcharakter: Nach der Entsiegelung entstand ein begrünter Hof (Fig. 1). Der chaussierte Platz dient als Aufenthaltsort für Personal und Hotelgäste. Während Niederschlägen versickert Regenwasser, kurzzeitig kann es sich aufstauen und erhält Zeit zur Versickerung. Ein bestehender Hofsammler schützt den Innenhof bei Starkregen vor Überflutung.

Schwammstadt im Kanalnetz

Die Stadtentwässerung folgt im öffentlichen Kanalnetz vier wesentlichen Grundsätzen:

  • Bereits vor längerer Zeit wurde mit der Entwässerung von Neubaugebieten im Trennsystem begonnen. Regenwasser fliesst nicht zur Kläranlage ab, es wird einem nahen Gewässer zugeführt. Künftig werden ältere Quartiere an der Peripherie der Stadt mit grosser Bautätigkeit sukzessive vom Misch- ins Trennsystem überführt.
  • In der Innenstadt fehlen die Möglichkeiten für Trennsysteme. Deshalb wird das Regenwasser künftig mittels kleinerer Rückhaltebecken zurückgehalten und gedrosselt an die Kanalisation abgegeben. Das erste ist 2023 in Betrieb gegangen: Im ehemaligen Kino Rex wurde der nicht mehr gebrauchte Kinosaal zu einem Rückhaltebecken mit einem Volumen von 450 m³ (Fig. 2). Darüber entstand ein Wohnhaus. Ak­tuell wird ein ehemaliges Pumpwerk zu einem Speicher- und Retentions­becken mit 250 m3 Inhalt umgebaut. Das gespeicherte Regenwasser wird für die Bewässerung der Pflanzen eingesetzt. Weiter soll auch unter dem neuen Marktplatz ein typengleiches Becken entstehen.
  • Mittels intelligenter Steuerung werden die Mischabwasserkanäle besser bewirtschaftet. Mit dosiertem Abfluss wird eine bessere Reinigungswirkung in den Kläranlagen erzielt.
  • In interdisziplinären Teams erfolgt die Planung und Realisierung von blau-grünen Infrastrukturprojekten im öffentlichen Raum.

Das Zusammenspiel aller Massnahmen leistet einen bedeutenden Beitrag zu Schwammstadt sowie zur Hitzeminderung im urbanen Raum.

Schwammstadt entwickelt sich weiter

In den letzten Jahren ist in Fachkreisen eine Aufbruchstimmung in Bezug auf die Eindämmung der Klimafolgen zu erkennen. Die Nutzung von Regenwasser als Energiequelle erlebt einen Aufschwung: Auf extensiv begrünten Flachdächern soll vermehrt Regenwasser zur Verdunstung und damit zur Kühlung von Gebäude und Umgebungsluft eingesetzt werden. Ein Potenzial besteht auch in der Gebäudetechnik: im Sommer zur Kühlung in Kühldecken und adiabaten Lüftungen, im Winter zur Wärmeerzeugung.

Den Wasserkreislauf mit gereinigtem Abwasser aus Kläranlagen mit Reinigungsstufe zur Eliminierung von Mikro­verunreinigungen zu schliessen, mag visionär erscheinen. Doch während lang anhaltender Trockenphasen werden alternative Wasserbezugsmöglichkeiten vor allem für die Landwirtschaft bedeutsamer. Hochwertig gereinigtes Abwasser könnte über Kulturflächen versickert und zur Anreicherung des Grundwassers eingesetzt werden, anstatt es in den nächsten Vorfluter oder in den See zu leiten.

Die Notwendigkeit zum Handeln wird durch die Forschung bestätigt. Die gemeinsame Anstrengung von Forschung, öffentlicher Hand und privaten Initiativen zeigt, dass den Herausforderungen des Klimawandels mit kreativen Lösungen begegnet werden kann. Der Einbezug der Bevölkerung ist für den Erfolg dieses Prozesses massgeblich. Besonders erfreulich sind auch private Initiativen wie etwa die Vision «Grünes Gallustal», welche die breite Bevölkerung zur Umsetzung von Schwammstadtmassnahmen animieren und den Nutzen einer lebenswerten Umwelt für kommende Generationen auf­zeigen.

Bibliographie

[1] Friedl, R. (2004): Geschichte der Kanalisation und der Abwasserreinigung der Stadt St. Gallen

[2] St. Gallen: SRS 543.1 Abwasserreglement

[3] St. Gallen: SRS 543.12 Reglement Schwammstadtfonds

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