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Fachartikel
10. Januar 2024

ARA: Elimination von Mikroverunreinigungen

Erkenntnisse aus sieben Jahren Überprüfung des Reinigungseffekts

Das Konzept zur Überprüfung des Reinigungseffekts und die 12 Leitsubstanzen haben sich im Vollzug bewährt. Es lässt einen gewissen Spielraum zu bei der Substanzauswahl, was die Behörden nutzen. Für den Reinigungseffekt fällt ins Gewicht, welche Substanzen in die Berechnung einfliessen.
Pascal Wunderlin, Rebekka Gulde, 

Rund acht Jahre nach Inkrafttreten der gesetzlichen Grundlagen am 1. Januar 2016 verfügen bereits über 20 Schweizer Abwasserreinigungsanlagen (ARA) über eine Reinigungsstufe zur Elimination von Mikroverunreinigungen (MV-Stufe) [1]. Die ARA überprüfen anhand periodischer Messungen der sogenannten Leitsubstanzen, ob die MV-Stufe den gesetzlich geforderten Reinigungseffekt einhält (siehe Box 1 unten). Zudem überwachen die ARA, dass ihre Ozonanlage keine problematischen Reaktionsprodukte bildet beziehungsweise aus ihrer Aktivkohleanlage möglichst keine Aktivkohle mit dem gereinigten Abwasser ins Gewässer gelangt (siehe Box 2 unten). Die Kantone sind für allfällige Massnahmen verantwortlich, falls eine ARA diese Vorgaben nicht erfüllt. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat die Oberaufsicht über diesen ARA-Ausbau. Daher rapportieren die Kantone jährlich ans BAFU, ob die MV-Stufen in ihren Kantonen den gesetzlich geforderten Reinigungseffekt von 80% einhalten [2]. Falls nicht, nennen sie die Gründe und die angeordneten Massnahmen. Das Konzept zur Überprüfung des Reinigungseffekts anhand der 12 Leitsubstanzen wurde vor 2016 durch das BAFU gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern kantonaler Fachstellen, der Fachverbände und der Forschung entwickelt. Es stellt eine sogenannte Funktionskontrolle der MV-Stufe dar. Damals bestanden aufgrund der dünnen Datenlage aber noch Unsicherheiten [3]. So war noch unklar, wie stark die Abwasserkonzentrationen und die Eliminationsraten der Leitsubstanzen schwanken. Auch waren die Analysemethoden noch nicht in allen Laboren etabliert. Nun hat die Plattform «Verfahrenstechnik Mikroverunreinigungen» rund sieben Jahre nach Inkrafttreten der UVEK-Verordnung die bisherigen Vollzugserfahrungen und die gemessenen Konzentrationen der Leitsubstanzen für die Jahre 2016 bis 2022 bei den Kantonen und den ARA-Betreibern mit MV-Stufe zusammengetragen und ausgewertet. Das Ziel bestand darin, zu analysieren, ob sich das Konzept zur Überprüfung des Reinigungseffekts im Vollzug bewährt und ob allenfalls Anpassungen notwendig sind.

Analytik etabliert

Analyseverfahren für die Leitsubstanzen sind heute standardisiert und bei den entsprechend akkreditierten Laboren etabliert. Sowohl private als auch kantonale Labore führen diese chemischen Analysen durch. Die Labore führen gemäss Vorgaben ISO/IEC 17025 regelmässig Vergleichsmessungen durch und stehen im fachlichen Austausch miteinander, u. a. im Rahmen des Kompetenznetzwerks der kantonalen Gewässerschutz- und Umweltschutzlaboratorien (Lab’Eaux; [10]). Wichtige analytische Erkenntnisse aus den letzten Jahren sind:

  • Die meisten ARA verwenden in ihren Probenehmern Kunststoffbehälter, die aber ĂĽblicherweise schon sehr lange im Einsatz sind und deshalb keine der 12 Leitsubstanzen von der Abwasserprobe aufnehmen. ARA nehmen zwei 24-Stunden-Sammelproben. Danach mischen die ARA oder das Analyselabor die beiden Proben mengenproportional zu einer 48-Stunden-Sammelprobe zusammen.
  • Die Lagerung und der Transport der Abwasserproben sollten nach der Probenahme in Glasflaschen und gekĂĽhlt (ideal bei 4 °C) erfolgen. Die meisten ARA verwenden dazu Glasflaschen. Der Probentransport erfolgt in der Regel per Post oder Auto. Von der Probenahme bis zur Analyse dauert es rund zwei bis fĂĽnf Tage.
  • Die Feststoffe in der Abwasserprobe mĂĽssen entweder abzentrifugiert oder abfiltriert (Glasfaserfilter) werden. Cellulose- Filter können Citalopram und Amisulprid adsorbieren und die Messung verfälschen. Diese dĂĽrfen daher nicht verwendet werden.
  • FĂĽr die chemische Analytik verwenden die Labore die gleichen Instrumente: Eine sogenannte FlĂĽssigchromatografie, gekoppelt mit einem Massenspektrometer (LC-MS). Keine der 12 Leitsubstanzen macht analytische Probleme, die Messungen sind aber anspruchsvoll. Als Faustregel gilt eine Messunsicherheit von +/–20%. Messwerte unterhalb der Bestimmungsgrenze werden fĂĽr die Berechnung des Reinigungseffekts mehrheitlich auf die Bestimmungsgrenze gesetzt, was den Reinigungseffekt etwas unterschätzt. Die Analysekosten pro Messkampagne belaufen sich auf rund 700 Franken (fĂĽr zwei Messungen pro Kampagne) beziehungsweise auf rund 1000 Franken (fĂĽr drei Messungen pro Kampagne).
Leitsubstanzen schweizweit im Abwasser vorhanden

Typische Zulauffrachten sind substanzabhängig und liegen zwischen rund 40 μg (Citalopram) und rund 900 μg (Diclofenac) pro Person und Tag (Fig. 1). Die meisten der Leitsubstanzen sind Arzneimittel und deren Frachten abhängig von der typischen verabreichten Dosis und dem Anteil der Bevölkerung im ARA-Einzugsgebiet, die behandelt wird. Eine deutlich höhere Fracht von rund 2000 μg pro Person und Tag weist das Korrosionsschutzmittel Benzotriazol auf. Neben dem häuslichen Abwasser gelangt Benzotriazol auch mit dem industriell-gewerblichen Abwasser auf die ARA. Für gewisse Substanzen bestehen regionale Unterschiede in ihren medianen Zulauffrachten (Fig. 1), was auf unterschiedliche Einsatzmengen in den jeweiligen Regionen zurückzuführen ist. Das trifft insbesondere auf Benzotriazol, Candesartan, Clarithromycin, Diclofenac, Irbesartan, Metoprolol und Venlafaxin zu. ARA im Kanton Zürich weisen beispielsweise eine doppelt so hohe Zulauffracht an Clarithromycin auf wie ARA im Kanton Waadt (rund 100 bzw. 55 μg pro Person und Tag). Demgegenüber liegt bei ARA im Kanton Waadt die Zulauffracht an Irbesartan knapp dreimal höher als bei ARA im Kanton Zürich (rund 500 bzw. 170 μg pro Person und Tag). Die Zulauffrachten variieren auch zwischen den einzelnen ARA. Besonders ausgeprägt ist das bei Amisulprid, Carbamazepin, Citalopram Clarithromycin, Irbesartan, Metoprolol und Venlafaxin. Beispielsweise liegt in einem ARA-Einzugsgebiet die Amisulprid- Fracht bei rund 500 und in einem anderen Einzugsgebiet bei rund 1200 μg pro Person und Tag. Das ist deutlich höher als die mediane Zulauffracht von rund 70 μg pro Person und Tag bei den anderen analysierten ARA. Diese hohen Frachten sind auf grössere Punktquellen in diesem Einzugsgebiet zurückzuführen. Auch schwanken die Zulauffrachten zwischen einzelnen Probenahmen innerhalb der gleichen ARA. Das trifft insbesondere auf Clarithromycin und Amisulprid zu. Wie wirken sich diese Zulauffrachten auf die Konzentration der Substanzen im ARA-Zulauf aus? Und liegen die Substanzen trotz Schwankungen in ausreichend hohen Konzentrationen vor, um den Reinigungseffekt zu berechnen? Darauf geht das nächste Kapitel ein.

Analytische Bestimmungsgrenze teils limitierend

Ein ähnliches Bild wie die Zulauffrachten zeigen die Zulaufkonzentrationen (Fig. 2). Denn die Konzentrationen ergeben sich aus den Frachten und der Abwassermenge, die beispielsweise von den Wetterverhältnissen (Trocken-/Regenwetter) abhängt. Deshalb sind die Zulaufkonzentrationen wie die Zulauffrachten substanzabhängig und variabel. So weist beispielsweise Benzotriazol die höchste mediane Zulaufkonzentration von 5,6 μg/L auf – und hat mit 2000 μg pro Person und Tag die mit Abstand höchste mediane Zulauffracht. Citalopram weist hingegen mit 0,15 μg/l die geringste mediane Zulaufkonzentration der Leitsubstanzen auf (Fig. 2) und auch die geringste mediane Zulauffracht (Fig. 1). Die Zulaufkonzentrationen der anderen Substanzen liegen dazwischen. Bei Substanzen mit geringen Konzentrationen im ARA-Zulauf kann es vorkommen, dass die analytische Bestimmungsgrenze im ARA-Ablauf zu hoch liegt. Denn im ARA-Zulauf muss die Konzentration mindestens zehnmal höher sein als die Bestimmungsgrenze der Substanz im ARA-Ablauf, damit die Berechnung einer 90%igen Elimination sichergestellt ist (Box 1). Die analytischen Bestimmungsgrenzen liegen üblicherweise im Bereich von 0,005 bis 0,05 μg/l (Tab. 1). In etwas mehr als der Hälfte der ausgewerteten Proben fällt mindestens eine Substanz weg, weil sie in zu geringer Konzentration vorliegt. Für die gut eliminierbaren Substanzen sowie die sehr gut eliminierbaren Substanzen Diclofenac und Hydrochlorothiazid ist die Bestimmungsgrenze in der Regel ausreichend tief (Tab. 1, Fig. 2). Hingegen ist für die sechs Substanzen Amisulprid Carbamazepin, Citalopram, Clarithromycin, Metoprolol und Venlafaxin eine Bestimmungsgrenze von 0,01 μg/l nicht für alle Messungen ausreichend tief. Die meisten Kantone wenden die Regel «Zulaufkonzentration > 10-mal Bestimmungsgrenze im Ablauf» strikt an. Das heisst, Substanzen, die dieses Kriterium nicht erfüllen, werden für die Berechnung des Reinigungseffekts nicht berücksichtigt. Davon betroffen sind vor allem Amisulprid, Citalopram und Clarithromycin, in Einzelfällen auch Metoprolol, Carbamazepin oder Venlafaxin. Sind ARA-Ablaufkonzentrationen grösser als die Bestimmungsgrenzen, kann die Substanz trotzdem in die Berechnung einfliessen, auch wenn die oben genannte Regel nicht erfüllt ist. Denn in diesen Fällen ist die Eliminationsrate quantifizierbar, sie liegt einfach unter 90%. Einer der befragten Kantone berücksichtigt auch Substanzen, bei denen die «Zulaufkonzentration > 5-mal Bestimmungsgrenze im Ablauf» erfüllt ist. In solchen Fällen ist eine Elimination von 80% bestimmbar. Das heisst, für sehr gut eliminierbare Substanzen würde dadurch die Eliminationsrate unterschätzt. Ideal wäre, wenn die Labore die Bestimmungsgrenze für jene Substanzen weiter senken könnten. Bei kleinen ARA, bei denen die Leitsubstanzen auch mal in tieferen Konzentrationen auftreten, könnten Amisulprid, Carbamazepin und Venlafaxin häufiger für die Berechnung des Reinigungseffekts wegfallen. Generell empfiehlt sich bei kleinen ARA, anstelle des Zulaufs den Ablauf der Vorklärung zu beproben [13], um zumindest die Konzentrationsschwankungen etwas besser auszugleichen. Ersatzsubstanzen brauchte es bis anhin nicht. Die Auswahl einer solchen Substanz hätte über den Kanton in Absprache mit dem BAFU zu erfolgen [5]. Je nach Substanz müsste auch noch eine analytische Methode entwickelt und validiert werden.

 

Gut bis sehr gut eliminierbar mit Ozon oder Aktivkohle

Die biologische Reinigungsstufe (ohne PAK-Rückführung) eliminiert die Leitsubstanzen erwartungsgemäss schlecht [3] (Fig. 3). Das heisst, die Eliminationsraten liegen deutlich unter 50%, was als Kriterium für die Substanzauswahl galt. Bei Carbamazepin liegt die Elimination tendenziell sogar im negativen Bereich. Vermutlich, weil der Carbamazepin-Metabolit in der ARA wieder zu Carbamazepin zurückgewandelt wird [14]. Die übrigen Datenpunkte im negativen Bereich lassen sich nicht abschliessend interpretieren, könnten auf Messungenauigkeiten oder auf Regenwettersituationen zurückzuführen sein (siehe Kapitel «Herausforderung Regenwetter»). Die Eliminationsraten der 12 Leitsubstanzen mit Ozon oder Pulveraktivkohle sind über die gesamte ARA wie erwartet gut bis sehr gut [3, 4] (Fig. 4). Für die als «sehr gut eliminierbar» eingestuften Substanzen, wie beispielsweise Amisulprid oder Carbamazepin, liegen die Eliminationsraten erwartungsgemäss deutlich über 80%. Die mit Abstand höchste Eliminationsrate von 99% erreicht Diclofenac bei ARA mit einer Ozonung. Im Vergleich dazu eliminieren ARA mit Aktivkohle Diclofenac zu rund 87%. Für die vier als «gut eliminierbar» eingestuften Substanzen unterscheidet sich das Bild bei Ozon- und Aktivkohleanlagen (Fig. 4). Bei ARA mit einer Ozonung liegen die medianen Eliminationsraten von Benzotriazol, Candesartan, Irbesartan und Methylbenzotriazol – wie erwartet – zwischen 50% und 80%. ARA mit einer Aktivkohleanlage eliminieren dagegen Benzotriazol, Irbesartan und Methylbenzotriazol zu mehr als 80%, was deutlich besser ist als erwartet [3, 4]. Für Candesartan liegt die mediane Eliminationsrate bei gut 50%. Einzelne ARA beobachteten, dass Candesartan nach der biologischen Behandlung höhere Konzentrationen aufweist als im ARA Zulauf – und das sowohl bei Trocken- als auch bei Regenwetter [15]. Es besteht Bedarf, zu verstehen, was die Gründe sind.

Substanzauswahl beeinflusst Reinigungseffekt

Die UVEK-Verordnung gibt vor, dass der Reinigungseffekt anhand von mindestens sechs Leitsubstanzen berechnet werden muss. Die Leitsubstanzen müssen im Verhältnis 2:1 aus den Kategorien «sehr gut eliminierbar» und «gut eliminierbar» vertreten sein (siehe Box 1). Das kann dazu führen, dass auch Substanzen herausfallen, die in ausreichend hoher Konzentration vorliegen. Kann beispielsweise die Eliminationsrate von Citalopram nicht bestimmt werden, muss zusätzlich eine Substanz aus der Gruppe der «sehr gut eliminierbaren» Stoffe als auch eine aus der Gruppe der «gut eliminierbaren» gestrichen werden, um der Vorgabe des Verhältnisses von 2:1 gerecht zu werden. Wie sich dies auf den berechneten Reinigungseffekt auswirkt, hängt davon ab, welche Substanzen gestrichen werden. Einige Kantone rechnen in leicht abgeänderter Form, als die UVEK-Verordnung vorgibt. Bei dieser alternativen Berechnungsart fliessen alle Leitsubstanzen in die Berechnung ein, sofern sie in ausreichend hohen Konzentrationen vorliegen. Stattdessen werden die zwei Mittelwerte der Gruppen der «sehr gut eliminierbaren» Substanzen und der «gut eliminierbaren» Substanzen im Verhältnis 2:1 gewichtet. Anhand von vier Szenarien wird aufgezeigt (Tab. 2), wie stark der Reinigungseffekt von der Substanzauswahl und der Berechnungsart abhängt (Fig. 5). Dazu dienten ARA-Proben, bei denen alle 12 Substanzen die oben genannte «10er-Regel» erfüllt haben (Szenario S1). In den drei Szenarien S2 bis S4 wurden Amisulprid, Citalopram und Clarithromycin für die Berechnung weggelassen, weil diese Substanzen am ehesten in zu geringen Konzentrationen vorliegen (siehe Tab. 1). In den Szenarien S2 und S3 wurden – gemäss Vorgaben der UVEK-Verordnung – auch Metoprolol sowie zwei «gut eliminierbare» Substanzen weggelassen. Dies waren im Szenario S2 Candesartan und Irbesartan, und in Szenario S3 Benzotriazol und Methylbenzotriazol. Der Reinigungseffekt, berechnet gemäss UVEK-Verordnung mit allen 12 Substanzen (Szenario S1, rot in Fig. 5), ist vergleichbar mit der alternativen Berechnung, die einige Kantone anwenden (Szenario S4, orange in Fig. 5). Einen grösseren Einfluss auf den Reinigungseffekt hat die Auswahl der Substanzen, die zusätzlich gestrichen werden müssen (Szenario 2 und 3). Beispielsweise macht es bei Aktivkohleanlagen einen Unterschied, ob mit oder ohne Candesartan und Irbesartan gerechnet wird (Fig. 5B). Auch bei ARA mit einer Ozonung führt die Substanzauswahl zu einer gewissen Variabilität des berechneten Reinigungseffekts (Fig. 5A), wenn auch weniger stark ausgeprägt als bei Aktivkohleanlagen, weil sich hier die Elimination der vier gut eliminierbaren Substanzen weniger stark unterscheidet.

Herausforderung Regenwetter

ARA mit einer MV-Stufe müssen den gesetzlich geforderten Reinigungseffekt von 80% bei jeder Witterung einhalten [16]. Dies führt gemäss einer Umfrage bei den Betreibern von MV-Stufen zu Schwierigkeiten [15]. Da sind einerseits betriebliche Herausforderungen: Beispielsweise ist es schwierig, bei Regenwetter die Ozonanlagen aufgrund der veränderten Abwasserzusammensetzung mittels Online-Messung der UV-Absorbanz zu steuern. Andererseits kommt dazu, dass die Konzentrationen der Substanzen im Abwasser bei Regen stark variieren. Das zeigen Tagesmischproben über fünf Wochen – anhand von Candesartan und Citalopram in Figur 6 dargestellt. Die Konzentrationen nehmen aufgrund der Verdünnung bei Regenwetter innert Kürze stark ab und pendeln sich nach der Regenperiode verhältnismässig langsam auf dem vorherigen Konzentrationsniveau wieder ein. Bei anhaltendem Regen variieren die Konzentrationen bedeutend. Im Vergleich dazu sind die Konzentrationsschwankungen während Trockenperioden eher gering. Solche Konzentrationsveränderungen können beispielsweise zu Beginn eines Regenereignisses dazu führen, dass der verdünnte ARA-Zulauf mit dem noch nicht gleichermassen verdünnten ARA-Ablaufwasser verglichen wird. Der berechnete Reinigungseffekt fällt dann  geringer aus, als er effektiv ist. Auch weitere Effekte könnten hineinspielen, wie beispielsweise eine Desorption einzelner MV von der beladenen Aktivkohle [17]. Es besteht daher Bedarf an weiteren Studien, um die relevanten Aspekte besser zu verstehen.

Schlussfolgerungen

Aus sieben Jahren Überprüfung des Reinigungseffekts lässt sich Folgendes schliessen:

  • Das Konzept und die ausgewählten Leitsubstanzen bewähren sich im Vollzug. Das heisst, die Leitsubstanzen kommen mit einer gewissen Variabilität schweizweit im häuslichen Abwasser vor und sind mit den etablierten und standardisierten analytischen Methoden (LC-MS) messbar.
  • Es hat sich bewährt, die Feststoffe aus der Abwasserprobe entweder abzuzentrifugieren oder mit Glasfaserfiltern abzufiltrieren. Von Cellulosefiltern wird aufgrund von Sorptionseffekten abgeraten.
  • Wie erwartet, baut die biologische Reinigungsstufe die 12 Leitsubstanzen schlecht ab. Die Elimination der Leitsubstanzen mittels Ozon oder Aktivkohle ist ĂĽber die gesamte ARA gut bis sehr gut.
  • FĂĽr einzelne Substanzen ist die analytische Bestimmungsgrenze zu hoch, um sie fĂĽr die Berechnung des Reinigungseffekts zu verwenden. Die Vorgaben der UVEK-Verordnung lassen aber ausreichend Spielraum, um diese Substanzen wegzulassen.
  • Gewisse Kantone berechnen den Reinigungseffekt leicht abgeändert von der UVEK-Verordnung. Die resultierenden Unterschiede sind gering. Stärker ins Gewicht fällt die Substanzauswahl, wenn zusätzliche Substanzen gestrichen werden mĂĽssen. Es sollten daher möglichst viele der Leitsubstanzen in die Berechnung miteinbezogen werden.
  • Regenwetter ist herausfordernd, um die Reinigungsleistung einzuhalten oder um sie nachzuweisen. Es braucht daher mehr Wissen ĂĽber die relevanten Aspekte, die hier hineinspielen.

 

Bibliographie

[1] Quelle: https://micropoll.ch/wp-content/uploads/2023/03/2023_VSA_Stand-230327_Liste-MV-Stufen_Etapes-MP_d_f.pdf
[2] Quelle: https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wasser/fachinformationen/massnahmen-zum-schutz-der gewaesser/abwasserreinigung/abwasserfinanzierung_abwasserfonds.html
[3] Götz, C.; Otto, J.; Singer, H. (2015): Überprüfungdes Reinigungseffekts: Auswahl geeigneter organischer Spurenstoffe. Aqua & Gas 2/2015:34–40
[4] SR 814.201.231: Verordnung des UVEK zur ĂśberprĂĽfung des Reinigungseffekts von Massnahmen zur Elimination von organischen Spurenstoffen bei Abwasserreinigungsanlagen vom 3. November 2016 (Stand am 1. Dezember 2016)
[5] BAFU (2016): Erläuternder Bericht zur Verordnung des UVEK zur Überprüfung des Reinigungseffekts von Massnahmen zur Elimination von organischen Spurenstoffen bei Abwasserreinigungsanlagen
[6] European Commission (2022): Proposal for a directive of the European Parliament and of the council concerning urban wastewater treatment. Brussels, 26.10.2022
[7] VSA-Plattform «Verfahrenstechnik Mikroverunreinigungen» (2019): Aktueller Stand Beurteilung Aktivkohle-Rückhalt
[8] Wunderlin, P. et al. (2015): Behandelbarkeit von Abwasser mit Ozon: Testverfahren zur Beurteilung. Aqua & Gas 7/8-2015: 28–38
[9] VSA-Plattform «Verfahrenstechnik Mikroverunreinigungen» (2021): Betrieb von Ozonanlagen auf ARA: Erkennen von kritischen Entwicklungen im Einzugsgebiet (Empfehlung)
[10] Quelle: https://www.labeaux.ch/
[11] Messungen des Amts fĂĽr Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons ZĂĽrich (AWEL)
[12] Canton de Vaud, Département de l’environnement et de la sécurité, Direction de l’environnement industriel, urbain et rural (2022): Micropolluants dans les stations d’épuration vaudoises
[13] VSA-Plateforme «Techniques de traitement des micropolluants» (2018): Fiche d’information: Stratégie d’échantillonnage pour les petites STEP
[14] He, K. et al. (2019): Simultaneous determination of carbamazepine-N-glucuronide and carbamazepine phase I metabolites in the wastewater by liquid chromatography-tandem mass spectrometry. Microchemical Journal 145: 1191–1198
[15] VSA-Plattform «Verfahrenstechnik Mikroverunreinigungen» (2022): Betrieb von Reinigungsstufen zur Spurenstoffelimination auf ARA bei Regenwetter
[16] SR 814.201: Gewässerschutzverordnung (GSchV), vom 28. Oktober 1998 (Stand am 1. Januar 2021)
[17] Böhler, M.A. et al. (2023): Spurenstoffelimination bei stark verdünnter Abwassermatrix – Erfahrungen, Kenntnisstand und Herausforderungen. 15. Aachener Tagung Wassertechnologie
[18] Motion 20.4262: Massnahmen zur Elimination von Mikroverunreinigungen fĂĽr alle Abwasserreinigungsanlagen. https://www.parlament.ch/ de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft? AffairId=20204262

Box 1: Gesetzliche Vorgaben zur ĂśberprĂĽfung des Reinigungseffekts

Gemäss Verordnung des UVEK [4] wird der Reinigungseffekt der MV-Stufen anhand von 12 sogenannten Leitsubstanzen überprüft. Entfernt die ARA diese 12 Substanzen, bedeutet das, dass sie gleichzeitig auch viele andere MV sowie deren negative Effekte auf die Wasserlebewesen eliminiert.

12 Leitsubstanzen in 2 Kategorie

Die Leitsubstanzen sind in die zwei Kategorien «sehr gut eliminierbar» (> 80%) und «gut eliminierbar» (50–80%) – über die gesamte ARA betrachtet, inklusive MV-Stufe – unterteilt:

  • Sehr gut eliminierbar sind Amisulprid, Carbamazepin, Citalopram, Clarithromycin, Diclofenac, Hydrochlorothiazid, Metoprolol, Venlafaxin.
  • Gut eliminierbar sind Benzotriazol, Candesartan, Irbesartan sowie 4-Methylbenzotriazol und 5-Methylbenzotriazol als Gemisch.


Folgende Kriterien führten zu dieser Substanzauswahl [5]: (1) Die Substanzen müssen Ausgangssubstanzen und keine chemischen oder biologischen Abbauprodukte von Ausgangssubstanzen sein, (2) die Substanzen kommen schweizweit verbreitet im Abwasser vor, (3) gelangen kontinuierlich auf die ARA, (4) sind mit gängigen analytischen Methoden messbar, (5) werden in der biologischen Reinigungsstufe ungenügend abgebaut (d. h. zu weniger als 50%) und sind (6) mit Ozon und Aktivkohle ähnlich gut bis sehr gut eliminierbar.

Berechnung des Reinigungseffekts

Die UVEK-Verordnung gibt vor, dass der Reinigungseffekt anhand von mindestens sechs Leitsubstanzen berechnet werden muss. Die Leitsubstanzen müssen im Verhältnis 2:1 aus den Kategorien «sehr gut eliminierbar» und «gut eliminierbar» vertreten sein. Die Kantone haben eine gewisse Flexibilität bei der Substanzauswahl, denn die Substanz muss in ausreichend hoher Konzentration vorliegen. Das bedeutet, dass im ARA-Zulauf die Konzentration mindestens zehnmal höher sein muss als die Bestimmungsgrenze der Substanz im ARA-Ablauf. In diesem Fall ist die Berechnung einer 90%igen Elimination sichergestellt. Sind weniger als sechs Substanzen in einer ausreichenden Konzentration vorhanden, können die Kantone in Absprache mit dem BAFU Ersatzsubstanzen bestimmen. Der gesetzlich vorgeschriebene Reinigungseffekt liegt bei 80%. Das heisst, der Mittelwert der Einzeleliminationen aller zur Berechnung herangezogener Substanzen muss mindestens 80% betragen. Nur in einer bestimmten Anzahl Proben – abhängig von der Anzahl jährlicher Probenahmen – darf dieser Reinigungseffekt unterschritten werden. Die Europäische Union lehnt sich in ihrem Entwurf zur Revision der Urban Wastewater Treatment Directive (UWWTD) [6] stark an dieses Konzept an.

Ausblick

2020 hat die Schweiz neue Gewässergrenzwerte eingeführt, u. a. für die drei Arzneimittel Azithromycin (0,019 μg/l), Clarithromycin (0,12 μg/l) und Diclofenac (0,05 μg/l) [16]. Diese drei Substanzen stammen hauptsächlich aus dem häuslichen Abwasser. Das Parlament hat nun eine Anpassung der ARA-Ausbaukriterien verlangt, damit diese Grenzwerte nicht mehr überschritten werden [18]. Das BAFU erarbeitet dazu aktuell einen Vorschlag.

Box 2: Auch Aktivkohleschlupf und Reaktionsprodukte ĂĽberwachen

Bei Verfahren mit Aktivkohle ist darauf zu achten, dass der Verlust von Aktivkohle in das Gewässer minimal ist. Der VSA empfiehlt daher, bei diesen Verfahren den Feststoffanteil im Ablauf der ARA mit regelmässigen Aktivkohleschlupfmessungen zu überwachen [7]. Analog dazu müssen Ozonanlagen die Bildung von problematischen Reaktionsprodukten minimieren. Denn bei kommunalen Abwässern mit einer speziellen Belastung, z. B. aufgrund bedeutender Industrie- oder Gewerbeabwassereinleitern, kann die Ozonung problematische Stoffe bilden [8]. Daher empfiehlt der VSA, bei Ozonanlagen die Abwasserzusammensetzung gezielt zu überwachen [9].

Danksagung

Wir danken den ARA mit MV-Stufe und den kantonalen Fachstellen dafür, dass sie uns ihre Daten zur Verfügung gestellt und mit uns ihre Erfahrungen geteilt haben, und für ihre wertvollen Rückmeldungen zu diesem Artikel. Zudem haben uns die Diskussionen in unserer Plattform-Arbeitsgruppe sehr geholfen. Speziell danken wir A. Piazzoli (Envilab AG), C. Götz (AWEL Zürich und Lab’Eaux), U. Holliger (AWEL Zürich), C. Abegglen (ERZ), A. Bock (HFS Aqua AG), A. Büeler (Hunziker Betatech AG), S. Zimmermann-Steffens (BAFU), D. Dominguez (BAFU), A. Frömelt (Eawag) und C. McArdell (Eawag) für die wertvollen Diskussionen und Rückmeldungen zu diesem Artikel. Das Projekt wurde durch das Bundesamt für Umwelt (BAFU) finanziert.

Kommentar erfassen

Kommentare (1)

Ernst A. Müller am 17.01 2024 um 17:08

Mikroverunreinigung

Interessant wäre auch zu erfahren, wie hoch der zusätzliche Energieverbrauch bei den verschiedenen Verfahren ist und wie dieser gesenkt bzw. optimiert werden kann?
Pascal Wunderlin am 18.01 2024 um 13:56

Dein Kommentar zum Energieverbrauch

Lieber Ernst. Besten Dank für deinen guten und wichtigen Hinweis. Diese Erhebung läuft aktuell und die Resultate werden an der VSA-Fachtagung "Mikroverunreinigungen auf ARA: Erfahrungen und Ausblick" am 12. März 2024 präsentiert. Herzliche Grüsse Pascal

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