Die Aufgaben der Abwasserentsorgung bleiben anspruchsvoll: Klimawandel, Siedlungsentwicklung, steigende Anforderungen an Kosteneffizienz und Leistung, neue Verunreinigungen, Platzmangel im Untergrund und eine alternde Infrastruktur sind nur einige der Herausforderungen, denen wir mit der bestehenden Infrastruktur gerecht werden müssen.
Insbesondere die Siedlungsentwässerung durchläuft einen stillen Strukturwandel. Die Auf- und Ausbauphase, die in den 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts ihren Höhepunkt hatte, ist weitgehend abgeschlossen. Ebenfalls vorbei sind die sorglosen «Flitterjahre», in denen wir die Überkapazitäten neuer Anlagen geniessen konnten.
Heute gilt es, die Abwasserentsorgung in die Zukunft zu führen, was nur mit talentierten und kompetenten Fachkräften gelingt. Die zentralen Fragen lauten nun: Wie schaffen wir es, die besten Talente für unsere Branche zu gewinnen? Was motiviert junge Ingenieurinnen und Ingenieure, sich trotz attraktiver Konkurrenz für eine Karriere in der Siedlungswasserwirtschaft (SWW) zu engagieren, und was geben wir ihnen in der Ausbildung mit auf den Weg?
«Neues wagen, um die Zukunft zu begeistern – das ist Aufgabe der ‹Alten›.»
Im Gespräch mit den nachfolgend porträtierten jungen Forscherinnen und Forschern haben sich drei zentrale Botschaften herauskristallisiert:
Der Einsatz moderner Technologien in Kombination mit ausgefeilten Computeralgorithmen ermöglicht es, die vorhandenen Infrastrukturen aktiv und intelligent zu bewirtschaften. Der Umgang mit grossen Datenmengen, der Einsatz von künstlichen Intelligenzen oder die Konfrontation mit grossen Unsicherheiten sind dabei keine Hemmnisse, sondern stellen für diese Generation spannende Herausforderungen des Berufs dar.
Eine ganzheitliche und interdisziplinäre Herangehensweise ist für die junge Generation selbstverständlich und die dabei zugrunde liegende Komplexität wird als spannend und herausfordernd empfunden. Dieser Einstellung liegt der Anspruch zugrunde, so auch neuartige Ansätze für die SWW finden und implementieren zu können und nicht nur die ererbten Infrastrukturen zu verwalten.
Die jungen Ingenieurinnen und Ingenieure suchen eine spannende und stimulierende Arbeitsumgebung. Die Stichworte dazu sind starke Interaktion zwischen Forschung und Praxis, Möglichkeit zu kreativen Lösungen, neue Herausforderungen, Interdisziplinarität und Diversität am Arbeitsplatz.
Ich bin fest davon überzeugt, dass die Siedlungswasserwirtschaft einerseits Innovationen braucht und andererseits Mut und Freude, diese umzusetzen. Mit Innovationsfreude wird es gelingen, uns für die Zukunft zu wappnen, unsere Branche «cool» und modern zu gestalten und so den dringend benötigten Nachwuchs zu begeistern.
Die nachfolgenden Porträts junger Forscherinnen und Forscher zeigen, was sie an ihrer Arbeit fasziniert und was sie sich von der SWW-Praxis wünschen.
«Mit meiner Forschung möchte ich hydrologische Modelle exakter machen. Dazu nutze ich statistische Ansätze, um die Unsicherheit von Modelvorhersagen zu quantifizieren und zu reduzieren.
Überschwemmungen machen etwa 40 Prozent der durch Naturkatastrophen entstandenen Kosten aus. Hydrologische Modelle ermöglichen die Vorhersage von Überschwemmungen und die Planung der Entwässerungsinfrastruktur. Das Erkennen von Modellunsicherheiten ermöglicht es, die Aussagekraft solcher Modelle besser einzuschätzen und damit fundierte Entscheidungen zur Risikominimierung fällen zu können.
Ich bin überzeugt, dass durch die Zusammenarbeit zwischen Praxis und Forschung innovativere und smarte Lösungen gefunden werden können.»
«Wasserqualität kann mit dem blossen Auge nicht eingeschätzt werden. Mich fasziniert das Unbekannte, das Ungesehene: Stoffe in tiefsten Konzentrationen können unsere Gewässer belasten. Daher erforsche ich Passivsammler als alternative Messmethode zur Bestimmung von Mikroverunreinigungen in diffusen Einleitungen aus Siedlungen. Mit Messungen an 20 Standorten trage ich dazu bei, solche unbehandelten Entlastungen während Regenwetter zu quantifizieren. In der Zukunft könnten dann, mit einem integrierten Ansatz unter Berücksichtigung des Gesamtsystems, gezielt Massnahmen eingesetzt werden.
Ich wünsche mir, dass Abwasser für alle sichtbarer wird. Mit Systemen wie lokaler Regenwasserbehandlung zum Beispiel an begrünten Hauswänden oder durchsichtigen Kanälen mit Live- Datenanzeige.»
«Kleinkläranlagen (KLARA) haben viel Potenzial: Einerseits sind sie vielseitig und flexibel in der Anwendung, andererseits verfügen sie über hohes Verbesserungspotenzial. Meine ersten Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass robuste Informationen zur Reinigungsleistung von KLARA aus ungenauen Messungen gewonnen werden können. Damit kann mit minimal gewarteten Sensoren die Reinigungsleistung einer ganzen KLARA-Flotte charakterisiert und überwacht werden.
Momentan wird oft zu spät bemerkt, wenn eine KLARA schlecht funktioniert. Um das zu beheben, ist eine zentral organisierte Fernüberwachung nötig, die heute mit modernen Sensoren, Datenübertragungstechnologien und Algorithmen möglich ist. Ich wünsche mir eine herausfordernde, überraschende Aufgabe, für die ich einstehen kann. Das beinhaltet auch eine Modernisierung der SWW durch Nutzung der neusten Entwicklungen im Technik- und Computerbereich.»
«Unsere Abwasserinfrastruktur altert und muss ersetzt werden. Damit bietet sich die Möglichkeit über radikale Veränderungen nachzudenken. Um mögliche Veränderungen zu verfolgen, ist eine smarte strategische Planung notwendig. Dazu gehört, dass alle relevanten Faktoren wie Ziele und Präferenzen der Akteure, Klimawandel, Bevölkerungs- und Städteentwicklung mitberücksichtigt werden und so ein gesamtheitliches Bild entsteht. In meiner Forschung kreiere ich ein integriertes Modell, um die möglichen technischen Entwicklungen dafür abzubilden. Mit dieser Vorgehensweise wird die Leistung des Systems von Anfang an ins Zentrum gestellt, um so auch in Zukunft eine ressourceneffiziente Abwasserentsorgung gewährleisten zu können.
Ich erwarte von der SWW-Praxis, dass sie einen gesamtheitlichen und langfristigen Blick auf die Problemlösung ermöglicht. Ich bin überzeugt, dass interdisziplinäre Forschung die Entwicklung neuer Lösungen für unkonventionelle Probleme unterstützt.»
«Künstliche Intelligenz erschliesst neue Datenquellen und Perspektiven für den Überschwemmungsschutz. In meiner Forschung setze ich neue Entwicklungen aus dem Bereich des maschinellen Lernens zur automatisierten Interpretation von Überschwemmungsbildern ein. Damit können Informationen aus sozialen Medien und von Überwachungskameras gewonnen werden, mit deren Hilfe die Zuverlässigkeit der Überschwemmungsmodellierung auf innovative Weise erhöht werden kann.
In der Informatikbranche wurden unter anderem dank der «sharing» Politik (Stichworte: «Open Data» und «Open Source») riesige Fortschritte in kürzester Zeit gemacht. Dies bedeutet, Daten und analytische Methoden werden offen geteilt und gemeinsam entwickelt. In meinen Augen sollte die SWW versuchen, diese fortschrittliche und offene Kultur zu adaptieren.»
«Entscheidungen sind nur so gut wie die Entscheidungsoptionen. In meiner Forschung erarbeite ich Methoden, um Abwasserinfrastruktur-Optionen für die strategische Planung zu generieren. Entscheidungsträger und Expertinnen sind oft von der Riesenauswahl an Technologien und Systemkonfigurationen sowie den verschiedenen Zielen und Präferenzen der Akteure überfordert. Meine Methoden erlauben es, systematisch von der wachsenden Anzahl an Möglichkeiten diejenigen Optionen auszuwählen, die in einem gegebenen Fall am besten zur Problemlösung beitragen.
Ich wünsche mir den institutionellen Rahmen, um in der SWW-Praxis disziplin- und sektorübergreifend zu planen. Dies würde mehr inter- und transdisziplinäre Arbeit ermöglichen und so die Grundlage schaffen für Infrastruktur-Entscheide, die sich nicht nur an technischen, sondern auch an langfristigen ökologischen, sozialen, und ökonomischen Zielen orientieren.»
«In Entwicklungsländern ist es notwendig, dass Siedlungshygiene ganzheitlich geplant wird – unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen und ohne Bevölkerungsgruppen zu diskriminieren. Um die Nachhaltigkeit der gewählten Lösungen zu garantieren, müssen nicht nur technische, sondern auch soziale, wirtschaftliche, kulturelle und institutionelle Bedingungen berücksichtigt werden. Meine Forschung unterstützt den Planungsprozess mittels eines holistischen Ansatzes. Dabei wird auch der optimale Dezentralisierungsgrad der Netzinfrastrukturen ermittelt.
Mir ist es wichtig, in Bereichen mit direkten Anwendungsmöglichkeiten zu forschen. Ein interdisziplinäres Arbeitsumfeld, mit der Möglichkeit Ideen frei zu äussern und zu testen, ermöglicht zudem den rascheren Transfer von Wissen in die Praxis.»
Die jungen Forscherinnen und Forscher haben eine anonyme, aber nicht repräsentative Umfrage im Bereich Umweltingenieurwissenschaften mit Fokus auf Siedlungswasserwirtschaft gemacht. Teilgenommen haben 51 Personen: 90 Prozent davon mit weniger als zehn Jahren Arbeitserfahrung, 55 Prozent aus Ingenieurbüros.
Auffallend war, dass viele der sehr jungen Ingenieurinnen und Ingenieure (weniger als zehn Jahre Arbeitserfahrung) ihr volles Potenzial nicht genutzt sehen.
Ausserdem geben 40 Prozent der Teilnehmenden aus der Privatwirtschaft an, kaum Möglichkeiten zu haben, innovative Lösungen zu erarbeiten. Die in der Umfrage angegebenen Hauptgründe sind fehlende Unterstützung des Arbeitgebers sowie fehlende Finanzierung.
Eine mögliche Interpretation ist, dass die SWW-Praxis durchaus innovativ sein darf – immerhin 60 Prozent der Teilnehmenden empfinden dies so – mit Raum für Verbesserung. Allerdings deuten die Resultate auch darauf hin, dass die Branche das verfügbare personelle Potenzial der jungen Talente nicht ausschöpft. Was passiert mit ihnen? Finden Sie bessere Bedingungen in einer anderen Branche? Angesichts der grossen Herausforderungen, mit denen die SWW konfrontiert ist, lohnt es sich sicherlich kritisch hinzusehen und Korrekturen zu wagen.
Der VSA will die jungen Berufstätigen in der Wasserwirtschaft fördern. Insbesondere möchte der Verband den Austausch zwischen jungen und erfahrenen Wasserwirtschaftlern verstärken. Berufseinsteiger und bereits Studierende sollen motiviert werden, im VSA aktiv zu sein, um vom bestehenden Netzwerk zu profitieren. Gleichzeitig möchte der Verband erreichen, dass die Jungen mit ihrer Dynamik den Verband und die Branche beleben.
Ende Oktober findet der erste offizielle Anlass der Young Professionals statt – eine Mischung aus Fachtagung, Exkursion und Workshop. Dabei wird mit den Teilnehmenden auch diskutiert, welche Massnahmen und Aktivitäten die Young Professionals in Zukunft anpacken sollen. Angedacht sind bisher unter anderem regelmässige Stammtische für junge und erfahrene Wasserwirtschaftler, VSA-Präsenz an Kontakttreffen von (Fach-)Hochschulen und fixer Platz für junge Beiträge an allen VSA-Veranstaltungen.
Möchten Sie über die Aktivitäten der Young Professionals informiert werden oder sich selber einbringen? Bitte tragen Sie sich auf der VSA-Website ein oder melden Sie sich per E-Mail:
– www.vsa.ch/de/mitglieder/young-professionals/
– sara.engelhard@vsa.ch
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