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22. März 2021

VSA-Forum zur TWI - Interview

«Wir sind überzeugt, es braucht nun ein Zeichen, sprich ein Ja zur Trinkwasserinitiative, von der Bevölkerung»

Jürg Meyer und Martin Würsten waren zwischen 2000 und 2014 langjährige VSA-Präsidenten. Sie gehören heute zum Kernteam von 4aqua und setzen sich weiterhin beherzt für den Gewässerschutz ein. Als wichtiges Zeichen für den Umwelt- und Gewässerschutz empfehlen Sie die Trinkwasserinitiative (TWI) zur Annahme.
Paul Sicher 
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Hauptartikel «Meinungsbildung zur Trinkwasserinitiative»
Interview mit ehemaligen VSA-Präsidenten
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Sie haben letztes Jahr 4aqua mitbegründet. Warum braucht es 4aqua, es gibt doch schon zahlreiche Wasserorganisationen?

Würsten: Die Fachverbände VSA und SVGW haben entschieden, dass sie sich nicht in einem Abstimmungskampf zu gesellschaftlich relevanten Fragen im Umwelt- und Gewässerschutz äussern wollen und sich auf die fachliche Arbeit fokussieren. 4aqua will die Lücke füllen und dem Wasser eine politische Stimme geben.

Meyer: Zudem wollen wir mit der ehrenamtlich geführten 4aqua geschlossen und gemeinsam als Trinkwasser-, Abwasser- und Gewässerfachleute nach aussen auftreten. Das schafft Vertrauen.

Warum unterstützt 4aqua die Trinkwasserinitiative?

Würsten: Wir stellen seit Jahren ein wachsendes Ungleichgewicht fest. Die Siedlungswasserwirtschaft hat mit grossen Investitionen die Reinigungsleistung der Abwasserreinigungsanlagen durch Elimination von Kohlenstoff und Phosphor, später von Stickstoff und aktuell von Mikroverunreinigungen deutlich verbessert. Auf Seite der Landwirtschaft hingegen sind im gleichen Zeitraum keine spürbaren Fortschritte bezüglich Gewässerschutz erzielt worden.

Meyer: Es gibt auch die Parlamentarische Initiative Pa.Iv. 19.475, welche vom Ständerat initiiert wurde. Dabei handelt es sich nicht um einen Gegenvorschlag; faktisch ist es aber einer. Da aber die Agrarpolitik AP22+ verschoben wird und die Pa.Iv. keine verbindlichen Reduktionen der Nährstoffe vorsieht, ist die TWI derzeit die einzige Lösung, die eine Verbesserung bringt. Alles andere wird blockiert. Insbesondere der Schweizerische Bauernverband (SBV) betreibt eine eigentliche Verweigerungspolitik. Ohne TWI zeichnet sich ab, dass wieder jahrelang nichts gegen die zu hohen Nährstoffüberschüsse aus der Landwirtschaft unternommen wird.

Sind denn die Nährstoffüberschüsse ein echtes Problem?

Meyer: Und ob. Insbesondere sind das Nitrat im Grundwasser und die Überdüngung der terrestrischen Ökosysteme durch die Ammoniakverluste der Landwirtschaft problematisch. Selbst der Bundesrat und die Kantone fordern verbindliche Absenkpfade für Stickstoff zum Schutz unserer Gewässer. Sie halten in ihren Stellungnahmen zur AP22+ fest, dass die Reduktion der Stickstoffüberschüsse als «das brisanteste Defizit» jetzt angegangen werden müsse.

Würsten: Der SBV verhinderte die von Bundesrat und der Wirtschaftskommission des Ständerats vorgesehene Nährstoffreduktion aus der Landwirtschaft um 10-20 % erfolgreich. Das heisst, der SBV ist nicht bereit, seine Nährstoffüberschüsse an die Umwelt zu reduzieren. Nur die andern (v.a. die ARA) sollen ihre Belastungen aber schleunigst senken.

Ist die Gewässerschutzpolitik in Bern gescheitert?

Meyer:  Zumindest was die Nährstoffreduktion anbelangt ja. Wir sind überzeugt, es braucht nun ein Zeichen, sprich ein Ja zur TWI, von der Bevölkerung.

Würsten: Kommt hinzu, dass der Klimawandel unsere Probleme mit der Wasserverfügbarkeit aber insbesondere auch mit der Wasserqualität verstärken wird. Trockenperioden werden geringere Wasserführungen der Gewässer im Sommer zur Folge haben. Bei gleichen Stoffeinträgen wie bisher, wird sich die Wasserqualität allein dadurch weiter verschlechtern. Ein verbindlicher Nährstoff-Absenkpfad von 10% bis 2025 und 20% bis 2030 ist einfach nötig – weiter wie bisher ist keine Option.

Welchen Effekt erwarten Sie bei einer Annahme der TWI auf die Gewässer und Trinkwasserqualität?

Meyer: Die Ökobilanzierung von Agroscope ergibt, dass die Annahme der TWI die Belastung von Gewässern in der Schweiz mit Pestiziden und Nährstoffen reduziert und die Biodiversität im Inland verbessert.

Aber ist nicht zu befürchten, dass Landwirte unter den strengen ökologischen Kriterien auf die Direktzahlungen verzichten?

Würsten: Nein, der Grossteil der Bauern wird weiterhin auf die Direktzahlungen angewiesen sein. Die damit verbundenen Einschränkungen von Pestiziden wird zu einer deutlichen Verbesserung der Wasserqualität führen.

Meyer: Und wenn z.B. Gemüsebauern und Veredelungsbetriebe (Schweinemast, Hühnermast) auf die Direktzahlungen verzichten würden, müssen diese gleichwohl die Gesetzgebung einhalten, d.h. auch Vorgaben bezüglich Düngung und Pflanzenschutz. Die Behauptung, die TWI führe wegen der aussteigenden Betriebe zu einer Verschlechterung der Umweltsituation in der Schweiz, stimmt somit nicht.

 

 

Bei allen Vorteilen für die Gewässer und Trinkwasserressourcen, die TWI könnte die Lebensmittelpreise merklich verteuern, oder nicht?

Würsten: Wie sich die Preise entwickeln werden, ist schwer vorauszusagen. Es gibt ebenso gute Gründe anzunehmen, dass die Preise eher sinken werden, als dass sie zunehmen. Zwischen Marktpreisen und Produzentenpreisen besteht nur eine sehr beschränkte Korrelation. Die Grossisten orientieren sich nicht am Produzentenpreis, sondern an dem, was der Konsument bereit ist zu zahlen, ohne ins Ausland einkaufen zu gehen oder billigere importierte Lebensmittel zu kaufen.

Andere Kritiker sagen, die Umweltbelastung werde einfach ins Ausland verlagert. Also saubere Schweizer Gewässer auf Kosten der anderen?

Meyer: Ein reduzierte Produktionsintensität in der Schweiz führt zu einer etwas geringeren Produktion. Eine enkeltaugliche Landwirtschaft kann aber nicht wie bisher das Letzte aus Böden und Tieren herauspressen. Wir haben übrigens bereits heute eine stark vom Ausland abhängige Landwirtschaft. So werden jährlich über 1 Mio. Tonnen Futtermittel für unsere Schweine, Kühe und Hühner importiert. Wenn dieses Futtermittel auf einen Güterzug geladen würde, würde der Zug eine Länge von 400km erreichen, von Rorschach bis Genf.

Würsten: Mit weiteren Massnahmen kann man übermässigen Lebensmittelimporten entgegenwirken. Allein wenn wir die Hälfte des gegenwärtigen Food-Waste reduzieren, können wir den Import von Nahrungsmitteln auch bei geringerer Inlandproduktion um 10-15% reduzieren. Zudem ist der Anbau gewisser Kulturen wie z.B. Beeren in Südeuropa mit deutlich weniger Pflanzenschutzmittel möglich, als wenn diese Kulturen bei uns angebaut werden. Produktion im Ausland kann bei solchen Spezialkulturen sinnvoller sein als im Inland.

Hätte die Annahme der TWI nicht auch zur Folge, dass wir weniger Fleisch essen müssten? Die Schweiz hat eine der höchsten Tierdichten in Europa.

Meyer: Heute wird gemäss Agroscope Science N°99/2020 schweizweit 543'000 t Fleisch verzehrt, wobei 474'000 t in der Schweiz produziert, 77'000t importiert und etwa 8'000 t exportiert werden. Offenbar sind die grösser werdenden Fleischimporte infolge TWI entscheidend für die zunehmende Umweltbelastung im Ausland.

Würsten. Ja genau, es stellt sich also die Frage, wie viel der Fleischkonsum in der Schweiz in den nächsten 8 Jahren abnehmen müsste, um die Importmenge an Fleisch nicht zu erhöhen. 

Meyer: Man nimmt an, dass mit Annahme der TWI in der Schweiz nur noch ca. 400'000t Fleisch pro Jahr produziert würde. Berücksichtigt man, dass die Bevölkerung aus ethischen, gesundheitlichen und ökologischen Gründen immer weniger Fleisch isst, ist eine deutliche Abnahme des Fleischkonsums in der Schweiz wahrscheinlich. Der Trend ist heute schon spürbar. Wenn wir in den nächsten 8 Jahren 12% weniger Fleisch konsumieren, dann müssen wir auch bei Annahme der TWI nicht zusätzlich importieren!

Ist die TWI auch nach der Annahme der Pa.Iv. 19.475 wirklich notwendig? Eine Pa.Iv. wäre schneller umsetzbar und zielgenauer wirksam.

Meyer: Ich persönlich setzte als ehemaliger Parlamentarier stark auf die Pa.Iv. Als 4aqua haben wir uns in zahlreichen persönlichen Gesprächen mit Parlamentariern für eine griffige Formulierung eingesetzt. Doch ich musste feststellen, dass der SBV so stark ist, dass ihm ganze Parteien widerspruchslos gehorchen und damit die ursprünglich vorgesehenen verbindlichen Nährstoffreduktionen einfach auf dem Misthaufen landeten. Auch die AP22+ ist wahrscheinlich vom Tisch: Tierbestände reduzieren darf gem. Bauernverband kein Thema sein.

Würsten: Die Pa.Iv. wird für die Trinkwasserversorgung Verbesserungen bringen, sofern die offenen Fragen mit den Zuströmbereichen geklärt sind. Für die Oberflächengewässer nützt die Pa.Iv. hingegen weniger direkt, die Reduktion der Pestizidrisiken von 50% ist ja bereits im nationalen Aktionsplan Pestizidreduktion festgeschrieben. Das grosse Manko ist aber, wie Jürg bereits erwähnte, dass eines der drängendsten Umweltprobleme, nämlich die Überdüngung der terrestrischen Ökosysteme, nicht angegangen wird. Die riesigen Nährstoffüberschüsse der Landwirtschaft von 100‘000 T Stickstoff pro Jahr bleiben auch mit einer Annahme der Pa.Iv. unangetastet.

Meyer: Auch der Antibiotikaeinsatz in der Landwirtschaft wird durch die Pa.Iv. nicht abgehandelt.

Die TWI schreibt von pestizidfreier Produktion als Voraussetzung für Direktzahlungen. Sehen Sie das Bio-Label nicht als Lösung an?

Meyer: Doch, Bio ist Teil der Lösung und das lässt auch die Interpretation der Initiative zu. Die Auslegung von Verfassungstexten ermöglicht dem Gesetzgeber bei der Umsetzung und Konkretisierung auf Stufe Gesetz einen erheblichen Gestaltungsraum.

Würsten: Das führte auch schon zum Vorwurf, der National- und Ständerat habe die Anliegen von Volksinitiativen verwässert, so z.B. im Rahmen der Alpeninitiative, der Masseneinwanderungsinitiative oder der Zweitwohnungsinitiative. Der bürgerliche Stände- und Nationalrat wird mit Garantie auch diese Initiative pragmatisch umsetzen.

Wie verstehen Sie denn unter «pestizidfreie» Produktion?

Meyer: Pestizidfrei heisst, dass auf sämtliche Pflanzenschutzmittel verzichtet wird ausser auf diejenigen, die im Bio-Landbau verwendet werden dürfen.

Die TWI will die Nährstoffüberschüsse mit der «Hofdüngerbilanz» vermeiden, geht das nicht zu weit?

Würsten: Der Tierbestand soll mit dem auf dem eigenen Hof oder in der Region produzierten Futterernährt werden. Das macht in jeder Hinsicht Sinn.

Meyer: Es ist explizit auch die Absicht der Initiantinnen und Initianten, dass die regionale und nachbarschaftliche betriebliche Zusammenarbeit (Austausch von Futtermitteln und Hofdünger) unter Betrieben und das Führen von Betriebsgemeinschaften und Betriebszweiggemeinschaften möglich bleibt.

Wäre es heute nicht einfacher, wenn auf eine flächendeckende Aufbereitung von Trinkwasser umzustellen? Das würde den einschneidenden Schutz der Wasserressourcen obsolet machen.

Meyer: Rein technisch betrachtet kann belastetes Grundwasser oder sogar Abwasser so aufbereitet werden, dass es Trinkwasserqualität hat. Wollen wir das im Wasserschloss Schweiz? Wir sind entschieden der Meinung: NEIN!

Würsten: Wir dürfen jetzt nicht ein System aufs Spiel setzen, das sich in der Schweiz in der Vergangenheit sehr gut bewährt hat, nämlich Grundwasser – selbst im Mittelland – ohne oder allenfalls mit einfacher Aufbereitung als Trinkwasser geniessen zu können. Eine Rückkehr wäre dann nämlich über Generationen nicht mehr möglich. Wir würden also den Spielraum für die nachkommenden Generationen einmal mehr stark einschränken. Das entspricht auch nicht der von allen gutgeheissenen nachhaltigen Entwicklung.

Meyer: Zudem geht es nicht nur ums Trinkwasser, sondern auch um die Biodiversität, die in und ausserhalb der Gewässer unter den Pestiziden und den Nährstoffüberschüssen massiv leidet

Wird 4aqua nach dem 13. Juni weiterbestehen?

Ja, wir wollen gemeinsam (Wasserversorger/Abwasserentsorger/Wasserbauer/ Biodiversitätsfachleute) dem Wasser weiterhin eine politische Stimme geben und dadurch die Arbeit der Fachverbände ergänzen und unterstützen. Jede Wasserfachperson ist bei uns willkommen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Trinkwasserinitiative kurz erklärt

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