In der Schweiz sind rund 1’000 Tier- und Humanarzneimittel zugelassen, die in unterschiedlichen Mengen, zum Teil mehrere Tonnen pro Wirkstoff und Jahr, verwendet werden. Aber nicht nur die Menge ist ausschlaggebend, ob ein Stoff schlussendlich im Gewässer vorkommt, sondern auch wieviel im Körper und in der Kläranlage abgebaut oder umgewandelt wird (Abbildung 1). Experten zeigten, dass auch Stoffe, welche in hohen Mengen verwendet werden, wie beispielsweise das Antibiotikum Amoxicillin, letztlich kaum in den Gewässern gefunden werden. Andere wiederum wie beispielsweise Röntgenkontrastmittel werden weder im Körper noch in der ARA abgebaut oder zurückgehalten und kommen in den Gewässern in relativ hohen Konzentrationen vor.
Nicht alle Stoffe, die in hohen Konzentrationen vorkommen, sind für die aquatischen Lebewesen eine Gefahr und umgekehrt sind auch nicht alle Stoffe in tiefen Konzentrationen gefahrlos. Oder frei nach Paracelus, nicht nur die Dosis macht die Wirkung, sondern auch die Giftigkeit der Stoffe. So sind Röntgenkontrastmittel, nach derzeitigem Kenntnisstand, auch in hohen Konzentrationen für aquatische Lebewesen kaum problematisch, hingegen das Schmerzmittel Diclofenac bereits ab 50 Nanogramm pro Liter (Nano= 1 Milliardstel oder 10^-9).
Hätte man alle die oben genannten Informationen wie in der Schweiz verwendete Mengen, Abbaubarkeit im Körper und in der ARA, sowie Toxizität für alle 1’000 Arzneimittel vorliegen, wäre es leicht, die wichtigsten Stoffe zu identifizieren. Das Wissen insbesondere zur Abbaubarkeit und zur Toxizität ist aber je nach Stoff sehr unterschiedlich und zum Teil gar nicht vorhanden. Um das neuste Wissen zu kennen und zu nutzen, ist daher nebst Informationen aus der Literatur der Austausch mit Expertinnen und Experten zentral. In diesem Projekt stellten die Experten der Eawag, des Oekotoxzentrums sowie der Vereinigung der kantonalen Gewässerschutzlabore (Lab’Eaux), ihr Wissen sowie vorhandene Messdaten zur Verfügung.
Damit wir den Überblick über alle gesammelten Informationen zu den tausend Stoffen nicht verlieren, führen wir eine Metadatenbank zu Spurenstoffen. In der Datenbank sind Informationen zu Zulassung, Mengen (sofern vorhanden und nicht vertraulich), Messdaten, Abbaubarkeit von Stoffen und der Toxizität systematisch miteinander verknüpft. Basierend auf den vorhandenen Informationen in der Datenbank führten wir eine theoretische Priorisierung aller zugelassenen Arzneimittel durch und identifizierten diejenigen Stoffe, die als besonders kritisch gelten und beobachtet werden sollen. Diese wurde anschliessend mit den oben genannten Experten besprochen und schlussendlich die wichtigsten priorisiert.
Die ausgewählten Arzneimittel werden nun in den nächsten Jahren im Mikroverunreinigung-Monitoring (NAWA MV) der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität NAWA untersucht. In zwei bis drei Jahren kann man Bilanz ziehen, ob die Stoffe verbreitet in für aquatische Lebewesen problematischen Konzentrationen vorkommen. Wenn dies der Fall ist, werden sie weiter im NAWA MV Programm untersucht. Parallel dazu führt das Oekotoxzentrum eine umfassende Bewertung der Toxizität dieser Stoffe durch, um daraus belastbare Qualitätskriterien abzuleiten, die robuste Auswertungen der Monitoringdaten ermöglichen.
Die Priorisierung von Wirkstoffen muss periodisch neu überprüft werden. Dies zeigt ein jüngstes Beispiel einer neuen Erkenntnis zur Toxizität des Antibiotikums Clindamycin. Das deutsche Umweltbundesamt hat 2021 die Giftigkeit verschiedener Arzneimittel für aquatische Lebewesen neu einschätzen lassen und dafür auch selbst neue ökotoxikologische Studien durchgeführt. Zu den toxischsten gehört Clindamycin, das bereits ab 44 ng/l ein Problem sein könnte. Ein Blick in die Messdaten zweier Kantone zeigte, dass diese Konzentrationen in den Gewässern durchaus erreicht wird. Die Arbeitsgruppe «Lab’Eaux NAWA» hat bereits reagiert und so wird auch dieser Arzneimittelwirkstoff neu von vielen Kantonen, vorerst provisorisch, mitgemessen.
Silwan Daouk hat das Projekt zur Arzneimittelpriorisierung geleitet. Er hat an der Universität Lausanne Umweltnaturwissenschaften studiert und eine Doktorarbeit zu Einträgen von Glyphosat in die Gewässer geschrieben. Seit 2016 arbeitet er bei der Plattform Wasserqualität des VSA mit dem Schwerpunkt Spurenstoffe.
Auskünfte und Informationen erteilen Ihnen gerne Silwan Daouk und Irene Wittmer.
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