Das Thema der Fernwärme-Fachtagung 2024 war hochaktuell, was sich auch in der grossen Teilnehmendenzahl zeigte: Mit 180 Personen war die Veranstaltung am 31. Oktober im Volkshaus Biel vollständig ausgebucht. Durch den Tag führte Bernhard Feuerhuber, Fachspezialist Wärme an der SVGW-Geschäftsstelle. Die Begrüssung und Einleitung ins Thema oblag Michael Sarbach, Geschäftsführer der Regionalwerke AG Baden, Vizepräsident des SVGW sowie Leiter der Fernwärme-Hauptkommission. Er zählte die verschiedenen Herausforderungen auf, die auf dem Weg hin zum Zielnetz zu bewältigen sind: Neu- und Ausbau, Verdichtung, Betrieb, Kosten, Zeit, Fachkräfte und schliesslich Optimierung. Als Möglichkeiten, Letztere zu bewerkstelligen, nannte er Zielnetzplanung, Speicher, Bewirtschaftung, Sektorkopplung, digitaler Zwilling samt Simulationen, Temperaturabsenkung, Konzepte für Übergabestationen und Optimierung von Gebäudeheizungen. Zu all diesen Hebeln der Optimierung standen Referate auf dem Programm.
Richtschnur im Kanton Neuenburg sind das kantonale Energiegesetz (LCEn) und das dazugehörige AusfĂĽhrungsreglement (RELCEn), wie Jean-Baptiste Clolus von Viteos SA erklärte. Dementsprechend wird Viteos die Fernwärme ausbauen und gleichzeitig die aktuell wichtigeren und grösseren Gasnetze nach und nach stillÂlegen. Um dafĂĽr besser aufgestellt zu sein, wurden die Abteilungen «Gas» und «Fernwärme» zur Abteilung «Thermische Netze» zusammengelegt. So sollen Synergien bei Ressourcen und Kompetenzen genutzt werden können. Auch lassen sich so Projekte leichter gemeinsam entwickeln. Clolus berichtete ĂĽberdies von verschiedenen Optimierungsprojekten, darunter auch von der Weiterentwicklung des GIS zum sogenannten Full GIS, in dem nicht nur die bestehenden Netze abgebildet sind, sondern auch die Richtplanung fĂĽr die Gas- und Fernwärmenetze und weitere Planungen. Auch die Kontakte zu Kunden sind im System hinterlegt. Clolus hob mehrfach die Wichtigkeit der Kommunikation zu den anstehenden Ă„nÂderungen gegenĂĽber der Ă–ffentlichkeit und natĂĽrlich den betroffenen Kunden hervor.
Weil die erneuerbaren Wärmequellen im Kanton Genf in ihrer Produktionstemperatur begrenzt sind, sei die einzige Möglichkeit, die Kundenbedürfnisse zu befriedigen – vorgegeben durch die Physik – die Absenkung der Rücklauftemperatur, wie Gautier Falize (SIG) zu Anfang seines Referats über die Temperaturabsenkung im Genfer Wärmenetz ausführte. Um dies zu erreichen, verfolgt SIG drei Ansätze:
Ein zentrales Element des letztgenannten Ansatzes ist das SIG-Programm éco21, mit dem Optimierungen von Gebäudeheizungen angestrebt werden, wie Hermine Wöhri im anschliessenden Referat darlegte. Das Programm umfasst verschiedene Instrumente, u. a.:
Das seit 2007 laufende Programm ist ein grosser Erfolg. Die Beziehungen zu den Hausverwaltungen und Gebäudeeigentümern wie auch den Heizungsfachleute wurden gestärkt resp. geschaffen. Auf diese Weise ist es einfacher, die Betreiber der Sekundärseite dafür zu sensibilisieren, die Vorgaben/Anforderungen der Primärseite der Wärmeübergabestationen besser einzuhalten. Hermine Wöhri unterstrich mit einigen Zahlen den Erfolg von éco21:
Speicher sind für den Ausbau und die Dekarbonisierung von Fernwärmenetzen essenziell, wie Andreas Peter (IWB) im Fazit seines Vortrags zur Betriebsoptimierung durch den Einsatz von Speichern feststellte. Mit der Erstellung des Wärmespeichers Dolder im Jahr 2020 in Basel konnte der Tagesgang der Produktionsanlagen des IWB-Fernwärmenetzes geglättet und der Einsatz von Erdgas zur Bereitstellung der Tagesspitzen (und damit die CO₂-Emissionen) gesenkt werden. Den hohen Investitionen für die Erstellung des Speichers stünden tiefe Betriebskosten gegenüber, so Peter weiter. Der Speicher benötigt wenig Wartung. Klar ist heute bereits, dass die mit dem Speicher Dolder geschaffene Speicherkapazität von 130 MWh zu klein ist in Bezug zur Netzgrösse, zumal die Fernwärme in Basel bis 2037 stark ausgebaut wird. Daher wird momentan ein weiterer Heisswasserspeicher (400 MWh) geplant.
Insgesamt weisen Speicher verschiedene Vorteile auf: Neben Lastglättung und schneller Verfügbarkeit von Energie könnten sie auch als Notwasserreserve, zur Sektorkopplung, zum ausserplanmässigen Abfangen bzw. Bereitstellen von Leistung (z. B. im Falle von Brennertests, Ausfällen, Temperaturstürzen etc.) und zusammen mit Wärmepumpen zum Bereitstellen von Regelenergie dienen. Allerdings sind Standortsuche und Bau in urbanen Gebieten anspruchsvoll. Die Projekte müssen städtebaulich verträglich sein.
Kevin Moret von Gruyère Energie SA zeigte Ideen und Lösungen zur optimierten Konfiguration von Ăśbergabestationen auf, um einerseits die Investitionen zu kontrollieren und vor allem die Betriebskosten zu senken sowie andererseits die Versorgung der Kunden zu gewährleisten. Die Technischen Anschlussbedingungen (TAB) sind zentral, um Rahmenvorgaben zu definieren fĂĽr die effiziente Planung und den Betrieb der Ăśbergabestationen. Moret präsentierte gut geeignete KonÂfigurationen von Ăśbergabestationen (mit oder ohne Warmwasserspeicher) fĂĽr verschiedene Nutzungskategorien. Neben der technischen Konfiguration, insbesondere der Wärmetauscher, seien aber auch Inbetriebnahme und Betrieb der Ăśbergabestation entscheidend, um auf Dauer eine optimale Lösung zu erhalten, wie Moret betonte. Er riet: «Erstellen Sie ein Protokoll fĂĽr die Inbetriebnahme. Es wird fĂĽr den Techniker auch eine Hilfe zur Selbstkontrolle sein.» Als Hauptpunkte der Inbetriebnahme nannte er:
Weiter empfahl Moret die Installation einer Fernüberwachung auf jeden Fall auf der Primärseite, noch besser sogar auch auf der Sekundärseite. Mit einer Fernüberwachung lässt sich die Übergabestation im Betrieb einfacher kontrollieren. Gibt es keine, seien regelmässige Kontrollbesuche (einmal pro Jahr oder alle zwei Jahre) vorzusehen.
In immer komplexer werdenden Fernwärmesystemen hilft ein digitaler Zwilling bei Umgestaltung und Ausbau, indem er ermöglicht, künftige Netze zu entwerfen und zu simulieren. Zudem kann der ditigitale Zwilling für Betriebsoptimierungen in Echtzeit genutzt werden. Volker Clauß von der Gradyent GmbH (Berlin) stellte am Beispiel der Fernwärme in der norddeutschen Stadt Flensburg die Entwicklung und Anwendung eines digitalen Zwillings vor: Aktuell umfasst die Flensburger Fernwärme ein stark vermaschtes 1-TWh-Netz mit zahlreichen Pumpstationen. Angestrebt wird eine Temperaturabsenkung im Netz, um mit Wärmepumpen günstigere Wärme einspeisen zu können. Basierend auf den GIS-Daten und den vorhandenen Messdaten, wurde ein physikalisches Modell, also der digitale Zwilling des Fernwärmesystems, erstellt. Um dieses zu trainieren, wurden Daten von der Einspeisung, von Wärmezählern an 80 Übergabestationen und einigen Netzendpunkten und zusätzlich die Drücke an den Pumpstationen sowie Abrechnungsdaten von den Endkunden (bei den Endkunden gibt es keine digitalen Wärmezähler) hinzugezogen. Mit dem digitalen Zwilling wurden zehn Szenarien bezüglich Temperatur und Hydraulik simuliert (Ganzjahressimulationen, realer Betrieb, stündliche Auflösung), woraus sich verschiedene Möglichkeiten der Temperaturabsenkung mit und ohne bauliche Massnahmen ableiten liessen.
Auch Groupe E nutzt für die Modellierung und Simulation ihrer Fernwärmesysteme digitale Zwillinge. Simon Rime von Groupe E zählte die dafür verwendeten Hilfsmittel auf: Fluidit Heat, Thermos, Customer Relationship Management (CRM) von Groupe E, MapEdit, QGIS, Excel und Python. Auch wenn Rime davon überzeugt war, dass mit der Entwicklung hin zu immer komplexeren und integrierteren Energienetzen numerische Simulationen zu einem unverzichtbaren Werkzeug würden, erklärte er doch auch, dass diese niemals den kritischen Blick und das Wissen eines Ingenieurs ersetzen könnten. Menschliches Fachwissen bleibe von grundlegender Bedeutung, um die Ergebnisse zu interpretieren, Modelle zu validieren und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ingenieure spielten eine Schlüsselrolle, wenn es darum gehe, Simulationen an die Gegebenheiten vor Ort anzupassen und spezifische Einschränkungen zu integrieren.
Als Optimierungstool für den Betrieb von Kehrichtverwertungsanlagen (KVA) bzw. Energieerzeugungsanlagen und Fernwärmelieferanten wurde von der Rytetec AG zusammen mit zwei Schweizer KVA das Energy Cockpit entwickelt. Am Beispiel der Renergia Zentralschweiz AG, eines Unternehmens, das für die Verwertung des Zentralsschweizer Abfalls verantwortlich ist und gleichzeitig die Perlen Papier AG mit Prozessdampf sowie die Fernwärmenetze in Zug, im Rontal und in Emmen/Luzern mit Heisswasser versorgt und Strom für Haushalte und Industrie liefert, zeigten Theodor Baumhoff (Volue Energy GmbH) und Jörg Boltshauser (Rytec AG) auf, wie sich der Betrieb von thermischen Energieverwertungsanlagen nach energetischen und ökonomischen Gesichtspunkten optimal planen und umsetzen lässt. Boltshauser stellte in seinem Fazit zu zwölf Monaten Erfahrung mit dem Energy Cockpit bei Renergia fest: «Die Einspeisung in die Fernwärmenetze hat eine hohe und zuverlässige Planungsgüte erhalten.»
Im Energiekonzept 2050 Stadt St. Gallen nimmt Wärme-Kraft-Kopplung eine zentrale Rolle ein: mit WKK lokal Strom und Wärme erzeugen. Peter Härtsch von den St. Galler Stadtwerken (SGSW) beschrieb die intelligente Optimierung des Betriebs der sektorkoppelnden Anlagen (KVA und mehrere BHKW) wie auch der im System befindlichen Speicher, was bei den SGSW auch unter dem Begriff «zentraloptimierter Betrieb» läuft. Die Besonderheit daran ist das Zusammenspiel dreier Programme – Prozessleitsystem, Optimized-Production-Technology-System (OPT-System) und Netzsimulation – im permanenten Online-Betrieb. Im Optimierungsfeld muss ständig abwogen werden, welches Produkt (Strom oder Wärme) zu welcher Zeit produziert werden soll – im Winter vorwiegend Wärme und im Sommer eher Strom. Die Loadmanager-Optimierung erlaubt somit eine spartenübergreifende Einsatzoptimierung. Die Auswertungen lassen sich ökologisch oder ökonomisch einstellen. Durch eine ganzheitliche Kosten- und Betriebsoptimierung der Fernwärmeerzeugung und Netzstrategie sowie der Versorgungssicherheit entstehen somit Fahrpläne für die Stromrücklieferung und zur Sicherung der Stromnetzstabilität. Gleichzeitig wird der Dampf-, Erdgas- und Heizölbedarf für die nächste Zeit ermittelt. Im Offline-Betrieb der Programme könnten langfristige Planungen von Investitionen durch Szenarienbetrachtungen durchgeführt werden, wie Härtsch weiter ausführte. Schliesslich kann damit auch auf Situationen der Energiemangellage reagiert werden.
Zum Abschluss fasste Diego Modolell, Leiter des Bereichs Gas/Wärme beim SVGW, die Tagung zusammen und gab einen Ausblick auf geplante ERFA-Veranstaltungen, den Zertifikatslehrgang «Fachspezialist/in Thermische Netze», dessen 15-tägiges Grundmodul erstmals nächstes Jahr durchgeführt wird (Beginn 1. Durchgang 2025: 16. Januar; Beginn 2. Durchgang 2025: 27. August), und zu guter Letzt auf den Richtlinienkurs F1 und F2 «Fernwärme, Fernkälte und Anergie in der Romandie», der vom 24. bis zum 26. März 2025 stattfinden wird.
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