Die Energie- und Klimapolitik der Schweiz verfolgt eine Dekarbonisierung des Energiesystems bis 2050. Diese Bestrebungen werden zu einem Rückgang der Gasnachfrage im Bereich Raumwärme führen. Viele Gasversorger analysieren daher aktuell, welche Gebiete ihres Gasverteilnetzes sie erhalten und welche sie mittel- oder langfristig stilllegen wollen.
Da in der Schweiz dazu noch wenig Erfahrung besteht, untersuchten EBP Schweiz AG und die Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW im Forschungsprojekt «Grundlagen für die Stilllegung von Gasnetzen» [1] folgende Fragen:
Das Forschungsprojekt wurde vom Bundesamt für Energie, dem Baslerfonds von EBP, den beiden Versorgern Thurplus und Energie Thun AG sowie dem Verband der Schweizerischen Gasindustrie kofinanziert.
Für Inhalt und Schlussfolgerungen sind ausschliesslich die Autorinnen und Autoren verantwortlich.
Es bestehen im Grundsatz vier Vorgehens-optionen bei der Stilllegung von Netzgebieten, die sich für unterschiedliche Ausgangslagen eignen (Fig. 1):
Die gleichzeitige Stilllegung ist im Grundsatz überall umsetzbar. Das Quartier wird zu einem einzigen Zeitpunkt stillgelegt. Dieses Vorgehen eignet sich insbesondere für Quartiere mit einem eher homogenen Netz, also ähnlichem Alter und ähnlicher Absatzdichte.
Die zeitlich gestaffelte Stilllegung ist auch überall umsetzbar. Die einzelnen Leitungen des Quartiers werden dabei zu unterschiedlichen Zeitpunkten stillgelegt. Dieses Vorgehen eignet sich vor allem in Quartieren, in denen sich das Alter der Gasleitungen und/oder ihre Absatzdichte relevant unterscheiden. Durch die frühere Stilllegung der älteren und absatzschwachen Leitungen kann finanziell optimiert werden.
Der befristete Parallelbetrieb ist in Quartieren umsetzbar, die mit einem thermischen Netz erschlossen werden. Dabei wird der Zeitpunkt der Stilllegung einer Gasleitung direkt an die Erschliessung mit einem thermischen Netz gekoppelt. Als Beispiel kann die Gasleitung 10 oder 15 Jahre nach der Verlegung der Wärmeleitung stillgelegt werden. Dieses Vorgehen eignet sich in Quartieren, die über längere Zeit mit Wärme (und Kälte) erschlossen werden und keinen raschen Erneuerungsbedarf der Gasleitungen ausweisen.
Der Direktumstieg ist ein Spezialfall des befristeten Teilbetriebs. Dabei wird die Gasleitung direkt nach der Erschliessung mit einem thermischen Netz stillgelegt. Dieses Vorgehen eignet sich für dichte Quartiere, die vollständig mit Wärme erschlossen werden sollen, und in Gemeinden mit ambitionierten Klimazielen und hoher Akzeptanz für den raschen Umstieg.
In Zusammenarbeit mit Thurplus und Energie Thun wandte EBP die Vorgehens-optionen hypothetisch auf zwei reale Testquartiere an (Quartier A und B). Zudem schätzte EBP die Kosten der Optionen – konkret die Kosten der physischen Stilllegung –, allfällige Restwertentschädigungen sowie die Kosten für noch notwendige Leitungserneuerungen. Zudem wurden die gestrandeten Investitionen betrachtet, die ohne Gegenmassnahmen zum Zeitpunkt des Stilllegungszeitpunktes maximal entstehen könnten. Diese setzen sich aus den Restwerten der bestehenden und der erneuerten Leitungen zum Zeitpunkt der Stilllegung zusammen.
Im Quartier A ist die Staffelung bis zum Jahr 2050 teurer als die gleichzeitige Stilllegung im Jahr 2050 (s. Fig. 2). Grund dafür ist, dass in diesem eher jungen Netz durch die Staffelung kaum Leitungserneuerungen vermieden werden können und durch die teils frühere Stilllegung zusätzliche Restwertentschädigungen gezahlt werden müssen. Der befristete Parallelbetrieb über 15 Jahre ist etwas günstiger als die Staffelung, da die Stilllegungen etwas später anfallen und dadurch die Restwertentschädigungen fast ganz wegfallen. Der Direktumstieg ist schliesslich am teuersten, da er zu hohen Restwertentschädigungen führt. Darüber hinaus resultieren durch die frühe Stilllegung potenziell hohe gestrandete Investitionen. Den hohen Kosten des Direktumstiegs können andere Vorteile gegenüberstehen wie die raschere Senkung der Treibhausgasemissionen oder eine höhere Rentabilität der Wärmenetze.
Im Quartier B wurde die gestaffelte Stilllegung nicht betrachtet. Die gleichzeitige Stilllegung im Jahr 2040 verursacht weniger Kosten als der befristete Parallelbetrieb über 15 Jahre mit einer gestaffelten Wärmeverbund-Erschliessung (s. Fig. 3). Grund dafür ist, dass in diesem Quartier ab dem Jahr 2040 relevante Leitungserneuerungen nötig wären, die durch Stilllegung im Jahr 2040 vermieden werden können. Die Staffelung führt auch zu höheren Restwerten zum Stilllegungszeitpunkt (Reduktion bei bestehenden Leitungen, aber Überkompensation durch erneuerte Leitungen). Als letzte Variante kann auch der Direktumstieg die Investitionen in Leitungserneuerungen vermeiden. Umgekehrt führt jedoch die kurzfristige Ankündigung zu relevanten Restwertentschädigungen. Daraus resultieren etwas tiefere Kosten als der Parallelbetrieb.
Ein Gesamtblick auf beide Quartiere und zusätzliche Sensitivitätsanalysen zeigen, dass bei jüngeren Netzen eine frühe Ankündigung und späte Stilllegung die Kosten und gestrandeten Investitionen senken (keine Restwertentschädigungen, keine oder kaum Leitungserneuerungen). Bei Netzen mit älteren Leitungen besteht jedoch eine Abwägung: Späte Stilllegungen senken zwar die Kosten für Restwertentschädigungen, aber erhöhen den Bedarf für kostspielige Leitungserneuerungen. Hier kann eine Kostenanalyse den idealen Zeitpunkt ermitteln, um die Kosten zu minimieren. Je homogener das Alter des Netzes ist, desto tiefer sind die Gesamtkosten im günstigsten Zeitpunkt – dies, da der zeitliche Trade-off von verbleibenden Restwerten und nötigen Erneuerungen kleiner ist.
Für eine Entscheidfindung muss die hier in der Studie vertiefte Kostenseite der Ertragsseite gegenübergestellt werden. Konkret: die je nach Stilllegungszeitpunkt erwarteten Ertragseinbussen aus dem Gasgeschäft und (allfällige) Ertragssteigerungen aus dem Wärme- und Kältegeschäft. Zudem sind weitere Kriterien wie bspw. der Einfluss auf die Treibhausgasemissionen, zu berücksichtigen.
Die Kommunikation einer Stilllegung ist eine anspruchsvolle Aufgabe: Sie kann bei den Gaskundinnen und -kunden Widerstand hervorrufen. Aus diesem Grund untersuchte die FHNW, welche Einstellungen, Bedürfnisse, Erwartungen und Befürchtungen Hauseigentümerinnen und -eigentümer haben, die Gas beziehen, und welche Bedingungen die Akzeptanz einer Stilllegung fördern. Als Grundlage für eine breite Befragung wurden im Vorfeld Fachpersonen und Hausbesitzende interviewt. Im Februar 2024 nahmen 1023 Schweizer Gaskundinnen und -kunden an der Online-Befragung teil.
Die Resultate zeigen, dass Gasnetz-Stilllegungen polarisieren. Je rund ein Drittel der Befragten war positiv, neutral und negativ eingestellt (Fig. 4).
Zudem zeigte sich ein hohes Potenzial für Widerstand. Über ein Drittel der Befragten gab an, sich gegen eine Gasnetz-Stilllegung zu wehren (Fig. 5). Je kurzfristiger die Ankündigungsfrist, desto höher der Widerstand. Zudem zeigte sich, dass Eigentümerinnen und Eigentümer von Gewerbegebäuden sich eher wehren würden als solche von Wohn- oder Mischgebäuden. Dahingegen gab es wenige Unterschiede zwischen Befragten in der Deutsch- oder Westschweiz und zwischen ruralen und urbanen Gebieten.
In der Befragung wurde die Akzeptanz verschiedener Begründungen für die Stilllegung untersucht. Breit akzeptierte Begründungen waren folgende:
Weniger gut angenommen wurden Argumente zu Wirtschaftlichkeit, Gesetzen und Volksabstimmungen.
Gemäss Befragung liegt die ideale Vorankündigungsfrist zwischen fünf (Median) und acht Jahren (Mittelwert). Die individuellen Antworten variierten dabei stark. Wer eine positive Einstellung zur Stilllegung hatte, bevorzugte kürzere Fristen, während bei einer negativen Einstellung längere Fristen gewünscht wurden. Diese Präferenz für eine eher kurzfristige Vorankündigung steht im Widerspruch zu den wahrgenommenen Risiken einer Stilllegung. Als grösstes Risiko wurde nämlich der finanzielle Verlust aufgrund einer noch nicht amortisierten Anlage angegeben. Dass eine längere Frist den finanziellen Verlust verhindert, wurde anscheinend beim Ausfüllen des Fragebogens nicht erkannt. Dies deutet darauf hin, dass hier noch Aufklärungsbedarf besteht.
Für die Ankündigung der Stilllegung bevorzugte eine klare Mehrheit der Befragten eine Information per Brief. Es besteht insgesamt ein hohes Informationsbedürfnis, konkret bezüglich Entschädigungen, möglicher Alternativen und finanzieller Fördermöglichkeiten.
Im Detail wurden zahlreiche Handlungsempfehlungen abgeleitet. Auf übergeordneter Flughöhe wurden folgende Hauptbotschaften herausgeschält:
Die unerlässliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Stilllegung ist eine fundierte Zielnetzplanung, in welcher der Gasversorger in Absprache mit der Gemeinde festlegt, welche Netzgebiete stillgelegt werden sollen und welche nicht. Dringender Handlungsbedarf besteht vor allem bei älteren Netzen und in Kantonen mit strengen Vorschriften zum Heizungsersatz.
In einer Stilllegungsplanung ist festzulegen, wann welche Netzgebiete oder Leitungen stillgelegt werden. Der Zeitpunkt beeinflusst die Kosten, künftige Erträge und Klimawirkung stark. Eine Analyse der Auswirkungen verschiedener Zeitpunkte und eine darauf aufbauende langfristige Planung ermöglichen eine gezielte Optimierung.
Es besteht das Risiko von hohen gestrandeten Investitionen. Finanzielle Vorsorgemassnahmen müssen seitens der Gasversorgungsunternehmen (GVU) dringend geprüft und umgesetzt werden.
Die Gemeinde, das GVU und allfällige Wärmeversorger sind die zentralen Akteure der Wärmetransformation. Sie sollen sich früh koordinieren und klären, wer bei der Kommunikation der Wärmetransformation und Gas-Stilllegung welche Rolle übernimmt.
Bei der Kommunikation von Stilllegungen besteht ein hohes Potenzial für Widerstand. Je kurzfristiger die Ankündigung, desto grösser der Widerstand.
Die Kundschaft ist früh und umfassend zu informieren mit konkreten Angaben bezüglich Entschädigungen, möglicher Alternativen und finanzieller Fördermöglichkeiten.
Die Planung und Kommunikation von Stilllegungen ist anspruchsvoll. Je nach Ausgangslage in GVU und Gemeinde lohnt sich eine externe Unterstützung.
[1] Perch-Nielsen, S. et al. (2024): Grundlagen für die Stilllegung von Gasnetzen
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