Die Umsetzung von Klimaschutz, Energiewende und Digitalisierung ist fĂĽr eine erfolgreiche Zukunft des Standorts Schweiz entscheidend. Bei der Transformation spielen Forschung und Innovation eine wichtige Rolle. Allerdings nur, wenn es zum einen gelingt, die Forschungsergebnisse schnell verfĂĽgbar zu machen und praktisch zu nutzen. Zum anderen, wenn die wissenschaftlichen Erkenntnisse in nachhaltige Produkte, Verfahren und Dienstleistungen umgewandelt werden, die einen wirtschaftlichen Wert darstellen und der Gesellschaft zugutekommen. Normen sind ein bedeutsames Instrument fĂĽr den Technologietransfer und eine wichtige Voraussetzung fĂĽr die Diffusion neuer Technologien im Markt.
Die Normung in der Schweiz handelt zum Nutzen der Wirtschaft und Gesellschaft. In Zeiten von globalen Märkten und Lieferketten wird auch die Normung zunehmend internationaler. Die Anpassung an internationale Normen ist ein wichtiger Schritt, um Handelshemmnisse zu überwinden und die Integration in globale Märkte zu erleichtern. Die grösste Handelspartnerin der Schweiz ist die EU. Viele Schweizer Unternehmen produzieren Handelsgüter für den europäischen Markt. Für diese Firmen ist es von Vorteil, bei den «Regeln der Technik» den grösstmöglichen Harmonisierungsgrad auf der «Pyramide der Regulierung» (Fig. 1) anzustreben, also anerkannte Normen.
Anerkannte Normen werden in einem offenen und fairen Verfahren auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene erarbeitet. Die Anwendung harmonisierter europäischer Normen ermöglicht Schweizer Unternehmen, ihre Produkte und Dienstleistungen leichter auf dem EU-Markt anzubieten und Kosten für Zusatzprüfungen einzusparen. In Europa gilt heute für Waren der Grundsatz: eine Norm – ein Test – überall akzeptiert.
Wenn es um europäische Versorgungsinfrastrukturen geht, wie für Gas, Strom, Wasser oder Wärme, ist es ebenfalls sinnvoll, sich an europäischen Normen (EN) zu orientieren. Normen garantieren die Kompatibilität der Rohrleitungs- und Stromnetze sowie eine gleichbleibende Qualität des Transportguts. Aktuell ist in Europa eine neue Versorgungsinfrastruktur für Wasserstoff im Aufbau. Im Jahr 2020 hat die EU-Kommission ihre «EU-Wasserstoffstrategie» veröffentlicht. Vorrangiges Ziel der Strategie ist, die Produktion und Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff in Europa zu fördern. Die technische Umsetzung der Wasserstoffstrategie soll mit Hilfe von europäischen Normen erfolgen. Sobald die EU-Kommission den europäischen Normenorganisationen CEN/CENELEC den Normungsauftrag «Hydrogen» erteilt hat, können diese mit der Entwicklung der europäischen Wasserstoffnormen beginnen. Der Normungsauftrag wird noch in diesem Jahr erwartet (Fig. 2).
Die SNV ist die Schweizer Vertreterin der weltweiten (ISO) und europäischen (CEN) Normung und die Herausgeberin des Schweizer Normenwerks, das rund 27 000 Schweizer Normen (SN) umfasst. 98 Prozent der Schweizer Normen sind identische Übernahmen europäischer (SN EN) und internationaler (SN ISO) Normen. Nur noch zwei Prozent der Normen werden auf rein nationaler Ebene erarbeitet, überwiegend im Uhrensektor und Bauwesen.
Die SNV ermöglicht Schweizer Expertinnen und Experten der Wirtschaft und Gesellschaft, den Zugang zu internationalen Normungsgremien und gewährleistet, dass sie dort Einfluss nehmen und abstimmen können. Umgekehrt profitieren SNV-Mitglieder vom fachlichen Austausch in den internationalen Normungsgremien und können das dort erworbene Know-how auf nationaler Ebene einbringen.
Die SNV betreut ca. 300 nationale Normenkomitees, in denen über 2000 Expertinnen und Experten tätig sind. Die Normenkomitees sind nach Fachthemen eingeteilt und bündeln jeweils die nationalen, europäischen und internationalen Normungsaktivitäten zu einem Fachthema (Tab. 1).
Nationales Normenkomitee | Titel Normenkomitee | Fachtehmen |
INB/NK 107 | Wasserbeschaffenheit | Wasserqualität, Wasserproben, Messung |
INB/NK 119 | Gefässe und deren Ausrüstung für Gase | Kryogene Behälter für tiefgekühlte verflüssigte Gase, Konstruktion, Sicherheitszubehörteile, Wasserstofftanks, Wasserstofftankstellen |
INB/NK 145 | Fernwärme-Verteilung | Fernwärme- und Fernkältesysteme |
INB/NK 153 | Durchflussmessungen in geschlossenen Leitungen | Inspektion, Installation, Betrieb, Konstruktion, Messgeräte und Messungen, Wasseruhren |
INB/NK 162 | Gas | Erdgas, Methan, CNG, LNG, Biogas, Wasserstoff, CO2, CCUS, Gasinfrastruktur, Gasheizkessel, Gasmessgeräte, Gas-Mobilität, Testgase |
INB/NK 174 | Umwelt und Nachhaltigkeit | Umweltmanagement, Nachhaltigkeit, Treibhausgase und Klimawandel, CO2-Bilanzen, Biodiversität, LCA, Kreislaufwirtschaft |
INB/NK 176 | Feuerungen für feste und flüssige Brennstoffe | Feste Brennstoffe, Festbrennstoffgeräte, Öl- und Gasbrenner, Heizkessel für Zentralheizungen |
INB/NK 181 | Kälteanlagen und Wärmepumpen | Kältetechnik und Klimatisierung, Wärmepumpen, Prüfungen, Leistung und Energieverbrauch, Umwelt- und Sicherheitsanforderungen, Kältemittel |
INB/NK 3000 | Energieeffizienz und Energiemanagement | Energiemanagement und Energieeffizienz, Herkunftsnachweise und Energieausweise, Energie-Audits, Energiemesspläne |
Tab. 1: SNV-Normenkomitees in den Bereichen: Wasser, Gas, Wärme und Umwelt
Anerkannte Normen sind das Ergebnis freiwilliger Normungstätigkeit und werden nicht durch einen staatlichen Regelsetzer erarbeitet. Sie werden durch die interessierten Kreise selbst – im sogenannten «Bottom-up-Prinzip» erarbeitet. Jedes Normenprojekt startet mit einem Antrag, den eine Interessensvertreterin oder ein Interessensvertreter bei einer Normenorganisation einreicht. Die Normenorganisationen selbst beantragen keine Normen, sie koordinieren den Normungsprozess und achten darauf, dass er offen, transparent und nach fairen Regeln erfolgt. An der fachlichen Arbeit in den Normenkomitees können sich alle beteiligen, die am Thema interessiert sind und ihr Fachwissen einbringen möchten.
Die SNV strebt eine möglichst breite Beteiligung am Normungsprozess an und versucht, eine Vielzahl von Interessensvertreterinnen und -vertreter in den Normungsprozess miteinzubeziehen, z.B.:
In Europa ist die EU-Kommission eine grosse Interessensvertreterin in der Normung. Sie gibt ganze Normenpakete bei den europäischen Normenorganisationen CEN/CENELEC in Auftrag – die sogenannten «harmonisierten europäischen Normen». Diese Normen sollen der Wirtschaft bei der technischen Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen in den EU-Richtlinien und -Verordnungen helfen. Ein Beispiel dafür sind die harmonisierten Normen, die unter der EU-Gasgeräteverordnung (EU/2016/426) im Amtsblatt der EU veröffentlicht sind. Sowohl die EU-Verordnung als auch die Normen sind für die Schweiz relevant, da der Schweizer Gesetzgeber die EU-Gasverordnung nahezu identisch in die Schweizer Gasgeräteverordnung (GaGV, SR 930.116) übernommen hat. Die Normen sind freiwillig anwendbar und rechtlich nicht bindend.
Auch wenn die Normung immer internationaler wird, vermerkt die SNV seit einigen Jahren eine Zunahme der national erarbeiteten SNV-Publikationen: Schweizer Regel (SNR) und Schweizer Guideline (SNG). Die internationale Normung kann mit der Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts nicht mithalten. Oftmals entstehen auf nationaler Ebene schneller Interessensgruppen, die ein nationales Grundlagendokument entwickeln wollen. Hier bietet die SNV eine Plattform. Sie versucht die nationalen Interessen zu bündeln und später in den internationalen Normungsprozess einzubringen. Die Publikationstypen SNR/SNG eignen sich besonders für Gebiete, bei denen ein schneller Regulierungsprozess hilfreich für den Wissens- und Technologietransfer ist. Die Erarbeitung dieser Dokumente unterliegt weniger formalen Regeln als bei einer Schweizer Norm. Im Gegensatz zu einer SN muss eine SNR/SNG nicht zwingend unter Einbeziehung aller interessierten Kreise erarbeitet werden und kann dadurch wesentlich schneller veröffentlicht werden – das Wichtigste auf einen Blick bietet Tabelle 2.
 | Schweizer Norm (SN) | Schweizer Regel (SNR) | Schweizer Guideline (SNG) |
Verfasser | Experten eines Schweizer Fachbereichs der SNV | Experten einer Arbeitsgruppe | Verfasser mit Fachwissen |
Ă–ffentliche Vernehmlassung | Ja | Optional | Nein |
Erforderliche Zustimmung für die Publikation | Einfache Mehrheit; Enthaltungen werden nicht gezählt | Konsens in der Arbeitsgruppe | Entscheid eines Schweizer Fachbereichs der SNV |
Bestandteil des Schweizer Normenwerks | Ja | Nein | Nein |
Beschreibung | Klassische Norm | Normative Publikation mit limitiertem Konsens | Publikation ohne normative Festlegungen |
Periodische ĂśberprĂĽfung | Minimum alle 5 Jahre | Keine | Empfohlen alle 10 Jahre |
Gültigkeit | Unbegrenzt | 5 Jahre (bei Überführung in SN/SNG Verlängerung von 3 Jahren möglich) | Unbegrenzt |
Tab. 2: Ăśbersicht der verschiedenen SNV-Publikationen.
Im Energiebereich gibt es zum Beispiel die folgenden Publikationen:
Die SNV ist das nationale und neutrale Kompetenzzentrum bei Fragen und Bedürfnissen zur Normung. Sie ist die Schweizer Vertreterin der weltweiten (ISO) und europäischen (CEN) Normung. Die SNV ermöglicht und fördert die Erarbeitung und Harmonisierung neuer Normen durch die aktive Einflussnahme ihrer Mitglieder als Expertinnen und Experten in nationalen und internationalen Normungsgremien.
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