Die Energie 360° AG betreibt Wärmenetze in der ganzen Schweiz sowie Gasnetze in der Stadt Zürich und in rund 40 weiteren Gemeinden der Kantone Zürich, Aargau und St. Gallen. Jährlich werden 15–20 Kilometer Leitungen im ordentlichen Erhaltungszyklus erneuert. Die Instandhaltung erfolgt häufig mit weiteren Bauherren, koordiniert nach den klassischen SIA-Phasen 31–53, wobei die Planung teilweise an Ingenieurbüros und die Realisierung an Bauunternehmen vergeben werden. Die Gesamtprojektleitung und der Rohrleitungsbau werden durch Fachpersonen der Betreiberin ausgeführt.
Building Information Modeling (BIM) bedeutet für die Energie 360° wie auch für viele andere Bauherren eine zukunftsweisende Methodik zur Projektabwicklung und den Betrieb von Infrastruktur. Als Netzbetreiberin in verschiedensten Kommunen und Kantonen ist das BIM-Kompetenz-Team der Energie 360° in verschiedenen Arbeitsgruppen und Fachgremien unterschiedlicher Bauherren eingebunden. Dort wird die BIM-Methodik sowie deren Ausgestaltung und Abwicklung in der Praxis diskutiert, wobei unterschiedliche Ansätze und Schwerpunkte verfolgt werden. Eine künftige BIM-Lösung für die Netzbetreiberin sollte schlussendlich mit allen kommunalen und kantonalen Institutionen kompatibel sein, damit eine Effizienzsteigerung realisierbar ist. Eine mögliche Gefahr besteht für die überregional tätige Energie 360° darin, mit verschiedenen BIM-Anforderungen der einzelnen lokalen Bauherren konfrontiert zu sein. Sollte künftig kein gemeinsamer Standard in Bezug auf Methodik, Abwicklung und Dokumentation hervorgehen, könnte das ein erheblicher Mehraufwand bei Planung, Realisierung und Dokumentation generieren.
Als weiterer Faktor wurde aufgeführt, dass es im kommunalen Tief- und Werkleitungsbau bisher nur wenig Praxiserfahrung in der konkreten Umsetzung von Bauprojekten mittels BIM-Methodik gibt. Ebenso fehlen Normen und erprobte Prozesse, was das Thema im Tiefbau im Gegensatz zum Hoch- und Anlagenbau weniger greifbar macht. «Durch die konkrete Abwicklung eines BIM-Pilotprojektes im kommunalen Tiefbau wollten wir Erfahrungen für uns als Betreiberin, aber auch für die verschiedenen externen Arbeitsgruppen sammeln, welche uns bei der konkreten BIM-Strategie und Umsetzung dienlich sind», so die Projektleiterin Rosa Immler.
Wichtig für die Bauherrin war es, ein geeignetes Projekt für die Erprobung der BIM-Methodik zu finden. Dabei spielten Parameter wie die Lage in einer öffentlichen Strasse in besiedeltem Gebiet ebenso eine Rolle wie die Komplexität im Leitungsbau und die Interaktion mit externen Stakeholdern. Als Projektperimeter bot sich schlussendlich die Mühlackerstrasse in der Stadt Zürich an. Dort waren eine Nieder- und eine Hochdruckleitung (5 bar) zu sanieren, zudem musste eine Druck-, Reduzier- und Messstation (DRM) neu erstellt werden.
Die erforderliche Dimensionierung der Anlage und die Evaluation der Leitungsführung wurde auf Stufe Vorprojekt (SIA 31) durch internes Fachpersonal bei der Betreiberin selbst erbracht. Für den weiteren Projektablauf kam die BIM-Methodik zur Anwendung. Verschiedene Auftragsmodelle wurden geprüft. Anhand des vorkalkulierten Ingenieurhonorars und der angenommenen Baumeisterkosten wurde entschieden, die Beschaffung des Planers und Unternehmens als Totalunternehmer (TU) in einem selektiven offenen Submissionsverfahren über die SIMAP-Plattform durchzuführen. Dadurch sollte die Kompetenz des Unternehmens bei der Projektentwicklung frühestmöglich, auch in Bezug auf die papierlose Baustelle, miteinbezogen werden. Zusätzlich war klar, dass es mit der BIM-Methodik keinen konventionellen Phasendurchlauf nach SIA geben wird.
Mit der frühen Einbindung eines Partners geht man zwar das Risiko ein, ihn in einer späteren Projektphase nicht mehr einfach austauschen zu können, aber die Vorteile eines kollaborativen Projektteams, in das Bauherr wie auch Dienstleister früh eingebunden sind, überwiegen.
Bei der ersten Phase der Präqualifikation mussten die Anbieter verschiedene Unterlagen (Referenzen, technischer Bericht, Ablaufplanung, Methodik- und Vorgehenskonzept) einreichen. Die sechs best-rangierten Arbeitsgemeinschaften (TU und ARGE) wurden eingeladen, ihr Angebot an einer Präsentation zu erläutern.
Die Angebote waren allesamt von sehr hoher Qualität, aber es zeigt sich, dass Erfahrungen mit der BIM-Methodik vor allem im Hochbau vorhanden sind. Trotz der Breite an präsentierten möglichen CDE-Plattformen (Common Data Environment, dt. gemeinsame Datenumgebung für die strukturierte Ablage und den Datenaustausch) fehlte oft die Erfahrung mit Schnittstellen in bestehenden GIS-Systemen, die bei Netzbetreibern als Informations- und Dokumentationsquelle bereits existieren.
In der zweiten Runde der Submission waren die drei bestbewerteten Konsortien zugelassen, ein Preisangebot zu erstellen. Zur Preiskalkulation wurde eine Angebotstabelle als Excel-Datei durch die Bauherrin zur Verfügung gestellt. Die Tabelle war in Anlehnung an den eBKP-T leistungsbasiert gegliedert, sodass die Bepreisung auf einzelnen Objektelementen stattfinden konnte (z. B. Strassenlänge). Weiter hatte diese Methode den Vorteil, dass die spätere korrelierende Attribuierung im Modell einfacher möglich war. Zusätzlich zur Angebotstabelle wurde eine konventionelle Mengenermittlung für die vorgesehenen Gräben der Submission beigelegt. Ein korrespondierendes Angebotsmodell, das mit der von buildingSMART entwickelten IFC-Schnittstelle hätte ausgetauscht werden können, existierte in der Angebotsphase nicht.
Für die Unternehmen war die Kalkulation mittels Angebotstabelle mit Mehraufwand verbunden. Zudem kam es aus Ermangelung eines durchgängigen Standards zur Bepreisung zu Abweichungen im Verständnis, welche Arbeiten und Materialien in einem Objekt inkludiert sind (vor allem, in welche Positionen zu welchen Anteilen allgemeine Kosten und Reserven eingerechnet werden sollen). Weiter wichtig war die Mengendefinition (z. B. Graben nach Laufmeter, nach Kubikmeter, …) in Bezug auf mögliche Abweichungen und Änderungen in der Ausführung. Obwohl es dies nicht mehr geben sollte, dürften Abweichungen und Änderungen im Tiefbau vermutlich noch länger zum Tagesgeschäft gehören.
Bei der Auswertung der Angebote zeigten sich in den einzelnen Objektpreisen grössere Abweichungen, die auf die beschriebene Interpretation der Objekte zurückzuführen waren. Zur Beschaffung gehörten infolgedessen nicht nur Ingenieur- und Bauleistungen, sondern auch Zusatzleistungen in Form von Schulung und Support bei der Entwicklung der BIM-Thematik im Zuge des Pilotprojektes.
Die Bauherrin ging bei der Kostenschätzung davon aus, dass die Ingenieurhonorare gegenüber einem konventionell in SIA-Phasen abgewickelten Projekt höher ausfallen würden und die Erstellungskosten des Unternehmers vergleichbar mit herkömmlichen Projekten wären. Bei der Preisanalyse der Angebote zeigte sich aber, dass die Kosten für die Bauarbeiten ebenfalls höher als der langjährige Benchmark der Netzbetreiberin ausfielen. Erklärungen dafür sind:
Die Arbeitsgemeinschaft (ARGE), die den Zuschlag erhielt, setzt sich aus der Bauunternehmung Aarvia und dem Ingenieurbüro Pini Gruppe AG zusammen. Für das Pilotprojekt hat die ARGE eine eigene Firma gegründet. Im Verhältnis zur Projektgrösse war der administrative Vorgang zum Vertragsabschluss aufwendig. Nicht nur musste ein Vertrag innerhalb des Konsortiums geschlossen werden (dieser basierte auf der ARGE-Vertrags-Vorlage des SBV), auch Versicherungen und die MwSt.-Nummer waren neu zu erstellen. Zwischen der Bauherrin und der ARGE wurde das Vertragsverhältnis mittels «Totalunternehmervertrag Tiefbau» nach KBOB1 geregelt.
Gemeinsame Workshops mit der Bauherrin und der ARGE fanden während der gesamten Planungs- und Realisierungsphase regelmässig statt. In der Projektstartphase dienten sie vor allem der Abstimmung der Projektbeteiligten mit deren Erwartungen an Organisation, Koordination und dem gemeinsamen Verständnis hinsichtlich der BIM-Methodik. Als Ergebnis resultierten unter anderem der BAP (BIM-Abwicklungsplan) und das IDM (Information Delivery Manual). In den verschiedenen Projektphasen sollten DAP und IDM die Prozesse der Zusammenarbeit (Rollen, Verantwortung), den Detaillierungsgrad (LOI, Level of Information; LOG, Level of Geometry; LOD, Level of Development) sowie die technischen Bedingungen definieren.
Weitere methodische Themen sowie operative Anforderungen in der Planung und Abwicklung wurden in Brainstormings definiert, kategorisiert, gewichtet und besprochen. Obwohl es sich um ein BIM-Pilotprojekt handelte, war es auch wichtig, Abgrenzungen zu definieren, damit das Projekt zielführend abgewickelt werden konnte.
Eine grosse Herausforderung war, ein Modell des Bestandes zu generieren, das auch die erdverlegten Leitungen lagerichtig darstellte. Je nach Werkeigentümer lagen Informationen in den Werkleitungskatastern und GIS-System zu Lage und Höhe in unterschiedlicher Qualität vor. Bei der Kanalisationsinfrastruktur beispielsweise gab es gute Attribute zu Schächten, Einlaufhöhen, Gefälle, Lage etc., um diese in einem 3D-Modell umzusetzen, während bei anderen Netzbetreibern die Informationen nicht immer kongruent (Lage, Höhe, Dimension) zu den physischen Anlagen im Erdreich waren.
Im Pilotprojekt wurde das Bestandsmodell mit folgenden Methoden erstellt:
Die verschiedenen georeferenzierten Dateninformationen wurden anschliessend in einem Modell zusammengefügt und entsprechend attribuiert. Dazu wurden die festgelegten LOI und LOG benutzt. So lagen die notwendigen Informationen für die weitere Projektierung vor, die tatsächlich einen Mehrwert generierten. Andernfalls wäre ein unhandliches Modell mit zu vielen Zusatzinformationen entstanden. Entgegen dem Hochbau, bei dem ein neues Gebäude auf «der grünen Wiese» in einem klar definierten Perimeter erstellt wird, ist im Tiefbau die Generierung des Bestandsmodells sehr viel kosten- und zeitintensiver, weil Daten heterogen sind und teilweise gar nicht vorliegen.
Die Entwicklung des eigentlichen Grabens für die beiden Leitungen, des Rohrleitungsbaus sowie die DRM-Station erfolgte direkt im Modell (As-planned-Modell) (Fig. 3 und 4). Unterschiedliche Materialien beim Aushub wurden entsprechend ihrer Weiterverwendung auf der Baustelle modelliert. Kollisionsprüfungen waren im dreidimensionalen Raum besser möglich als bei der konventionellen Projektentwicklung mit 2D-Daten. Trotzdem kam es später bei der Ausführung zu Friktionen, die vor allem auf die nicht genauen Lagekenntnisse der bestehenden Werkleitungen zurückzuführen waren.
Im Baubewilligungsverfahren und in weiteren Schnittstellen zu Behörden (Verkehrsdienste, PV-5-bar-Leitung, Grundbuchgeschäfte) kam es zu einem Medien- und Methodik-Bruch. Zwar war grosses allseitiges Interesse am Pilotprojekt vorhanden, aber die gültigen Gesetze und Prozesse der öffentlichen Hand lassen zurzeit noch keine Bewilligung mittels attribuiertem 3D-Modell zu. Für diese wichtigen Projektmeilensteine mussten aus dem Modell konventionelle 2D-Pläne erstellt, beschriftet und eingereicht werden. Dies bedeutete in erster Linie Aufwand ohne Mehrwert fürs Pilotprojekt.
Während der Ausführungsphase wurden Projektinformationen ausschliesslich digital mittels IFC (Version 2x3) etappenweise nach Baufortschritt auf die Baustelle geliefert. Der Unternehmer bereitete die Daten in seinem technischen Büro für die Gerätesteuerung auf. Die einzelnen Baufortschritte wurden im Gegenzug laufend auf der Baustelle digital dokumentiert (Aufnahmen und Informationen aus der Gerätesteuerung) und dem Planer als Punktewolke zurückgespielt, sodass dieser das As-built-Modell erstellen und attribuieren konnte. Auf Grundlage dieses Modells mit den einzelnen Objekten wurde die Baustelle abgerechnet (Fig. 5). Die gesamte Baustelle wurde papierlos durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass die Prozesse BIM2Field resp. Field2BIM effizient erfolgten (Fig. 6 und 7). Der Unternehmer profitierte dabei von seinen bisherigen Erfahrungen mit Gerätesteuerung und digitalen Prozessen, die nicht ausschliesslich im BIM-Kontext zur Anwendung kommen.
Mit einem bekannten Phänomen bei der Realisierung von Tiefbauprojekten musste sich auch das Pilotprojektteam auseinandersetzen. So führten bestehende Werkleitungen, die nicht kongruent zu den Katasterplänen im Boden vorgefunden wurden, zu kurzfristigen Änderungen im Projekt, einige davon sehr bedeutsam. Dieses Ereignis zeigt auf, dass es im Tiefbau noch lange Zeit sehr anspruchsvoll sein wird, das geplante Modell 1:1 umsetzen zu können. Und weiter ist ein Umdenken nötig, wie das Modell für alle Projektbeteiligten frühzeitig verständlich gemacht werden kann, wie das Team sich auf Unbekanntes vorbereiten kann und wie die Änderungen, die unumgänglich sind, wieder im Modell einfliessen sollen. Zudem ist zu überlegen, welche Projektentscheidungen ein erhöhtes Risiko für spätere Änderung mitbringen.
Die BIM-Methodik konnte im Pilotprojekt erfolgreich angewendet werden. Das Projekt wurde von der Planung bis zur Realisierung komplett digital mittels BIM-Prozessen abgewickelt. Es zeigte sich aber, dass noch viel getan werden muss, um die Methodik schlussendlich gewinnbringend anwenden zu können. Die wichtigsten Punkte und Erkenntnisse, auch für die künftige BIM-Entwicklung und Strategie der Netzbetreiberin, sind nachstehend festgehalten:
Aus wirtschaftlicher Sicht hat das Projekt, im Vergleich zum Benchmark mit konventionell abgewickelten Leitungsbauten, einen höheren Laufmeterpreis generiert. Für die weitere BIM-Entwicklung bei der Bauherrin sind die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt wertvoll – sowohl in Bezug auf den Leitungskataster (GIS) als auch auf weitere projektspezifische Daten, die vorliegen und möglicherweise einer künftigen Generation dienlich sein werden.
Es zeigte sich, dass noch viele Themen übergeordnet entwickelt und standardisiert werden müssen, damit Bauvorhaben – insbesondere mit verschiedenen Strassen- und Werkeigentümern – sich effizienter abwickeln lassen als in konventionellen Projekten.
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