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Fachartikel
27. September 2022

2. Power-to-Gas-Kongress

Wasserstoff – grüner Stoff der Zukunft?

Am 2. Power-to-Gas-Kongress waren sich Referenten wie auch Diskussionsteilnehmende einig: Wasserstoff wird künftig eine wichtige Rolle im Schweizer Energiemix spielen. Angesichts der möglichen Gasmangellage und der Winterstromlücke ist es angezeigt, das Tempo der Energietransformation zu steigern. Gefordert sind nun geeignete politische Rahmenbedingungen, ­Anreize sowie eine Wasserstoffstrategie. Der Power-to-Gas-Kongress fand am 6. September in der Umwelt-­Arena in Spreitenbach mit rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung statt.

(Ank) Energieversorgungssicherheit, Putins Gasdrosselung, Gasindustrie im Wandel – so die aktuellen Schlagwörter in den Medien. Diese Themen spielten gewiss mit rein, aber der Fokus des 2. Power-to-Gas-Kongresses lag auf künftigen Lösungen im Bereich Power-to-X und auf dem Energieträger Wasserstoff im Besonderen. Welche Rolle wird er im künftigen Energiesystem dereinst einnehmen? Ist Wasserstoff eher ein Energieträger für die dezentrale Energieversorgung oder kommt es zu einem internationalen Wasserstoffhandel? «Diesen Fragen wollen wir heute nachgehen und dabei über den Tellerrand hinausschauen», kündigte Frank Schürch, Geschäftsleiter energie-cluster.ch, in seinen Begrüssungsworten an. Es folgten kompakte Referate und intensive Diskussionen über die Chancen und Potenziale der Power-to-Gas-Technologie im In- und Ausland – betrachtet aus politischer, wissenschaftlicher sowie wirtschaftlicher Warte.

Renewables First, Hydrogen Second

«Ich bin froh, heute hier zu sein und über positive Themen diskutieren zu können», sagte Philippe Müller vom Bundesamt für Energie. Aktuell müssten in Bern wegen der geopolitischen Lage Themen diskutiert werden, die weder positiv fürs Klima noch fürs Geld seien, beispielsweise fossil befeuerte Reservekraftwerke. Um das 2019 beschlossene Netto-null-Ziel zu erreichen, brauche es neben dem massiven Zubau von erneuerbaren Energien auch CO2-neutrale Brenn- und Treibstoffe und mehr saisonale Speicher, betonte der Leiter Energieforschung & Cleantech. Das Statement bekräftigte er mit den Worten «Renewables first, hydrogen second». Wasserstoff werde eine sehr grosse Rolle in unserem Energiesystem spielen, auch wenn er kurzfristig aufgrund der drohenden Strom- und Gasmangellage etwas aus der Aktualität verschwunden sei. Bei der Umsetzung seien Forschung und Entwicklung zentral, weswegen das BFE verschiedene Forschungsaktivitäten unterstütze. Müller räumte ein, dass Innovation erst dann erfolgreich ist, wenn sie den Weg in den Markt findet. Deswegen forderte er Wissenschaft und Wirtschaft gleichermassen auf, die Technologie vorwärtszubringen.

Speicherkapazität für Wasserstoff gefordert

Wasserstoff im Zusammenhang mit der energetischen Zukunft des Landes wurde von einer Koryphäe auf dem Gebiet erläutert: Andreas Züttel, Professor für physikalische Energie, EPFL Wallis. Er präsentierte keine Szenarien, sondern analysierte die Vergangenheit anhand der Temperaturerhöhung und der CO2-Emissionen. Nicht nur wegen der Klimaveränderung müssen wir erneuerbare Energien einführen, sondern weil auch irgendwann keine fossilen Energieträger mehr zur Verfügung stehen, betonte er. Positiv sieht Züttel die Entwicklung der erneuerbaren Energieträger in den vergangenen und vor allem in den kommenden Jahren. Die Summe wachse sogar überexponentiell. Hält diese Entwicklung an, so könne die Welt in nicht allzu ferner Zukunft mit erneuerbarer Energie versorgt werden. Auch auf der wirtschaftlichen Seite gebe es eine positive Entwicklung – zumindest in Europa. So nehme zum Beispiel in der Schweiz der Energieverbrauch pro Kopf ab, aber das Bruttosozialprodukt trotzdem zu. Trotz unserer Jahreszeiten könnten in der Schweiz jährlich 24 ± 9 TWh erneuerbarer Strom produziert werden, wenn alle geeigneten Dachflächen mit Solarpanel ausgerüstet werden würden. «Um die erneuerbare Energie über die Saison zu verschieben, spielt Wasserstoff eine ganz entscheidende Rolle», sagte Züttel. Allerdings bedinge es einen massiven Zubau von Photovoltaik und die Schaffung von Speicherkapazität für Wasserstoff.

Die Volatilität in den Griff bekommen

Da Energie übertragen werden muss, wurde Power-to-Gas auch aus der Netzsicht betrachtet. Jörg Spicker von der Swissgrid AG fand es schön, mal nicht über die Winterkrise sprechen zu müssen, sah aber das Thema eher in weiter Zukunft. Jeder zusätzliche Energieträger, jede zusätzliche technische Komplexität bedeute eine neue Herausforderung für den Netzbetrieb. Und die Herausforderung sei bereits gross: Zunehmend volatile Einspeisung in die Übertragungsnetze, zunehmende Handlungstätigkeit, zunehmende Sektorkopplung, zunehmende Elektromobilität führten heute schon zu immer volatileren Stromflüssen. Die Vorhersagbarkeit, was ins Netz eingespeist und was dem Netz entnommen werden könne, nehme dadurch ab. Spicker führte aus, was es bedeutet, wenn erneuerbare Energien zunehmend die Stromflüsse definieren. Bei der Photovoltaik bspw. seien einerseits die Mittagsspitzen und andererseits die abnehmende Produktion gegen Abend hin zu beherrschen. Es brauche Lösungen wie Power-to-Gas, um den überschüssigen Sommerstrom in den Winter zu bringen. Deshalb plädierte auch Spicker für Wasserstoffspeicher. Bei diesem Thema angelangt, forderte er die Gleichbehandlung aller Speichertechnologien. Er sehe keinen sachlichen Grund, wieso in manchen Gesetzesentwürfen gewisse Technologien bei der Tarifierung oder Förderung bevorzugt würden. Weiter wünschte er sich deutlich beschleunigte Bewilligungsverfahren für Produktion und Netze. Ein Netzprojekt brauche aktuell durchschnittlich 15 Jahre. «Beim Thema Wasserstoff können wir uns dieses Tempo nicht leisten», so Spicker. Auch brauche es eine stärkere Integration in die EU, insbesondere ins Stromsystem, aber auch ins Wasserstoffsystem.

Von Produzenten, Speichern und Boxen

Auf die einleitenden Referate folgten Kurzreferate über Pionierprojekte und Lösungen in der Schweiz. Den Auftakt machte Philipp Dietrich von H2 Energy. Sein Unternehmen erstellt einerseits Entwürfe für Wasserstoffstrategien, bietet Engineering-Dienstleistungen für den Anlagenbau sowie Speicherlösungen für Tankstellen an. Er stellte verschiedene von H2 Energy entwickelte und realisierte Lösungen im Bereich Mobilität, genauer Lkw und Tankstellen, vor. Von der Politik forderte er Lenkungsmassnahmen und weniger Subventionen, um verschiedene Applikationen sinnvoll umzusetzen – auch wirtschaftlich.

Thomas di Lorenzo von Limeco stellte die erste industrielle Power-to-Gas-Anlage der Schweiz vor. Seit Mai dieses Jahres wird in Dietikon auf dem Areal der Limeco erneuerbares Methangas hergestellt, das ins Erdgasnetz eingespeist wird. Mit einer Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) und einer Abwasserreinigungsanlage (ARA) bietet Limeco die ideale Voraussetzung, um grünes Gas zu produzieren: Strom, Klärgas (Methan und Kohlenstoff) sowie Mikroorganismen. Der erneuerbare Strom aus der KVA wird genutzt, um Wasser (H2O) in Sauerstoff (O2) und Wasserstoff (H2) zu spalten. Dafür braucht es einen Elektrolyseur. Der Wasserstoff gelangt zusammen mit komprimiertem Klärgas in den Methanisierungsreaktor, wo sie auf Abermillionen Mikroorganismen aus dem Faulschlamm der ARA treffen. Die Archaeen packen das CO2 und wandeln es zusammen mit H2 in Methan (CH4) um. Chemisch weist dieses die gleichen Eigenschaften auf wie Erdgas. Vor der Einspeisung ins Gasnetz wird es gereinigt. Nach einer anfänglich guten Testphase traten ein paar Probleme auf, die einen längeren Unterbruch zur Folge hatten. Aber die Wiederinbetriebnahme war unproblematisch. Bisher wurden 2 GWh grünes Gas produziert und eingespeist.

Andreas Kunz von Energie 360° stellte den saisonalen Energiespeicher mit USC-Konzept vor. USC steht für Underground Sun Conversion. Was etwas sperrig klingt, funktioniert ähnlich wie in Dietikon, passiert aber nicht im Reaktor, sondern 1000 Meter unter der Erdoberfläche. Das Konzept funktioniert folgendermassen: Aus Sonne wird Strom, aus überschüssigem Strom Wasserstoff, der zusammen mit CO2 in einen unterirdischen Speicher eingespeist wird, wo Archaeen die Umwandlung in Methan vornehmen.
Aktuell wird das Konzept in Österreich geprüft. Schweizer Projektpartner sind Energie 360°, die Empa, die Universität Bern und die Fachhochschule OST. In der Schweiz existieren potenziell geeignete geologische Formationen für das USC-Speicherkonzept.

Eine praktische Anwendung mit grossem Nutzen stellte Roland Zwingli von der Hybridbox AG vor. Die Hybridbox ist eine patentierte Energiezentrale, die sämtliche energetischen Disziplinen in einem Gebäude vereint: Wärme, Strom und Kälte. Die Box beinhaltet zwei Wärmeerzeuger: Wärmepumpe und Blockheizkraftwerk (BHKW). Die unterschiedlichen Vorteile der beiden Wärmeerzeuger ermöglichen eine maximal flexible Handhabung der Energieversorgung im Gebäude.

«Wir sind bereits H2-ready», begrüsste Kurt Lanz, Geschäftsführer von Powerloop, das Publikum, und meinte damit die neue Generation Blockheizkraftwerke. Diese spielen bekanntlich eine tragende Rolle im Powerloop-Modell, das 2000 dezentrale Mini-Wärme-Kraft-Anlagen für eine effiziente Strom- und Wärmeversorgung am Ort des Bedarfs vorsieht. Das Modell wurde entwickelt, um zugespitzte Situationen wie im kommenden Winter zu vermeiden. Da das Problem nun noch akuter und dringlicher ist als gedacht und zu der Strommangellage möglicherweise eine Gasmangellage hinzukommt, hat Powerloop einen Rettungsschirm lanciert. Bis Februar 2023 könnten 50 Anlagen aufgestellt werden, mit denen 100–150 MW produziert werden könnten. Die hierfür beim Bund platzierte Offerte basiert auf LNG. Das LNG-Tankschiff sei bereits organisiert. Aktuell laufen die Diskussionen, ob die Powerloop-Lösung umgesetzt wird.

Wasserstoff als wichtiger Teil der Energiewende

Über die Wasserstoff-Situation in Deutschland und Europa berichtete Gert Müller-Syring via Livestream. Wasserstoff werde als wichtiger Teil der Energiewende verstanden, was sich in der nationalen und europäischen Wasserstoffstrategie manifestiere und von den Netzbetreibern und Verbänden unterstützt werde. Gemäss dem Geschäftsführer der DBI Gas- und Umwelttechnik GmbH gelte es nun, Wissen zu bündeln und professionelle Werkzeuge wie das H2-Kompendium und die H2-Datenbank bereitzustellen. Bei beiden besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem SVGW. Die H2-Readiness-Datenbank ist die zentrale Plattform zur schnellen und komfortablen Überprüfung der Wasserstoffeignung von Produkten, Komponenten und Materialien. Müller-Syring betonte die Kosteneffizienz der Transformation, dennoch stelle sie für die Infrastrukturbetreiber einen Kraftakt dar, der zeitnah initiiert werden müsse.

Jörg Reichert von der deutsch-schweizerischen Energiedienst Holding AG sprach über seine Erfahrungen mit der Herstellung von grünem Wasserstoff am Hochrhein. Die Power-to-Gas-­Anlage in Wyhlen ist seit 2019 in Betrieb und produziert täglich bis zu 430 kg Wasserstoff. Aktuell steht im Rahmen des Reallabors H2-Wyhlen der Ausbau der Elektrolyseanlage an. Das von der Bundesregierung geförderte Projekt sieht eine Erweiterung auf bis zu 7 MW vor. Einerseits wurden und werden mit den beiden Projekten technologische Erfahrungen gesammelt, andererseits stiess die Energiedienst Holding AG auch auf langwierige Genehmigungsverfahren und teils unklare politische Rahmenbedingungen. So schreibt der delegierte Rechtsakt der EU vor, dass Wasserstoff nur grün ist, wenn er aus neuen erneuerbaren Energiequellen produziert wird. Im Verständnis der EU-Definition fällt das über hundert Jahre alte Wasserkraftwerk am Hochrhein nicht unter diese Kategorie.

Der delegierte Rechtsakt der EU sei auch in Österreich ein Thema, da das Land über sehr viel Wasserkraft verfüge, sagte Sascha Grimm vom ÖVGW, dem österreichischen Schwesterverband des SVGW. Der ehrgeizige Plan Österreichs, bereits bis 2040 klimaneutral zu sein, erfordere eine schnelle Transformation des Gasnetzes von fossilem Erdgas hin zu Biomethan, synthetischem Methan und Wasserstoff. Dazu brauche es Anpassungen im Netz, Bau von Speicher und natürlich Testen und Forschen von der Produktion bis hin zur Anwendung. «Beim ÖVGW beschäftigen wir uns deshalb mit der gesamten Wertschöpfungskette», so Grimm und gab einen kompakten Überblick über die Forschungs- und Umsetzungsprojekte in Österreich.

Über beeindruckende bereits realisierte Projekte sprach Steffen Møller-Host vom Norwegian Hydrogen Forum (NHF). Das Vorzeigeland in Sachen erneuerbarer Energie nutzt bereits grünen Wasserstoff im Transport, in der Schifffahrt und in der Industrie. Eine Wasserstoffleitung nach Resteuropa zu legen, um den Kontinent massgeblich bei seiner Dekarbonisierung zu unterstützen, sei in Norwegen bereits angedacht.

Aus Chile informierte der Wirtschaftsminister über die ambitionierten Wasserstoffpläne des Landes und über den Know-how-Bedarf aus Europa. Australien konnte wie Norwegen eine Reihe laufender H2-Projekte vorstellen. Ähnlich sieht es in Japan aus. Da die Inselgruppe über wenig eigene Energieressourcen verfügt, setzte Japan immer schon auf partnerschaftliche Kooperationen mit bspw. Australien und auf Technologie. Entsprechend weit fortgeschritten ist Japan auch im H2-Bereich.

Grüner Wasserstoff und klare Rahmenbedingungen

Zum Abschluss versammelten sich auf dem Podium Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger vom Verband der Schweizerischen Gasindustrie (VSG), der Energie 360°, von H2 Energie, Swisspower, Green Gas AG und der Bank Julius Bär, ausserdem die Mitglieder des Nationalrats Gabriela Suter (SP), Kurt Egger (Grüne) und Roger Köppel (SVP).

Fazit der Diskussion: Auf dem Weg zum Netto-null-Ziel braucht die Schweiz Energieversorgungssicherheit mit umweltschonenden und nachhaltigen Lösungen, die auch wirtschaftlich vertretbar sind. Wird dabei Wasserstoff eingesetzt, so sollte er grün sein. Die Diskussionsteilnehmenden waren sich einig, dass Wasserstoff im künftigen Energiesystem eine wichtige Rolle spielen wird, und dass Speichermöglichkeiten geschaffen und weitere Forschungen und innovative Projekte angestossen werden müssen. Uneinig waren sie sich, ob Wasserstoff ein international gehandelter Energieträger wird. Auch die aufgeworfene Atomkraftfrage führte zu unterschiedlichen Meinungen in der Runde.

Grosse Einigkeit herrschte bei den Verbands- und Wirtschaftsvertretern in Sachen Rahmenbedingungen. Konkret und schnell umsetzbar wären die Aufhebung des Netzentgelts und schnellere Bewilligungsverfahren. Wasserstofftechnologien etablieren und anderen erneuerbaren Energieträgern beziehungsweise deren Speicherung deutlich beschleunigen, wurde reihum befürwortet. Genauso wie die Entwicklung einer nationalen Wasserstoffstrategie.

Apéro mit netzwerken

Am Ende der zweiten Durchführung des von BFE, VSG, Swisspower, Umwelt Arena Schweiz und energie-cluster.ch initiierten und organisierten Power-to-Gas-Kongresses konnten die rund 200 Teilnehmenden aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Verwaltung beim Apéro netzwerken und die Ausstellung in der Umwelt Arena besichtigen.

Der 3. Power-to-Gas-Kongress Schweiz wird am 5. September 2023 stattfinden.

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