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Fachartikel
28. Oktober 2021

Erneuerbare Gase

Die Gaswirtschaft in der Energie- und Klimapolitik

Trotz Ablehnung des revidierten CO₂-Gesetzes zeigt der klimapolitische Kompass der Schweiz weiterhin in die gleiche Richtung: netto null bis 2050. Welche Wege zu diesem Ziel führen, muss jedoch überdacht werden. Für Bund, Kantone und Gemeinden gilt es, ihren jeweiligen Spielraum zu nutzen, um mit ihren Gesetzen und Planungsinstrumenten den Weg für die erneuerbaren Energien zu ebnen. Die erneuerbaren Gase als Energieträger und -speicher und das bestehende Gasnetz als wertvolle Infrastruktur sind mit wachsender Anerkennung ein wichtiger Teil der Lösung.
Christian Gyger 

«Mit erneuerbaren Gasen ist die Schweizer Gaswirtschaft ein Teil der Lösung hin zu einem klimaneutralen Energiesystem», sagte Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des Eidgenössischen Departments für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, wenige Tage vor der Abstimmung über das nationale CO2-Gesetz an einer Veranstaltung des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie (VSG). Dieses wichtige Signal an die Vertreterinnen und Vertreter der Gasbranche war ein Versprechen und zugleich ein Appell: Gas ja, aber erneuerbar. Mit dem selbstverordneten Ziel, bis 2050 Erdgas kontinuierlich durch erneuerbare und klimaneutrale Gase zu ersetzen, unterstützt die Schweizer Gaswirtschaft das Netto-null-Ziel 2050 des Bundesrates [1].

Das revidierte CO2-Gesetz hätte die Energiegesetze der Kantone im Gebäudebereich übersteuert. Als Folge des ablehnenden Volksentscheids im Juni 2021 stehen nun weiterhin die Kantone im Führerstand. Insbesondere diejenigen, welche die geltenden Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn 2014) noch nicht übernommen haben, werden aktiv – sei es durch Gesetzesrevisionen oder durch die Erarbeitung kantonaler Klimastrategien.

NATIONAL

Das CO2-Gesetz und die Folgen der Ablehnung

Die Vorlage zum revidierten CO2-Gesetz anerkannte, dass erneuerbare und klimaneutrale Gase für die Energieversorgung und den Klimaschutz einen Beitrag leisten. So sah der geplante Klimafonds vor, auch Biogasanlagen zu unterstützen, die das Gas ins Netz einspeisen, statt es in Strom umzuwandeln. In anderen Punkten hätte das Gesetz das Potenzial der erneuerbaren Gase nur unvollständig ausgeschöpft. Die je nach Sektor unterschiedlichen Reduktionsziele gegenüber den CO2-Emissionen von 1990 wären für den Gebäudebereich besonders einschneidend gewesen. Bereits im Durchschnitt der Jahre 2026 und 2027 hätten die CO2-Emissionen um 50% gegenüber 1990 vermindert werden müssen. Doch unabhängig von der Zielerreichung hätte ab 2023 beim Heizungsersatz ein Grenzwert von 20 kg pro Quadratmeter Energiebezugsfläche gegolten, der alle fünf Jahre um 5 kg CO2 gesenkt worden wäre. Zwar hätte der Bezug von Biogas als erneuerbare Energie angerechnet werden können, der Vollzug, wie ihn die CO2-Verordnung zum Zeitpunkt der Abstimmung vorsah, erschwerte diese Lösung jedoch in doppelter Hinsicht: Die für eine Betriebsdauer von 20 Jahren errechnete Biogasmenge hätte in Form von Zertifikaten vorab gekauft werden müssen. Und ausländisches Biogas wäre de facto nicht anrechenbar gewesen, weil Importe über das Gasnetz nicht anerkannt worden wären.

Wie geht es auf nationaler Ebene weiter? Der Bundesrat hat im September 2021 kommuniziert, dass er noch vor Ende dieses Jahres eine neue Vorlage zur Revision des CO2-Gesetzes in die Vernehmlassung schicken wird. Parlamentarische Vorstösse und Initiativen zu einzelnen Themen der Energie- und Klimapolitik zeigen inzwischen, dass sich die politische Sicht auf die künftige Rolle der erneuerbaren Gase als Energieträger wandeln kann, wenn sich neue Technologien am Markt etablieren. Deutlich sichtbar ist dies im Bereich der Mobilität, und dort selbst im preissensitiven Nutzverkehr, wo Antriebe mit Biogas und Wasserstoff immer mehr Fuss fassen. Als Folge davon verpflichteten die beiden Parlamentskammern im März dieses Jahres den Bundesrat dazu, die leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgaben (LSVA) für emissionsarme Nutzfahrzeuge teilweise zu erlassen (Motion KVF-S, 19.4381). Nach dem Scheitern des CO2-Gesetzes in der Volksabstimmung lancierte die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates (UREK-N) die parlamentarische Initiative 21.477, um das geltende Recht bis Ende 2024 fortzuschreiben und insbesondere die Ende 2021 auslaufenden Anreizinstrumente für den Klimaschutz fortzuführen. Nachdem der Nationalrat in der Herbstsession der Vorlage zugestimmt hat, ist geplant, die Vorlage in der Wintersession zur Schlussabstimmung zu bringen.

Die Gletscher-Initiative

Die grossen Linien der nationalen Klimapolitik werden im Rahmen der Gletscher-Initiative weiterdiskutiert. Die 2019 eingereichte Volksinitiative geriet im Abstimmungskampf um das CO2-Gesetz etwas in den Hintergrund. Sie fordert, das Erreichen des Netto-null-Ziels bis 2050 in die Verfassung zu schreiben und fossile Energieträger wie Erdgas ab 2050 weitestgehend zu verbieten. Der Bundesrat stellte in seinem Gegenvorschlag zur Initiative klar, dass er mit dem Grundsatz der Initiative zwar einverstanden ist, jedoch mit Rücksicht auf Berg- und Randregionen sowie die Versorgungssicherheit Optionen für den Einsatz von fossilen Brennstoffen auch nach 2050 offenlassen will. Die Gaswirtschaft wird sich im Rahmen dieser politischen Diskussionen lösungsorientiert einbringen. Ihre Dekarbonisierungsstrategie bis 2050 deckt sich mit dem globalen Ziel der Gletscher-Initiative und des bundesrätlichen Gegenvorschlags. Wichtig ist jedoch eine technologieoffene Umsetzung.

Revision des Energiegesetzes und des Stromversorgungsgesetzes

Die regulatorische Gleichbehandlung der erneuerbaren Gase mit anderen erneuerbaren Energien ist ein wichtiger Ausgangspunkt, um die spezifischen Stärken von Gas zur Reduktion der CO2-Emissionen und zur Sicherung der Energieversorgung über Sektorengrenzen hinweg im Rahmen der nächsten nationalen Gesetzesprojekte hervorzuheben. Zu diesen gehört auch die Revision des Energiegesetzes und des Stromversorgungsgesetzes.

Nach einer gestaffelten Vernehmlassung zu den beiden Gesetzesrevisionen beantragte der Bundesrat dem Parlament eine gemeinsame Behandlung der beiden Vorlagen. Seit dem 18. Juni ist diese kombinierte Vorlage als «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» bereit für die parlamentarische Beratung. Gemäss Botschaft des Bundesrates [2] geht sie drei Herausforderungen an, die sich aus dem Zubau erneuerbarer bzw. dem Wegfall fossiler und nuklearer Energien ergeben: erstens die Stromversorgungssicherheit auch während der Wintermonate, zweitens Anreize für Investitionen in klimaneutrale Technologien durch Förderinstrumente und drittens die Transformation des Versorgungssystems, um den technischen, regulatorischen und ökonomischen Eigenheiten der erneuerbaren Energien Rechnung zu tragen.

Stromversorgunssicherheit durch Speicherausbau

Zur Sicherstellung der Energieversorgung stellt das revidierte Stromversorgungsgesetz auf zwei Handlungsfelder ab. Um die Selbstversorgungsfähigkeit der Schweiz von durchschnittlich 22 Tagen auch in Zukunft gewährleisten zu können, setzt der Bund in erster Linie auf die Speicherwasserkraft. Diese soll bis ins Jahr 2040 um 2 TWh ausgebaut werden. Aus Sicht der Gasbranche ist klar, dass auch Gasspeicher für erneuerbare Gase aus überschüssigem Sommerstrom hier eine Rolle spielen müssen. Dieser Alternative für die Langzeitspeicherung spricht der Bundesrat das Potenzial im Inland vorläufig noch ab. Sollte das Monitoring der Energiestrategie jedoch eindeutige Hinweise dafür liefern, dass der geplante Zubau der Wasserkraft nicht erreicht wird, könnte für den Bundesrat der Bau von Gaskraftwerken ein Thema werden. Voraussetzung wäre gemäss Bundesrat ein klimaneutraler Betrieb. Dieser soll erreicht werden durch die Abscheidung und Speicherung von CO2 (Carbon Capture and Storage), CO2-Kompensation oder negative Emissionstechnologien (NET) in der Schweiz oder im Ausland oder durch die Verwendung von erneuerbaren Gasen als Brennstoff. Nebst Biogas kommen dazu auch grüner Wasserstoff oder erneuerbares bzw. klimaneutrales Methan infrage. Um die Abhängigkeit von Importen tief zu halten, ist in diesem Szenario die Speicherung der Gase in der Schweiz dann doch nicht mehr ausgeschlossen. Die auffallend grosse Technologieoffenheit des Bundesrates bei dieser Auffanglösung für den Zubau an erneuerbarem Strom ist auch bei der Bekämpfung einer kritischen Versorgungssituation vorgesehen. Sozusagen als «Manöver des letzten Augenblicks» sollen dem Bund Energiereserven zur Verfügung stehen, welche jährlich mittels Ausschreibung gebildet und im Bedarfsfall von der ElCom abgerufen würden. Sowohl seitens der ElCom als auch seitens des Parlaments wurde in jüngster Zeit indessen vermehrt infrage gestellt, ob die vorgesehenen Massnahmen zur Gewährleistung der Stromversorgungssicherheit genügten. Entsprechend intensive Diskussionen im Parlament sind zu erwarten.

Anreize zum Ausbau der einheimischen erneuerbaren Energien

Weil einige bestehende Förderinstrumente für die erneuerbaren Energien bereits Ende 2022 auslaufen, erhalten die Fördermassnahmen des revidierten Energiegesetzes besondere Aufmerksamkeit. Das bisherige Energiegesetz förderte Strom erzeugende Biogasanlagen wie auch Windenergie- und neue Kleinwasserkraftanlagen durch eine Einspeisevergütung, die Ende 2022 ausläuft. Der neue Gesetzesentwurf sieht vor, diese Förderung in angepasster Form bis ins Jahr 2035 zu verlängern. Neu soll nicht mehr die Vermarktung des Stroms unterstützt, sondern bis zu 60% der Investitionskosten für die Strom erzeugenden Teile der Produktionsanlagen übernommen werden. Damit soll verhindert werden, dass der Bund den Betrieb unrentabler Anlagen mitfinanziert. Der Investitionsbeitrag erleichtert den kapitalintensiven Zubau der erneuerbaren Energien, und die Anlagebetreiber können beim Stromvertrieb die Marktdynamik nutzen.

Was die Förderung der erneuerbaren Energien betrifft, wollte indessen eine Mehrheit des Parlaments die Revision des Energiegesetzes nicht abwarten und stattdessen mit einer Übergangslösung zentrale Elemente bereits ab 2022 in die Tat umsetzen oder lückenlos weiterführen. Dazu nutzte es die von Nationalrat Bastien Girod eingereichte parlamentarische Initiative 19.443. Diese verlangt unter anderem, bei der Förderung durch Investitionsbeiträge alle erneuerbaren Stromerzeugungsformen gleich zu behandeln, so auch den Strom aus Biomasse. Weil dieser besonders hohe Gestehungskosten aufweist, kommen dabei Biomasseanlagen zusätzlich in den Genuss eines Betriebskostenbeitrags. Während der Herbstsession 2021 ergänzte das Parlament die Initiative um ein Element, welches der Bundesrat fürs Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien vorgesehen hatte: die sogenannte regulatorische Sandbox. Diese erlaubt es, vorübergehend und in einem eng definierten Bereich vom allgemeinen Regulierungsrahmen abzuweichen, um so das Potenzial von neuartigen Technologien in der Praxis prüfen zu können. Davon könnten auch innovative Versorgungslösungen mit erneuerbarem Gas profitieren.

Wann die Beratung des Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien im Parlament stattfindet, und ob die Vorlage allenfalls in mehrere Bereiche aufgeteilt wird, ist noch offen. Die Gaswirtschaft steht der einseitigen Förderung von stromerzeugenden Biogasanlagen kritisch gegenüber. Es ist unverständlich, wieso die weitaus effizientere Einspeisung von Biogas ins Gasnetz keinerlei Förderung erhält.

KANTONAL

Die Mustervorschriften der Kantone

Die Abstimmung über das CO2-Gesetz war auch für die Klima- und Energiepolitik der Kantone eine entscheidende Weichenstellung. Die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung zwischen Bund und Kantonen sieht vor, dass primär die Kantone für den Gebäudebereich zuständig sind. Der gesetzliche Absenkpfad bei den Grenzwerten der CO2-Emissionen beim Heizungsersatz hätte die Kantone übersteuert. Gemeinsamer Nenner der bisherigen kantonalen Energiepolitik sind die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn). Derartige harmonisierte Minimalanforderungen wurden zuletzt 2015 von der Konferenz kantonaler Energiedirektoren (EnDK) verabschiedet. Ziel war, dass alle Kantone bis 2018 ihre Energiegesetze an die aktuellen Vorgaben anpassen und per 2020 in Kraft setzen würden. In der Umsetzung gab und gibt es grosse zeitliche und inhaltliche Unterschiede. Während einzelne Kantone bereits 2017 so weit waren, dauert die Gesetzesrevision bei anderen bis heute an. Sei es, weil der Prozess länger dauert oder weil beim ersten Anlauf das Gesetz in der Volksabstimmung scheiterte. Für die Gasindustrie besonders relevant sind die Bestimmungen der MuKEn zum Heizungsersatz. Hier stehen elf Standardlösungen zur Verfügung. Keine davon anerkannte ursprünglich das Potenzial der erneuerbaren Gase. Um die Anerkennung von Biogas und grünen synthetischen Gasen als Mittel zur CO2-Reduktion bei der Wärmeerzeugung im Gebäudebereich doch noch zu erreichen, engagierte sich der VSG mit seinen Mitgliedern und Partnern bei verschiedenen kantonalen Gesetzesrevisionen. Wie die Karte zum Stand der Energiegesetze in den Kantonen zeigt, sind in aktuell 12 der 26 Kantone die erneuerbaren Gase als erneuerbare Energie anerkannt, beziehungsweise die laufende Gesetzesrevision sieht dies vor.

Anerkennung der erneuerbaren Gase ja, aber...

Unter den Kantonen, welche die erneuerbaren Gase als erneuerbare Energie beim Heizungsersatz anerkennen, offenbart sich bei der Umsetzung eine grosse Vielfalt. Die Kantonsparlamente von Freiburg und Schaffhausen verdoppelten den geforderten Mindestanteil an erneuerbarer Energie von 10 auf 20%. Weil zudem Biomasse als Energiequelle mit dem Faktor 0,5 gewichtet wird, ist die zweifache Menge erforderlich. So wird, wie in den Kantonen Graubünden, Luzern, St. Gallen, Thurgau, Schwyz und voraussichtlich auch Tessin, der Mindestanteil von 10% erneuerbarer Energie erst mit 20% erneuerbarem Gas erreicht beziehungsweise mit 40% im Falle von Freiburg und Schaffhausen.

Ein Spezialfall ist in dieser Hinsicht der Kanton Zürich. Das vom Parlament in mehreren Lesungen abgeänderte und im April dieses Jahres beschlossene Gesetz stellt eine pionierhafte Gleichbehandlung der erneuerbaren Gasnetze mit den Wärmenetzen her. Voraussetzung ist, dass das Gasnetz mit mindestens 80% erneuerbarem Gas betrieben wird oder im Falle eines geringeren Anteils der Hauseigentümer die für die Differenz erforderlichen Zertifikate dazukauft. Ist dies gewährleistet, kann ohne Weiteres eine Gasheizung als Wärmeerzeuger betrieben werden. Wenn ein Anschluss an ein Wärmenetz oder ein erneuerbares Gasnetz nicht infrage kommt, müssen zur Abwägung zwischen einem erneuerbaren und teilweise erneuerbaren System die Lebenszykluskosten betrachtet werden. Dazu gehören nebst Investitions- und Betriebskosten auch die im und am Gebäude notwendigen Zusatzinvestitionen. Solange diese höchstens 5% höher liegen, muss ein vollständig erneuerbares System eingebaut werden, typischerweise eine Wärmepumpe. Ansonsten sind, wie in den anderen Kantonen, nebst der Zertifizierung auf Minergie oder auf GEAK-Klasse D Standardlösungen aus den MuKEn 2014 vorgesehen, so zum Beispiel eine Wärmepumpe mit zusätzlicher Gasbrennwertheizung zur Spitzenlastabdeckung. Nachdem der Hauseigentümerverband das Referendum gegen das Gesetz ergriffen hat, kommt es am 28. November 2021 zur Volksabstimmung.

Herkunft der erneuerbaren Gase

Weitere Unterschiede zwischen den Kantonen gibt es bei der Herkunft der erneuerbaren Gase. Der Bund unterscheidet zolltechnisch nicht zwischen leitungsgebundenem importiertem erneuerbarem Gas und Erdgas. Beide sind der CO2-Abgabe unterstellt. Folglich ist erneuerbares Gas aus dem Ausland nicht als CO2-neutral im nationalen Treibhausgasinventar anrechenbar. Dies wäre jedoch für die Kantone die Bedingung, um es als erneuerbare Energie zu anerkennen. Zur Erfüllung der kantonalen Vorgaben kommen somit praktisch nur in der Schweiz hergestellte erneuerbare Gase infrage oder solche, die physisch, z. B. mittels Tankwagen, importiert werden. Einen Schritt weiter ging der Kanton Luzern, wobei dieser als erster Schweizer Kanton die erneuerbaren Gase im Energiegesetz anerkannte und somit nicht auf Erfahrungen aus anderen Kantonen zurückgreifen konnte: Er beschränkte die Herkunft der erneuerbaren Gase auf den eigenen und die angrenzenden Kantone. Eine parlamentarische Motion (M 310) fordert, diese Vorgabe unter dem Aspekt der Wirtschaftsfreiheit im Schweizer Binnenmarkt zu ändern. Sie wurde im Juni 2021 von der Luzerner Kantonsregierung positiv aufgenommen.

Unterschied beim Vollzug

Ein dritter gewichtiger Unterschied betrifft den Vollzug, wenn ein Haus­eigentümer beim Heizungsersatz auf erneuerbares Gas setzen möchte. Um zu gewährleisten, dass das neue Heizungssystem effektiv mit der nötigen Menge erneuerbarem Gas betrieben wird, stellten die Kantone zuerst auf die Baubewilligung ab. Der Baubewilligung sollte die Bestätigung beiliegen, dass der Eigentümer die für die gesamte Lebensdauer der Heizung (20 Jahre) erforderliche Menge an erneuerbarem Gas in Form von Zertifikaten beim Energieversorger im Vorabkauf erworben hatte. Diese Lösung ist aktuell in den Kantonen Luzern, Freiburg und Graubünden Standard und bringt verschiedene Nachteile mit sich. Aus Sicht des Hauseigentümers erhöht der Vorabkauf des Brennstoffs die Investitionskosten erheblich. Spätere energetische Massnahmen am Gebäude sind, finanziell gesehen, weniger attraktiv, weil sich bei einem niedrigeren Verbrauch die Zertifikate nicht mehr veräussern lassen. Auch von allfälligen Preissenkungen beim erneuerbaren Gas kann der Hauseigentümer nicht profitieren. Aus Sicht der Energieversorger kann der sprunghafte Anstieg der Nachfrage nach erneuerbarem Gas problematisch sein, weil sich die Zertifikate mit der Produktionsmenge decken müssen. Der VSG hat sich aus diesen Gründen für eine flexiblere Lösung stark gemacht. Statt dem Vorabkauf wird eine Bezugsvereinbarung zwischen Energieversorger und Hauseigentümer abgeschlossen. Der Energieversorger informiert Kanton und Gemeinde über Einhaltung oder Änderungen der Vereinbarung und gewährt Einsicht in die erforderlichen Daten. Der erste Kanton, der dieses Modell umgesetzt hat, war der Kanton Thurgau. Inzwischen sind Schaffhausen und Zürich, vorbehaltlich des Referendums, dazugekommen. St. Gallen und Schwyz bieten sowohl die Bezugsvereinbarung als auch den Vorabkauf als Vollzugsmodelle an.

Wie geht es bei den Kantonen weiter? 

Falls das neue CO2-Gesetz angenommen worden wäre, hätten Kantone, welche den Teil F der MuKEn 2014 (Erneuerbare Wärme beim Wärmeerzeugerersatz) bereits umgesetzt hatten, einen Aufschub erhalten: Die beim Heizungsersatz massgebende CO2-Emissionsgrenze von 20 kg pro Quadratmeter Energiebezugsfläche wäre für sie erst ab 2026 zur Anwendung gekommen. Diese Übergangsfrist motivierte einige Kantone, ihre kantonalen Energievorlagen bis Ende 2021 ins Trockene zu bringen. So zum Beispiel den Kanton Bern, der nach der knappen Ablehnung des Energiegesetzes durch das Volk im Jahr 2019 mit straffem Zeitplan die zweite Auflage der Revision aufgegleist hatte. Mit der Ablehnung des CO2-Gesetzes ist dieser Zeitdruck zwar weggefallen. Die kantonalen Energiegesetze haben aber wieder an Bedeutung gewonnen, weil die Kantone im Gebäudebereich das Heft weiterhin in der Hand haben. In dieser Dynamik reagieren die Kantone unterschiedlich. Nur wenige Wochen nach der nationalen Abstimmung standen in drei Innerschweizer Parlamenten die Energiegesetze zur Beratung an. Im Kanton Schwyz wurde die Vorlage deutlich angenommen, während sich Uri dafür entschied, die Beratung auszusetzen, bis die neue Ausgangslage auf Bundesebene geklärt sei. Auch im Kanton Zug entschied sich die Mehrheit des Parlaments, das Geschäft vorläufig von der Traktandenliste zu nehmen. Obschon das CO2-Gesetz im Kanton Glarus deutlich abgelehnt worden war, verschärfte die Landsgemeinde im September das kantonale Energiegesetz mit einem weitreichenden Verbot für fossile Heizungen. Weil die Revision der Energiegesetze im ersten Anlauf in der Volksabstimmung scheiterte, warteten die Kantone Aargau und Solothurn den Entscheid zum CO2-Gesetz ab. Inzwischen wurden in beiden Kantonen die Arbeiten an einer neuen Vorlage aufgenommen. Der Kanton Wallis eröffnete im Juni 2021 die Vernehmlassung zum revidierten Energiegesetz. Der Entwurf beschränkt die Anerkennung der erneuerbaren Gase beim Heizungsersatz auf den Einsatz in der Fernwärme. In den Kantonen Genf und Waadt ist der Zeitplan der Revision noch nicht bekannt. Allerdings wurden dort gewisse Vorgaben der MuKEn 2014 bereits auf dem Verordnungsweg übernommen.

Auch andere Strategie- und Massnahmenpläne beeinflussen die Energie- und Klimapolitik der Kantone und Gemeinden, allen voran die sogenannten Klimapläne. Diese zielen auf eine gesamtheitliche Betrachtung der Energie- und Klimafragen ab und setzen sich als strategisches Instrument bei Kantonen und Gemeinden immer mehr durch. Den Anfang machte die Westschweiz. So veröffentlichte der Kanton Genf im Juni 2021 bereits die zweite Auflage seines «Plan Climat». Ein solcher Klimaplan geht über den Gebäudebereich hinaus und kann weitere wichtige Themen der Gaswirtschaft behandeln, so zum Beispiel Wärme aus Biomasse, Sektorkopplung, die Entwicklung von saisonalen Speicherkapazitäten oder die CO2-Abscheidung und -Verwendung (CCU). Politische Vorstösse zur Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen werden daraus abgeleitet. Insbesondere die Schweizer Städte, die dem CO2-Gesetz durchs Band zugestimmt haben, treiben nun auf diesem Weg ihre eigene Klimapolitik voran.

Die Energiepolitik der Kantone wird in den nächsten Jahren noch an Bedeutung gewinnen. Nicht nur weil die Ablehnung des CO2-Gesetzes auf nationaler Ebene ein gewisses regulatorisches Vakuum schafft. Auch der technische Fortschritt führt dazu, dass sich insbesondere im Gebäudebereich neue Standards etablieren. Diesem Thema widmet sich die EnDK im Rahmen der nächsten Überarbeitung der MuKEn. Die EnDK liess bereits verlauten, dass die neuen Richtlinien die Dekarbonisierung des Gebäudesektors vorantreiben und den Ausbau der dezentralen Energieproduktion steigern sollen [3].

Bibliographie

[1] Verband der Schweizerischen Gasindustrie (2020): Thesen 2020 der Schweizer Gaswirtschaft
[2] Bundesamt für Energie: Botschaft zum Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien vom 18. Juni 2021, BBl 2021 1666
[3] Konferenz kantonaler Energiedirektoren: Energiedirektoren zur Versorgungssicherheit und Gebäudepolitik. Medienmitteilungvom 20. August 2021 

Herkunftsnachweis für erneuerbare Gase

Der Umstand, dass über das Gasnetz aus dem Ausland importierte erneuerbare Gase in der Schweiz nicht als CO2-neutral angerechnet werden, ist für die Gaswirtschaft und die Kundinnen und Kunden eine unbefriedigende Situation. Was fehlt, um beispielsweise Biogas aus Deutschland in der Schweiz als erneuerbare Energie anzurechnen, ist ein international verknüpftes Herkunftsnachweissystem (HKN), wie es im Strombereich bereits existiert. Ein HKN schafft Transparenz über Qualität und Herkunft der gelieferten Energie bzw. der Zertifikate. Es verhindert, dass eine bestimmte Menge an erneuerbarer Energie mehrfach zur Erreichung von Klimazielen angerechnet wird. Der Bundesrat hat gemäss geltendem Energiegesetz die Möglichkeit, auch für erneuerbare gasförmige Brenn- und Treibstoffe ein HKN einzurichten und arbeitet daran, per 2024 ein solches einzuführen. Bis dahin werden die Zertifikate für importiertes erneuerbares Gas weiterhin von der Clearingstelle des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie (VSG) verwaltet. Auf europäischer Ebene verfolgt die unabhängige Organisation European Renewable Gas Registry (ERGaR) das Ziel, die nationalen HKN miteinander zu verknüpfen und so den europaweiten Handel von Zertifikaten für erneuerbare Gase zu ermöglichen. Das System kam im Juli 2021 erfolgreich ein erstes Mal zur Anwendung.

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