Der Wärmebereich macht heute in der Schweiz rund 50 Prozent des Energieverbrauchs aus und verursacht mehr als 35 Prozent der Treibhausgasemissionen. Um das Klimaziel Netto-Null bis 2050 zu erreichen, ist die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung somit entscheidend. Kombiniert mit dem Ausbau der einheimischen erneuerbaren Energien kann die Auslandsabhängigkeit reduziert und die Versorgungssicherheit gestärkt werden. Das Potenzial ist vorhanden, um bis 2050 den Wärmebedarf der Schweiz vollständig mit erneuerbaren Energien und ohne fossile CO₂-Emissionen zu decken. In den Energieperspektiven 2050+ des Bundesamts für Energie (BFE) [2] ist die Strategie der Wärmewende anhand verschiedener Szenarien aufgezeigt. Wie dargelegt kann der Wärmebedarf der Schweiz bis 2050 ohne direkte CO₂-Emissionen aus fossilen Energien gedeckt werden. Unbestritten ist das Netto-Null-Ziel bei der Komfortwärme (Heizen von Gebäuden und Warmwasser), da hier kosteneffiziente Alternativen und bewährte Technologien zur Verfügung stehen. Bei der Prozesswärme in der Industrie ist dieses Ziel ebenfalls zu erreichen. Die Geothermie kann dabei sowohl im Komfortbereich als auch bei der Prozesswärme und der Speicherung einen wertvollen Beitrag leisten. Aktuell (Stand 2023) werden etwa 5% des schweizerischen Heizenergiebedarfs (4,5 TWh pro Jahr) durch Wärme aus Geothermieanlagen abgedeckt [3].
Die prinzipiellen Möglichkeiten der Geothermie sind in Figur 1 dargestellt. Die untiefen Systeme (Grundwassernutzung, Erdwärmesonden und Erdwärmesondenfelder) sind bereits weit entwickelt, werden vielfältig eingesetzt und entsprechen somit dem «Stand der Technik».
Die hydrothermale Nutzung im meist mittleren Tiefen ist zwar technisch entwickelt, aber es gibt in der Schweiz bisher nur wenige existierende Anlagen. Allerdings sind derzeit etwa 15 Projekte in der Realisierungsphase. Viel Erfahrung gibt es in dieser Technologie sowohl in Frankreich als auch in Deutschland. So gibt es im Pariser Becken und im Raum München bereits viele realisierte Anlagen.
Im Bereich der petrothermalen Geothermienutzung, meist mit Bohrtiefen von über 4000 m, steht die Stromerzeugung oder die kombinierte Strom- und Wärmenutzung im Vordergrund. Diese Technik befindet sich noch im Bereich der Entwicklungs- bzw Pilotphase. In diesem Kontext wird derzeit in der Schweiz das Projekt in Haute Sorne realisiert.
Die Nutzung von Erdwärmesonden und Grundwasserbrunnen als Wärmequelle (und Wärmesenke) für kleine und mittlere Gebäude ist bereits erprobte Technik. Zwischenzeitlich werden diese Techniken auch auf grosse Einzel-objekte und ganze Quartiere angewendet (Fig. 2).
Dabei kann die Geothermie idealerweise mehrfach genutzt werden:
Die Anwendungen liegen im Leistungsbereich von etwa 100 kW bis zu mehreren MW. Beispiele von ausgeführen grossen Anlagen sind das BaseLink-Areal in Allschwil (Primeo Wärme AG), ETH Zürich auf dem Hönggerberg (ETH Zürich Immobilien) oder auch das Suurstoffi-Areal in Rotkreuz (Zug Estates). Bei diesen grossen Anlagen steht immer eine kombinierte Nutzung von Wärme/Kälte in Zusammenhang mit meist saisonaler Abwärmespeicherung im Fokus.
Die hydrothermale Geothermie bezeichnet die Gewinnung von Wärme durch Bohrungen in wasserführenden Gesteinsschichten in ca. 500–2000 Meter Tiefe. An geeigneten Standorten wird natürlich vorhandenes heisses Wasser über eine Bohrung in einem geschlossenen Kreislauf an die Oberfläche befördert. Dort wird die Wärme über einen Wärmetauscher einer Wärmepumpe zugeführt oder direkt ins Fernwärmenetz eingespeist. Bei höheren Temperaturen kann diese Wärmequelle auch zur Stromproduktion genutzt werden. Das abgekühlte Wasser wird über eine zweite Bohrung wieder in die gleiche Schicht zurückgeleitet. Die hydrothermale Geothermie wird vor allem als Wärmequelle für Nah- und Fernwärmenetze genutzt sowie zur Beheizung und/oder Kühlung in der Industrie und der Landwirtschaft. Je nach Temperatur der genutzten Wärmequelle wird die Geothermieanlage noch mit einer Wärmepumpe kombiniert.
Die grösste Geothermieanlage der Schweiz versorgt das Fernwärmenetz der Gemeinde Riehen mit erneuerbarer Wärme (Fig. 3). Schweizweit werden derzeit mehr als 15 hydrothermale Geothermieprojekte realisiert, bei denen die Wärme meist für ein Fernwärmenetz verwendet wird.
Ohne dass man es sich bewusst ist, kommt man beim Besuch eines Thermalbades mit der Geothermie in direkten Kontakt. Denn dort wird das Funktionsprinzip und die Technik seit Jahrtausenden erfolgreich angewendet.
Geothermieanlagen können auch in Kombination mit Grosswärmepumpen im Bereich von bestehenden Fernwärmenetzen mit meist hohen Vorlauftemperaturen von teilweise über 100 °C eingesetzt werden. Grosswärmepumpen sind dabei in Verbindung mit Geothermie (meist hydrothermaler Geothermie) eine Schlüsseltechnologie für die Dekarbonisierung des Wärmesektors und werden eine entscheidende Rolle für das Erreichen dieser Ziele spielen. Geothermie mit Grosswärmepumpen in der Fernwärme stehen als zentrale Einrichtungen im Gegensatz zu dezentralen kleineren Wärmepumpen (auch mit Erdwärmesonden). Sie setzen eine ausreichend ergiebige Wärmequelle voraus, wofür sich hydrothermale Geothermiesysteme ideal eignen. Die Geothermie bietet hier eine ideal regelbare Grundlastwärmequelle auf einem hohen Temperaturniveau, was wiederum einen hohen Wirkungsgrad (COP) der Wärmepumpe ermöglicht. Ausserdem kann in der Regel die Anlage so kombiniert werden, dass auch die Geothermiewärme direkt (oder zumindest teilweise direkt) genutzt werden kann und die Wärmepumpe nur bei Bedarf zugeschaltet werden muss.
Gemäss der Studie der aeesuisse [1] liegt das wirtschaftlich nutzbare Potenzial in der Schweiz bei über 8 TWh pro Jahr.
Eine zuverlässige und ortsunabhängige Erschliessung der Tiefengeothermie für die Strom- und Wärmeproduktion ist Gegenstand weltweiter Arbeiten. Dies ist im Wesentlichen bei der petrothermalen Geothermie der Fall. Dabei kann im Gegensatz zur hydrothermalen Geothermie nicht auf natürlich vorhandenes Thermalwasser zurückgegriffen werden. Die petrothermale Geothermie «sitzt auf dem Trockenen». Dennoch kann die natürliche Wärme des heissen Gesteins in grossen Tiefen (meist mehr als 3000 m) genutzt werden. Dabei wird in künstlich vergrösserte Risse und Klüfte unter hohem Druck Wasser eingepresst. Das Wasser erhitzt sich im heissen Gestein. Eine Förderbohrung pumpt das heisse Wasser dann wieder an die Erdoberfläche. Dort kann es wie bei der hydrothermalen Geothermie über Wärmetauscher für die Wärmeversorgung und für die Stromerzeugung genutzt werden. Nun soll in der jurassischen Gemeinde Haute-Sorne die erste Anlage in der Schweiz entstehen. Die Geo-Energie Suisse AG hat dazu mit dem Multi-Stage-Stimulationskonzept ein neues innovatives Verfahren entwickelt, um im Festgestein unabhängig von natürlichen Heisswasservorkommen ein geothermisches Reservoir schaffen zu können. Das Verfahren reduziert das Erdbebenrisiko erheblich. 2021 gelang der technische Nachweis für die Machbarkeit. Die erste Bohrung ist bereits abgeteuft, gemäss heutigem Planungsstand sollte die Anlage Ende des Jahrzehnts in Betrieb gehen (Fig. 4).
Die Wärmespeicherung ist eine gute Option, um das Energiesystem im Wärmesektor zu dekarbonisieren und die im Sommer reichlich vorhandene Ressourcen (Kehrichtverwertungsanlagen, Solarenergie, Klimaanlagen, Industrieabwärme usw.) von der Phase abzukoppeln, um sie im Winter zu nutzen. Die Entnahme von Wärme im Winter aus kalten Quellen (Untergrund, Grundwasser) und deren aktive Regeneration im Sommer würde darüber hinaus Antworten auf den mit dem Klimawandel steigenden Kühlungsbedarf bieten (Kältespeicherung). Die Speicherung im Untergrund hat den Vorteil, dass grosse Volumina mit einer geringen Grundfläche mobilisiert werden können und dass das Betriebstemperaturniveau je nach Tiefe des Speichers mehr oder weniger moduliert werden kann. Bei Erdwärmesondenspeicher (Borehole Thermal Energy Storage, BTES) Grundwasserspeicher (Low Temperature Aquifer Thermal Energy Storage, LT-ATES) kann durch die Speicherung und den Verkauf von Wärme UND Kälte der Geschäftsplan verbessert und eine bessere Nachhaltigkeit der Nutzung des Untergrundes gewährleistet werden.
Wärmespeicherung ist immer dann sinnvoll, wenn bei Wärmeangebot und Nachfrage eine fehlende zeitliche (oder räumliche) Übereinstimmung vorliegt und wenn dazu «überschüssige» Energie (erneuerbar, Abwärme, Restwärme, nicht verwertbar) zur Verfügung steht.
Die Speicherung im Untergrund bietet neben den oben genannten Vorteilen die Möglichkeit, das Betriebstemperaturniveau je nach Tiefe des Speichers mehr oder weniger zu verändern. Lagerstätten in geringer Tiefe sind günstig für die Speicherung von Kälte (~10 °C) und tiefer gelegene Lagerstätten sind günstig für die Speicherung von Wärme bei höheren Temperaturen (Fig. 5).
Man unterscheidet dabei im Prinzip drei Systeme:
Borehole Thermal Energy Storage (BTES) entspricht Erdwärmesondenfeldern (EWS-Felder), die in der Schweiz weit verbreitet sind. Die einzelnen EWS haben in der Regel einen Abstand von 4 bis 6 m, was ein grosses Volumen in den EWS-Feldern erzeugt und somit die Speicherung von Wärme im Untergrund ermöglicht. In der Schweiz legt die SIA-Norm 384/6 fest, dass die Dimensionierung mit Hilfe einer Berechnungssoftware wie EWS/EED durchgeführt werden muss. Die Technologie ist in der Schweiz ausgereift und rentabel.
Low Temperature Aquifer Thermal EnergyStorage, kurz LT-ATES, entspricht in der Regel Dubletten in Grundwasser mit einem geringen hydraulischen Gradienten, d. h. einer geringen Fliessgeschwindigkeit zwischen den Brunnen. Das Potenzial hängt im Wesentlichen von der Mächtigkeit und der hydraulischen Leitfähigkeit des Grundwasserkörpers und dem Temperaturunterschied (ΔT) zwischen dem entnommenen und dem zurückgegebenen Grundwasser ab. In der Schweiz schreibt der gesetzliche Rahmen vor, dass die Wärmegewinnung oder -einspeisung in das Grundwasser die natürliche Temperatur des Grundwassers in einem Umkreis von 100 m um den Erschliessungspunkt um nicht mehr als 3 °C verändern darf. Die Speicherung in einem LT-ATES wird oft in Zusammenhang mit einem Niedertemperaturnetz (Anergienetz) oder auch mit Abwärme kombiniert mit Wärmepumpen und Fernwärmenetz angewendet. Die Technologie ist in mehreren europäischen Ländern mit günstigen Untergrundbedingungen, z. B. in den Niederlanden, ausgereift und rentabel.
In der Schweiz gibt es einige Beispiele für Grundwasserspeicher: Swatch in Biel, Jargonnant in Genf, Tech Cluster Zug. Weitere Anlagen (Flughafen Zürich etc.) sind bereits in der Bearbeitung.
High Temperature Aquifer Thermal Energy Storage, kurz HT-ATES, beruht auf denselben Prinzipien wie LT-ATES, jedoch mit Wasser, das mit höheren Temperaturen eingespeichert wird. Im Allgemeinen werden Aquifere mit einer Temperatur von über 25 °C (in der Regel in über 500 m Tiefe) als potenzielle HT-ATES betrachtet. Diese Systeme sind noch wenig entwickelt, bieten aber ein grosses Potenzial zur Speicherung grosser Mengen an Abwärme (z. B. Projekt Forsthaus in Bern). Allerdings speichern sie nur Wärme, während LT-ATES-Systeme sowohl Wärme als auch Kälte speichern können. Die wichtigste Ressource, auf die diese Speicher abzielen, ist ungenutzte Abwärme von Kehrichtverwertungsanlagen im Sommer oder Abwärme aus anderen Industriezweigen. Mittelfristig ist es auch denkbar, im Sommer grosse Mengen an Solarwärme zu speichern, wie es in Dänemark bereits praktiziert wird. Die Speicherung in einem HT-ATES wird für grosse Anwendungen konzipiert und oft mit einer Grosswärmepumpe für ein Fernwärmenetz kombiniert
Die Geothermie kann mehrfach zumNetto-Null-Ziel des Bundesrats beitragen. Allein im Wärmebereich – bei der Produktion und bei der Speicherung – liegt das wirtschaftlich nutzbare Potenzial der Geothermie bei über 20 TWh/a [1]. Geothermie ist bereits heute in vielen Bereichen ein wichtiger Baustein bei der erneuerbaren Wärmeversorgung. Dabei sind noch viele Möglichkeiten der Nutzung des Untergrundes nicht ausgeschöpft, die einen wesentlichen Beitrag zur Wärmewende leisten können.
Die Anwendungen reichen vom Einfamilienhaus mit einer Erdwärmesonde über Grundwassernutzungen, aber auch grossen Speicherlösungen mit saisonalen Speichern und kombinierten Wärme-Kältenutzungen bis zur Nutzung von Tiefengeothermie mit oder ohne Wärmepumpen in Fernwärmenetzen sowie zur Stromerzeugung. Die verschiedenen Technologien können je nach Bedarf kombiniert werden und bilden oft eine optimale Ergänzung zu anderen erneuerbaren Wärmeerzeugern wie Biomasse oder Kehrrichtverbrennung.
Die Stromerzeugung mit Geothermie ist derzeit noch in der Pilotphase und wird in den nächsten Jahren weiter entwickelt werden.
[1] aee suisse (2020): Erneuerbare- und CO₂-freie Wärmeversorgung Schweiz (2020)
[2] BFE (2023): Wärmestrategie 2050
[3] Geo-Future GmbH (2023): Statistik der geothermischen Nutzung in der Schweiz
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