In der Energiediskussion werden unter dem Begriff «Biomasse» alle pflanzlichen und tierischen Stoffe zusammengefasst, aus denen sich WĂ€rme, Strom oder Bewegungsenergie gewinnen lassen. Die wichtigste Biomassefraktion ist Holz. Sie wird in Form von Pellets, Hackschnitzeln oder StĂŒckholz zur Energieproduktion genutzt. Der EnergietrĂ€ger Holz ist begehrt, denn er ist oft lokal verfĂŒgbar, einfach zu handhaben und gilt als CO2-neutral, sofern bei der Verbrennung nur so viel Treibhausgas entsteht, wie der AtmosphĂ€re beim Wachstum der BĂ€ume entzogen wurde.
GemĂ€ss der schweizerischen Holzenergiestatistik nutzten die im Jahr 2021 installierten Holzfeuerungen insgesamt 5,8 Millionen Kubikmeter bzw. 16'000âGWh Energieholz. Das entspricht gut drei Vierteln des nachhaltig nutzbaren Energieholzpotenzials. Auch wenn der EnergietrĂ€ger Holz in der Schweiz noch nicht voll ausgeschöpft ist, plĂ€dieren Fachleute wie Andreas Keel, GeschĂ€ftsfĂŒhrer des Verbandes Holzenergie Schweiz, fĂŒr die energetische Nutzung «neuer» Biomassen wie Pferdemist-ÂEinstreu, HĂŒhnerfedern oder MĂŒllereiresten. Hier bestehe ein nutzbares Potenzial von 9000âGWh (32âPJ) pro Jahr, sagte Andreas Keel im Herbst 2022 anlĂ€sslich einer Fachtagung.
Die Basler Firma Kaskad-E GmbH, die Fachhochschule Nordwestschweiz in Windisch und die Bioburn AG, Zell, gingen in dem vom BFE unterstĂŒtzten Forschungsprojekt PyroChar der Frage nach, ob bzw. wie dieser Schatz an erneuerbarer Energie gehoben werden kann. Zur Energiegewinnung werden Holz und andere Biomassen in der Regel verbrannt. Alternativ kann Biomasse unter Luftabschluss verkohlt werden. Bei diesem Prozess â der Pyrolyse â wird das organische Material in Kohle umgewandelt: Aus Holz wird Holzkohle, aus pflanzlichen Substraten Pflanzenkohle. ZusĂ€tzlich entsteht ein Gemisch aus gasfoÌrmigen (H2, CO, CO2, CH4) und fluÌssigen Phasen (Teer), aus dem durch Verbrennung WĂ€rme gewonnen werden kann. «Rund die HĂ€lfte der Ausgangsenergie wird dabei in WĂ€rmeenergie umgewandelt, die zum Beispiel in FernwĂ€rmenetzen genutzt werden kann», sagt Stephan Gutzwiller, PyroChar-Projektleiter und Inhaber der Firma Kaskad-E, die Pyrolyseanlagen plant und baut. Pflanzenkohle wird als Tierfutter und Bodenverbesserer verwendet und kann auch als Zuschlag fĂŒr Baustoffe eingesetzt werden (Box unten).
Das PyroChar-Forschungsteam untersuchte 32 Arten von Biomassen und zog nach einer ersten Beurteilung sechs in die engere Wahl: Pferdemist-Einstreu; MĂŒllereinebenprodukte (Weizenkleie und Gerstenabgang); AbfĂ€lle aus Kaffeeröstereien; Rinde von Waldholz; Holzsiebreste aus der FeststoffvergĂ€rung; Holzsiebreste aus der Kompostierung. Aus den sechs Substraten wĂŒrden sich bei einer rein energetischen Verwertung (also Verbrennung, nicht Pyrolyse) rund 3490âGWh (12âPJ) pro Jahr gewinnen lassen, errechneten die PyroChar-Forscher.
Am grössten ist das nachhaltig nutzbare energetische Potenzial von Rinde: rund 1700âGWh pro Jahr. Wird aus den Substraten nicht nur Energie hergestellt, sondern gleichzeitig auch Pflanzenkohle, dann halbiert das den Energieertrag. Aus dem EnergietrĂ€ger Waldholzrinde liessen sich in diesem Fall pro Jahr 71'735ât Pflanzenkohle und rund 850âGWh Energie gewinnen. In der Grafik wird das «nachhaltige» Energiepotenzial jeweils mit dem «zusĂ€tzlich nutzbaren» Energiepotenzial gleichgesetzt. Das ist nicht ganz korrekt, denn ein (kleiner) Anteil der Substrate wird heute schon energetisch genutzt, wenn z.âB. KaffeeröstereiabfĂ€lle in einer Kehrichtverbrennungsanlage verbrannt werden.
Ein Team um Prof. Timothy Griffin vom Institut fĂŒr Biomasse und Ressourceneffizienz der FHNW untersuchte die sechs Substrate in einer Pyrolyse-Laboranlage in Windisch â zum einen auf die Abgasemissionen wĂ€hrend der Verkohlung, zum anderen auf die stoffliche Zusammensetzung der Pflanzenkohle. Drei der Substrate erwiesen sich als besonders erfolgversprechend: Waldholzrinde, Weizenkleie und KaffeeröstereiabfĂ€lle. Sie wurden anschliessend auf zwei kommerziellen Pyrolyseanlagen in Basel und Stettlen BE zusĂ€tzlichen Messungen unterzogen.
Als «geeignet» fĂŒr die Herstellung von Energie und Kohle beurteilt das Projektteam die Rinde von Waldholz. Damit bei dem Pyrolyseprozess der Grenzwert der Luftreinhalte-Verordnung fĂŒr Schwefeldioxid (SO2) eingehalten wird, dĂŒrfte allerdings eine Entschwefelung erforderlich sein. Die Messungen ergaben fĂŒr die Pflanzenkohle zudem leicht erhöhte Werte beim Schwermetall Zink und bei der Schadstoffgruppe der PAK (Polyaromatische Kohlenwasserstoffe). Die Pflanzenkohle könnte gemĂ€ss dem europĂ€ischen EBC-Regelwerk (fĂŒr: European Biochar Certificate) somit zwar als Bodenzuschlag in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt werden, nicht aber als Tierfutter oder im Biolandbau. Denkbar wĂ€re auch ein Zuschlag in Baustoffen. Rinde ist ein naturbelassener Holzbestandteil und darf nach aktueller Schweizer Gesetzeslage fĂŒr die Herstellung von Pflanzenkohle genutzt werden.
Pflanzenkohle aus Weizenkleie (MĂŒllereiabfall) und KaffeeröstereiabfĂ€llen hingegen hĂ€tte in der Schweiz heute noch keine Zulassung. Doch auch diese Substrate eignen sich gemĂ€ss den PyroChar-Forschern grundsĂ€tzlich zur Produktion von Energie und Pflanzenkohle. Erforderlich wĂ€ren Massnahmen zur Verminderung der Stickoxid- und Schwefeldioxidemissionen, und der Gehalt an Schwermetallen (Zink, Kupfer) schrĂ€nkt die Verwendung in der Landwirtschaft ein.
Skeptisch Ă€ussern sich die Wissenschaftler zur Verwendung der ĂŒbrigen drei Substrate: Pferdemist-Einstreu und Holzsiebreste aus der FeststoffvergĂ€rung stossen bei der Verbrennung des Pyrolysegases problematische Dioxinmengen aus, wenn man die sehr strengen Grenzwerte heranzieht, die fĂŒr die Abfallverbrennung gelten. Bei den Holzsiebresten aus der Kompostierung spricht die Verunreinigung des Substrats durch Steine gegen eine wirtschaftliche Verkohlung. Die PyroChar-Forscher betonen, die registrierten Schadstoffwerte sollten durch weitere Messungen erhĂ€rtet werden. Ob die gemessenen Werte tatsĂ€chlich problematisch sind, hĂ€ngt davon ab, ob man die Grenzwerte fĂŒr Anlagen zum Verbrennen von biogenen AbfĂ€llen und Erzeugnissen der Landwirtschaft (Luftreinhalte-Verordnung [LRV], Art. 74) oder fĂŒr Anlagen zum Verbrennen von Siedlungs- und SonderabfĂ€llen (LRV, Art. 71) heranzieht. Zu dieser Frage besteht KlĂ€rungsbedarf.
Die drei aussichtsreichsten Substrate â Rinde, Weizenkleie, RöstereiabfĂ€lle â haben bei Verwertung durch Pyrolyse ein energetisches Potenzial von jĂ€hrlich bis zu 1200âGWh (4,3âPJ), was in etwa dem jĂ€hrlichen WĂ€rmebedarf von 80â000 EinfamilienhĂ€usern entspricht. Hierbei ist zu beachten, dass vor allem RöstereiabfĂ€lle, aber auch Rinde schon heute teilweise in Biogasanlagen und Kehrichtverbrennungsanlagen energetisch genutzt werden. ZusĂ€tzlich entstĂŒnden rund 100'000ât Pflanzenkohle pro Jahr, was in der Grössenordnung dem 25-Fachen der heutigen Inlandproduktion entspricht.
Welche Bedeutung die Herstellung von Energie und Kohle aus Holz und anderen Biomassen kĂŒnftig haben wird, ist noch kaum absehbar. «Je holzaÌhnlicher ein Substrat ist, desto besser eignet es sich fuÌr die Pflanzenkohleherstellung. Daher wird wohl auch in Zukunft Holz â auch mengenmaÌssig â der wichtigste Ausgangsstoff fuÌr die Pflanzenkohleherstellung sein», stellt der PyroChar-Schlussbericht fest. FHNW-Professor Timothy Griffin sieht fĂŒr die Nutzung «neuer» Biomassen ein erhebliches Potenzial: «Oft besteht ein wirtschaftliches InteÂresse daran, diese Reststoffe auf andere Weise als bisher zu verwerten. Unsere technooÌkonomischen Analysen zeigen, dass die ErtraÌge aus dem Verkauf von Pflanzenkohle und WaÌrme sehr attraktiv sein koÌnnen. Hinsichtlich der Umweltauswirkungen zeigen OÌkobilanzen, dass die Pyrolyse im Vergleich zu ihrer derzeitigen Verwendung oft vorteilhaft ist.»
Die Verkohlung (Pyrolyse) von Holz hat eine lange Tradition. Holzkohle war frĂŒher in der Metallverarbeitung verbreitet, da sie höhere Temperaturen ermöglicht als die Verbrennung von Holz und gleichzeitig als Reduktionsmittel dient. Heute kommt Holzkohle in unseren Breitengraden hauptsĂ€chlich im Grill zum Einsatz, wo sie eine lang anhaltende Glut ohne Flammen und Rauch bereitstellt.
Holz- und Pflanzenkohle werden in jĂŒngster Zeit als CO2-Speicher diskutiert. Mischt man solche Kohlen nĂ€mlich dem Erdreich bei, wird der in der Kohle gebundene Kohlenstoff langfristig der AtmosphĂ€re entzogen. Es handelt sich in diesem Fall um eine sogenannte Negativemissionstechnologie (NET). In Zahlen: Rund 40% des im Holz gebundenen Kohlenstoffs entweichen bei der Verbrennung der Pyrolysegase als CO2 in die Umwelt, aber ca. 60% werden in Pflanzenkohle umgesetzt und können in dieser Form langfristig im Boden eingelagert werden. In der Schweiz ist Pflanzenkohle seit 2016 â sofern sie aus naturbelassenem Holz hergestellt wurde â als Bodenzuschlagstoff zugelassen, seit 2018 auch im Biolandbau.
Bei der Verkohlung von Holz und anderen Biomassen entstehen Energie, Holz- und Pflanzenkohle. (Illustration: © B. Vogel)
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Sandra Hermle, Leiterin des BFE-Forschungsprogramms Bioenergie, sandra.hermle@bfe.admin.ch
Der Schlussbericht zum Forschungsprojekt «PyroChar â Erweiterung von Biomasse-Substraten fĂŒr zusĂ€tzliche Energie- und Pflanzenkohleproduktion» ist abrufbar unter:
www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=45240
Weitere FachbeitrĂ€ge ĂŒber Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Bioenergie:
www.bfe.admin.ch/ec-bioenergie
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