2011 haben die Zuger Stimmbürger Ja zur Volksinitiative «2000 Watt für Zug» gesagt, deren Ziel es ist, in der Stadt Zug langfristig die Werte einer 2000-Watt-Gesellschaft anzusteuern. Als Zwischenziel sollen bis 2050 der CO2-Ausstoss auf zwei Tonnen pro Person und Jahr, der Primärenergieverbrauch auf 3500 Watt gesenkt werden. Dafür sollen unter anderem die Erneuerungsrate von Gebäuden erhöht, der Gebäudestandard verbessert und ein Grossteil der fossil betriebenen Heizungen auf lokale Umweltwärme umgestellt werden; heute gewinnt man rund 85% der Wärmenutzung der Stadt Zug aus fossiler Energie.
Im Rahmen der Umsetzung der Initiative gaben Stadt und Kanton 2014 eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, die unter anderem das Potenzial von Seewasser zur Deckung des Wärme- und Kältebedarfs öffentlicher und privater Liegenschaften aufzeigen sollte. Sie bestätigte, dass das Heizen und Kühlen der Stadtquartiere mit Seewasser möglich ist. Seen sind riesige Energiespeicher, und die Lage der Stadt Zug am Zugersee ist in dieser Hinsicht ideal.
Andreas Widmer, CEO des Zuger Versorgungsunternehmens WWZ AG, gab daraufhin den Startschuss für die Ausarbeitung einer Vorstudie für einen solchen Energieverbund: «WWZ engagiert sich seit ihren Anfängen vor mehr als 125 Jahren für visionäre Versorgungsprojekte in der Region. Mehr denn je erachten wir es heute als unsere Mitverantwortung, eine proaktive, tragende Rolle bei der Umsetzung von Energielösungen für die kommenden Generationen zu übernehmen.»
Erstgespräche mit potenziellen Ankerkunden liessen auf ein grosses Interesse schliessen, und innert kurzer Zeit waren erste Absichtserklärungen mit Industriebetrieben und Investoren von Arealüberbauungen unterzeichnet. Gleichzeitig begann WWZ mit der Ausarbeitung von Teilprojekten: Leitungsverläufe und Clusterkonzepte für die Quartierversorgung galt es zu beurteilen, mögliche Seewasser-Fassungspunkte wurden analysiert, aber auch Überbrückungslösungen für Interessenten mit zeitnahem Versorgungsbedarf wurden ausgearbeitet.
Im Endausbau, der um 2040 erwartet wird, soll dank Circulago der CO2-AusÂstoss um 80 Prozent gesenkt werden können. WWZ-CEO Andreas Widmer: «Circulago leistet einen bedeutenden Beitrag zur regionalen erneuerbaren Energiezukunft. Im Endausbau streben wir eine jährliche Reduktion von 25 000 Tonnen CO2 an. Dies entspricht dem Ausstoss von mehr als 4000 durchschnittlichen Autos bei einer Erdumrundung.» In die Realisierung des Generationenprojekts investiert WWZ mehr als 100 Millionen Franken.
 Die ersten Bauetappen von Circulago koordiniert WWZ mit der Stadt Zug, die zeitgleich eine neue Hauptvorflutleitung realisiert, die das Regenwasser aus dem dicht besiedelten Norden der Stadt in den See transportiert. Auf derselben Achse verlaufen die ersten Leitungsabschnitte des neuen Energieverbunds, was beträchtliche bauliche Synergien bietet: Im südlicheren Bereich nahe des Sees werden im selben Verfahren zwei parallele Tunnels gebaut – einer für die Entwässerung und einer für die Energieversorgung; im Norden der Stadt werden die Circulago-Leitungen im Inneren des Meteorkanals verlegt werden.
Das Tiefbauprojekt erfolgt mit Microtunneling – ein grabenlosens Rohrvortriebsverfahren, das trotz der Dimensionen (insgesamt wird auf einer Länge von 2,8 Kilometern gegraben) die baulichen Belastungen für Anwohner und Verkehr markant reduziert, da es ein Aufreissen ganzer Strassenzüge vermeidet.
Hinzu kommt, dass sich der Leitungsbau in rund acht bis zehn Metern Tiefe so auch viel schneller realisieren lässt, als dies konventionell möglich wäre. «Es ist ideal, dass wir den Bau des Rückgrats von Circulago mit dem Entwässerungsprojekt der Stadt koordinieren können», kommentiert Andreas Widmer. «Wir können so einen beträchtlichen Teil des künftigen Versorgungsperimeters innert nützlicher Frist erschliessen.»
Die Taufe des Bohrkopfs durch eine Frau als Patin hat im Tunnelbau Tradition. Sie amtet während der Bauphase als irdische Vertreterin der heiligen Barbara, Schutzpatronin der Bergleute, und soll den Mineuren Glück bringen.
Mit der Taufe des Bohrkopfs «Isabelle» durch die im Kanton Zug aufgewachsene Musicaldarstellerin Isabelle Flachsmann ging am 7. Juli 2017 Circulago in Bau. Das Pionierprojekt in Sachen städtische Energieversorgung soll dereinst weite Teile der Stadt Zug und des nördlich angrenzenden Gebiets Baar-Süd mit Wärme- und Kälteenergie für Brauchwasser, Heizung und Raumklima versorgen.
Für das Einbringen des Bohrkopfes und der Rohrelemente wurden zwei Startschächte gebaut, für die Entnahme des Bohrkopfes sind drei Zielschächte nötig. Im Startschacht wird zuerst die Pressstation mit ihren vier Hydraulikzylindern an der Rückwand installiert. Die Schachtwand ist so dimensioniert, dass sie Anpresskräfte von bis zu 1000 Tonnen aufnehmen kann. Für das Graben des Tunnels werden dann der Bohrkopf samt Schneidrad sowie die Maschinenrohre, in denen sich der Steuerzylinder befindet, vor der Pressstation positioniert. Während des Grabens wird der Aushub im Bohrkopf mit einer Bentonitsuspension quasi verflüssigt und über Förderleitungen in eine Separieranlage auf den Bauplatz des Startschachts gepumpt. Dort wird das Erdreich von der Suspension getrennt und diese dem Förderkreislauf wieder zugeführt.
Während sich der Bohrkopf langsam durch das Erdreich gräbt, wird das Gesamtsystem gleichzeitig von der Pressstation nachgeschoben. Alle drei oder vier Meter wird – je nach Grösse – ein neues Betonrohrelement in den Schacht gelassen und auf das davorliegende Rohrelement gesteckt. Begünstigt wird der Vortrieb, der rund um die Uhr von einem Bohrmeister überwacht wird, vom verhältnismässig weichen städtischen Untergrund aus Sand, Seekreide und Lehm.
Der Steuerzylinder im Bohrkopf und die flexiblen Dichtungen zwischen den Betonrohrelementen erlauben es dem Bohrmeister, leichte Radien zu fahren. Dies ist unter anderem vor der Unterquerung des SBB-Viadukts in Richtung See der Fall, wo sich der Circulago-Tunnel, der anfangs neben dem Meteorkanal-Tunnel gefĂĽhrt wird, aus PlatzgrĂĽnden ĂĽber diesen schiebt.
Im Zielschacht werden Bohrkopf und Steuerzylinder demontiert und geborgen, die Leitung für den Betrieb vorbereitet, die Baugruben zu Kontrollschächten umgebaut und anschliessend wieder zugeschüttet.
Circulago übertrifft alle gängigen gebäudeenergetischen Anforderungen wie jene der MuKEn 2014 und eignet sich für Neubau- wie auch für Sanierungsprojekte gleichermassen. Solche clusterbasierten Konzepte sind insbesondere für die Versorgung dichter innerstädtischer Gebiete optimal, bieten sie nicht zuletzt die Möglichkeit, erneuerbare Energielösungen im städtischen Ballungsraum bedarfsgerecht zu realisieren.
Dass Zug auch in Zukunft wachsen wird, ist unbestritten. Die Verdichtung des innerstädtischen Raums wird im neuen städtischen Hochhausreglement geregelt. Dieses definiert, in welchen Zonen künftig bis in welche Höhe gebaut werden darf. Hochhäuser können nur noch auf Arealen innerhalb eines festgelegten Vedichtungsgebiets gebaut werden. Dies sorgt nicht zuletzt auch für Circulago für langfristige Planungssicherheit.
Das Wasser des Zugersees wird rund 400 Meter vor dem Ufer in einer Tiefe von 26 Metern gefasst. Hier beträgt die Wassertemperatur das ganze Jahr zwischen vier und acht Grad Celsius. Über einen Seiher fliesst es durch die Seewasserleitung in die Seewasserzentrale.
Die Seewasserzentrale wird unterirdisch in der Schützenmatt gebaut, einem Gebiet direkt am Seeufer. Sie ist Schnittstelle zwischen der Energiequelle (Zugersee) und dem Verteilnetz (kalte Fernwärmeleitung), welches die über die Stadt verteilten Energiezentralen mit der Quellenergie für die Wärme-/Kältegewinnung versorgt. Zudem ist in der Seewasserzentrale die Technik für die Überwachung und Steuerung des Gesamtsystems untergebracht.
In der Seewasserzentrale wird die Energie des Seewassers via Plattenwärmetauscher (im Endausbau vier Stück à 3 MW) an ein zweites, geschlossenes Verteilnetz – die kalte Fernwärmeleitung – übergeben. Die hydraulische Trennung zwischen Seewasser und kalter Fernwärme verhindert eine organische Verschmutzung grösserer Leitungsabschnitte. Als Wärmeträgermedium wird in der kalten Fernwärmeleitung ein Wasser-Frostschutz-Gemisch eingesetzt, das die Betriebssicherheit der Wärmepumpen erhöht und eine grössere Temperaturspreizung erlaubt. Die Vorlauftemperatur der kalten Fernwärme wird über die vier Pumpen des Seewasserkreislaufs reguliert.
Das Seewasser wird anschliessend zurückgeleitet und dem See 290 Meter vor dem Ufer und 2,5 Meter über Grund zurückgegeben – anfangs direkt, im Endausbau zwecks Einhaltung der vorgegebenen maximalen Temperaturdifferenz zwischen Fassung und Rückgabe über einen Mischer.
Und der Einfluss auf die Seetemperatur?
Eine Studie der Eawag hat nachgewiesen, dass Circulago auch im Vollausbau einen vernachlässigbar kleinen Einfluss auf die Seetemperatur haben wird.
Ebenfalls in der Seewasserzentrale sind vier Fernleitungspumpen untergebracht. Diese sorgen für den Betrieb des Zwischenkreislaufs und die Versorgung der Quartierzentralen mit Energie. Die Vorlauftemperatur dieser kalten Fernwärme beträgt zwischen 4 und 8 Grad Celsius. Daraus wird in den Quartierzentralen Wärme und Kälte gewonnen.
Für die Wärmeerzeugung (Bandlast) sorgen industrielle Grosswärmepumpen mit typischerweise 1 bis 1,5 MW Erzeugerleistung. Sie erhöhen das Temperaturniveau auf 70 Grad Celsius und übergeben diese Energie an ein konventionelles Fernwärmenetz. Beim Kunden wird die Wärmeenergie dann per Wärmetauscher an die gebäudeeigenen Systeme für Heizung und Warmwasser abgegeben.
Für die Abdeckung von Spitzenlasten werden zudem Erdgas/Biogas-Heizungen in den Quartierzentralen installiert. «Wir rechnen damit, dass wir maximal 15 Prozent der Energie mit dieser Reserve abdecken müssen», erklärt der Gesamtprojektleiter Thomas Tschan.
Die Kälte wird in den Quartierzentralen mittels Wärmetauscher direkt vom Zwischenkreislauf an ein konventionelles Fernkältenetz übertragen und mit einer Vorlauftemperatur von 10 Grad Celsius an die angeschlossenen Gebäude verteilt, wo sie ebenfalls per Wärmetauscher an die gebäudeeigenen Systeme abgegeben wird – für Raumklima oder das Kühlen von Serverräumen.
Der Endausbau von Circulago ist um 2040 vorgesehen. Die Erschliessung von Zug und Baar-Süd erfolgt etappiert, abgestimmt auf die Kundenbedürfnisse; erste Gebäude können in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres angeschlossen und versorgt werden.
Standort und Dimensionierung einer neuen Quartierzentrale sind typischerweise abhängig vom Anschlussinteresse eines Ankerkunden, von seinem Energiebedarf sowie möglichen Räumlichkeiten. Hinzu kommt das Anschlusspotenzial weiterer Objekte in der Nachbarschaft, was bei der Dimensionierung der Zentrale ebenfalls berücksichtigt wird.
Eine der ersten Circulago-Quartierzentralen entsteht im Zusammenhang mit dem Neubauprojekt einer Wohnbaugenossenschaft im Nordosten der Stadt. Sie wird im Untergeschoss einer der drei neuen Liegenschaften realisiert und soll nebst 40 Genossenschaftswohnungen später auch weitere Objekte in der Umgebung versorgen.
Kunden erhalten ein Rundum-sorglos-Paket: WWZ übernimmt alle baulichen und Unterhaltsmassnahmen bis und mit Wärmetauscher beim Kunden. «Wir rechnen damit, dass sich zwischen 50 und 60 Prozent der im Versorgungsperimeter in Frage kommenden Kunden für Circulago entscheiden», prognostiziert Thomas Tschan.
Während des gesamten Microtunnelings, das noch bis Mitte 2018 andauert, bieten WWZ und die Stadt Zug Interessierten die Möglichkeit, die Baustelle unter fachkundiger Leitung zu besichtigen. Allein in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres haben 1200 Personen diese Möglichkeit genutzt und sich vor Ort ein Bild von der Zukunft der Stadtentwässerung und der städtischen Energieversorgung gemacht.
Die heutige WWZ AG wurde 1892 gegründet, die Ursprünge gehen aber bis ins Jahr 1878 zurück. Anfänglicher Unternehmenszweck war es, die Bevölkerung und das Gewerbe in Zug zuverlässig mit Wasser und Elektrizität zu beliefern. In den 1970er-Jahren begann das Unternehmen mit dem Aufbau des Fernsehnetzes – Basis des heute flächendeckenden Glasfaserkabelnetzes – und schloss die Region 1990 an das europäische Erdgasnetz an. Heute zählt die privatwirtschaftliche Unternehmensgruppe mit über 400 Mitarbeitenden zu den 100 grössten Arbeitgebern in der Zentralschweiz und versorgt Kunden im Kanton Zug und darüber hinaus mit Wasser, Strom, Gas, Wärme und Telekommunikation.
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