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Fachartikel
10. Januar 2025

Praxisbeispiele für Industrie und Klimaschutz

Wärme- und Kälteversorgung von Industrie- und Gewerbearealen

Industrie- und Gewerbeareale produzieren über ein Jahr betrachtet oft mehr Wärme, als sie selbst benötigen. Soll die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung gelingen, ist die Nutzung der anfallenden Abwärme zwingend. Zwei moderne Areale im Raum Basel setzen Massstäbe für eine nachhaltige Energieversorgung und zeigen, wie Industrie und Klimaschutz vereint werdenkönnen.
Martin Dietler 

Der Betrieb von Industrie- und Gewerbearealen war schon immer energieintensiv. Während früher meist mit Kohle, Gas oder Erdöl die Prozesse betrieben und die Gebäude geheizt wurden, sind heute durch die Abwanderung der Industrie weniger Hochtemperaturanwendungen gefragt. Auch fällt durch den guten Baustandard der Wärmebedarf für die Beheizung viel weniger ins Gewicht. Stark zunehmend ist hingegen der Strombedarf. Bei mechanischen Geräten wie Motoren, Ventilatoren etc. hat zwar eine massgebliche Effizienzsteigerung stattgefunden, aber die modernen IT-Anwendungen, die fortschreitende Digitalisierung sowie die flächendeckend aufkommenden KI-Anwendungen benötigen massiv mehr Strom. Unabhängig von der Anwendung wird aus dem Strom am Ende Wärme. Früher wurde diese einfach weggekühlt. Heute darf das nicht mehr sein.

FLÄCHENDECKENDE DEKARBONISIERUNG DER WÄRMEVERSORGUNG

Um Gebäude erneuerbar zu beheizen, sind grundsätzlich zwei Varianten möglich: Entweder man betreibt eine Wärme­pumpe oder man verbrennt Biomasse. Die in der Schweiz dazu verfügbare und für Heizzwecke geeignete Biomasse (Pellets, Grünschnitzel und Altholz) ist sehr begrenzt und das Potenzial schon nahezu ausgeschöpft. Reihen- und freistehende Einfamilienhäuser sowie kleine Mehrfamilienhäuser können relativ einfach mittels Wärmepumpen beheizt werden. Die Aussenluft oder das Erdreich stellen hier meistens die Wärmequelle dar. Schwieriger wird es hingegen bei grösseren Wohnbauten, Schulen, Spitälern und Heimen. Hier kann die Abwärme aus Industrie und Gewerbe gute Dienste leisten. Zwei Beispiele aus der Praxis zeigen, wie das gehen kann.

AREAL BASELINK

Das Areal BaseLink liegt in Allschwil, nahe am Dreiländer­eck Schweiz – Frankreich – Deutschland. Auf einer Fläche von 75 000 m2 entsteht ein modernes Gewerbeareal für die Life-Science- und Biotech-Branche, für Start-ups und deren Forscherinnen und Forscher. Das Areal setzt neue Massstäbe in Sachen Nachhaltigkeit und wird von Primeo Energie mit Strom, Wärme und Kälte versorgt.

MASTERPLAN

Für das Areal wurde von den Grundeigentümern und der Arealentwicklung von Beginn weg ein klares Konzept bezüglich Nutzung, Bebauung und Energieversorgung erstellt. Quer durch das in 16 ähnlich grosse Baufelder eingeteilte Areal zieht sich ein imposanter Grünstreifen. Für die Wärme- und Kälteversorgung war ein Konzept mit 100% erneuerbarer Energie gefordert.

KONZEPT MIT MASTERPLAN

Es handelt sich um Neubauten mit Wärme- wie auch Kälte­bedarf. Jedoch werden keine besonders hohen Temperaturen für die Beheizung und lediglich moderate Temperaturen für die Kühlung benötigt. Darum lag eine Lösung mit Wärmepumpen/Kältemaschinen in Kombination mit Erdsonden auf der Hand. Im Winter wird über die Sonden Wärme aus dem Untergrund gewonnen und mit den Wärmepumpen auf rund 45 °C angehoben. Da es sich ausschliesslich um Gewerbebauten handelt, ist kaum Bedarf an Brauchwarmwasser vorhanden und dieses Temperaturniveau ist zur Beheizung längstens ausreichend.

Im Sommer dienen die Wärmepumpen als Kältemaschinen und versorgen die Gebäude mit 15 °C kaltem Wasser zu Kühlzwecken. Die Abwärme wird dann mit maximal 40 °C über die Sonden wieder an das Erdreich abgegeben. Die Sonden werden damit regeneriert und der Untergrund des Areals dient als saisonale thermische Batterie. Dank der Regeneration im Sommer können die Sonden im Winter stärker belastet werden. Sprich: Mit weniger Sonden lässt sich dieselbe Wärmeleistung gewinnen.

PARALLELER AUFBAU DER INFRASTRUKTUR MIT DER AREALENTWICKLUNG

Unter den ersten Bauten wurden drei Erdsondenfelder mit einem Abstand von vier Metern zwischen den einzelnen Sonden gebohrt. Im aktuellen Ausbaustand sind es 235 Sonden mit einer Tiefe von je rund 280 m. Heute sind bereits Sonden mit einer totalen Länge von 63 km vorhanden. Bis zum Endausbau könnten es bis 100 kmwerden (Fig. 1–3).

Unter zwei Bauten – je an einem Ende des Areals – wurden Zentralenbauten errichtet. Dort werden die Wärmepumpen, Speicher, Umwälzpumpen, Hilfsbetriebe sowie die ganze Steuerung und Regelung eingebaut. Die eine der beiden Zentralen ist voll ausgebaut. Die zweite wird zu gegebenem Zeitpunkt ausgerüstet, wenn aufgrund der Entwicklung des Areals klar ist, welche Leistungen im Endausbau erforderlich sein werden.

Über das ganze Areal wurde eine unterirdische Leitungstrassee gezogen. Diese besteht einerseits aus den Sammelleitungen der Sonden, mit denen die Wärme von den Erdsonden zur Zentrale geführt bzw. von der Zentrale zu den Sonden geleitet wird, und andererseits aus den Verteilleitungen, mit denen die Wärme und die Kälte zu den einzelnen Bauten geführt werden.

ERSTE BETRIEBSERFAHRUNGEN UND AUSBLICK

Aktuell ist rund die Hälfte des Areals bebaut. Erste Betriebserfahrungen zeigen, dass das Konzept sehr gut funktioniert. Durch den Betrieb von Laboratorien ist ganzjährig ein Kältebedarf vorhanden. Dadurch befinden sich gerade in der Übergangszeit der Wärme- und Kältebedarf oft in einer ähnlichen Grösse und die Sonden werden nur minimal thermisch belastet. Über das Jahr gesehen liegt ein Wärmeüberschuss vor. Es gibt Überlegungen, diesen Überschuss zur Beheizung von umliegenden Wohnquartieren zu nutzen.

 

AREAL UPTOWNBASEL/WÄRMEVERBUND BIRSSTADT

Primeo Energie entwickelt, baut und betreibt in der Agglomeration Basel seit Jahrzehnten Quartierwärmeverbunde. In den 1990er-Jahren wurden für die Wärmeerzeugung fast durchwegs erdgas­betriebene Blockheizkraftwerke (BHKW) eingesetzt. Aufgrund der sehr tiefen Strompreise vor der Coronapandemie, der laufend steigenden Gaspreise und des politischen Drucks zur Dekarbonisierung wurde der Betrieb dieser Aggregate laufend unattraktiver.

Flächendeckend autonome Lösungen in den Quartieren waren nicht möglich. Es fehlte an Platz sowie günstigen Wärmequellen, und für dezentrale Biomassenfeuerungen wäre der Betriebsaufwand zu hoch gewesen. Aus diesem Grund wurde unter anderem auch im Gebiet von Reinach Nord, Arlesheim und Münchenstein ein Standort für eine grosse Heizzentrale gesucht.

INDUSTRIEAREAL VON MORGEN

Dabei wurde man direkt am Schnittpunkt der drei Gemeinden fündig. Das Schorenareal in Arlesheim stellt quasi den Geburtsort der Industrialisierung in der Region Birstal dar. Früher wurden hier Generatoren, Elektromotoren und Lokomotiven fabriziert. In den letzten Jahren ruhte das Areal trotz hervorragender Lage mit Anschluss zu Eisen- und Autobahn in einer Art Dornröschenschlaf. Nun entsteht auf Initiative eines umtriebigen Arealentwicklers und dank der Finanzierung durch eine Basler Investorenfamilie ein internationales Kompetenzzentrum für Industrie 4.0 namens uptownBasel, an dem sich ausgewählte Technologieunternehmen und weitere Organisationen ansiedeln. Im Vordergrund stehen Industrieproduktion, Gesundheitswesen und Logistik sowie die Querschnittsfunktion Digitalisierung (Fig. 4). Als Plattform für vernetzte Unternehmen treibt uptown-Basel den branchen- und disziplinen­übergreifenden Wissenstransfer voran und fördert damit die Realisierung innovativer Ideen in den Bereichen Internet der Dinge, Robotics, künstliche Intelligenz, Mobilität der Zukunft oder agiles Arbeiten.

All dies benötigt sehr grosse Mengen an Strom. Darum haben die Verantwortlichen in weiser Voraussicht beim örtlichen Stromnetzbetreiber Primeo Energie einen Anschluss an das 145-kV-Hochspannungsnetz mit eigenem Unterwerk bestellt. Dass durch die geplanten Industrieanwendungen der Zukunft und den damit verbundenen immensen Strombedarf am Ende riesige Abwärmemengen anfallen, die in der heutigen Zeit, wenn immer möglich, genutzt werden müssen, stand von Anfang an fest.

BEWÄHRTE ZUSAMMENARBEIT

Der Arealentwickler und Primeo Energie haben in der Vergangenheit schon mehrere Projekte im Bereich der Wärmeversorgung erfolgreich umgesetzt. Darum fand man sich schnell, um die Herausforderungen gemeinsam zu lösen. Primeo Energie erhielt vom Arealbesitzer das Recht, eine Energiezentrale auf dem Grundstück zu errichten. Im Gegenzug verpflichtete sich Primeo Energie dazu, die anfallende Abwärme vom Areal weitgehendst zu nutzen. Mithilfe von Wärmepumpen soll die Abwärme auf ein Temperaturniveau von rund 70 °C gehoben werden, um den neuen Wärmeverbund Birstal damit zu bedienen.

UMSETZUNG HAND IN HAND

Zur Realisierung des Projektes wurde an mehreren Orten gleichzeitig gearbeitet:

Fernwärmenetz

Beim Bau des Fernwärmenetzes musste an zwei Stellen die Birs sowie die parallel verlaufende Autobahn A18 überquert werden. Mit spektakulären Nachtarbeiten wurden jeweils bei einer Vollsperrung der Autobahn massive Rohrleitungsbrücken versetzt (Fig. 5).

Zentrale

Parallel dazu wurde das Zentralengebäude errichtet (Fig. 6). Allerdings bestehen bezüglich Leistungen, Wärmemengen und Temperaturen noch diverse Unsicherheiten, weil sich das Areal erst in der Entwicklung und im Aufbau befindet. Da der Wärmeverbund aber von Anfang an und auch bei einer späteren Expansion dauerhaft hochgradig mit erneuerbarer Wärme gespeist werden soll, wurden zwei Feuerungsanlagen eingebaut, mit denen regional anfallendes Altholz verbrannt werden kann. Somit kann der Verbund von Beginn weg sehr ökologisch gespeist werden.

Wärmespeicher

Um dies auch beim späteren Weiter­ausbau des Verbundes gewährleisten zu können, ist der Bau von Wärmespeichern unumgänglich. Diese sollen einerseits helfen, Spitzen im Wärmebedarf zu decken. Die bei der Wärmeversorgung klassischen Morgenspitzen zum Beispiel sollen, wenn immer möglich, nicht zur Einschaltung eines Spitzenkessels führen. Andererseits ist bei einer Spitze beim Anfall von Abwärme zu verhindern, dass diese an die Umwelt abgegeben werden muss, sondern gespeichert und später genutzt werden kann. Nun stellt sich die Frage, wie und wo diese Speicherung von Wärme erfolgen soll. Neben der Energiezentrale wurde ein klassischer Speicher mit 200 000 Litern Inhalt aufgestellt. Im Verhältnis zu der gesamten Erzeugerleistung von 40 MW im geplanten Endausbau der Anlage ist dies jedoch sehr wenig und kann nur zur Optimierung der Rege­lungen der Wärmeerzeuger dienen. Auf den Bau weiterer grosser Speicher wurde aus Platz- und Kostengründen zumindest vorerst verzichtet. Es wird eine andere Idee zur Problemlösung verfolgt: In fast allen bestehenden Heizzentralen von Primeo Energie befinden sich grosse Wärmespeicher. Diese wurden bisher zur Sicherstellung von vernünftigen Laufzeiten und Einschaltzyklen der BHKW benötigt.

Ebenso wird versucht, in allen grösseren Wohnbauten, die zusätzlich an den Verbund angeschlossen werden, den Platz in den Heizungskellern zu nutzen, um Wärmespeicher einzubauen. Ziel dabei ist es, diese dezentralen Speicher vom zen­tralen Leitsystem aus zu bewirtschaften. Mit den heute verfügbaren intelligenten Systemen kann aufgrund von Wetter­vorhersagen, historischen Daten sowie Daten der Arealnutzer eine gute Abwärme- und Lastprognose für die nächsten Stunden und Tage erstellt werden. Mit dem Gesamtsystem soll die Versorgungssicherheit erhöht und der Bedarf an fossiler Spitzenenergie reduziert werden.

BLICK IN DIE ZUKUNFT

Wenn in einigen Jahren der Grossteil des Areals in Betrieb ist, sollten Lösungen gesucht werden, um die grossen Abwärmemengen vom Sommer für den nächsten Winter zu speichern. Vielleicht gelingt es, einen grossen Erdbeckenspeicher zu bauen, wie dies bereits in nordeuropäischen Ländern erfolgreich umgesetzt wurde. Auch wird die Entwicklung von thermochemischen Wärmespeichern beobachtet und Möglichkeiten für ein Pilotprojekt werden geprüft.

 

Weitere Informationen

Baselink

Uptown Basel

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