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Fachartikel
08. Januar 2025

Thermische Netze

Sektorkopplung mit thermischen Netzen

Das Ausschöpfen von Effizienz- und Synergie- und damit auch von ökonomischen Sparpotenzialen sowie die Dekarbonisierung der Energieversorgung setzen eine verstärkte Kopplung von Strom, Wärme/Kälte und Mobilität voraus. Im Artikel wird das Thema aus dem Blickwinkel der thermischen Netze betrachtet. Welch entscheidende Rolle diese für die Sektorkopplung spielen können, wird nachfolgend aufgezeigt.
Andreas  Hurni 

Unter Sektorkopplung versteht man die Vernetzung der verschiedenen Sektoren der Energiewirtschaft (Strom, Wärme/Kälte und Mobilität) sowie der Industrie, mit dem Ziel, das Gesamtsystem energetisch, ökologisch und ökonomisch zu optimieren. Die Nutzung erneuerbarer Energien erlaubt die Dekarbonisierung aller Sektoren. Die intelligente Kopplung mit effizienten Technologien, wie z. B. Wärmepumpen, WKK-Anlagen und Elektroautos, ermöglicht eine deutliche Senkung des Energieverbrauchs und der Einsatz von Energiespeichern erhöht die Versorgungssicherheit. Die Umsetzung der Sektorkopplung ist Voraussetzung für die Erreichung einer 100% erneuerbaren Energieversorgung und der Klimaschutzziele. Figur 1 zeigt ein Beispiel für die konkrete Umsetzung der Sektorkopplung in einer Multi-Energie-Drehscheibe (multi energy hub).

In den nachfolgenden Kapiteln wird das Thema Sektorkopplung aus der Sicht der thermischen Netze und unter Einbezug relevanter Technologien bzw. Energiewandler beleuchtet.

AUSGANGSLAGE SCHWEIZ

GESETZLICHE GRUNDLAGEN

Mit der Annahme des Klima- und Innovationsgesetzes (Klimagesetz) am 18. Juni 2023 und des Stromversorgungsgesetzes (Stromgesetz) am 9. Juni 2024 hat das Schweizer Stimmvolk die Leitplanken für die klima- und energiepolitischen Ziele festgelegt. Die erneuerbare Stromproduktion wird massiv ausgebaut mit Schwerpunkt auf Solar- und Windenergie sowie auf Wasserkraft. Zudem werden die Stromlieferanten verpflichtet, Massnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz umzusetzen. Im Klimagesetz ist das Netto-Null-Ziel bis 2050 gesetzlich verankert.

Werden die Ausbauziele für die erneuerbare Stromproduktion erreicht, darf mittelfristig mit einer beachtlichen Überschussstromproduktion, vor allem im Sommerhalbjahr, gerechnet werden, die es mit geeigneten Technologien bzw. Energiewandlern zu nutzen gilt, nicht zuletzt in thermischen Netzen.

WÄRMESTRATEGIE 2050 DES BFE

Die Wärmestrategie 2050 des Bundesamtes für Energie (BFE) [1], die Anfang 2023 publiziert wurde, widmet sich im weiteren Sinn der Wärmewende. Rund 50% des Energieverbrauchs und 35% der Treibhausgasemissionen entfallen in der Schweiz auf den Wärmesektor. Die Wärmestrategie zeigt die wichtigen Stellschrauben auf, mit denen die Wärmeversorgung bis 2050 vollständig dekarbonisiert werden kann. Wichtige Elemente sind unter anderem der Ausbau thermischer Netze sowie thermische Energiespeicher. Beim Ausbau der thermischen Netze soll das Potenzial der standortgebundenen Wärmeressourcen vollständig ausgeschöpft werden. Thermische Kurz- und Langzeitspeicher tragen dazu bei, Lastspitzen zu brechen, erneuerbare Energien zu integrieren sowie den Winterstrombedarf zu reduzieren. Erneuerbare Gase kommen im Komfortwärmebereich nicht oder nur in kleiner Menge zum Einsatz.

Gemäss Wärmestrategie wird die Sektorkopplung eine grosse Bedeutung haben. Als Schlüsseltechnologien werden in diesem Zusammenhang explizit Wärmepumpen erwähnt, die auch in Energiezentralen thermischer Netze, die z. B. See-, Grund- oder Abwasser nutzen, zum Einsatz kommen. Figur 2 stellt das Zielbild der Wärmestrategie 2050 dar.

POSTULAT SEKTORKOPPLUNG UND NETZKONVERGENZ

Das am 13. März 2023 eingereichte Postulat «Sektorkopplung und Netzkonvergenz. Geeignete Standorte raumplanerisch sichern!» (Postulat 23.3125) von Nationalrätin Barbara Schaffner zeigt, dass das Thema Sektorkopplung auch von der Politik wahrgenommen wird und Gedanken angestellt werden zu den Standorten von Multi-Energie-Drehscheiben. Als Standorte kommen insbesondere Kehrichtverwertungsanlagen, grosse Kläranlagen, Energiezentralen thermischer Netze, aber auch grosse Industrie- und Gewerbe-betriebe infrage.

AUSBAUPOTENZIAL THERMISCHER NETZE

Sowohl das Weissbuch Fernwärme Schweiz [2] als auch die im Rahmen der Wärme-­Initiative Schweiz der aeesuisse erarbeitete Studie «Erneuerbare und CO2-freie Wärmeversorgung Schweiz» [3] sehen bei mit Wärmepumpen nutzbaren Energiequellen wie Seen, Flüssen, Grund- und Abwasser die grössten wirtschaftlich nutzbaren Ausbaupotenziale für thermische Netze. Daneben kann auch durch eine Erhöhung der Energienutzungsgrade zusätzliche Abwärme aus Kehrichtverwertungsanlagen (KVA) gewonnen werden. Weitere für thermische Netze nutzbare Energiequellen sind (mitteltiefe und tiefe) Geothermie und Solarthermie sowie industrielle und gewerbliche Abwärme.

Aktuell beträgt der Wärmeabsatz thermischer Netze rund 10 TWh. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Wärmeabsatz bis 2050 auf 17 bis 22 TWh ansteigen und damit etwa 20 bis 30% des zukünftigen Wärmebedarfs der Schweiz abdecken wird. Je schneller der Ausbau erfolgt, desto grösser fällt der zukünftige Anteil thermischer Netze an der Wärmeversorgung aus, weil die thermischen Netze in Konkurrenz mit individuellen Lösungen stehen. In thermischen Netzen steht die Kopplung der Sektoren Strom und Wärme im Vordergrund, in grösseren Netzen ist unter Umständen auch eine Kopplung mit Gasnetzen möglich. Während in Stromnetzen jederzeit die Produktion und der Verbrauch im Gleichgewicht gehalten werden müssen, sind thermische Netze aufgrund ihrer grösseren Trägheit prädestiniert für die Bereitstellung von Flexibilität und Lastverschiebungen.

ROADMAP ENERGIESPEICHER 3.0 VON AEESUISSE

Im November 2024 ist die überarbeitete Version der Roadmap Energiespeicher 3.0 von aeesuisse [4] publiziert worden. Sie hält drei Stossrichtungen zur Optimierung des Gesamtenergiesystems (Strom, Wärme und Mobilität) und Erhöhung der Versorgungssicherheit fest:

Stossrichtung 1

Das Speicherpotenzial für Strom und Wärme erfassen und in nationaler, kantonaler und kommunaler Planung berücksichtigen.

Stossrichtung 2

Mehr Versorgungssicherheit und Systemeffizienz durch dynamische Netz- und Stromtarife in einem vollständig liberalisierten Strommarkt.

Stossrichtung 3

Mehr Versorgungssicherheit durch sektorübergreifende Integration von thermischen Langzeitspeichern und Speichern für synthetische Energieträger (P-to-X).

Grundvoraussetzung für die optimale Nutzung der Stromüberschüsse ist ein liberalisierter Strommarkt, über den in der Schweiz seit über 20 Jahren diskutiert wird. De facto haben wir hierzulande immer noch einen teilliberalisierten Markt, in dem nur Kunden mit einem Stromverbrauch ≥ 100 MWh vom freien Marktzugang profitieren können. Vielleicht muss die Schweiz via Stromabkommen mit der EU diesbezüglich zum Glück gezwungen werden. Ein helvetischer Alleingang ohne Strommarktöffnung wäre jedenfalls sehr teuer und ineffizient.

 

KONKRETE UMSETZUNG IN THERMISCHEN NETZEN

Wichtige Voraussetzung für die bestmögliche Umsetzung der Sektorkopplung im Zusammenhang mit thermischen Netzen (Kopplung Strom/Wärme) ist neben dem raschen Ausbau der thermischen Netze, inklusive grosser (saisonaler) Wärmespeicher, die durchgehende Digitalisierung der Infrastruktur. Erst durch die Digitalisierung kann eine Betriebsoptimierung sowohl bei der Wärmeproduktion als auch im Verteilnetz und auf der Kundenseite gelingen. Durch Betriebsoptimierung können etwa 20 bis 25% Effizienzgewinne erreicht werden.

Thermische Netze können als Puffer fungieren, um die Schwankungen der erneuerbaren Stromproduktion auszugleichen. Stromüberschüsse können für die Erhitzung von Wasser genutzt und entweder in Wärmespeicher oder direkt in thermische Netze eingespeist werden. Sie tragen so dazu bei, die Energieeffizienz zu steigern, die CO2-Emissionen zu senken und den Verbrauch von fossilen Brennstoffen zu verringern. Wichtige Anlagen bzw. Energiewandler für die Nutzung von Überschussstrom in thermischen Netzen sind unter anderem Gross- und Absorptionswärmepumpen, die Wärme-Kraft-Kopplung und Wärmespeicher.

GROSS- UND ABSORPTIONSWÄRMEPUMPEN

Grosswärmepumpen können zum Beispiel für die Nutzung von Oberflächenwasser, Grundwasser oder Abwasser eingesetzt werden. Allein die Schweizer Seen verfügen über ein wirtschaftlich nutzbares Potenzial von rund 5 TWh. Hinzu kommt jenes von Flüssen, Grund- und Abwasser, das ebenso gross ist [2]. Beide Potenziale werden aktuell nur zu einem Bruchteil genutzt.

Absorptionswärmepumpen können auf Kehrichtverwertungsanlagen und in Holzwärmeverbünden zum Einsatz kommen und dort zu einer effizienteren Nutzung der Wärme bzw. Abwärme beitragen. So kann zusätzliche Wärmeleistung zur Verfügung gestellt werden oder bei gleichbleibender Wärmeproduktion Holzbrennstoff eingespart werden.

WÄRME-KRAFT-KOPPLUNG

Vorausgesetzt, dass Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen (WKK) zukünftig von Investitionsbeiträgen im Zusammenhang mit der Winterstromreserve profitieren, könnten diese in grossen, mit Abwärme aus KVA betriebenen Wärmenetzen auch einen Teil der Wärmeproduktion abdecken und gleichzeitig effizient zur Stromproduktion eingesetzt werden. Es gilt jedoch aufzuzeigen, wie die WKK-Anlagen mittel- und langfristig mit erneuerbaren Gasen betrieben werden können.

WÄRMESPEICHER

Für die Sektorkopplung mit dem Stromnetz können sowohl Kurzzeitspeicher (Stunden bis Tage) als auch saisonale Speicher eine wichtige Rolle spielen. Kurzzeitspeicher erlauben die Nutzung von Stromüberschüssen zum Beispiel über die Mittagszeit, saisonale Speicher können einen Beitrag zur Reduktion der Winterbedarfsspitzen leisten.

Als Kurzzeitspeicher kommen in der Regel Stahl- oder Betontanks zum Einsatz, für die saisonale Speicherung unter anderem Erdbeckenspeicher, Erdsondenfelder oder Grundwasserwärmespeicher. Unter anderem an der Ostschweizer Fachhochschule Ost und der Empa werden aber auch chemische Speicher untersucht (z. B. erneuerbare Metall-Treibstoffe – renewablemetal fuels). Thermische Netze Schweiz war bzw. ist in den Begleitgruppen diverser Forschungsprojekte zu Wärmespeichern vertreten, so z. B. zur saisonalen thermischen Speicherung (SwissSTES), zu Aquifer- bzw. Grundwasserspeichern (P2ATES) und Grossspeichern generell (BigStore).

Figur 3 zeigt, dass die Kosten für die Wärmespeicherung mit zunehmender Grösse stark abnehmen. Damit die Wärmespeicher systemdienlich eingesetzt werden können, ist eine netzübergreifende Regulierung und Abstimmung verschiedener Energienetze und Speicherlösungen notwendig [4]. Ob in der Schweiz zukünftig, ähnlich wie z. B. in Dänemark, auch im grösseren Umfang Erdbeckenwärmespeicher gebaut werden, hängt nicht zuletzt von den raumplanerischen Randbedingungen ab. Auch Grundwasserwärmespeicher in nicht für die Trinkwasserversorgung genutzten Grundwasservorkommen sind denkbar. Hierzu sind aber Änderungen der Gewässerschutzgesetzgebung betreffend zulässige Erwärmung notwendig. Dies ist auch für Erdsondenspeicher (geothermische Speicher) relevant. Entsprechende Abklärungen laufen unter Führung des Bundesamtes für Umwelt (BAFU). Ein Pilotprojekt für einen Geothermiespeicher am Standort der Energiezentrale Forsthaus in Bern (KVA) befindet sich in der Testphase. Resultate sollten in Kürze vorliegen.

Bereits heute können aufgrund der Photovoltaik-Produktionsspitzen über die Mittagszeit auf kommunaler Ebene hohe Belastungen des Stromnetzes auftreten. Ist vor Ort ein thermisches Netz mit einem Wärmespeicher vorhanden, können die PV-Produktionsspitzen für die Wassererwärmung in Speichern verwendet werden.

FAZIT

Damit die Sektorkopplung in der Schweiz konsequent umgesetzt werden kann, sind unter anderem die Strom- und Netztarif-Liberalisierung sowie Änderungen der Gewässerschutz- (zulässige Temperaturänderung) und Raumplanungsgesetzgebung (Zulässigkeit grösserer Wärmespeicher auch ausserhalb der Bauzone) notwendig. Sollen thermische Netze eine wichtige und zentrale Funktion bei der Sektorkopplung wahrnehmen, so müssen sie rasch und massiv ausgebaut werden, zudem muss eine Strommarktliberalisierung umgesetzt werden. Es sind noch etliche Hürden zu überwinden. Aber der Autor ist überzeugt, dass thermische Netze zukünftig eine wichtige Rolle bei der Sektorkopplung wahrnehmen werden.

Bibliographie

[1] Bundesamt für Energie (2023): Wärmestrategie 2050

[2] Dr. Eicher und Pauli AG (2014): Weissbuch Fernwärme Schweiz – VFS-Strategie. Langfristperspektiven für erneuerbare und energieeffiziente Nah- und Fernwärme in der Schweiz. Schlussbericht Phase 2: GIS-Analyse und Potenzialstudie. Im Auftrag Verband Fernwärme Schweiz mit Unterstützung EnergieSchweiz. 

[3] TEP Energy GmbH und Ecoplan (2020): Erneuerbare und CO2-freie Wärmeversorgung Schweiz. Eine Studie zur Evaluation von Erfordernissen und Auswirkungen. Im Auftrag von aeesuisse mit Unterstützung EnergieSchweiz. 

[4] Forum Energiespeicher Schweiz aeesuisse (2024): Roadmap Energiespeicher 3.0

[5] Schmidt, T. et al. (2023): Faktenblatt 8: Wärmespeicher in thermischen Netzen, Kosten und Wirt-schaftlichkeit, Version 1.0. Basiert auf Kostendaten von Solites

 

VeranstaltungsHinweis

FERNWÄRME-FORUM 2025 «Thermische netze verbinden»


Datum:
23. Januar 2025

Ort: Bernexpo, Bern

Info: www.thermische-netze.ch, tns@thermische-netze.ch


Das kommende Fernwärme-Forum 2025 von Thermische Netze Schweiz (TNS) widmet sich unter dem Motto «Thermische Netze verbinden» dem Thema Sektorkopplung. Das Fernwärme-Forum ist mit seinen über 600 Teilnehmenden DER Netzwerkanlass der Branche in der Schweiz.

Das Programm sieht wie folgt aus: Am Vormittag werden einige der wichtigsten Wärmequellen und technischen Lösungen aufgezeigt, die in thermischen Netzen zum Einsatz kommen. Die anschliessende Podiumsdiskussion unter dem Titel «Wie können wir die verfügbaren Wärmequellen und -senken ideal nutzen?» erlaubt eine Vertiefung der Materie. Am Nachmittag werden diverse konkrete Projekte auf Areal-Ebene sowie auf klein- und grossstädtischer Ebene vorgestellt. Ein Referat zum Thema Fachkräftemangel und ein Überraschungsgast runden das Programm 2025 ab.

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