Am 12. Januar 2021 trat die neue Trinkwasserrichtlinie, genauer die Richtlinie (EU) 2020/2184 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2020 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch, in Kraft. Ab diesem Datum lief eine zweijährige Frist für die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht. Eine bedeutende Neuerung gegenüber der Vorgängerrichtlinie 98/83/EG war die Integration des Konzepts des Water Safety Planning der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Der «Risikobasierte Ansatz für sicheres Wasser» wird im Artikel 7 der neuen Richtlinie umschrieben. Demnach umfasst er dreierlei:
In Deutschland trat im Juni 2023 die novellierte Trinkwasserverordnung in Kraft. Mit dieser wurde ein Grossteil der Vorgaben der Trinkwasserrichtlinie 2020/2184 umgesetzt. Es finden sich darin jedoch keine Ausführungen zu Risikobewertung und -management im Einzugsgebiet von Entnahmestellen. Diese Lücke wurde nun mit der Verordnung über Einzugsgebiete von Entnahmestellen für die Trinkwassergewinnung (Trinkwassereinzugsgebieteverordnung, TrinkwEGV) geschlossen, die Ende 2023 in Kraft trat und der letzte entscheidende Baustein für die Umsetzung der EU-Trinkwasserrichtlinie in deutsches Recht ist. Betroffen von der neuen Verordnung sind mehr als 4300 Wasserversorgungsunternehmen mit rund 16'000 Einzugsgebieten und rund 400 zuständigen Wasserbehörden. Dazu erklärte der DVGW in einer Pressemitteilung: «Für sie schafft diese neue Rechtsvorschrift zusammen mit der in diesem Jahr in Kraft getretenen novellierten Trinkwasserverordnung Klarheit über die anstehenden Aufgaben und einzuhaltenden Fristen. Allerdings ist der gesteckte Zeitrahmen zur erstmaligen Einführung für die Unternehmen und Behörden äusserst knapp, sodass sie von beiden Seiten ein hohes Mass an Pragmatismus
verlangt.»
Mit der TrinkwEGV sollte nicht nur die europäische Trinkwasserrichtlinie in nationales Recht umgesetzt werden, sondern es sollen damit folgende Ziele erreicht werden:
In Paragraf 3 Absatz 1 sind die Elemente des risikobasierten Ansatzes genannt und die Zuständigkeiten zugewiesen: «Zur Sicherstellung der Qualität des Oberflächenwassers, des Grundwassers und des Rohwassers gilt für Trinkwassereinzugsgebiete ein risikobasierter Ansatz. Im Rahmen dieses Ansatzes hat der Betreiber einer Wassergewinnungsanlage […] das Trinkwassereinzugsgebiet zu bewerten. Auf der Grundlage der Bewertung nach Satz 2 legt die zuständige Behörde, soweit erforderlich, […] Risikomanagementmassnahmen fest.»
In einem ersten Schritt hat also der Betreiber einer Wasserfassung das Einzugsgebiet zu bewerten. Diese Bewertung ist im 2. Abschnitt der TrinkwEGV umrissen und umfasst folgende Punkte:
Im 2. Abschnitt gibt es zudem Vorgaben zu den Unterrichtspflichten der Behörden: «Die zuständige Behörde unterrichtet den Betreiber unverzĂĽglich ĂĽber ihr bekannte Gefährdungen, Gefährdungsereignisse und Schadensfälle, die sich auf die Beschaffenheit des Rohwassers, des Grundwassers oder des OberflächenÂwassers im Trinkwassereinzugsgebiet auswirken können.»
Die Ausführungen zum Risikomanagement finden sich im 3. Abschnitt der TrinkwEGV. Hervorzuheben ist, dass für das Risikomanagement nicht der Betreiber einer Wasserfassung, sondern die zuständige Behörde verantwortlich ist. Der Betreiber kann jedoch im Rahmen seiner Dokumentation erforderliche Risikomanagementmassnahmen wie auch die Anpassung bereits getroffener Massnahmen vorschlagen.
Gemäss Paragraf 15 zählen zu Risikomanagementmassnahmen vor allem solche, die:
Neben Risikominderungsmassnahmen, die einem identifizierten Risiko entgegenwirken, können auch Präventivmassnahmen, die das Entstehen eines Risikos verhindern, ergriffen werden. Darüber hinaus sind Massnahmen zur Sicherstellung einer angemessenen Untersuchung von Oberflächenwasser, Grundwasser oder Rohwasser möglich, um eine Beeinträchtigung der Wasserbeschaffenheit frühzeitig festzustellen und dadurch rechtzeitig Risikominderungsmassnahmen einzuleiten.
Am 5. März 2024 fand eine Online-Veranstaltung des DVGW statt, an der über die Umsetzung der neuen Verordnung, insbesondere über Aufgaben und Fristen der TrinkwEGV für Wasserversorger und Wasserbehörden und den geplanten Vollzug der Regelungen durch die Wasserbehörden in den Bundesländern (am Beispiel des Freistaates Sachsen), informiert wurde. Die Referenten des Seminars waren sich einig, dass die kurzen Fristen der Verordnung eine grosse Herausforderung für Betreiber und Behörden darstellen. Unterstrichen wurde zudem, dass Risikomanagement ein kontinuierlicher Prozess sei, welcher der regelmässigen Überprüfung und Weiterentwicklung bedarf. Entsprechend sei der Prozess in der Verordnung zyklisch angelegt worden. Weiter sieht die TrinkwEGV eine zyklische Berichtspflicht (Betreiber an zuständige Wasserbehörde, Länder an Bund) mit Sechsjahresintervallen vor. Aufgrund der kurzen Fristen wurde ein pragmatisches Vorgehen gefordert. So sollten im ersten Zyklus vorwiegend vorhandene Daten und Informationen genutzt werden. Die Referentin aus Sachsen erklärte entsprechend, dass für die Umsetzung hinsichtlich Ausdehnung der Einzugsgebiete zunächst auf die bereits definierten Wasserschutzgebiete (WSG) zurückgegriffen wird. Wie in der Schweiz sind die WSG um Grundwasserfassungen in drei Zonen unterteilt: Wasserschutzzone I – Fassungsbereich, Zone II – engeres Schutzgebiet und Zone III – weiteres Schutzgebiet. Die Ausdehnung der einzelnen Zonen unterscheidet sich jedoch von derjenigen der schweizerischen Grundwasserschutzzonen. So soll die Fliesszeit vom Rand der engeren Schutzzone zur Grundwasserfassung mindestens 50 Tage betragen, um Trinkwasser vor bakteriellen Verunreinigungen zu schützen. Die Wasserschutzzone III umfasst das gesamte Einzugsgebiet der geschützten Wasserfassung.
Aktuell werden in den Bundesländern Vollzugs- und Arbeitshilfen zur ÂTrinkwEGV erstellt. In Sachsen beispielsweise wurde eine Internetseite eingerichtet, auf der diese zu finden sind. Diese Seite wird in den nächsten Monaten noch weiter ergänzt, z. B. soll eine Definition von «Trend» ab 2025 dort verfĂĽgbar sein.
Auch der DVGW ist daran, eine Arbeitshilfe für die Wasserversorger zu erarbeiten: das Merkblatt W 1004 mit dem Arbeitstitel «Bewertung von Trinkwassereinzugsgebieten gemäss TrinkwEGV». Darin sollen bereits bestehende Regelwerke, Informationen und Normen gebündelt (s. Tab.) und ein pragmatisches Vorgehen aufgezeigt werden. Die Veröffentlichung ist für das 2. Quartal 2024 geplant.
Bezeichnung des Dokuments | Titel |
DVGW-Arbeitsblatt W 101 | Richtlinien für Trinkwasserschutzgebiete; Teil 1: Schutzgebiete für Grundwasser |
DVGW-Arbeitsblatt W 102 | Richtlinien für Trinkwasserschutzgebiete; Teil 2: Schutzgebiete für Talsperren |
DVGW-Arbeitsblatt W 254 | Grundsätze für Rohwasseruntersuchungen |
DVGW-Merkblatt W 1001 | Sicherheit in der Trinkwasserversorgung – Risiko- und Krisenmanagement |
DVGW-Information Wasser Nr. 105 | Sicherheit in der Trinkwasserversorgung – Risikomanagement im Normalbetrieb für Einzugsgebiete von Grundwasserfassungen zur Trinkwassergewinnung |
DIN EN 15975-2 | Sicherheit der Trinkwasserversorgung – Leitlinien für das Risiko- und Krisenmanagement – Teil 2: Risikomanagement |
UBA/TZW-Handbuch | Das Water-Safety-Plan-Konzept: Ein Handbuch fĂĽr kleine WasserÂversorgungen |
(Regelwerks-)Dokumente und Normen, die in das Merkblatt 1004 einfliessen, das derzeit vom DVGW erarbeitet wird und Wasserversorger bei den an sie ĂĽbertragenen Aufgaben der TrinkwEGV unterstĂĽtzen soll.
Am Technologiezentrum Wasser (TZW, Karlsruhe) des DVGW wie auch am IWW Institut für Wasserforschung (Mülheim) werden aktuell Softwaretools – RISKplus bzw. TRiM®online – entwickelt respektive weiterentwickelt, mit denen sich anhand einer vorstrukturierten Vorgehensweise ein Risikomanagementsystem erarbeiten lässt, das den Vorgaben der TrinkwEGV und der Trinkwasserverordnung entspricht. Grundlagen sind die in der Tabelle oben aufgelisteten Dokumente.
Am Anfang steht eine Gefährdungsanalyse im Einzugsgebiet, wobei von der RISKplus-Lösung verschiedene Datenquellen zu Landnutzung, Gewässer, Verkehr und Strassenentwässerung, Siedlungsentwässerung, Altlasten, Fernleitungen, Industrie und AwSV-Anlagen (Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen) beigezogen werden. Weitere Daten, die in diesem Schritt einfliessen können, sind: Betreibererfahrungen, Informationen von Ortsbegehungen, Monitoring-ÂErgebnisse des Betreibers, Untersuchungsergebnisse der Behörden und Daten nach Wasserrahmenrichtlinie.
Im nächsten Schritt der Risikoabschätzung wird für mögliche Gefährdungsereignisse über Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmass das sogenannte Ausgangsrisiko abgeleitet. Zusammen mit der ebenfalls ermittelten Schutzwirkung des Einzugsgebiets wird daraus dann das Risiko fürs Rohwasser bestimmt, was wiederum Grundlage für die Erstellung des Untersuchungsprogramms ist. Für die Abschätzung der Schutzwirkung oder Vulnerabilität im Einzugsgebiet werden Informationen zu nutzbarer Feldkapazität, Grundwasserneubildung, Flurabstand, hydrologischen Einheiten und Besonderheiten, versickernden Gewässern sowie Schutzzonen und Aquifereigenschaften herangezogen. So ergibt sich aus lageunabhängigem Ausgangsrisiko und lageabhängiger Schutzwirkung das Risiko fürs Rohwasser.
Gemäss Artikel 3 Absatz 3 der TBDV gilt: «Die Betreiberin oder der Betreiber einer Wasserversorgungsanlage fĂĽhrt zudem unter BerĂĽcksichtigung der Anforderungen des Gewässerschutzgesetzes vom 24. Januar 1991 im Rahmen der gesamtbetrieblichen Gefahrenanalyse periodisch eine Analyse der Gefahren fĂĽr WasserÂressourcen durch.»
Hilfestellung hierbei bieten zurzeit die SVGW-Richtlinie W2 fĂĽr die Qualitätssicherung in Grundwasserschutzzonen sowie das Modul D des Teils 2 «Wasserqualität und Ăśberwachung an der Fassung» der Richtlinie W12 «Leitlinie fĂĽr eine gute Verfahrenspraxis in Trinkwasserversorgungen». Das Themenblatt «Parameter fĂĽr die Beurteilung der Wasserqualität» (W12, Teil 3) unterstĂĽtzt zudem bei der Zusammenstellung eines Untersuchungsprogramms. Die Auswahl der Parameter muss sich demnach auf die spezifischen Gefährdungen im Zustrom respektive Einzugsgebiet einer Fassung ausrichten. FĂĽr die verschiedenen Gefährdungen (geogenen und anthropoÂgenen Ursprungs) sind geeignete, etablierte Parameter zusammengestellt.
In der Schweiz werden von verschiedenen Firmen IT-Tools angeboten, die durch den risikobasierten Prozess nach der Richtlinie W12 führen. Aktuell verfügen sechs Tools über einen Nachweis der W12-Konformität des SVGW (https://www.svgw.ch/wasser/selbstkontrolle-trinkwasserqualitaet/). Das Konformitätszeichen «Q-W12 SVGW» bescheinigt diesen Tools, dass sie die gesetzlich vorgeschriebene Selbstkontrolle vollständig abbilden und die SVGW-Richtlinie W12 korrekt umsetzen.
Derzeit wird die Richtlinie W2 überarbeitet. Dabei wird der Geltungsbereich erweitert: Über die Schutzzonen hinaus wird der Zuströmbereich bzw. das gesamte Fassungseinzugsgebiet angeschaut. Das Fassungseinzugsgebiet umfasst das gesamte Gebiet, das zur Speisung der Fassung beiträgt. Der Zuströmbereich Zu ist im Allgemeinen etwas kleiner, denn er umfasst nur den Bereich, in dem rund 90% des zu einer Fassung gelangenden Grundwassers neu gebildet wird. Ist diese Art der Bezeichnung des Zu zu aufwendig, wird das gesamte Fassungseinzugsgebiet als Zu festgelegt.
DarĂĽber hinaus werden Qualitätssicherung und Selbstkontrolle mit Gefährdungsanalyse und Risikoabschätzung im Fassungseinzugsgebiet gemäss dem in der W12 beschriebenen Vorgehen in der W2 eingefĂĽhrt. Somit wird der risikobasierte Ansatz der W12 auch in der W2 implementiert. Nach Inkrafttreten der revidierten W2 wird das Modul D im Teil 2 der W12 entsprechend angepasst. Mit der revidierten W2 wird dann im SVGW-ÂRegelwerk der risikobasierte Ansatz vom Fassungseinzugsgebiet (Richtlinie W2) ĂĽber Entnahme, Aufbereitung, Speicherung und Verteilung (Richtlinie W12) bis hin zu den Trinkwasserinstallationen in Gebäuden (Richtlinie W3/E4) vollumfänglich abgedeckt.
Voraussetzung für die Qualitätssicherung im Zuströmbereich bzw. Fassungseinzugsgebiet, wie sie in der revidierten W2 beschrieben sein wird, ist die Kenntnis der Ausdehnung dieser Gebiete. Im Moment ist jedoch nur bei rund 60 Grundwasserfassungen ein Zuströmbereich festgelegt, und das bei einer Gesamtzahl von ungefähr 12'000 Grundwasserfassungen von öffentlichem Interesse gemäss Einschätzungen des BAFU. Aufgrund der im Juni 2021 überwiesenen Motion Roberto Zanetti 20.3625 «Wirksamer Trinkwasserschutz durch Bestimmung der Zuströmbereiche» ist zurzeit eine Revision des Gewässerschutzgesetzes in Arbeit. Diese sieht vor, dass – wo nötig – die Zuströmbereiche der Grundwasserfassungen bis 2035 bezeichnet werden.
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