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Fachartikel
03. Oktober 2023

RESERVOIR

Hydraulische Optimierung mittels Strömungssimulation

In vielen Trinkwasserreservoirs, die als Gegenbehälter betrieben werden, wird eine Verdrängungsströmung angestrebt, weswegen diverse Einbauten wie Trennmauern, Verteilleitungen und Seiher vorgesehen sind. Auf Basis einer Strömungssimulation konnte gezeigt werden, dass diese Investitionen nicht notwendig sind. Mit einer gut dimensionierten Durchmischungsströmung können die Bau- und Unterhaltskosten reduziert und eine homogene Verteilung der Aufenthaltszeit garantiert werden.
Simon  Haag, Jean-Baptiste Nadal, Jakob  Brem, 

Das Reservoir Herrenweg in Allschwil ist das zweitgrösste Reservoir der Wasserversorgung Basel, das durch die Industriellen Werke Basel (IWB) als Gegenbehälter betrieben wird (Fig. 1). Mit insgesamt 18'000 m3 Speichervolumen (verteilt auf zwei Kammern mit je 9000 m3 Speichervolumen) wurde das Reservoir 1960 gebaut (Marcus Diener Architektur, A. Meyer-Stehelin Ingenieur) und befindet sich weitgehend im Originalzustand (Fig. 2). Das Reservoir Herrenweg soll in den nächsten Jahren saniert werden. Als Basis für die Optimierung der hydraulischen Verhältnisse und zur Sicherstellung einer homogenen Aufenthaltszeit des Trinkwassers im Reservoir wurden CFD-Simulationen (CFD = Computational Fluid Dynamics = numerische Strömungsmechanik) durchgeführt.

GRUNDLAGEN DER SIMULATION

Auswertung der Zulaufmesswerte

Die Messungen des Zu- und Ablaufs des Reservoirs Herrenweg (Fig. 3) wurden über ein Jahr hinweg ausgewertet. Beurteilt wurde jeweils der maximale 5-Minuten Mittelwert während eines Tages (blau gestrichelte Linie in Fig. 3). Demnach liegt der Minimalwert des Zulauf zum Reservoir bei rund 140 l/s. Dieser Wert wird während des Jahres mindestens einmal täglich überschritten. Hingegen unterschreitet der Zulauf den Wert von 160 l/s während ca. 30 Tagen im Jahr.

Sanierungsvarianten

Für drei Sanierungsvarianten (Fig. 4) wurden die Strömungsverhältnisse im Reservoir Herrenweg mit Hilfe von CFD-Simulationen untersucht:

  • Variante 0 – Ist-Zustand
  • Variante 1 – Durchmischungsströmung: Neubau der Leitungsführung, Zuleitung mittels Düse
  • Variante 2 – Verdrängungsströmung: Neubau der Leitungsführung, Zuleitung vis-a-vis Ableitung mittels Verteilbalken
Literaturwerte

Um Geruchs- und Geschmacksbeeinträchtigung zu vermeiden und die Keimvermehrung durch stagnierendes Wasser zu verhindern, wird in der Literatur eine möglichst gleichmässige Erneuerung des Wassers mit Standzeiten von maximal 5 bis 7 Tagen empfohlen. In den 1970er und 1980er Jahren wurden zahlreiche Untersuchungen durchgeführt. Diese dokumentieren, dass eine optimale Verdrängungsströmung in der Regel nicht umgesetzt werden kann. Im Rahmen der Untersuchungen zeigte sich jedoch auch, dass sich eine genügende Wassererneuerung mit einfachen Mitteln erreichen lässt. Wichtig ist dabei vor allem ein ausreichend hoher Energieeintrag [1]. Für die Dimensionierung werden in der aktuellen Fachliteratur meist die Ergebnisse der Untersuchungen von Baur und Eisenbart (1988; [2]; Fig. 5) verwendet. Demgemäss sollte ein Einlauf unter Wasser mit Richtstrahl durch eine konusförmige Verengung am Ende des Zulaufrohrs auf eine Eintrittsgeschwindigkeit von grösser 0,6 m/s bis 1,0 m/s bemessen werden.

Vordimensionierung

Um die Aufenthaltszeit des Wassers im Reservoir zu beurteilen, müssen Zulauf und Ablauf über mehrere Tage simuliert werden. Die resultierende Berechnungszeit pro Szenario liegt deshalb für grosse Reservoirs im Bereich von Wochen. Aus diesem Grund wird eine sehr sorgfältige Vordimensionierung empfohlen. Folgende Betriebszustände wurden im Rahmen der Vordimensionierung des Reservoirs Herrenweg beurteilt:

  • Minimalwert, Zulauf = 140 l/s: Wert wird an > 355 Tagen pro Jahr mindestens einmal überschritten
  • Minimalwert, Zulauf = 160 l/s: Wert wird an > 335 Tagen pro Jahr mindestens einmal überschritten
  • Maximalwert, Zulauf = 400 l/s
  • Maximalwert, Zulauf = 400 l/s, gleichzeitig ist eine Kammer in Revision

Der Zulauf wurde in den drei Sanierungsvarianten für das Reservoir Herrenweg folgendermassen gestaltet (siehe auch Fig. 4):

  • Variante 0 (Tab. 1): Zulauf über einen rechteckigen Mauerdurchlass (0,7 m x 0,7 m)
  • Variante 1 (Tab. 2): Zulauf über eine Verengung des Zulaufs von DN600 auf DN350. Um eine gute Impulsübertragung zu erreichen, sollte der Zulauf mindestens 1 m Distanz zu festen Einbauten aufweisen. Zielgrösse am Auslass ist eine Strömungsgeschwindigkeit von ca. 1 m/s (Minimalwert = 0,6 m/s).
  • Variante 2 (Tab. 3): Zulauf über einen Verteilbalken, der dem Auslass gegenüber liegt. Um in einem Verteilbalken ein gleichmässiges Einströmen des Wassers über die verschiedenen Öffnungen zu erreichen, sollte die Strömungsgeschwindigkeit in der Austrittsöffnung weniger als 3 m/s betragen. Im Verteilbalken DN600 werden total 68 Öffnungen mit einem Durchmesser von jeweils 40 mm festgelegt.


Durchfluss 140 l/s 160 l/s 400 l/s
(zwei Kammern)
400 l/s
(eine Kammern)
Strömungsgeschwindigkeit Austritt 0,1 m/s 0,2 m/s 0,4 m/s 0,8 m/s
Druckverlust total 0,005 mWS 0,007 mWS 0,04 mWS 0,15 mWS

Tab. 1 Strömungsgeschwindigkeit und Druckverlust im Fall von Variante 0 (Ist-Zustand).

 

Durchfluss 140 l/s 160 l/s 400 l/s
(zwei Kammern)
400 l/s
(eine Kammern)
Strömungsgeschwindigkeit Austritt 0,7 m/s 0,8 m/s 2,1 m/s 4,2 m/s
Druckverlust total 0,05 mWS 0,06 mWS 0,39 mWS 1,55 mWS

Tab. 2 Strömungsgeschwindigkeit und Druckverlust im Fall von Variante 1 mit Zulaufdüse.

 

Durchfluss 140 l/s 160 l/s 400 l/s
(zwei Kammern)
400 l/s
(eine Kammern)
Strömungsgeschwindigkeit Austritt 0,7 m/s 0,8 m/s 2,1 m/s 4,2 m/s
Druckverlust total 0,05 mWS 0,06 mWS 0,39 mWS 1,55 mWS

Tab. 3 Strömungsgeschwindigkeit und Druckverlust im Fall von Variante 2 mit Verteilbalken

 

CFD-SIMULATION

Eingesetzte Software

Mittels 3D-Simulation von Strömungsvorgängen kann eine Vielzahl hydraulischer Fragestellungen untersucht werden. Durch die Auswertung der Ergebnisse können Sonderbauformen dimensioniert, bestehende Lösungen optimiert und Varianten bewertet werden. Je nach Aufgabenstellung werden Fragen zur Strömungsgeschwindigkeit, dem Wasseralter, Wellenschlag, Transport und Ablagerung von Sedimenten oder zum Effekt von Lufteintrag durch Turbulenzen beantwortet. 

Für die vorliegende Fragestellung wird das etablierte Produkt FLOW-3D (https://www.flow3d.com/) eingesetzt. Die Software erlaubt eine realistische Simulation von Strömungen mit freier Oberfläche und ist damit für die Untersuchung von Fragestellungen in Wasserbau, Trinkwasser- und Abwasserhydraulik gut geeignet.

Lastfall

Für die Simulation wurden zwei Tage ausgewählt, an denen die Maximalwerte des Zulaufs zwischen 140 und 160 l/s lagen. Exemplarisch war dies am 17. und 18. November 2021 der Fall. Diese Werte wurden zweimal in Folge berücksichtigt, so dass eine Simulationsdauer von total 96 Stunden erreicht wurde. Der zeitliche Verlauf des Zu- und Ablaufs (Werte für eine Reservoirkammer) ist in Figur 6 dargestellt.

Auswertung Aufenthaltszeit

Ausgewertet wurde das Alter des Wassers im Reservoir für alle drei Varianten zu folgenden Zeitpunkten (siehe Fig. 6):

  1. 88 h nach Start der Simulation: Zeitpunkt, kurz bevor wieder frisches Wasser in das Reservoir strömt.
  2. 91 h nach Start der Simulation: Zeitpunkt mit maximalem Zulauf zum Reservoir (ca. 80 l/s pro Kammer)
  3. 95 h nach Start der Simulation: Zeitpunkt nach Ende der Reservoirfüllung, Simulationsende

Die über CFD-Simulation ermittelten Aufenhaltszeiten der einzelnen Wasserpakete im Reservoir sind für die drei Sanierungsvarianten in den Figuren 7 bis gezeigt. In den Darstellungen der Simulationsergebnisse nimmt die ermittelte Aufenthaltszeit von blau über grün, gelb bis hin zu rot zu.

Auswertung Strömungsgeschwindigkeit

Zur genaueren quantitativen Auswertung der Simulationsergebnisse wurden verschiedene Kontrollpunkte gesetzt und für die drei Varianten in Bezug auf die Strömungsgeschwindigkeit ausgewertet. Die Kontrollpunkte befinden sich jeweils auf einer Höhe von 2 m über dem Reservoirboden. Aus Figur 10 lässt sich erkennen, dass während der Zuleitung von frischem Wasser in das Reservoir die Strömungsgeschwindigkeit im Fall der Variante 0 (Ist-Zustand) bei 0,0025 bis 0,01 m/s liegt. Bei Variante 1 (Düse) ist sie etwa doppelt so hoch und liegt zwischen 0,005 und 0,015 m/s.

Fazit

  • Mit einer Verengung der Zuleitung (Variante 1, Düse) wird eine gute Durchmischung des Wassers im Reservoir erzielt. Die eingetragene Strömungsenergie reicht aus, um das ganze Volumen der Kammer zu durchmischen. Verglichen mit den Variante 0 und Variante 2 resultiert somit eine gleichmässige Verteilung der Aufenthaltszeiten über das ganze Reservoirvolumen
  • Variante 2 (Verteilbalken) mit Verdrängungsströmung führt zu einer weniger gleichmässigen Verteilung der Aufenthaltszeit wie der Ist-Zustand

In vielen Reservoirs wird eine Verdrängungsströmung angestrebt. Deshalb werden diverse Einbauten wie Trennmauern, Verteilleitungen und Seiher geplant. Auf Basis der Strömungssimulation konnte gezeigt werden, dass diese Investitionen nicht notwendig sind. Mit einer gut dimensionierten Durchmischungsströmung können sowohl die Bau- als auch die Unterhaltskosten reduziert werden. Mit der Lösung wird eine homogene Verteilung der Aufenthaltszeit garantiert und der Druckverlust minimiert. Die vorhandenen Literaturwerte sind als Basis für die Dimensionierung auch für grosse Reservoirkammern bis zu einem Volumen von rund 9000 m3 geeignet.

 

  
Fig. 7 Variante 0 (Ist-Zustand): Verteilung Aufenthaltszeit und Strömung zu den Zeitpunkten 1, 2 und 3. Die tiefe Strömungsgeschwindigkeit führt zu einer ungleichmässigen Verteilung der Aufenthaltszeit.


Fig. 8 Variante 1 (Düse DN350): Verteilung Aufenthaltszeit und Strömung zu den Zeitpunkten 1, 2 und 3. Die höhere Strömungsgeschwindigkeit führt zu einer Zirkulation des Wassers über die ganze Kammer und in der Folge zu einer homogenen Verteilung der Aufenthaltszeit.


Fig. 9 Variante 2 (Verteilbalken): Verteilung Aufenthaltszeit und Strömung zu den Zeitpunkten 1, 2 und 3. Die nicht vollständig ausgebildete Verdrängungsströmung führt zu einer ungleichmässigen Verteilung der Aufenthaltszeit.

Bibliographie

[1] Baur, A. et al. (2019): Mutschmann/ Stimmelmayr Taschenbuch der Wasserversorgung, 17. Auflage
[2] Baur, A.; Eisenbart, K. (1988): Einfluss der Standzeit in Wasserbehältern auf die Wasserqualität. GWF Wasser/Abwasser 129(2): 109–115

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