Wie kaum zuvor werden 2022 in der Schweizer Wasserpolitik die Zielkonflikte zwischen Nutzung und Schutz von Wasser und GewĂ€ssern derart offenkundig. So fĂŒhren die anhaltend hohen Temperaturen und Trockenheit von Juni bis  August nicht nur zu tiefen WasserstĂ€nden, zu warmen GewĂ€ssern und zu einer hohen Waldbrandgefahr, sondern auch zu parlamentarischen Vorstössen fĂŒr Einsparungen oder optimierte Nutzung der Wasserressourcen. Mit dem Grundlagenbericht «Wasserversorgungssicherheit und Wassermanagement» schlĂ€gt der Bundesrat den Kantonen Massnahmen vor. Dazu gehören ein regionales Wassermanagement einzufĂŒhren und den Wasserverbrauch fĂŒr die Landwirtschaft besser zu erfassen.
Das Augenmerk auf einen verbesserten Grundwasserschutz kann auf die zwei Volksinitiativen von 2021, auf die erhöhten Konzentrationen von Abbauprodukten des verbotenen Pestizids Chlorothalonil und auf den Bericht der nationalrĂ€tlichen GeschĂ€ftsprĂŒfungskommission zum mangelhaften Vollzug zurĂŒckgefĂŒhrt werden. Mit ihrem Bericht ĂŒber die zu hohen Stickstoffverluste sorgen auch die UmweltverbĂ€nde dafĂŒr, dass die Thematik nicht rasch wieder in den Schubladen verschwindet.
Im Fall der ewigen Chemikalien (forever chemicals) lassen sich zwei Auslöser ausmachen: Zum einen sind es neue Erkenntnisse ĂŒber deren ToxizitĂ€t, namentlich der per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) sowie der daraus folgende Vorschlag von fĂŒnf Staaten der EuropĂ€ischen Union (EU), sĂ€mtliche PFAS in der EU zu verbieten. Zum anderen ist es die hohe PrĂ€senz des Themas in den Medien.
Die Sorge um eine drohende (Winter-)StromlĂŒcke schliesslich fĂŒhrt zu grossem Druck, die Schweizer Wasserkraft noch weiter auszubauen. Die Politik will dazu optimale Rahmenbedingungen schaffen. Dass dabei Zielkonflikte zum GewĂ€sser- und Landschaftsschutz akzentuiert werden, liegt auf der Hand.
Der Artikel gibt einen groben Ăberblick ĂŒber politische Ereignisse und Debatten zum Thema Wasser und GewĂ€sser im Jahr 2022. Er erhebt keinen Anspruch auf VollstĂ€ndigkeit. Insbesondere die im Abschnitt zu den Kantonen aufgefĂŒhrten Punkte, sind als Beispiele zu verstehen.
Am 25. September 2022 verwirft das Schweizer Stimmvolk die Massentierhaltungsinitiative mit 63% Nein-Anteil. Von den Kantonen kommt nur aus Basel-Stadt ein Ja. Das Volksbegehren wollte eine bodenabhĂ€ngige Landwirtschaft mit weniger NĂ€hrstoffĂŒberflĂŒssen.
Ende September beschliesst der Bundesrat eine bis Ende April 2023 befristete Notverordnung zur Herabsetzung von Mindestrestwassermengen, um mehr Strom aus Wasserkraft produzieren zu können bei einer grossen Strom-Mangellage. Im erlĂ€uternden Bericht wird eingerĂ€umt, dass die Massnahme Auswirkungen auf die Umwelt hat, u.a. auf die Fischwanderung und möglicherweise auf die Reproduktion einzelner Fischarten. Die Verordnung wird bereits per Ende MĂ€rz 2023 vorzeitig ausser Kraft gesetzt, da die Stromversorgungslage stabil ist. Auf Grundlage derselben Verordnung prĂŒfen die Kantone, ob an gewissen Orten mehr Strom produziert werden kann mit höheren Staukoten. Umgesetzt wird das unter anderem am Aarekraftwerk in Ruppoldingen, Kanton Solothurn. Auch Reglemente von Seeregulierungen werden mit demselben Ziel hinterfragt. So beschliesst der ZĂŒrcher Regierungsrat einen höheren Stand des ZĂŒrichsees vom November bis Mitte Februar, so wie er nach Reglement sonst nur im Sommer vorgesehen ist. Im Fall des Genfersees wird dazu an einem neuen Abkommen mit Frankreich gearbeitet.
Weniger um die Energieproduktion als mehr um den RĂŒckhalt von Wasser zur BewĂ€sserung in der Poebene geht es bei der Regulierung des Lago Maggiore. Das Tessin befĂŒrchtet einen Verlust seiner StrĂ€nde, eine BeeintrĂ€chtigung von Feuchtgebieten und ein grösseres Hochwasserrisiko, wenn Italien den See im Sommer dauernd höher hĂ€lt als bisher mit der Schweiz vereinbart. Bruno Storni (SP/TI) reicht dazu im Nationalrat eine Interpellation (22.3060) ein. Der Bundesrat verspricht in der Antwort vom 4. Mai, dass mit Italien verhandelt werde und eine dauernde Pegelerhöhung nur nach einer UmweltvertrĂ€glichkeitsprĂŒfung in Betracht komme.
Am 13. April 2022 verabschiedet der Bundesrat ein Verordnungspaket fĂŒr sauberes Trinkwasser und eine nachhaltigere Landwirtschaft, u.a. mit Anpassungen der Direktzahlungsverordnung sowie der Verordnung ĂŒber die Beurteilung der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft. Damit soll ein erster Teil der parlamentarischen Initiative (19.475) «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» umgesetzt werden. Das Inkrafttreten ist grösstenteils fĂŒr Januar 2023 vorgesehen. Der darin vorgesehene Absenkpfad fĂŒr Stickstoffverluste um 20% bis 2030 wird im Parlament bekĂ€mpft.
Am 16. November verabschiedet der Bundesrat die revidierte Pflanzenschutzverordnung (PSMV). Wie im Aktionsplan Pflanzenschutz vorgesehen schrĂ€nkt sie die Zahl der Mittel fĂŒr die nicht berufliche Anwendung ein, wenn diese fĂŒr Wasserorganismen oder Bienen besonders giftige Wirkstoffe enthalten. Sie tritt auf den 1. Januar 2023 in Kraft. Gleichzeitig beschliess der Bundesrat auch eine Ănderung der Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung (ChemRRV): Sie verlangt neu, dass Pflanzenschutzmittel von beruflichen Anwenderinnen und Anwendern nur gekauft werden dĂŒrfen, wenn sie eine gĂŒltige Fachbewilligung haben. Um die Fachbewilligung zu erlangen, mĂŒssen Anwenderinnen und Anwender entsprechende Kurse besuchen und PrĂŒfungen bestehen. Die Ănderung soll ab 2026 gelten.
Am 16. Dezember verabschiedet der Bundesrat die revidierte GewĂ€sserschutzverordnung mit neuen Kriterien, wann die Zulassung eines Pestizids ĂŒberprĂŒft werden muss. Die ursprĂŒnglich in derselben Verordnungsanpassung geplante Beschleunigung der Ausscheidung von Grundwasserschutzzonen hat der Bundesrat verschoben bzw. will das mit den anderen AuftrĂ€gen des Parlaments zum Grundwasserschutz zusammenfĂŒhren. Die revidierte Verordnung tritt am 1. Februar 2023 in Kraft.
Zahlreiche wasser- und gewĂ€sserrelevante Vorstösse werden 2022 abgeschrieben, da sie nicht innert zwei Jahren im Parlament behandelt werden konnten. Die Antworten des Bundesrats sind dennoch aufschlussreich, denn die Themen tauchen spĂ€ter oft wieder auf. Einige Beispiele: Mit einer Interpellation (20.4699) thematisiert Gerhard Pfister (Mitte/ZG) schĂ€dliche Emissionen im Ausland durch PFAS-Exporte. Der Bundesrat beruft sich auf die strengen Bedingungen fĂŒr Ausfuhrbewilligungen.
Mit ihrer Motion (20.4233) «Plastiklittering durch Betreiber von Wasserkraftwerken stoppen» will Gabriela Suter (SP/AG) Kraftwerke zur Triage von Schwemmgut verpflichten. Der Bundesrat verweist auf seinen Bericht «Kunststoffe in der Umwelt» und Massnahmen, die er daraus ableiten will.
Kurt Fluri (FDP/SO) verlangt per Motion (20.4154), dass bei Restwasserfragen vor dem Hintergrund des Klimawandels nicht nur das Potential der Wasserkraft, sondern auch Potential der Solarenergie rechtsgleich berĂŒcksichtigt werde. Der Bundesrat lehnt ab. Die Vorgaben des GewĂ€sserschutzgesetzes fĂŒr neue und neu zu konzessionierende Kraftwerke wĂŒrden ausreichen und hĂ€tten sich bewĂ€hrt.
Claudia Friedl (SP/SG) fordert mit der Interpellation (20.4079) eine Strategie gegen die Ausbreitung der invasiven Quaggamuschel. Der Bundesrat verweist auf eine geplante ErgÀnzung des Umweltschutzgesetzes. Aktuell ist diese allerdings auf unbestimmt verschoben.
Baptiste Hurni (SP/NE) will mit einer Motion (20.3125) den Bund verpflichten, die Berufsfischerei zu stĂŒtzen, die einen sehr schweren Stand habe. Dem widersprach der Bundesrat nicht. Eine UnterstĂŒtzung sei jedoch zum grossen Teil Sache der Kantone. Der Nationalrat teilt diese Ansicht und lehnt den Vorstoss am 16. MĂ€rz ab.
Der Nationalrat nimmt am 27. September entgegen der Haltung des Bundesrats das Postulat (20.4087) von Christophe Clivaz (GrĂŒne/VS) an. Es verlangt einen Bericht ĂŒber Folgen und Massnahmen im Zusammenhang mit (zu) hohen Konzentrationen von Cholorthalonil-Metaboliten im Grundwasser.
Der Nationalrat nimmt am 8. Dezember zwei Motionen (22.3873, 22.3874) und ein Postulat (22.3875) seiner GeschĂ€ftsprĂŒfungskommission an. Danach soll der Bundesrat den Kantonen verbindliche Fristen setzen fĂŒr die Umsetzung des Grundwasserschutzes mit rechtskrĂ€ftigen Schutzzonen und Zuströmbereichen (planerischer Grundwasserschutz). Ausserdem soll er auch Instrumente zur Aufsicht und fĂŒr Interventionen schafften und Anpassungen an den bisher nur bedingt erfolgreichen GewĂ€sserschutzprogrammen gemĂ€ss Art. 62a des GewĂ€sserschutzgesetzes prĂŒfen. Auch der Bundesrat beurteilt diese Anliegen insgesamt als treffend, es wĂŒrden bereits Arbeiten laufen.
Sehr langlebige fluorierte Alkylverbindungen (PFAS) und andere «ewige» Chemikalien werden zunehmend im Grundwasser gefunden. Teils weil ihr Einsatz tatsĂ€chlich zunimmt, teils weil die Analytik immer tiefere Konzentrationen nachweisen kann. Zum Thema in den Medien und der Politik werden die «ewigen» Chemikalien auch, weil neue Erkenntnisse die Schwellen fĂŒr deren ToxizitĂ€t deutlich reduzieren, teilweise um den Faktor 100. Am 12. Dezember nimmt der StĂ€nderat die Motion (22.3929) von Marianne Maret (Mitte/VS) an. Damit sollen Grenzwerte fĂŒr PFAS in verschiedene Erlasse aufgenommen werden (GewĂ€sserschutz-, Abfall- und Altlastenverordnung). Der Bundesrat will PFAS-Werte aus dem Grundwassermonitoring NAQUA schon 2023 publizieren und Werte aus einer 2023 durchgefĂŒhrten Kampagne zur TrifluoressigsĂ€ure (TFA) dann 2024. TFA gehört auch zu den PFAS und stammt aus Produktionsprozessen, aber auch aus Arzneimitteln, Pestiziden und KĂ€lte- und Treibmitteln. Es ist sehr mobil in der Umwelt und reichert sich in Nahrungsmitteln an.
Weil möglicherweise die Gesundheit der Menschen betroffen ist, löst dies mehrere Vorstösse aus: Tiana Moser (GLP/ZH) verlangt am 16. Dezember mit einem Postulat einen Aktionsplan zur Belastungsreduktion von Mensch und Umwelt durch langlebige Chemikalien (22.4585). Der Bundesrat ist bereit, einen solchen Plan zu prĂŒfen. Aline Trede (GrĂŒne/BE) fragt in ihrer Interpellation (22.4233) «Wann werden forever chemicals in der Schweiz verboten?» (am 16. Dezember erledigt). Nik Gugger (Mitte/ZH) fordert in einer Interpellation (22.4228) nationale Massnahmen zur Verhinderung weiterer Trifluoracetat-Ansammlungen im Wasser. Ursula Schneider SchĂŒttel (SP/FR) möchte mit einer Interpellation (22.4165) die Persistenz bei der Zulassung von Chemikalien besser berĂŒcksichtigen.
Mehrere Vorstösse versuchen, Ziele abzuschwĂ€chen, die der Bundesrat in ErfĂŒllung der Parlamentarischen Initiative 19.475 im Verordnungspaket «fĂŒr sauberes Trinkwasser und eine nachhaltigere Landwirtschaft» festgelegt hat. Knapp angenommen wird am 14. Dezember schliesslich nur die Motion (22.3795) von Johanna Gapany (FDP/FR). Sie verlangt einen bescheideneren Absenkpfad fĂŒr Stickstoffverluste, da ansonsten TierbestĂ€nde reduziert werden mĂŒssten. Das bis 2030 vom Bundesrat eingesetzte Ziel wird nun voraussichtlich von minus 20% auf minus 15% geĂ€ndert. Ăhnliches verlangt auch eine Motion (21.3004) aus der stĂ€nderĂ€tlichen Wirtschaftskommission, wonach die Absenkziele fĂŒr NĂ€hrstoffe «an die RealitĂ€t in der Praxis angepasst» werden sollen. Sie wird schon im MĂ€rz, ebenfalls entgegen dem Antrag des Bundesrats, angenommen.
CĂ©line Vara (GrĂŒne/NE) verlangt mit einer Interpellation (22.4595) eine Verbesserung der WasserqualitĂ€t und des generellen Zustands im Doubs, insbesondere eine Reaktivierung der schweizerischen-französischen Zusammenarbeit: Die Fische im Doubs seien krank, begrĂŒndet Vara.
Der Nationalrat möchte in pestizidbelasteten Gebieten Wasserversorgungsunternehmen unterstĂŒtzen, damit diese Sanierungsmassnahmen umsetzen oder Aufbereitungsinfrastruktur erstellen können. Am 17. MĂ€rz nimmt er dazu eine Motion (20.3052) von Kurt Fluri (FDP/SO) gegen den Willen des Bundesrats an. Eine sehr Ă€hnlich lautende Motion (20.3022) von Felix Wettstein (GrĂŒne/SO) wird abgelehnt.
Eine Interpellation (22.4040) von Martin Harb (SVP/ZH), der eine Unterscheidung in unvermeidbare und vermeidbare Stickstoff-Verluste wĂŒnscht, beantwortet der Bundesrat kritisch: Auch unvermeidbare Stickstoffverluste wĂŒrden die Umwelt belasten, schreibt er in seiner Stellungnahme.
Die Motion (20.4579) von Maya Graf (GrĂŒne/BL) an, wonach Pflanzenschutzmittel, die fĂŒr Menschen, Insekten oder GewĂ€sserlebewesen toxisch sind, in der nichtberuflichen Anwendung verboten wĂŒrden, nimmt der Nationalrat am 14. September an. Das Parlament schwĂ€cht den Auftrag aber ab: Eine nichtberufliche Anwendung von Pflanzenschutzmitteln soll fĂŒr private Anwenderinnen und Anwender möglich bleiben, wenn diese eine entsprechende Ausbildung dazu vorweisen können. (Anmerkung: Diese Kurspflicht wird im MĂ€rz 2023 vom StĂ€nderat gestrichen. Die fĂŒr Private zugelassenen Stoffe seien mit der Revision der Pflanzenschutzmittelverordnung ausreichend reguliert, lautet die BegrĂŒndung.)
Am 18. MĂ€rz erledigt der Nationalrat die Interpellation (21.4568) von François Pointet (GLP/VD) «Droht Knappheit an sauberem Wasser?» Die Antwort des Bundesrats gibt eine Tour dâHorizon der laufenden Projekte. Wichtig, so der Bundesrat, seien der konsequente Vollzug der Vorschriften des GewĂ€sserschutzgesetzes und der GewĂ€sserschutzverordnung. Explizit erwĂ€hnt werden der Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, die geplante Verbesserung des Trinkwasserschutzes durch die Bestimmung von Zuströmbereichen sowie der weitere Ausbau der Abwasserreinigung in Bezug auf die Entfernung von Mikroverunreinigungen und Stickstoff.
Weitere Vorstösse drehen sich â angesichts des sehr heissen und trockenen Sommers 2022 â nicht nur um die QualitĂ€t, sondern um die Menge und multifunktionale Nutzung des Wassers, so die Motion (22.4219) von Benjamin Roduit (Mitte/VS): Daten fĂŒr ein integrales Wassermanagement auf der Grundlage der multifunktionalen Wassernutzungen. Die Interpellation (22.4173) von CĂ©line Weber (GLP/VD): Wann kommt die kohĂ€rente Strategie fĂŒr die Schweizer Wasserversorgung? Und diejenige von CĂ©line Vara (GrĂŒne/NE): Wir mĂŒssen das Wasser, diese lebenswichtige Ressource, besser bewirtschaften (22.4127). Christine Bulliard-Marbach (Mitte/FR) sorgt sich mit einem Postulat (22.4168) Ende September um die Wasserversorgung fĂŒr die Bergland- und Alpwirtschaft. Delphine Klopfenstein (GrĂŒne/GE) verlangt mit einer Motion eine verbesserte Information bei Wasserstress (22.4488): Wasserstress. So rasch wie möglich warnen!
Der Nationalrat lehnt am 9. Juni die parlamentarische Initiative (21.409) von Katharina Prelicz-Huber (GrĂŒne/ZH) ab, wonach alle Seeufer mit öffentlichen Wegen zu erschliessen seien, allerdings mit Vorrang fĂŒr die ökologische Aufwertung der Ufer.
Am 14. Dezember nimmt der Nationalrat die Motion (21.3804) von Martin Schmid (FDP/GR) an: Landwirtschaftsland soll gegen Alpland (Sömmerungsland) abgetauscht werden können. Der MotionĂ€r hofft, damit mehr FlexibilitĂ€t zu erzielen, u.a. zur Ausscheidung von GewĂ€sserraum. Der Bundesrat lehnt das Ansinnen ab, da er eine intensivierte Bewirtschaftung von AlpflĂ€chen nicht fördern will und da es zu einer Ungleichbehandlung zwischen Berg- und Mittellandkantonen kĂ€me. Gleichentags lehnt der Rat die Motion (22.3610) von Beat Rieder (Mitte/VS) ab, wonach der minimale Anteil von BiodiversitĂ€tsflĂ€chen aus dem ökologischen Leistungsnachweis gestrichen und fĂŒr Direktzahlungen an Landwirte nicht mehr erforderlich wĂ€re. Auch CĂ©line Vara (GrĂŒne/NE) thematisiert mit ihrer Motion (22.4596) den Zusammenhang zwischen finanziellen Anreizen und deren Auswirkungen auf BiodiversitĂ€t und Klima. Sie verlangt vom Bundesrat eine systematische ĂberprĂŒfung aller Subventionen in dieser Hinsicht. Der Bundesrat lehnt den Vorstoss ab â einen Bericht und allfĂ€llige ReformvorschlĂ€ge stellt er auf Ende 2024 in Aussicht. Am 12. Dezember lehnt der Nationalrat fĂŒnf gleichlautende Parlamentarische Initiativen ab (u.a. 21.440), wonach Natur- und Umweltschutz in der Bundesverfassung gestĂ€rkt werden sollen, u.a. mit einem Recht des Menschen auf eine gesunde Umwelt.
Der Nationalrat nimmt am 17. MĂ€rz die Motion (21.3974) von Jacques Bourgois (FDP/FR) «Analyse des Wasserkraftpotenzials der Gletscherschmelze» an. Hintergrund ist u.a. das von Eawag und Swisstopo prĂ€sentierte Inventar von rund 1â200 neuen Gletscherseen, die seit 1850 entstanden sind.
Am 30. September beschliesst das Parlament einen mit maximal zehn Milliarden Franken dotierten Rettungsschirm fĂŒr systemkritische Stromunternehmen. «SubsidiĂ€re Finanzhilfen zur Rettung systemkritischer Unternehmen der ElektrizitĂ€tswirtschaft» (22.031).
Im Herbst beginnt die Beratung mehrerer Vorlagen mit Bezug zu einem intensivierten Weiterausbau der inlĂ€ndischen Wasserkraft. Die wesentlichen Auslöser dazu sind der beschlossene Ausstieg aus der Atomenergie, der Umbau des Energiesystems auf nicht-fossile EnergietrĂ€ger, das fehlende Stromabkommen mit der EU und der Angriff Russlands auf die Ukraine. Vor dem Hintergrund einer drohenden StromlĂŒcke im Winter geht es vor allem um die folgenden zwei Gesetze:
Die Zielkonflikte zwischen Versorgungssicherheit und Umwelt-/GewÀsserschutz sind offensichtlich. Unter anderem soll das Interesse an Anlagen zur Steigerung der Winterstromproduktion allen anderen nationalen Interessen vorangestellt werden, auch dem Schutz von nationalen Biotopen. Und die Regeln zum Schutz minimaler Restwassermengen bei neuen Konzessionen sollen bis zum Erreichen der Zubauziele gÀnzlich ausser Kraft gesetzt werden. Die Parlamentsdebatte wird 2023 weitergehen. Ob es zu einer Referendumsabstimmung kommt, ist offen.
Der Bundesrat verabschiedet am 4. MĂ€rz die Botschaft zu einem indirekten Gegenvorschlag zur BiodiversitĂ€tsinitiative. Aufgrund energiepolitischer ErwĂ€gungen und kritischer RĂŒckmeldungen der Energiebranche wird der Plan, aquatische Schutzgebiete fĂŒr Fische und Krebse zu schaffen, verworfen. Im September ergĂ€nzt der Nationalrat den Vorschlag mit dem Instrument der BiodiversitĂ€tsgebiete. Im Dezember verlĂ€ngert der StĂ€nderat die Frist zur Behandlung der Initiative bis 2024.
Am 4. Mai stellt der Bundesrat den LĂ€nderbericht zur Umsetzung Agenda 2030 vor. Um die QualitĂ€t des Trinkwassers langfristig zu sichern, ist darin die Forderung enthalten, die Grundwasserfassungen besser vor Verunreinigungen durch Siedlungen und andere Bauten und Nutzungen zu schĂŒtzen, namentlich durch raumplanerische Massnahmen. Das Grundwasser beschĂ€ftigt den Bundesrat im Weiteren mehrfach: Am 30.6. veröffentlicht die GeschĂ€ftsprĂŒfungskommission (GPK) des Nationalrats den Bericht Grundwasserschutz in der Schweiz. Die Kommission kritisiert darin das Vollzugsdefizit scharf und verlangt mit drei Vorstössen Gegenmassnahmen. Am 4. Oktober prĂ€zisiert der Bundesrat dann in seiner Stellungnahme an die GPK die geplanten Massnahmen, u.a. mit einer Verbesserung der Aufsicht und der planerischen Festlegung der Zuströmbereiche zu «regional wichtigen» Fassungen. Im Auftrag des Bundesamts fĂŒr Umwelt (BAFU) hat der Jurist Hans W. Stutz dazu ein Gutachten verfasst, das den Grundwasserschutz der Schweiz mit den NachbarlĂ€ndern und der EU vergleicht. Einzelne Kantone verabschieden parallel dazu erste Bestandsaufnahmen und Massnahmenpakete. So untersucht z.B. der Thurgau wie mit den Nutzungskonflikten in Grundwasserschutzzonen umgegangen werden soll.
Am 18. Mai verabschiedet der Bundesrat den Grundlagenbericht Wasserversorgungssicherheit und Wassermanagement als Antwort auf die Postulate (18.3610) von Beat Rieder (Mitte/VS) und (20.3429) von Maya Graf (GrĂŒne/BL). Unter anderem empfiehlt er darin den Kantonen, ein regionales Wassermanagement einzurichten und den aktuellen Wasserverbrauch umfassender zu messen. Namentlich die Datengrundlage zum Wasserverbrauch fĂŒr die Landwirtschaft wird als mangelhaft kritisiert. Zwei direkt auf den Bericht bezugnehmende Motionen (22.4235) und (22.4236) von Aline Trede (GrĂŒne/BE) und Benjamin Roduit (Mitte/VS), die eine verstĂ€rkte Nutzung von Regenwasser fordern, lehnt der Bundesrat am 23. November ab. Im Parlament sind sie noch nicht behandelt.
Aus der bundesrĂ€tlichen Antwort vom 13. Juni auf eine Anfrage (22.7506) von Isabelle Pasquier-Eichenberger (GrĂŒne/GE) wird deutlich, wie schwierig der Verzicht auf gewisse an sich verbotene Pestizide ist: Mit Berufung auf eine Notfallsituation werden 2022 ein Herbizid, zwölf Fungizide und vierzehn Insektizide zugelassen.
Gleich vier Postulate von 2018 und 2019 beantwortet der Bundesrat am 23. September mit der Verabschiedung des fast 60seitigen Berichts: «Kunststoffe in der Umwelt». Die Regierung hÀlt im Bericht fest, dass trotz guter Entsorgungssysteme in der Schweiz jÀhrlich rund 14'000 Tonnen Makro- und Mikroplastik in die Umwelt gelangen, auch ins Wasser. Es gebe Verbesserungspotential, etwa in der Entwicklung von kreislauffÀhigen Materialien, aber auch durch Vermeiden von EintrÀgen, zum Beispiel beim Reifenabrieb.
Das BAFU stellt im Februar eine neue Praxishilfe (Arbeitsgrundlage) vor zu Schutz und Aufwertung von Quell-LebensrĂ€umen. Diese meist kleinflĂ€chigen LebensrĂ€ume sind stark unter Druck. Die Sensibilisierung der EigentĂŒmer, Nutzer und Akteure fĂŒr diese Teile der ökologischen Infrastruktur ist daher besonders wichtig.
Ebenfalls im Februar prĂ€sentiert das BAFU ein neues Dossier: Rote Listen â Barometer der Artenvielfalt; es will die Frage «Wie gross ist das Risiko von Arten, in der Schweiz auszusterben?» beantworten. Im Februar 2023 folgt die ĂŒberarbeitete Rote Liste der Fische und RundmĂ€uler.
Mitte Juni prĂ€sentiert das BAFU einen Bericht zu Regenwasser im Siedlungsraum; er zeigt Strategien und Massnahmen, wie mit zunehmenden Starkregenereignissen und dem Ăberschwemmungsrisiko umgegangen werden, und wie eine klimaangepasste und risikobasierte Siedlungsentwicklung erfolgen kann.
Ende Juni startet mit der Verankerung der ersten Messboje im Murtensee ein Pilotprojekt des Bundes und der Eawag zur online TemperaturĂŒberwachung von Seen. Bisher umfasst das nationale Messnetz fĂŒr Wassertemperaturen nur FliessgewĂ€sser. Im Lauf von 2022 kommen Messbojen im Hallwilersee und Ăgerisee dazu. Die Messreihen sollen die Entwicklung beobachten und eine Basis legen fĂŒr Prognosen.
Im Herbst wird der Mangel an FĂ€llmitteln fĂŒr die KlĂ€ranlagen in der Schweiz und fast ganz Europa zum Politikum, da ohne ausreichende FĂ€llung unter UmstĂ€nden Phosphor-Einleitungsgrenzwerte ĂŒberschritten werden. Die meisten Anlagen können sich aber mit Ersatzprodukten behelfen. Der Verband Schweizer Abwasser- und GewĂ€sserschutzfachleute (VSA) erstellt dazu in Absprache mit dem BAFU ein Infoblatt mit Empfehlungen.
Im Februar prĂ€sentiert das BAFU neue Zahlen aus der nationalen Grundwasserbeobachtung NAQUA fĂŒr 2020. Sie zeigen: Metaboliten von Pestiziden belasten das Grundwasser grossflĂ€chig mit mehr als 0,1 Mikrogramm pro Liter. Betroffen ist hauptsĂ€chlich das landwirtschaftlich intensiv genutzte Mittelland. Besonders weit verbreitet sind Metaboliten des Fungizids Chlorothalonil. In Ackerbaugebieten ĂŒberschreiten sie an mehr als 80% der Messstellen 0,1 ÎŒg/l. Landesweit ist jede dritte Messstelle betroffen.
Das Bundesamt fĂŒr Energie (BFE) stellt am 5. Mai die Wasserkraftstatistik 2021 vor: Im Berichtsjahr hat demnach die Produktionserwartung aller 682 Zentralen ĂŒber 300 kW Leistung um 55 GWh zugenommen und betrug Anfang 2022 37'172 GWh. Eine ausserordentliche Korrektur betraf die Grande Dixence (+395 GWh), da dort mehr Wasser turbiniert wird, als bisher in der Statistik berĂŒcksichtigt. 20 Zentralen mit einer geplanten Jahresproduktion von 210 GWh standen 2021 im Bau. Am 16. Dezember veröffentlicht das BFE dann auch den Bericht: Energiestrategie 2050 - FĂŒnfjĂ€hrliche Berichterstattung im Rahmen des Monitorings. Im Bereich Wasserkraftnutzung hĂ€lt der Bericht fest, dass zwischen 2000 und 2020 164 neue Wasserkraftanlagen (>300 kW Leistung) in Betrieb genommen wurden, 140 davon nach 2009, als die kostendeckende EinspeisevergĂŒtung eingefĂŒhrt wurde.
Im Fall des Wasserkraftwerks Hallau an der Wutach befasst sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Frage, ob eine Restwassersanierung bei laufender Konzession weiter aufgeschoben werden kann, bis das Werk selbst erneuert und auch die FischgĂ€ngigkeit saniert ist. Die Frage wird bejaht, da die drei Verfahren voneinander abhĂ€ngig seien, auch wenn klar ist, dass die zurzeit abgegebene Dotierwassermenge ungenĂŒgend ist (Urteil A-720/2021).
In einem Fall im Lötschental entscheidet das Bundesgericht im MĂ€rz gegen den Kanton Wallis und die beteiligten Gemeinden fĂŒr mehr Restwasser (BGE 1C_401/2020): Die Herabsetzung der Mindestrestwassermenge erfordere eine besonders sorgfĂ€ltige AbklĂ€rung sowie eine InteressenabwĂ€gung im Einzelfall, begrĂŒndet das Gericht. Es dĂŒrfe nicht nur auf Fische abgestĂŒtzt werden, auch andere Arten mĂŒssen berĂŒcksichtigt werden. Ersatzmassnahmen mĂŒssen Lebensraum fĂŒr die tatsĂ€chlich vom Projekt betroffenen Arten schaffen. Im vorliegenden Fall kann ein neues Biotop fĂŒr Grasfrösche keinen Ersatzlebensraum anbieten fĂŒr Arten, die auf kaltes, rasch fliessendes und dynamisches Wasser spezialisiert sind.
Zwei Bundesgerichtsurteile bestĂ€tigen, dass illegal im GewĂ€sserraum erstellte Anlagen zurĂŒckgebaut werden mĂŒssen. Einmal geht es um Steinkörbe mit einer Solaranlage an einem Seitenbach der Reuss (1C_178/2021 vom 3. MĂ€rz) und einmal um einen Bootskran an der Aare (1C_600/2021 vom 25. August).
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz weist am 23. Mai die GewaÌsserraumfestlegung in Feusisberg als ungenuÌgend zuruÌck. Die Gemeinde hat sich auf Vorgaben des Regierungrats und des Schwyzer Umweltdepartements berufen, welche den gaÌnzlichen Verzicht auf eine GewaÌsserraumausscheidung fuÌr viele BaÌche als zulaÌssig erachten. Kantone und Gemeinden dĂŒrfen nach dem Urteil trotz ihres Ermessensspielraums die GewaÌsserraumausscheidung nicht pauschal vornehmen. Die AbwĂ€gung der Interessen muss aufgezeigt werden und hinter die Vorgaben der GewaÌsserschutzverordnung des Bundes kann nicht zuruÌckgegangen werden.
Am 23. November weist das Verwaltungsgericht des Kantons Jura die Beschwerden zweier Gemeinden gegen den kantonalen Sonderplan fĂŒr die GewĂ€sserrĂ€ume ab. Damit kann der Plan «PĂ©rimĂštre rĂ©servĂ© aux eaux» im ganzen Kanton in Kraft treten.
Der ZĂŒrcher Kantonsrat nimmt am 12. Dezember die im Februar 2020 vom Regierungsrat vorgestellte Neuauflage des ZĂŒrcher Wassergesetzes einstimmig an. Eine erste Version ist 2019 vom Volk verworfen worden, unter anderem weil befĂŒrchtet wurde, die Wasserversorgungen könnten privatisiert werden. Im Januar 2023 stellt der Kanton ZĂŒrich ausserdem den GewĂ€sserbericht 2022 mit vielen Fakten zum qualitativen und morphologischen Zustand der ZĂŒrcher FlĂŒsse und Seen sowie zum Grundwasser vor. Die KĂŒrzestfassung: Einiges wĂ€re eigentlich auf dem Weg zur Besserung, aber der Klimawandel trĂŒbt die Erfolge zunehmend.
Auch im Kanton Basel-Stadt legt die Regierung ein neues Wassergesetz vor. Wie in ZĂŒrich soll es die Themenbereiche Hochwasserschutz, GewĂ€sserschutz und Nutzung der GewĂ€sser neu in einem einzigen Erlass zusammenfassen. 2022 in Vernehmlassung schickt es der Regierungsrat schliesslich im MĂ€rz 2023 ans Parlament.
Im Kanton Schaffhausen stimmt am 30. Mai der Kantonsrat einer Ănderung des Wasserwirtschaftsgesetzes zu. Es erlaubt grundsĂ€tzlich eine erweiterte Wasserkraftnutzung am Rheinfall. Eine Kraftwerkskonzession wĂ€re aber obligatorisch dem Referendum unterstellt. Der Kanton ZĂŒrich hat sich bisher zu den KraftwerkplĂ€nen am Rheinfall nicht geĂ€ussert.
Zahlreiche grössere Projekte und Wassermanagementkonzepte in den Kantonen lassen sich 2022 auf die Folgen des Klimawandels zurĂŒckfĂŒhren, und zwar sowohl auf lĂ€ngere Trockenperioden als auch auf vermehrt drohende Starkregenereignisse. Fast durchwegs erlassen die Mittellandkantone wie St. Gallen, Thurgau oder Luzern ab Juli BeschrĂ€nkungen oder Verbote fĂŒr Wasserentnahmen aus kleineren BĂ€chen und mĂŒssen Notabfischungen vornehmen. Die Waadt und Jura nehmen die UnterstĂŒtzung der Armee an, die bei der Notversorgung von trockenen Alpen mit Wasser hilft. Basel-Land passt seine Verordnung der Wasserversorgung in Mangellagen an, Bern und das Wallis ihre Wasserstrategien. In Bern will eine Motion, dass die Betreiber von alpinen Stauseen verpflichtet werden können, bei Knappheit Wasser abzugeben, um im Flachland einen Beitrag zur Speisung des Grundwassers und der GemĂŒsebauern im Seeland zu leisten. Der Regierungsrat verwirft das Ansinnen. Analysen zeigten, dass selbst grosse Speicher wie der Grimselsee «keine massgeblichen BeitrĂ€ge» zur Linderung der Trockenheit im Mittelland leisten könnten. Die SpeicherkapazitĂ€t sei zu gering und die Entfernung zum Mittelland zu gross, argumentiert der Regierungsrat. Die Mehrfachnutzung von alpinen Speichern ist auch im Wallis ein Thema: Eine Motion verlangt, dass die KonzessionĂ€re zur Abgabe von Trinkwasser verpflichtet werden können, um die Gemeinden vor hohen Kosten zu schĂŒtzen.
In St. Gallen verabschiedet der Regierungsrat einen Bericht ĂŒber die langfristige WasserverfĂŒgbarkeit. Der Thurgau bildet einen Fachstab, der im Rahmen einer Trockenheitsstrategie Massnahmen erarbeitet, u.a. mit einer Trink- und Brauchwasserplanung, welche den Anbau von trockenheitsresistenten Kulturen fördert.
In Luzern bewilligt das Stadtparlament im Februar ĂŒber 13 Millionen Franken fĂŒr zwei neue RegenrĂŒckhaltebecken. Der Kanton Neuenburg Ă€ndert seine Organisation im Tiefbau in Bezug auf den Klimawandel: Er grĂŒndet im MĂ€rz ein neues Amt fĂŒr FliessgewĂ€sser und Naturgefahren.
Mehrere seit Jahren in der Planung stehende grössere Flussbauprojekte machen 2022 Fortschritte: FĂŒr das Hochwasserschutz- und Revitalisierungsprojekt RHESI am Alpenrhein werden erstmals Auflageprojekte vorgestellt. In den kommenden 20 Jahren sollen rund 1,4 Mrd. Franken investiert werden. An der Thur stellt St. Gallen die Aufwertungen im unteren Toggenburg vor. Das Thurgauer Parlament genehmigt im Dezember das Hochwasserschutz- und Revitalisierungskonzept Thur+ der Regierung. Es sieht in den kommenden 30 Jahren Investitionen von rund 325 Millionen Franken vor. Der Kanton ZĂŒrich plant mit «Fil Bleu» Uferwege und eine Aufwertung der Glatt. Der Kantonsrat bewilligt dafĂŒr am 5. September einen Rahmenkredit ĂŒber 63 Millionen Franken. Die Luzerner Regierung verabschiedet im Juni das Projekt «Hochwasserschutz und Renaturierung Reuss». Der Kredit ĂŒber rund 200 Millionen Franken muss noch vors Volk. FlussabwĂ€rts plant auch der Kanton Aargau, den Hochwasserschutz an der Reuss zu erhöhen. Ein vorgesehener RĂŒckhalteraum im Bereich der LorzemĂŒndung in den Kantonen ZĂŒrich und Zug muss der Regierungsrat im Mai allerdings fallenlassen â er hĂ€tte zwar Ackerland verschont, hingegen ein geschĂŒtztes Flachmoor und eine Moorlandschaft von nationaler Bedeutung beansprucht. Der Kanton Uri schliesslich verabschiedet am 1. MĂ€rz ein neues Verkehrskonzept im Falle eines Reusshochwassers. Grund dafĂŒr: Die Gotthardautobahn A2 dient dann als Entlastungskorridor fĂŒr das Wasser bis zum Urnersee.
Im September beginnt der Kanton Fribourg mit der Aufwertung der Kleinen Glane (Petite GlĂąne). Bis 2026 sollen insgesamt rund sieben Kilometer revitalisiert und gut 20 Millionen Franken investiert werden. Der Kanton Genf stellt 2022 die vierte Etappe der Revitalisierung der Aire zwischen der Landesgrenze und der Stadt fertig. Am 24. August spricht der Regierungsrat zudem rund 60 Millionen Franken fĂŒr die Teil-Ausdolung der beiden BĂ€che Aire und Drize im stark ĂŒberbauten Gebiet von Carouge bis zur MĂŒndung in die Arve.
Die Kantone Wallis und Waadt arbeiten an der dritten Rhonekorrektion. Die Walliser Regierung beantragt dem Parlament drei Verpflichtungskredite ĂŒber insgesamt rund 180 Millionen Franken fĂŒr die Abschnitte Sierre bis GrĂŽne sowie prioritĂ€re Massnahmen fĂŒr die Abschnitte Riddes - Fully und Chessel - Port-Valais im Chablais vor der MĂŒndung in den Genfersee. Hier, wo der Fluss die Kantonsgrenze bildet, wird das Projekt fĂŒr den Abschnitt auf Höhe Yvorne bis Vouvry öffentlich aufgelegt. Auch eine Aufwertung des Rhonedeltas wird projektiert.
Mehrere Kantone verabschieden ihre Planung fĂŒr die Revitalisierung der Seeufer, so Glarus, Obwalden und GraubĂŒnden.
Wesentliche Debatten um den weiteren Ausbau der Wasserkraft laufen 2022 auf nationaler Ebene, unter anderem die Festschreibung von 15 alpinen Speicherprojekten zur Steigerung der Winterstromproduktion im «Mantelerlass», wie sie im Prozess «Runder Tisch Wasserkraft» evaluiert wurden. Drei Hinweise zu weiteren Entwicklungen:
Die Staatsanwaltschaft St. Gallen bĂŒsst ein Unternehmen wegen Verschmutzung des Bodensees und der Goldach mit dem seit 2011 verbotenen Stoff PerfluoroctansulfonsĂ€ure (PFOS) in Löschschaum. Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS), zu denen auch PFOS gehört, sind sehr langlebig und können sich in der Nahrungskette anreichern. Dadurch sind sie eine Gefahr fĂŒr fischfressende Vögel und SĂ€uger. Sie sind auch in anderen Kantonen vermehrt ein Thema. Im Oberengadin (GR) und im Goms (VS) finden die Behörden lokal erhöhte PFAS-Belastungen wegen Langlaufwachs. Im Wallis treten erhöhte Konzentrationen im Boden, OberflĂ€chen- und Grundwasser auf unterhalb der Raffinerie von Collombey, vereinzelt ĂŒber dem zulĂ€ssigen Grenzwert fĂŒr Trinkwasser. FĂŒr einen Baggersee wird darauf ein Fischfangverbot erlassen.
Die Kantone Luzern und Zug (Juli) sowie Schwyz (Dezember) legen die Zuströmbereiche fĂŒr den Zugersee fest. In LU und ZG werden rund 70 Bauernbetriebe Massnahmen treffen mĂŒssen, damit weniger NĂ€hrstoffe in den See gelangen. Wie viele im Kanton SZ betroffen sind, ist offen. Mit einer ZirkulationsunterstĂŒtzung im Winter sind auch technische, seeinterne Massnahmen geplant.
Die Genfer Regierung unterstĂŒtzt am 2. November die Motion «Microplastiques dans le LĂ©man: stop pollution !». Die Reduktion der Plastikemissionen sei ein zentrales Ziel im kantonalen Abfallwirtschaftsplan. Gemeinsam mit der internationalen Genfersee-Schutzkommission (CIPEL) arbeite man daran, die Quellen der Verschmutzung zu identifizieren und Massnahmen zu bestimmen.
Die EU-Kommission plant eine Strategie zur BekĂ€mpfung der Umweltverschmutzung durch Mikroplastik. Sie lanciert am 22. Februar dazu eine Anhörung. Gleichzeitig veröffentlichen mehrere Organisationen um den Bodensee eine Charta zur Reduzierung und Vermeidung von Mikroplastik und PlastikmĂŒllverschmutzung in und um Seen [10]. Ziel ist eine Selbstverpflichtung der Gemeinden rund um den Bodensee zum Ergreifen von Massnahmen gegen Mikroplastik.
Die Organisation fĂŒr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) prĂ€sentiert am 4. MĂ€rz den Bericht «Financing a Water Secure Future» [11]. Darin wird festgehalten, dass das UN-Nachhaltigkeitsziel SDG 6 â Sauberes Wasser und SanitĂ€reinrichtungen â wegen unzureichender Investitionen verfehlt wird. Weiterhin leben zwei Milliarden Menschen ohne sichere Trinkwasserversorgung und die Verluste an Feuchtgebieten schreiten voran. «Um die Ziele in den Bereichen Trinkwasser, Abwasserentsorgung und Hygiene (SDG 6) bis 2030 zu erreichen, muss das Tempo der Fortschritte um das Vierfache erhöht werden», hĂ€lt auch der UN-Report ĂŒber die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele fest [12].
Ăber 170 Wasserversorger in den Einzugsgebieten der grossen europĂ€ischen FlĂŒsse aus 18 LĂ€ndern unterzeichnen am 22. MĂ€rz das «EuropĂ€ische Grundwasser-Memorandum zur Sicherung der QualitĂ€t und QuantitĂ€t des Trinkwassers fĂŒr kĂŒnftige Generationen» â ein beachtlicher Schulterschluss.
Der Weltklimarat IPCC stellt in seinem Report vom 4. April fest, wie der Klimawandel bereits heute nachteilige Auswirkungen auf die Wassersicherheit hat. Die Klimarisiken fĂŒr Ăkosysteme und Menschen nehmen weltweit rapide zu, warnt der IPCC. Nur konsequenter Klimaschutz und frĂŒhzeitige Klimaanpassung könnten Risiken verringern.
Die EU-Kommission legt am 22. Juni den Entwurf fĂŒr eine neue Pestizidverordnung vor. Unter anderem soll damit der Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln bis 2030 halbiert werden. Am 26. Oktober legt die EU-Kommission den Vorschlag fĂŒr die revidierte Abwasserrichtlinie vor. Sie enthĂ€lt unter anderem Regeln fĂŒr eine energiesparende Abwasserbehandlung, eine KostenĂŒbernahme durch die Industrie fĂŒr die Entfernung von Mikroverunreinigungen, eine verstĂ€rkte BerĂŒcksichtigung von Einleitungen von IndustrieabwĂ€ssern in die öffentliche Kanalisation, Regeln zum Umgang mit Regenwasser und ein Monitoring von Gesundheitsparametern im Abwasser. In diesem Rahmen schlĂ€gt die Kommission auch eine Aktualisierung der Liste der Schadstoffe vor, die in OberflĂ€chengewĂ€ssern und im Grundwasser strenger kontrolliert werden mĂŒssen. Dazu gehören PFAS, zahlreiche Pestizide (vor allem Pyrethroide und Neonicotinoide sowie Abbauprodukte), Bisphenol-A und hormonaktive Substanzen. Neu sollen auch kumulative Wirkungen von Stoffgemischen berĂŒcksichtigt werden.
Im Rahmen der WeltbiodiversitÀtskonferenz COP-15 im kanadischen Montreal werden im Dezember neben NÀhrstoffen und Pestiziden neu auch generell «gefÀhrliche Chemikalien» in die Konventionen aufgenommen.
Die folgenden wasser- oder gewĂ€sserrelevanten Themen werden 2023 absehbar auf den BĂŒhnen der Politik diskutiert:
Sie will die Verbauung von Kulturland stoppen und dem Bauen ausserhalb der Bauzonen Grenzen setzen. Welche Auswirkungen die Initiative auf die Bereiche Hochwasserschutz, Revitalisierung und GewĂ€sserraum hĂ€tte, ist offen. Das Parlament hat die Behandlungsfrist bis zum 8. MĂ€rz 2024 verlĂ€ngert. Eine Volksabstimmung wird frĂŒhestens 2024 stattfinden.
Das Parlament muss 2023 ĂŒber den indirekten Gegenvorschlag befinden. Vorgesehen sind BiodiversitĂ€tsgebiete, die auch GewĂ€sser umfassen können.
Dieses Volksbegehren hat nur indirekt mit Wasser zu tun. Ziel ist der Kampf gegen den Klimawandel mit einer Netto-Null-Schweiz ab 2050. Die Initiative wurde bedingt zurĂŒckgezogen, nachdem das Parlament Ende September das neue «Bundesgesetz ĂŒber die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die StĂ€rkung der Energiesicherheit, KIG» (21.501) als indirekten Gegenvorschlag angenommen hat.
Der Mantelerlass Sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (21.047) umfasst Energie- und Stromversorgungsgesetz, mit Ănderungen im weiteren Erlassen. Wasserrelevant sind namentlich die AusbauplĂ€ne und Fördermechanismen fĂŒr die Wasserkraft. Der Nationalrat hat am 13. MĂ€rz 2023 zudem die Restwasservorschriften fĂŒr Neukonzessionen bis 2035 sistiert, und pendent sind in diesem Zusammenhang zwei Postulate der nationalrĂ€tlichen Umweltkommission: (23.3007) «Mehr Strom bei gleichzeitiger Verbesserung der BiodiversitĂ€t der GewĂ€sser» und (23.3006) «Erhöhung der Stromproduktion dank der Erneuerung und Erweiterung der Grosswasserkraftwerke.» Am 14. Februar 2023 hat ausserdem die Kleinwasserkraftvereinigung Swiss Small Hydro eine Volksinitiative lanciert, die Nutzungsanliegen in der Verfassung höher gewichtet will als andere nationale Interessen.
Nitrat im Grundwasser und entsprechende DĂŒngebeschrĂ€nkungen werden Thema bleiben, trotz der abgeschwĂ€chten Zielsetzung aufgrund der Motion (22.3795) von Johanna Gapany (FDP/FR). Dies auch in der EU, die gegenĂŒber den Mitgliedstaaten das Vorsorgeprinzip nochmals gestĂ€rkt hat. Ins Parlament kommt nun auch die Agrarpolitik ab 2022, AP 22+, (20.022). Die Vorlage war 2020 im Vorfeld der Abstimmungen, ĂŒber die Pestizid- und die Trinkwasserinitiative sistiert worden. Die 260seitige Botschaft enthĂ€lt zahlreiche wasserrelevante Bestimmungen. Vieles ist aber mit dem Aktionsplan Pflanzenschutz sowie der Bearbeitung der 2021 angenommenen parlamentarischen Initiative (19.475) «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» bereits eingeleitet. Mit der Motion «Reduktion der StickstoffeintrĂ€ge aus den Abwasserreinigungsanlagen» (20.4261) hat der Bundesrat zudem noch einen Auftrag vor sich.
FĂŒr den Sommer 2023 ist eine Vernehmlassung geplant zum planerischen Grundwasserschutz. Ende Jahr will das UVEK Grenzwerte fĂŒr weitere Pestizide und andere Mikroverunreinigungen in Kraft setzen. Ebenfalls noch 2023 soll die Pflicht zur Berichterstattung bei Trockenheitsereignissen fĂŒr die Kantone in Vernehmlassung geschickt werden.
Aufgrund einer Anfrage (22.7982) von Jon Pult (SP/GR) zu Grenzwerten fĂŒr PCB sowie des Postulats Postulat (22.4585) von Tiana Moser (GLP/ZH) kĂŒndigt der Bundesrat an, im FrĂŒhling 2023 ĂŒber weitere Schritte fĂŒr eine ĂŒbergeordnete Strategie zum Umgang mit langlebigen und giftigen Stoffen wie PFAS, TFA und PCB in der Umwelt und zur Sanierung der beeintrĂ€chtigen Umweltbereiche zu orientieren. Das Postulat Moser verlangt einen eigentlichen Aktionsplan zur Belastungsreduktion von Mensch und Umwelt durch langlebige Chemikalien. Deutschland will gemeinsam mit DĂ€nemark, den Niederlanden, Norwegen und Schweden per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS) in der EuropĂ€ischen Union verbieten lassen. Etwa 10â000 dieser «ewigen Chemikalien» sollen beschrĂ€nkt werden. Ein Vorschlag ist bei der EuropĂ€ischen Chemikalienagentur ECHA eingereicht.
Die Parlamentarische Initiative «Schweizer Kreislaufwirtschaft stĂ€rken» (Pa.Iv. 20.433) kommt im Mai 2023 in der Sondersession ins Parlament. Sie enthĂ€lt wasserrelevante Bestimmungen, so zur RĂŒckgewinnung von Stickstoff und Phosphor aus dem Abwasser. Vom Bundesrat zuhanden des Parlaments verabschiedet ist ausserdem eine Revision des Wasserbaugesetzes WBG. Neu ist darin das integrale Risikomanagement verankert.
Die Autoren bedanken sich bei Julia Schegg und Reto Schmid. Julia Schegg hat zu wasserpolitischen Ereignissen in den Kantonen und beim Bundesgericht recherchiert, Reto Schmid von der Vereinigung fĂŒr Umweltrecht VUR hat RĂŒckmeldungen zu den Gerichtsentscheiden gemacht.
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