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Fachartikel
30. November 2020

Interview

Stefan Henrich und Peter Dütschler: «Künftig sind die Geodaten des Untergrunds mindestens in 2,5D erforderlich.»

Die Dokumentation der Netze ist eine zentrale Aufgabe von Versorgungsunternehmen. Oft werden dafür Geografische Informationssysteme (GIS) herangezogen. Die Dokumentation dient dem Netzbetreiber zur Infrastrukturplanung, zu Netzberechnungen oder für betriebswirtschaftliche Zwecke. Zudem ist sie Grundlage für Netzauskünfte resp. für die Erstellung eines Leitungskatasters. Um Gas- und Wasserversorger bei der Netzdokumentation zu unterstützen, veröffentlichte der SVGW 2001 die Empfehlung GW1002 «GIS für Werkdaten». Auch der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA beschäftigt sich mit dem Thema, was in der Norm SIA 405 «Geodaten zu Ver- und Entsorgungsleitungen» resultierte. Im Interview geben Peter Dütschler, Präsident der SIA-Kommission 405, und Stefan Henrich, Vertreter des SVGW in dieser Kommission, Auskunft zu diesen beiden Normenwerken und wie sie weiterentwickelt werden könnten.
Margarete Bucheli 

Die Norm SIA 405 wurde 1998 erstmals veröffentlicht und 2012 überarbeitet. Was bezweckt diese Norm, was ist in ihr geregelt?

Peter Dütschler (PD): Die Norm SIA 405 «Geodaten zu Ver- und Entsorgungsleitungen» bezweckt die einheitliche Dokumentation der ober- und unterirdischen Infrastrukturen der Medien Wasser, Abwasser, Gas, Elektrizität, Kommunikation, Fernwärme wie auch anderer Medien. Diese Geodaten sind besser bekannt als Leitungskataster.


Die Norm wird ergänzt durch drei Merkblätter. Welche Themen behandeln diese?

PD: Die Norm selbst ist eher dünn, die Detailinformationen für die Umsetzung der Norm finden sich in den Merkblättern: Das Merkblatt 2016 beschreibt die Geodatenmodelle aller durch die Norm abgedeckten Medien. Zudem enthält es das Modell LKMap, das den Umfang und die Struktur der Geodaten beschreibt, die aus den Werkinformationssystemen der einzelnen Ver- und Entsorger extrahiert und zur Darstellung des zusammengefügten Leitungskatasterplans verwendet werden. Das Merkblatt 2015 behandelt den Dateninhalt, d. h. es umfasst Objekt- und Darstellungskataloge zu Ver- und Entsorgungsleitungen. Das Merkblatt 2045 schliesslich enthält Empfehlungen für die Publikation von Leitungsdaten mittels Geowebdiensten und macht Angaben zur Darstellung der Daten als Leitungskataster. Das medienübergreifende Geodatenmodell LKMap ermöglicht einen einfachen und einheitlichen Datenaustausch der Leitungskatasterinformationen durch die Werke.

Der SVGW publizierte 2001 die zweiteilige Empfehlung GW1002 zu Geografischen Informationssystemen für Werkdaten. Wie steht diese Empfehlung zur SIA-Norm, und zog die Revision der SIA-Norm im Jahr 2012 Anpassungen an der SVGW-Empfehlung nach sich?

Stefan Henrich (SH): Bei der Revision der Norm SIA 405 im Jahr 2012 wurde die SVGW-Empfehlung GW1002 integriert. Das heisst, man hat das Datenmodell der GW1002 genommen, neu in INTERLIS1 2 modelliert und mit den übrigen Medien der SIA-Norm harmonisiert. Dies führte faktisch dazu, dass für den Datenaustausch von Werkinformationen in den Bereichen Wasser und Gas die SIA-Modelle zur Grundlage wurden. Weil die GW1002 heute nicht mehr in Erscheinung tritt und im Bereich Wasser/Gas nur die SIA-Modelle angewendet werden, glauben viele Nutzer, dass der SIA für diese Modelle zuständig sei. Dem ist jedoch nicht so. Der SVGW steht hier in der Pflicht, «seine» Datenmodelle zu unterhalten und weiter zu entwickeln.
PD: Basis für das Geodatenmodell des SIA sind die Fachmodelle der Verbände; die Norm SIA 405 ist ein Auszug daraus, sozusagen das Darstellungsmodell (LKMap), das aus den Fachmodellen automatisch generiert werden kann. D. h. LKMap ist kein Verwaltungsmodell für detaillierte Werkinformationen (Lagedaten und eine Vielzahl von Sachdaten), sondern ein vereinfachtes, medienübergreifendes und darstellungsorientiertes Modell, das erlauben soll, den durch Leitungen und zugehörigen Bauwerken belegten (ober- und unterirdischen) Raum abzubilden. Im Leitungskataster wird lediglich dargestellt, wo im Untergrund Leitungen liegen und wem diese gehören, weitergehende Informationen sind darin nicht zu finden.

Aktuell ist die Arbeitsgruppe S-AG5 GIS des SVGW daran, die Empfehlung GW1002 zu überarbeiten und dabei vor allem auch die Datenmodelle für Werkinformationen anzupassen (Gas, Wasser) bzw. neu zu erstellen (Fernwärme). Wie frei ist der SVGW bei der Ausgestaltung dieser Datenmodelle angesichts bestehender Systeme/Modelle?

SH: Die Arbeitsgruppe hat in einem ersten Schritt zusammengetragen, welche Informationsbedürfnisse heute aus Netzinformationssystem-(NIS-)Daten befriedigt werden müssen. Das können nationale Bedürfnisse sein, wie sie in der Verordnung über die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung in Notlagen (VTN)2 formuliert sind. Dabei ist die Verpflichtung zur Erstellung eines Inventars über die Wasserversorgungsanlagen, Grundwasservorkommen und Quellen zu nennen (ehemals Wasserversorgungsatlas). Aber auch kantonale Bedürfnisse gehören dazu, wie die Daten für ein Generelles Wasserversorgungsprojekt einer Gemeinde oder für die Gebäudeversicherung. Zudem sind bei grossen Werkeigentümern häufig komplexere Anlagen im Einsatz, bei denen das Asset Management stark mit dem NIS verzahnt ist.
Nun geht es in einem nächsten Schritt darum festzulegen, welche Informationen gesammelt und wie diese abgelegt werden sollen. Es wird eine Gratwanderung sein, die Systemgrenzen für die neuen Modelle zu ziehen. Bei der Datenmodellierung gibt es oft mehrere Wege, wie die Realität abgebildet werden kann. Ausserdem wird kaum ein Werkeigentümer, der bereits mit einem bestimmten NIS arbeitet, dazu bereit sein, seine Daten in ein neues Datenmodell kostspielig zu migrieren. Ich sehe daher die zukünftigen Modelle mehr als Hilfestellung, wie man Aspekte, die früher nicht in den Werkinformationen gepflegt wurden, neu ebenfalls im NIS abbilden und pflegen könnte.


Es wird derzeit auch diskutiert, mit Revisionsarbeiten an der SIA-Norm zu beginnen. Welche Themenbereiche sollten im Zuge eines solchen Revisionsprojekts weiterentwickelt bzw. ergänzt werden?

PD: Das aktuelle Modell stammt aus dem Jahre 2012. In der Regel beträgt ein Normenzyklus fünf Jahre, eine Überarbeitung ist also überfällig. Immer mehr Kantone verwenden die Norm SIA 405 als Grundlage für ihre kantonalen Leitungskataster. Von Seiten der Nutzer werden verschiedene Wünsche an den SIA herangetragen: Diese fordern vermehrt die 3. Dimension, die Historisierung (auch 4. Dimension genannt) und eine BIM-Schnittstelle (GeoBIM). Überdies wird geprüft, ob die Norm vereinfacht und die Merkblätter integriert werden können.
SH: Es ist vorgesehen, dass die SIA-Norm nur den Leitungskataster in Form des Datenmodelles LKMap behandeln soll. Die Verantwortung für die Datenmodelle der Werkinformationen wird weiterhin bei den jeweiligen Fachverbänden wie SVGW, VSA oder VSE (Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen) liegen respektive wieder dorthin zurückkehren.
PD: Der SIA freut sich deshalb, dass sich der SVGW dem Thema der Normierung im Bereich Werkinformationen wieder annimmt und daran ist, die Empfehlung GW1002 grundlegend zu überarbeiten.

 

 

Wer sind neben der SIA die Akteure im GIS-Kosmos der Schweiz? Welche Rollen spielen die einzelnen Akteure und welche Rolle hat insbesondere der Bund?

SH: Das nationale Geoinformationsgesetz von 2007 (GeoIG) hat dem Bundesamt für Landestopografie swisstopo weitreichende Kompetenzen erteilt, was die Standardisierung und Modellierung von Geobasisdaten betrifft. Swisstopo ist die treibende Kraft, wenn es um die Nutzung von INTERLIS als Modellierungssprache und die Erstellung von Datenmodellen auf nationaler Ebene geht. Nebst swisstopo ist das BAFU dasjenige Bundesamt, das gemäss GeoIG und dazugehörigen Ausführungsverordnungen am meisten minimale Geodatenmodelle zu definieren und zu pflegen hat. Unter diesen sind auch zahlreiche Modelle zum Thema Wasser, z. B. die vorhin erwähnten Inventare der Grundwasservorkommen und Wasserversorgungsanlagen oder der Trinkwasserversorgung in Notlagen.
PD: Es ist wichtig, dass der Bund nicht überall neue, eigene Datenmodelle entwickelt. Dort, wo schon Lösungen bestehen, sollten diese übernommen und lediglich definiert werden, welche minimale Datensätze übermittelt werden müssen. Beschreibungen von minimalen Geodatenmodelle müssten allerdings kostenlos erhältlich sein. Daher muss die Finanzierung von Datenmodellen, die der Bund von Verbänden oder anderen Organisationen übernimmt, geregelt werden.

Der Platz im Untergrund ist begrenzt und wird momentan stark beansprucht. Man liest bereits vom «Dichtestress» oder vom «Chaos» im Untergrund. Raumplanung im Untergrund ist daher von Nöten. Welche Anpassungen, insbesondere hinsichtlich der dritten Dimension, braucht es, damit Planwerke, wie Leitungskataster und Werkinformationen sinnvoll bei der unterirdischen Raumplanung genutzt werden können?

SH: Ich bin nicht der Meinung, dass im Untergrund ein Chaos herrscht. Das mag wohl für den Laien, der in einen offenen Graben blickt, so aussehen; doch die Werkbetreiber sind im Allgemeinen bemüht, die Eigenschaften ihres Leitungsnetzes – und dazu gehört die Lage und Tiefe der Leitungen und Armaturen – zu dokumentieren. Die aktuell gültigen SIA-Modelle wurden bei der Revision 2012 bereits so ausgelegt, dass 3D-Datentypen unterstützt werden. Nur ist mir kein NIS bekannt, welches offiziell mit diesen Datentypen arbeitet. Den Grund dafür sehe ich in der Tatsache, dass noch viele Fragen ungeklärt sind und der Mehrwert im Vergleich zum Aufwand bei den Feldaufnahmen noch nicht ersichtlich ist. Bei der Erfassung einer Wasserleitung im Feld wird nur eine Achse aufgenommen. Der Schritt, daraus einen Volumenkörper zu generieren, der sich dann in einer schönen 3D-Ansicht von allen Seiten betrachten lässt, wurde in den gängigen NIS noch nicht umgesetzt. Und nach wie vor wird ein Plan in 2D benötigt.
PD: Für das Chaos im Untergrund sind nicht die SIA-405-Medien verantwortlich; deren Leitungsverläufe sind in dicht besiedelten Gebieten recht gut dokumentiert. Mit dem Chaos sind vielmehr fehlende oder nur schwer verfügbare Informationen zu weiteren unterirdischen Infrastrukturen gemeint, wie Bohranker, Erdsonden, Bohrungen etc. Gerade in Städten ist der Untergrund stark genutzt. Häufig fehlen eine einheitliche Dokumentation und ein geregeltes Planungsverfahren. Dadurch gilt momentan leider oft: Wer zuerst bohrt, hat gewonnen. Der Begriff Chaos wird vor allem im Zusammenhang mit grossen Bauprojekten wie Tunnelbauten oder S-Bahn-Projekten verwendet, die grosse Unwägbarkeiten bergen, was zum Teil dazu führt, dass für das Auffinden, Dokumentieren und Wiederherstellen von im Untergrund vorhandenen Leitungen enorme Aufwendungen betrieben werden müssen.
Insbesondere in dicht bebauten Siedlungsgebieten – Städten und Agglomerationen – ist es sehr eng im Untergrund. Was aktuell sicher fehlt, ist der Überblick in drei Dimensionen; das erschwert die Planung. Daher sind künftig die Geodaten des Untergrunds mindestens in 2,5D erforderlich, besser wäre eine 3D-Abbildung. 2,5D bedeutet dabei, dass im Datenmodell die dritte Dimension nicht vollwertig bezogen auf die 2D-Lageinformation gespeichert ist. Vielmehr ist die dritte Dimension nur als Attribut der zweidimensional modellierten Objekte verfügbar. Wichtig scheint mir, dass bald ein Modell entwickelt wird, mit dem sich 2,5D oder 3D erfassen lässt, damit diejenigen, die wollen oder müssen, rasch beginnen können und dank des Modells einen Investitionsschutz haben. Andernfalls droht ein Wildwuchs, und ein einfacher Überblick über die Verhältnisse im Untergrund wird utopisch.

Die fortschreitende Digitalisierung macht auch vor der Baubranche nicht halt. Modellbasiertes Bauen (BIM, Building Information Modeling) entwickelt sich im Hochbau zum Standard. Wer ist Taktgeber der aktuellen Entwicklungen? Gibt es in der Schweiz bereits Normen zum Thema und welche Anpassungen an der Norm SIA 405 bzw. an der SVGW-Empfehlung GW1002 sind erforderlich, um für BIM im Tiefbau gerüstet zu sein?

PD: Mir ist das Beispiel Genf bekannt. Hier wurde die Abteilung «Smart City» geschaffen. Als ein Element wird GeoBIM, also BIM im Untergrund, vorangetrieben. Genf beschäftigt sich nun bereits seit zwei Jahren zusammen mit der EPFL und der Hochschule für Landschaft, Technik und Architektur Genf (HEPIA) mit dem Thema. Auf Grossbaustellen wird BIM bzw. GeoBIM in der Schweiz wohl als erstes zur Anwendung kommen. Dabei ist nicht die Frage ob, sondern wann.
Beim SIA gibt es eine Kommission, die sich mit BIM – vor allem im Hochbau – beschäftigt. Diese hat ein Merkblatt erarbeitet, das Ende 2017 erschienen ist: SIA 2051 – Building Information Modelling (BIM) – Grundlagen zur Anwendung der BIM-Methode. Hauptziel des Merkblatts ist, eine gemeinsame Grundlage der Verständigung in der Anwendung der BIM-Methode zu schaffen. Ergänzt wird das Merkblatt durch zwei Dokumentationen, D 0270 und D 0271, die als praktische Anwendungshilfe dienen. Wie bereits erwähnt ist zudem angedacht, bei der Revision der SIA-Norm 405, das Thema der BIM-Schnittstelle aufzunehmen.
SH: Als Beispiel kann ich die BIM-Strategie des Tiefbauamts des Kantons Aargau nennen. Diese sieht vor, dass ab 2025 bei allen neu startenden Projekten BIM für die Projektabwicklung eingesetzt werden soll. Ich sehe die heutigen NIS als Zulieferer von Daten für den BIM-Prozess. Das heisst nicht, dass wir im NIS 3D-Visualisierungen darstellen können müssen, sondern die Daten so anreichern sollten, dass daraus 3D-Objekte erzeugt und in die BIM-Modelle übergeben werden können. Dies kann dadurch erreicht werden, dass – analog zum Hochbau – auch im Wasser, im Gas und in der Fernwärme auf digitale Bauteil-Kataloge referenziert wird. Für das GW1002-Datenmodell, das momentan durch die SWGW-Arbeitsgruppe S-AG5 entwickelt wird, bedeutet das zudem, dass zwingend die Erfassung von Daten in 2,5D eingefordert werden muss.

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