Knapp 600 Fälle der Legionärskrankheit registrierte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in der Schweiz im Jahr 2019 – das sind rund 60% mehr als 2016 [1]. Die durch Legionellen hervorgerufene und als Legionellose oder Legionärskrankheit bekannte Lungenentzündung gehört zu den meldepflichtigen Erkrankungen und endet bei rund 10% der Patienten tödlich. Legionella pneumophila (L.p.) ist für über 95% der Legionellose-Fälle verantwortlich, wobei davon über 80% auf L.p. der Serogruppe 1 (SG1) zurückzuführen sind [2].
Charakteristisch für die Legionellen ist ihre relative Hitzeresistenz. So können sie sich bei Temperaturen um 42 °C noch vermehren, was ihnen einen Wachstumsvorteil gegenüber anderen Bakterien verschafft [3]. Erst oberhalb 50 °C beginnen Legionellen allmählich zu sterben, wie mit Standard-Plattenexperimenten gezeigt wurde [4]. Tote Legionellen sind nach dieser traditionellen Definition Bakterien, die nicht mehr auf Nährstoffplatten heranwachsen.
Tatsache ist aber, dass Bakterien bei Stress, ausgelöst durch hohe oder tiefe Temperaturen, Oxidationsmittel, UV-Strahlung, oder Nährstoffmangel in einen Ruhezustand – den VBNC-Zustand (engl. viable but non-culturable) – übergehen können [5]. In diesem Zustand verfügen die Zellen über eine gegenüber physikalischen und chemischen Stressoren erhöhte Stabilität, büssen aber mindestens zeitweise ihre Vermehrungsfähigkeit ein. Solche Bakterien können nicht kultiviert werden und bleiben daher mit der Plattenmethode unentdeckt. Da sie jedoch über eine intakte Zellmembran und einen aktiven Metabolismus verfügen, sind sie nicht tot und in analytischer wie auch seuchenhygienischer Hinsicht durchaus noch relevant [5, 6]. Ein Teil der Bakterien im VBNC-Status ist nämlich immer noch infektiös, wenn auch in geringerem Ausmass als ihre kultivierbaren Vertreter [7]. Zudem ist breit akzeptiert, dass VBNC-Zellen wieder in den kultivierbaren Zustand wechseln können [6].
Für die Risikobeurteilung haben diese Eigenschaften der VBNC-Zellen weitreichende Folgen. Es ist also nicht nur so, dass die Standardmethode zum Nachweis von Legionellen, ISO 11731 [8], in Proben mit viel Begleitflora unzuverlässige Resultate liefert und mit einer Analysendauer von 14 Tagen viel Zeit braucht [9–11]. Dazu kommt, dass die Methode VBNC-Zellen nicht detektiert. Zellen also, die unter bestimmten Umständen im Leitungsnetz wieder aufkeimen können. Eine Analyse mittels Durchflusszytometrie (DZ) nach einer spezifischen, immunomagnetischen Separation (IMS) liefert nicht nur Resultate innerhalb eines Arbeitstages, sondern ermöglicht auch die intakten Legionellen, inklusive der VBNC-Zellen, zu quantifizieren. Die rqmicro AG, ein Schweizer Technologieunternehmen, hat damit einen Schnelltest entwickelt, um die Sicherheit von Wassersystemen zu überprüfen. Das Kantonale Labor Thurgau und die Berliner Wasserbetriebe (BWB) nutzen diese Methode und haben sie unter idealen Bedingungen sowie für unterschiedliche Realproben mit der Standard-Plattenmethode verglichen.
Die Basis der neuen Methode bildet die immunomagnetische Separation (IMS) der Zielzellen mithilfe magnetischer Partikel, die mit hochspezifischen Antikörpern beschichtet sind. Durch diesen Schritt werden die Legionellen aufgereinigt und konzentriert. Indem die Legionellen zusätzlich mit fluoreszenzmarkierten Antikörpern grün angefärbt werden, können sie nach der IMS im Durchflusszytometer (DZ) quantifiziert werden. Membrangeschädigte und damit tote Zellen werden zur Unterscheidung mithilfe eines speziellen roten Farbstoffes markiert. Die Methode detektiert damit Legionellen in allen drei Zuständen, in denen sie in der Natur vorkommen – lebendig und vermehrungsfähig, lebendig, aber inaktiv sowie tot.
Um die Vergleichbarkeit zwischen der Plattenmethode und IMS/DZ unter idealen Bedingungen zu untersuchen, wurde ein handelsĂĽbliches Trinkwasser mit frisch kultivierten L.p. SG1-Zellen versetzt. Die Ăśbereinstimmung zwischen beiden Methoden ist zufriedenstellend, wobei die Kultivierung teilweise deutlich tiefere Resultate liefert.
Kühlwasser ist eine komplexe Wassermatrix, die durch verschiedene Faktoren wie Schwebstoffe, Chemikalien, eine erhöhte Begleitflora und oft auch durch hohe Legionellenzahl bestimmt wird. Daher sind die Grenz- oder Massnahmenwerte für Legionellen auch höher angesetzt. Die Begleitflora erschwert die Analyse mittels Kultivierungsverfahren, und zwar umso stärker, je tiefer die Zahl der Legionellen im Vergleich zur Begleitflora ist [12].
Der Vergleich der beiden Methoden mit unterschiedlich hoch dotiertem Kühlwasser zeigt, dass das tiefste Spiking-Level für beide Methoden unterhalb des Detektionslimits liegt. Bei einem moderaten Spiking-Level liefert das Kultivierungsverfahren zwei falsch-negative und drei positive Resultate mit einem Mittelwert von 2200 Legionellen/100 ml und einer relativen Standardabweichung von 115%. Die IMS/DZ detektiert hingegen in allen fünf Proben Legionellen mit einem Mittelwert von 4696 Legionellen/100 ml und einer relativen Standardabweichung von 15%. Beim höchsten Spiking-Level liefern beide Methoden für alle Messungen positive Ergebnisse (Mittelwert Kultivierung = 281 600 Legionellen/100 ml, Mittelwert IMS/DZ = 666 600 Legionellen/100 ml), wobei die relative Standardabweichung bei diesen sehr hoch dotierten Proben für beide Methoden bei 15% liegt. Die Legionellenzahl wird durch die Kultivierung um den Faktor 2,37 unterschätzt.
Um IMS/DZ mit der Standardmethode unter realen Bedingungen zu vergleichen, wurde das Heisswasser von 19 Objekten untersucht. Die 50 Proben stammten unter anderem aus einer Massenunterkunft, Duschanlagen in Turnhallen sowie Wohnhäusern. Der Vergleich der Resultate zeigt – ganz wie erwartet – keine Korrelation. Die mittels IMS/DZ analysierten Proben in diesem Projekt wurden spezifisch auf L.p. SG1 untersucht, die für die Mehrheit der menschlichen Erkrankungen verantwortlich ist [2]. In 49 der 50 Proben war die mit IMS/DZ bestimmte Zahl höher als das Ergebnis der Plattenmethode, die theoretisch alle Legionellen-Arten erfasst. Da aber aufgrund der Präsenz von VBNC nur ein Bruchteil der vorhandenen Legionellen tatsächlich auf Agarplatten wächst, bleibt die Zahl mit einer Ausnahme dennoch deutlich unter dem mit IMS/DZ bestimmten Wert. Die Differenz zwischen den Resultaten erlaubt es, die Anzahl VBNC-Zellen der L.p. SG1 abzuschätzen. Die Auswertung zeigt, dass der Anteil der kultivierbaren Zellen sehr stark schwanken kann und in dieser Analyse in einem Bereich von 70% bis unter 0,1% liegt.
Die beiden Methoden liefern also nur dann vergleichbare Werte, wenn sich alle Legionellen in der Wasserprobe in einem kultivierbaren Zustand befinden und das Plattenergebnis klar analysierbar ist. Nach dem Durchströmen eines Boilers befinden sich die meisten Legionellen durch den Temperaturschock mit grosser Wahrscheinlichkeit im VBNC-Stadium. Problematisch ist, dass diese Legionellen trotzdem infektiös sein und auch wieder in einen kultivierbaren und damit infektiöseren Zustand wechseln können [6]. Dies kann passieren, wenn verschiedene Bedingungen erfüllt sind. Dazu gehören z. B. das Vorkommen von Amöben, in denen sich Legionellen vermehren, wenn die Temperatur sich im Bereich des Wachstumsoptimums befindet und entsprechende Nährstoffe vorhanden sind [6, 13-15]. Wenn Legionellen im nährstoffreichen Biofilm in einem abkühlenden Bereich von Wasserleitungen immobilisiert werden, sind diese Bedingungen leicht zu erfüllen. Und Amöben sind ein durchaus normaler Bestandteil von Biofilmen in Wasserleitungen [16].
Die IMS/DZ stellt aber nicht nur wegen der Detektion der VNBC-Zellen eine interessante Alternative oder Ergänzung zur Standardmethode dar, wie das folgende Beispiel zeigt. Die gemessene Konzentration lebender Legionellen im Warmwasser variiert in der Regel stark in Abhängigkeit der entnommenen Menge Warmwasser: Die Konzentration ist zu Beginn meist höher, sinkt mit steigendem Wasservolumen, um sich dann einem konstanten Wert anzunähern. Dieser Dynamik wird bei einer Probenahme üblicherweise Rechnung getragen, indem zwei Proben gezogen werden:
1. Probe nach dem Verwurf einer kleinen Menge
2. Probe bei Temperaturkonstanz
In Probe Nr. 1 findet man mit der Plattenmethode häufig dann mehr Legionellen, wenn es sich um Leitungsabschnitte handelt, in denen das Wasser für längere Zeit stagniert und abkühlt. In Probe
Nr. 2 stellt man in der Regel weniger Legionellen als in Probe 1 fest, weil das Wasser aus dem Boiler stammt. Dieser muss bei mindestens 55 °C und damit einer für Bakterien ungemütlichen Temperatur betrieben werden. Die beschriebene Dynamik kann sowohl mit IMS/DZ als auch mit der Plattenmethode abgebildet werden.
Je nach Bezugsort kann die Konzentration innerhalb eines Leitungsnetzes aber variieren, da auf dem Weg zwischen Boiler und Bezugsort Legionellen aus dem Biofilm ins Trinkwasser übergehen können. Solch komplexe Dynamiken können mit zwei Proben nur ungenügend abgebildet werden. Die IMS/DZ erlaubt nun durch den geringeren Analysenaufwand einen grösseren Probendurchsatz sowie durch die tiefere Nachweisgrenze eine feinere Auflösung der Dynamik eines Leitungssystems.
Um die Dynamik in einem ausgedehnten Wassersystem zu zeigen, das von einem Boiler gespeist wird, wurde auch eine an die Turnhalle angrenzende Massenunterkunft analysiert. Es zeigen sich zu Beginn steigende und danach sinkende Werte. Interessant ist nun der unterschiedliche Konzentrationsverlauf in beiden Teilsystemen der Turnhalle sowie der Unterkunft.
Während die Legionellen-Konzentration in der Turnhalle schon zu Beginn sehr hoch ist und dann schnell fällt, erreicht sie in der Unterkunft ihr Maximum erst nach einer entnommenen Wassermenge von rund sieben Liter. Wird angenommen, dass der noch verfügbare Leitungsquerschnitt (Kalkbildung) der ¾-Zollleitung rund 20 mm beträgt, ist der besonders gefährdete Leitungsabschnitt in einem Abstand von etwa 23 m vom Bezugsort und damit in der Nähe des Abgangs zu der Unterkunft zu suchen. Dieses Beispiel zeigt, wie die schnelle und direkte Methode von rqmicro den Zustand eines Wassersystems analysieren kann, um mögliche Problembereiche einzugrenzen.
Im folgenden Beispiel wurde die Konzentration von L.p. SG1-15 in verschiedenen Stockwerken eines öffentlichen Gebäudes an vier aufeinanderfolgenden Tagen bestimmt. Die Proben wurden direkt an der Armatur entnommen, wobei die Wassertemperatur bei der Entnahme gemessen wurde. Zudem wurde sowohl die maximale (beim Warmwasser) als auch die minimale Temperatur (beim Kaltwasser) nach dem Ablaufen notiert. Die Proben wurden vom Labor der Berliner Wasserbetriebe mittels IMS/DZ sowie der Plattenmethode bestimmt. Letztere zeigt, dass das Warmwasser im gesamten Gebäude unauffällig ist, während das Kaltwasser deutlich positive Befunde aufweist. Die IMS/DZ-Analyse hingegen ermittelt im Kalt- wie auch im Warmwasser moderate bis deutlich erhöhte Legionellenwerte. Interessanterweise ergibt die IMS/DZ-Analyse ein moderat positives Ergebnis für das Kaltwasser im Dachgeschoss, während die Standardmethode auch dort stets unauffällig ist. Ein Vergleich der Mittelwerte der Entnahme- und Minimal-Temperaturen zeigt, dass im Dachgeschoss, wo sich der Zulauf befindet, eine deutlich geringere Wassertemperatur von rund 16 °C vorherrscht als im übrigen Kaltwassersystem. Dort liegt die Temperatur bei der Entnahme zwischen 20,9 und 27,4 °C und die Minimaltemperatur bei 19,7 und 26,0 °C. Die tiefere Temperatur im Dachgeschoss könnte erklären, weshalb die Standardmethode dort negativ ausfällt. Da das Kaltwasser aber scheinbar nicht durchgehend kalt genug ist, um die Legionellen langfristig im nicht kultivierbaren Zustand zu halten, erweisen sich die übrigen Kaltwasserproben mit beiden Methoden auffällig.
Im Warmwassersystem liegt der Mittelwert der Maximal-Temperatur zwischen 53,5 und 61,5 °C, während die Entnahmetemperatur zwischen 32 und 59,3 °C deutlich tiefer liegen kann. Das Wassersystem verfügt aber über automatische Spülventile, die alle Armaturen einmal täglich mit maximal heissem Wasser durchspülen. Da das System durchgehend mit heissem Wasser gefahren wird und die endständigen Abschnitte mindestens täglich mit heissem Wasser gespült werden, verbleiben die Legionellen wohl vorwiegend im VBNC-Zustand. Dies könnte das negative Kultivierungsergebnis im Warmwasser durchaus erklären.
Dass die Konzentration lebender und infektiöser Legionellen mit der Kultivierungsmethode unterschätzt wird, ist wahrscheinlich. Dies kann dazu führen, dass eine Besiedelung durch Legionellen unbemerkt bleibt und auch dass der Erfolg von Bekämpfungsmassnahmen überschätzt wird. Die IMS/DZ-Analyse ermöglicht erstmals die Quantifizierung der intakten Legionellen, inklusive der VBNC-Zellen, innerhalb von zwei Stunden. Der geringere Aufwand erlaubt einen grösseren Probendurchsatz und die tiefere Nachweisgrenze eine feinere Auflösung der Dynamik von Wassersystemen. Mögliche Schwachstellen eines Leitungssystems können so eher erkannt und erstmals auch die Resultate von Massnahmen zur Legionellen-Bekämpfung direkt ohne eine Wartezeit von ca. 14 Tagen nachverfolgt und damit verstanden und optimiert werden. Mit dem zusätzlichen Wissen gilt es zu vermeiden, dass Legionellen, wie in den beschriebenen Beispielen, nur in den VBNC-Zustand getrieben werden und damit eine potenzielle Gefahr darstellen.
[1] BAG-Website: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-und-statistiken/zahlen-zu-infektionskrankheiten.html
[2] European Centre for Disease Prevention and Control (2017): Legionnaires’ disease. In: ECDC. Annual epidemiological report for 2015. Stockholm
[3] Van der Kooij, D. et al. (2016): Multiplication of Legionella pneumophila Sequence Types 1, 47, and 62 in Buffered Yeast Extract Broth and Biofilms Exposed to Flowing Tap Water at Temperatures of 38 °C to 42 °C, Applied and Environmental Microbiology, 82; 22 (2016) 6691–6700
[4] Bartram, J. et al. (2007): Legionella and the prevention of legionellosis, WHO
[5] Xu, H. et al. (1982): Survival and viability of nonculturable Escherichia coli and Vibrio cholerae in the estuarine and marine environment. Microb Ecol 8: 313–323
[6] Li, L. et al. (2014): The importance of the viable but non-culturable state in human bacterial pathogens. Frontiers in Microbiology 5: Article 258
[7] Cervero-Aragóa, S. et al. (2019): Viability and infectivity of viable but nonculturable Legionella pneumophila strains induced at high temperatures. Water Res 158: 268–279
[8] International Organization for Standardization ISO (2004): ISO 11731. Water quality – detection and enumeration of Legionella, Geneva, Switzerland
[9] Boulanger, C. A.; Edelstein, P. H. (1995): Precision and accuracy of recovery of Legionella pneumophila from seeded tap water by filtration and centrifugation. Appl Environ Microbiol, vol. 61, no. 5, pp. 1805–1809
[10] Bentham, R. H. (2000): Routine sampling and the control of Legionella spp. in cooling tower water systems, Curr Microbiol, vol. 41, no. 4, pp. 271–275
[11] Napoli, C. et al. (2009): Variable bacterial load of Legionella spp. in a hospital water system, Sci Total Environ, vol. 408, no. 2, pp. 242–244
[12] Leoni, L. et al. (2001): Comparison of selective procedures for isolation and enumeration of Legionella species from hot water systems. J Appl Microbiol 90, 27–33
[13] Oliver, J.D. et al. (1995): In vivo resuscitation, and virulence towards mice, of viable but nonculturable cells of Vibriovulnificus. Appl Environ Microbiol. 61: 2620–2623
[14] Steinert, M. et al. (1997): Resuscitation of viable but nonculturable Legionella pneumophila Philadelphia JR32 by Acanthamoeba castellanii. Appl Environ Microbiol 63: 2047–2053
[15] Shaheen, M. et al. (2019): Long-term persistence of infectious Legionella with free-living amoebae in drinking water biofilms. International Journal of Hygiene and Environmental Health 222, 678–686
[16] Rowbotham, T.J. (1980): Preliminary report on the pathogenicity of Legionella pneumophila for freshwater and soil amoeba. J Clin Pathol 33: 1179–1183
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