Die Schweizer Wasserpolitik 2019 war geprĂ€gt von den anlaufenden Debatten zur Pestizidverbots- und zur Trinkwasserinitiative. Nach dem Bekanntwerden neuer Daten standen Grundwasserschutz und TrinkwasserqualitĂ€t erst recht weit oben auf den Traktandenlisten. Im zweiten Halbjahr wurde viel diskutiert, welche Gefahren fĂŒr Mensch und Umwelt durch Metaboliten von Pflanzenschutzmitteln ausgelöst werden. Zu Vorstössen fĂŒhrten weiterhin die zwei Konflikte «Weiterer Ausbau der Wasserkraft vs. StĂ€rkung des GewĂ€sserschutzes» und «Sicherung von GewĂ€sserrĂ€umen vs. Einbussen von Kulturland».
Nachfolgend wird ein grober Ăberblick ĂŒber die innenpolitischen Debatten zum Thema Wasser 2019 gegeben. Kantonale Entwicklungen werden exemplarisch angesprochen, das Internationale dann, wenn es fĂŒr die Schweiz Auswirkungen zeigen könnte. Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf VollstĂ€ndigkeit, sondern reflektiert die Entwicklungen aus Sicht der Autoren, verbunden mit ihrer Arbeit am Wasserforschungsinstitut
Eawag respektive fĂŒr Wasser-Agenda 21. Er basiert auf öffentlich zugĂ€nglichen Quellen aus Medien, Verwaltung und Parlament. In der Online-Version des Beitrags sind die meisten der erwĂ€hnten Vorstösse direkt verlinkt. Nach 2017 (Aâ&âG 4/18) und 2018 (Aâ&âG 4/19) ist dies die dritte Zusammenstellung. Anregungen nehmen die Autoren gerne entgegen.
Am 22. MĂ€rz verabschieden National- und StĂ€nderat das revidierte Wasserrechtsgesetz (WRG) und stimmen damit dem Vorschlag des Bundesrates zu. Die Ănderung verlĂ€ngert das bis Ende 2019 befristete Wasserzinsmaximum von 110 Fr./kW bis 2024. Dem Vorschlag des StĂ€nderates, mit dem Gesetz ein neues, teilweise flexibles Wasserzinsmodell einzufĂŒhren, folgt der Nationalrat nicht. Er will die Diskussion ĂŒber das Modell im Rahmen der kommenden Revision des Stromversorgungsgesetzes behandeln.
Eine weitere Anpassung des Wasserrechtsgesetzes nehmen National- und StĂ€nderat aufgrund der parlamentarischen Initiative von Albert Rösti (SVP/BE) am 20. Dezember vor: Bei Neukonzessionierungen von Wasserkraftwerken geht die UmweltvertraÌglichkeitspruÌfung (UVP) neu vom Ist-Zustand und nicht vom Zustand vor oder ohne Bestehen eines Kraftwerks aus. Inwieweit sich aus diesem Beschluss WidersprĂŒche zum Natur- und Heimatschutzgesetz ergeben, wird wohl die Gerichtspraxis zeigen mĂŒssen. Aussergewöhnlich war die Abstimmung im Nationalrat: Hier unterlag die Vorlage zuerst mit 98 zu 91 Stimmen, wurde dann aber nach einem RĂŒckkommensantrag mit 96 zu 95 angenommen.
Mit dem negativen Entscheid des Nationalrates vom 11. Juni ist die Standesinitiative des Kantons Bern zum GewĂ€sserschutzgesetz von 2016 vom Tisch. Sie verlangt, dass Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien in Moorlandschaften ermöglicht werden. Ebenfalls eine Lockerung des GewĂ€sserschutzes verlangte eine Standesinitiative des Kantons Wallis von 2018, die der StĂ€nderat am 5. Dezember â auf Antrag seiner Umweltkommission â ablehnt.
In der Herbstsession nimmt das Parlament eine Ănderung des Natur- und Heimatschutzgesetzes an. Neu wird die Bedeutung von Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) relativiert. Sie bilden kĂŒnftig nur noch «eine der Grundlagen fĂŒr die AbwĂ€gung aller Interessen durch die Entscheidbehörde». Ausgelöst hat diese Ănderung StĂ€nderat Joachim Eder (FDP/ZG) bereits 2012 mit einer parlamentarischen Initiative.
Ab 2028 sollen zusĂ€tzlich auch kleine Abwasserreinigungsanlagen mit einer Reinigungsstufe zur Elimination von Spurenstoffen (z.âB. hormonaktive Stoffe oder Antibiotika) ausgebaut werden. Am 17. April Ă€ndert der Bundesrat die GewĂ€sserschutzverordnung GSchV entsprechend. Der Ausbau soll jedoch nur erfolgen, wenn damit die Belastung des GewĂ€ssers stark verringert wird.
In der parlamentarischen Debatte um die beiden Volksinitiativen â Trinkwasserinitiative und Pestizidverbotsinitiative â wird um allfĂ€llige GegenvorschlĂ€ge gerungen. Am 11. Februar beschliesst die Kommission fĂŒr Umwelt, Raumplanung und Energie des StĂ€nderates (UREK-S), keinen Gegenvorschlag zur Trinkwasserinitiative zu erarbeiten. Ende Februar beantragt der Bundesrat, auch die Volksinitiative «FĂŒr eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» ohne Gegenvorschlag abzulehnen. Am 17. Mai lehnt die Kommission fĂŒr Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats (WAK-N) einen Gegenvorschlag zu beiden Initiativen ab. Im Vorfeld haben sowohl Bauernverband und Agroscope als auch VSA und Fischereiverband Studien uÌber Folgen und Auslegung der Initiativen prĂ€sentiert. Die WAK des StĂ€nderats (WAK-S) Ă€ndert dann das Vorgehen, wenn auch weiterhin ohne offiziellen Gegenvorschlag: Sie verlangt Ende Juni mehr Information von der Verwaltung und beschliesst Ende August eine parlamentarische Initiative (19.475), die eine gesetzliche Verankerung eines Absenkpfads mit Zielwerten fĂŒr das Risiko beim Einsatz von Pestiziden verlangt. Am 8. Oktober stimmt auch die WAK-N dieser Initiative zu. Sie stĂ€rke die agrarpolitischen Massnahmen des Bundesrates zur Risikoreduktion beim Einsatz von Pestiziden und schaffe mehr Verbindlichkeit. Behandelt werden soll der Vorstoss «in Abstimmung mit der Agrarpolitik 2022+». (Anmerkung: Bis zum 17.5.2020 ist ein Gesetzesentwurf der WAK-S in der Vernehmlassung.)
In eine Ă€hnliche Richtung geht ein Beschluss des neu zusammengesetzten Nationalrats. Dieser stimmt am 12. Dezember der parlamentarischen Initiative (19.430) von Beat Jans (SP/BS) zu, die einen «konsequenten Schutz des Grund-, Trink-, Fluss- und Seewassers vor nachweislich schĂ€dlichen Pestiziden» verlangt. Pestizide sollen verboten werden, wenn an mehreren OberflĂ€chengewĂ€ssern wiederholt die Fortpflanzung, Entwicklung und Gesundheit empfindlicher Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen beeintrĂ€chtigt werden oder im Grund- bzw. Trinkwasser PestizidrĂŒckstĂ€nde in unerwĂŒnscht hohen Konzentrationen gemessen werden.
Wie intensiv und teilweise hitzig die Diskussionen um die beiden Initiativen laufen, zeigen SchauplĂ€tze am Rand: So will Jaques Bourgeois (FDP/FR) mit einer Interpellation verhindern, dass das Bundesamt fĂŒr Umwelt (BAFU) sich zu den Pestizidinitiativen aÌussert, wĂ€hrend der Bundesrat bereits Stellung bezogen hat und keinen Handlungsbedarf sieht. In der Wintersession werden mehrere Fragen eingereicht zum Umgang mit Informationen, welche die Eawag fĂŒr ein Hearing der WAK-N zusammengestellt hat und anschliessend vom Eidg. Departement fĂŒr Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) kritisch hinterfragt worden sind.
Hansjörg Knecht (SVP/AG) verlangt erst im National-, dann im StĂ€nderat eine Ănderung der GewĂ€sserschutzgesetzgebung. Seine Motion vom 21. Juni zur KĂŒrzung der Subventionen fuÌr Revitalisierungen wird abgeschrieben. Der Bundesrat verweist auf die Debatte zur Renaturierungsinitiative. In einer neuen Motion vom 19. Dezember verlangt Knecht, dass eingedolte BĂ€che nicht mehr in jedem Fall offengelegt werden, weil damit Kulturland verloren gehe.
Aufgrund einer Interpellation von Martina Munz (SP/SH) zum RĂŒckgang von Insekten in BergbĂ€chen verspricht der Bundesrat eine Situationsanalyse bis Ende 2021. Im Zusammenhang mit der Interpellation von Roberto Zanetti (SP/SO) zur nicht erfolgreichen RĂŒckkehr des Lachses in die Schweiz bis 2020 verweist er auf das neue Programm «Rhein 2040» (Anmerkung: Das Programm wurde am 13.2.2020 in Amsterdam verabschiedet). Eine Motion von Werner Hösli (SVP/GL) will bei der Festlegung des GewĂ€sserraums geografische und topografische VerhĂ€ltnisse besser berĂŒcksichtigen. Der StĂ€nderat ĂŒberweist sie am 5. Dezember an die UREK-S.
Nach dem Nationalrat bewilligt am 5. Dezember auch der StĂ€nderat einen Beitrag von ĂŒber einer Milliarde Franken fĂŒr die zweite Etappe (2020â2039) der 3. Rhonekorrektion. Es handelt sich um das grösste Hochwasserschutzprojekt der Schweiz mit einem Umfang von insgesamt 3,6 Mia. Franken. Nebst dem Hochwasserschutz sind auch Aufweitungen des kanalisierten Flusses und weitere ökologische Aufwertungen vorgesehen. Diese sind aber teilweise noch umkĂ€mpft.
Im Rahmen der Budgetdebatte will eine Minderheit im Parlament das Budget fĂŒr Revitalisierung um jĂ€hrlich 20 Mio. Franken aufstocken. BegrĂŒndet wird die Erhöhung mit den fĂŒr die Periode 2020 bis 2024 angemeldeten Projekten der Kantone ĂŒber 370 Mio. Franken. Am 12. Dezember wird der Vorschlag des Bundesrates verabschiedet. Er sieht eine weniger weitgehende Erhöhung von 6 Mio. auf insgesamt 36 Mio. Franken pro Jahr vor.
Zwei Motionen, eingereicht am 20. Dezember von Kurt Flury (FDP/SO) im National- und von Hannes Germann (SVP/SH) im StĂ€nderat, fordern, «angemessene Restwassermengen» bei der InteressenabwĂ€gung als vorrangig zu betrachten. Der Verfassungsartikel von 1975 mĂŒsse umgesetzt werden, die Minderproduktion sei im Vergleich zum Solarstrompotenzial gering, begrĂŒnden sie.
Neben den Debatten um die beiden Volksinitiativen stehen Pflanzenschutzmittel und deren Zulassung auch in zahlreichen parlamentarischen Vorstössen im Fokus. GehĂ€uft folgen Anliegen zum Grund- und Trinkwasserschutz, nachdem das BAFU (NAQUA-Bericht) und die Kantonschemiker auf Defizite beim Schutz von Fassungen und zunehmende Verunreinigungen hinweisen. Die Eingaben und Fragen â allein in der Herbstsession werden ĂŒber 25 Fragen eingereicht â stehen vor allem im zweiten Halbjahr vorwiegend im Zusammenhang mit dem Fungizid Chlorothalonil und dessen Abbauprodukten. Verlangt werden unter anderem:
â AuskĂŒnfte zu Trinkwasserversorgungsproblemen in Ackerbaugebieten (Motion Kurt Fluri (FDP/SO); 19.4249). Der Bundesrat kĂŒndigt den Widerruf der Zulassung fĂŒr Chlorothalonil an.
â KlĂ€rung der Verantwortlichkeiten fĂŒr die Probleme rund um Chlorothalonil (Motion Kurt Fluri (FDP/SO); 19.4250). Ein Regress von Wasserversorgern auf Verursacher wĂ€re nur möglich, wenn ein widerrechtliches Verhalten vorliege, sagt der Bundesrat.
â Auskunft ĂŒber die Relevanz von Metaboliten zugelassener Pestizide (Interpellation Aline Trede (GP/BE) 19.4295). In der Antwort verweist der Bundesrat auf die Reevaluation frĂŒher zugelassener Wirkstoffe. Falls aktuelle Vorschriften nicht (mehr) erfĂŒllt seien, wĂŒrden «die Anwendungsvorschriften aktualisiert oder die Bewilligung entzogen».
â KlĂ€rung der Haftung bei Abdrift von Pestiziden (Interpellation Maya Graf (GP/BL) 19.4287). Der Bundesrat verweist auf die Agrarpolitik 22+ und den Aktionsplan Pflanzenschutz.
â Abschaffung der Reduktion der Mehrwertsteuer fuÌr Pestizide (Motionen Denis de la Reussille (pda/NE) sowie Kathy Ricklin (cvp/ZH). Der Bundesrat beantragt Ablehnung. Die Lenkungswirkung wĂ€re gering, aber die Lebensmittelproduktion wĂŒrde verteuert.
â Besserer Schutz des Trinkwassers durch eine VerschĂ€rfung der Zulassung von Pestiziden (Motion Tiana Moser (GLP/ZH) 19.4314 und Interpellation 19.4532). Der Bundesrat beantragt Ablehnung, er rĂ€umt aber ein, dass die Zuströmbereiche zu Trinkwasserfassungen besser geschĂŒtzt werden mĂŒssen.
Im MĂ€rz nimmt der Nationalrat ein Postulat von Martina Munz (SP/SH) und AdeÌle Thorens Goumaz (GP/VD) an, das einen Aktionsplan gegen Mikroplastik fordert. Im Juni reicht Ursula Schneider SchuÌttel (SP/FR) ein Postulat zum Reifenabrieb als groÌsste Quelle von Mikroplastik ein. Im Dezember erledigt der Nationalrat die Interpellation von Isabelle Chevalley (GLP/VD) zu Bioziden aus Farben und Verputzen (19.4126). In seiner Stellungnahme erwĂ€hnt der Bundesrat ein laufendes Vollzugsprojekt der Kantone, mit dem die chemikalienrechtliche KonformitĂ€t der Produkte geprĂŒft und eine bessere Deklaration angestrebt werden.
Seit dem Inkrafttreten des revidierten Energiegesetzes können Grosswasserkraftprojekte mit InvestitionsbeitrĂ€gen gefördert werden. Am 14. Februar spricht das Bundesamt fĂŒr Energie (BFE) 101 Mio. Franken an drei Betreiberfirmen.
Eine Umfrage des BAFU bei den kantonalen GewaÌsserschutzfachstellen zeigt Anfang Jahr, dass beim Schutz der Trinkwasserfassungen erhebliche Defizite bestehen. Das BAFU will daher den Schutz des Grundwassers stĂ€rken (Aâ&âG 12/18). In Stellungnahmen zu mehreren Interpellationen zur WasserqualitĂ€t erlĂ€utert der Bundesrat die PrioritĂ€tensetzung und bisher getroffene Massnahmen, insbesondere die Strategie Micropoll mit dem sukzessiven Ausbau ausgewĂ€hlter Abwasserreinigungsanlagen.
Im Juni verbietet das Bundesamt fĂŒr Landwirtschaft (BLW) zwölf Chlorpyrifos-Produkte, neun davon sofort. Im August erlĂ€sst das Bundesamt fĂŒr Lebensmittelsicherheit und VeterinĂ€rwesen (BLV) eine Weisung fĂŒr Trinkwasserversorger zu den relevanten Metaboliten von Chlorothalonil. Ab dem Zeitpunkt einer Beanstandung haben die Versorger einen Monat Zeit fĂŒr einfache Massnahmen oder â wenn solche nicht möglich sind â zwei Jahre fĂŒr eine ErfĂŒllung der rechtlichen Anforderungen. Im Dezember verbietet das BLW den Verkauf von Chlorothalonil mit sofortiger Wirkung und den Einsatz ab 1. Januar 2020. Das BLV erachtet aufgrund der Neueinstufung der Ausgangssubstanz alle Chlorothalonil-Metaboliten als relevant.
Zu den 2019 publizierten Berichten des Bundes mit starkem Wasserbezug zaÌhlen die Vollzugshilfe Revitalisierung Seeufer â Strategische Planung, der Bericht der Nationalen Grundwasserbeobachtung NAQUA 2019 sowie die von den BundesĂ€mtern fĂŒr Umwelt, Landwirtschaft und Raumentwicklung (ARE) gemeinsam mit den zwei Direktorenkonferenzen BPUK (Bau und Umwelt) und LDK (Landwirtschaft) herausgegebene Modulare Arbeitshilfe zur Festlegung und Nutzung des GewaÌsserraums in der Schweiz.
Die am 30. Januar vom Bundesrat veröffentlichte Standortbestimmung zur Fischerei geht auf ein Postulat der UREK-N zuruÌck. Der ausfĂŒhrliche Bericht enthĂ€lt zahlreiche VorschlĂ€ge fuÌr Massnahmen, vor allem aber sollen die Anstrengungen von Bund und Kantonen zum Schutz und zur Renaturierung der GewaÌsser als LebensraÌume konsequent weitergefuÌhrt werden.
Das BFE prĂ€sentiert am 2. September eine korrigierte Wasserkraftpotenzialstudie. Das Potenzial der Kleinwasserkraft wird (v.âa. aus wirtschaftlichen GrĂŒnden) tiefer eingeschĂ€tzt als noch 2012, die Minderproduktion als Folge der Durchsetzung der Restwasservorschriften höher. Trotzdem kommt die Analyse zum Schluss, dass das Ziel gemĂ€ss Energiegesetz erreicht werden kann, wenn der weitere Ausbau der Wasserkraft im gleichen Tempo vorangeht wie seit 2011 (+87 GWh/a).
Im November stellen BLW, BAFU, BLV, Bundesamt fĂŒr Gesundheit (BAG) und das Staatssekretariat fĂŒr Wirtschaft (Seco) den Bericht vor zur Evaluation der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Die PrĂŒfung durch eine externe Firma stellt dem Zulassungsverfahren und den involvierten Behörden grundsĂ€tzlich ein gutes Zeugnis aus, deckt aber zahlreiche Schwachstellen auf. Bis im FrĂŒhling 2020 soll nun ein Bericht ĂŒber die Optimierung des Verfahrens erstellt werden, der auch den Auftrag der WAK beider Kammern erfĂŒllt.
Am 29. MĂ€rz fĂ€llt das Bundesgericht einen wegweisenden Entscheid zu den sogenannten ehehaften Rechten. Das Gericht entscheidet im Fall Hammer an der unteren Lorze, Wasserkraftanlagen mit einem ehehaften Recht als Rechtsgrundlage vollumfĂ€nglich und entschĂ€digungslos den heute geltenden Vorschriften zu unterstellen. Nach einer Dauer von 80 Jahren sind die gesetzlichen Vorgaben des Umwelt- und GewaÌsserschutzrechts fuÌr Neuanlagen ohne EinschraÌnkung anzuwenden. Eine Nutzung darf nur fortgefuÌhrt werden, wenn die ehehaften Rechte durch befristete Konzessionen abgeloÌst werden. Wie die Kantone den Entscheid nun umsetzen, muss sich zeigen.
Mehrere Verfahren zur Festlegung des GewĂ€sserraums werden bis vor Bundesgericht gezogen. Streitpunkte sind u.âa. die Interpretation des Begriffs «dicht ĂŒberbaut» (1C_217/2018 und 1C_106/2018) oder die Standortgebundenheit von Anlagen (1C_67/2018). In einem Leiturteil gegen Bauern im Kanton Baselland geht es unter anderem um die Kompensation von FruchtfolgeflĂ€chen. Hier hĂ€lt das Bundesgericht am 13. Dezember fest (BGer 1C_15/2019): Fallen FruchtfolgeflĂ€chen in GewĂ€sserrĂ€ume und bleiben sie theoretisch weiterhin landwirtschaftlich nutzbar, mĂŒssen sie nicht andernorts kompensiert werden. Zudem wurde im Urteil bestĂ€tigt, dass a) der GewĂ€sserraum grundeigentuÌmerverbindlich und parzellenscharf festgelegt werden muss, b) GewaÌsserraÌume asymmetrisch ausgeschieden werden koÌnnen, und c) eine InteressenabwaÌgung nur im Falle eines Verzichts vorgenommen werden muss, nicht aber wenn ein GewaÌsserraum festgelegt wird.
Am 10. Februar lehnt das ZĂŒrcher Stimmvolk ein neues Wassergesetz mit 55% Nein-Anteil ab (s. Wasserpolitischer JahresrĂŒckblick 2018). Im Kanton Bern erhĂ€lt die Regierung im Mai aufgrund einer Ănderung der GewĂ€sserschutzverordnung die Kompetenz, Abwasserabgaben so zu bestimmen, dass der kantonale Abwasserfonds auf 10 Mio. Franken abgebaut werden kann. Im Kanton Luzern nimmt der Kantonsrat ein neues GewĂ€ssergesetz einstimmig an und das totalrevidierte Wasserbaugesetz (Annahme in Volksabstimmung im Mai) tritt in Kraft. Beide Gesetze betreffen die Aufgaben- und Kostenteilung zwischen Kantonen und Gemeinden: Zumeist gehen Aufgaben an den Kanton ĂŒber.
Der Trockensommer 2018 und die Auswirkungen des Klimawandels auf die GewĂ€sser sind in mehreren Kantonen auch noch 2019 ein Thema: In Zug beantwortet der Regierungsrat eine Interpellation der GrĂŒnen. Themen sind Wasserentnahmen aus öffentlichen GewĂ€ssern, StarkniederschlĂ€ge und UnterstĂŒtzung fĂŒr die Landwirtschaft. In Schaffhausen schlĂ€gt der allgemeine Bericht 2019 zur Klimaanpassung unter anderem Massnahmen im Bereich Wasser vor. Der Umgang mit Trinkwasser in Trockenperioden soll vereinheitlicht und die GrundwasserverfĂŒgbarkeit vertieft analysiert werden. Der WaadtlĂ€nder Regierungsrat rĂ€t im November in einer Antwort auf eine einfache Anfrage von kĂŒnstlichen WasserrĂŒckhaltevorrichtungen auf Bergweiden ab. DafĂŒr verwendete Stoffe (Polymere und andere) könnten zu neuen Problemen fĂŒhren.
Am 6. September prĂ€sentiert der Verband der Kantonschemiker die Resultate seiner Kampagne «Pflanzenschutzmittel in Trinkwasser». Zum Zeitpunkt der Messungen wurden rund 170â000 Konsumentinnen und Konsumenten mit Trinkwasser versorgt, das nicht dem heutigen Lebensmittelrecht entspricht. Hauptverantwortlich dafĂŒr sind Chlorothalonil-Metaboliten. Diese erhöhten Werte im Grundwasser geben Anlass zu medialer Berichterstattung und Vorstössen in kantonalen Parlamenten. Beispielsweise fragt eine Interpellation im Kanton Schwyz im Dezember nach Massnahmen gegen Pflanzenschutzmittel und ihre Metaboliten in GewĂ€ssern und Grundwasser. Ăhnliche Vorstösse gibt es in Zug, Solothurn, Neuenburg und Freiburg.
Die Kantone reagieren verschieden: GraubĂŒnden zum Beispiel erlĂ€sst im November eine neue Verordnung ĂŒber den GewĂ€sserschutz in der Landwirtschaft. Dabei geht es allerdings primĂ€r um die Lagerung und die Verwertung von HofdĂŒnger. Der Jura verabschiedet ein Programm mit einem Massnahmenkatalog zur Minimierung der Risiken beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.
In Freiburg wird in den betroffenen SeelĂ€nder Gemeinden im Februar und Mai daruÌber abgestimmt, ob die KlaÌranlage Muntelier ausgebaut werden soll. Ein Komitee fordert die UÌberleitung des Abwassers nach Biel, um den Murtensee zu schonen. Die Stimmberechtigten genehmigen den Baukredit fĂŒr den Ausbau.
Stellvertretend fĂŒr viele laufende grössere und kleinere Revitalisierungsprojekte, welche in den Kantonen durchgefĂŒhrt werden, nachfolgend einige Beispiele: In Bern befindet sich das Hochwasserschutzprojekt «Thalgut-Chesselau» in Planung. Die Aare soll zwischen Gerzensee, Wichtrach und MĂŒnsingen mehr Platz erhalten. In Luzern liegt das ĂŒberarbeitete Projekt Hochwasserschutz und Renaturierung Reuss öffentlich auf. Der Aargauer Regierungsrat und der Grosse Rat beschliessen einen Kredit fĂŒr ein Hochwasserschutzprojekt mit Revitalisierung in Wallbach am Rhein und die Kantone Thurgau und St.Gallen stellen das Projekt Hochwasserschutz Region Wil vor. Dieses will auch in Bezug auf die Kommunikation mit einer besonders informativen Website (www.hws-region-wil.ch) neue MassstĂ€be setzen. Der Kanton Obwalden findet mit Umwelt- und FischereiverbĂ€nden nach lĂ€ngeren Verhandlungen eine Kompromisslösung betreffend Hochwasserschutzmassnahmen an der Sarner Aa.
Auch Seeufer werden aufgewertet, so zum Beispiel im Kanton Obwalden das SĂŒdufer des Alpnachersees. Die Aufsichtskommission der VierwaldstĂ€tterseekantone hĂ€lt fest, dass die Ufer des VierwaldstĂ€ttersees zu stark verbaut seien. Sie plant, Revitalisierungen voranzutreiben. In Neuenburg verabschiedet der Staatsrat im Dezember den Plan «Raum fĂŒr die GewĂ€sser».
In Deutschland ist die Stickstoffreduktion ein wichtiges Thema, weil (wie auch in anderen EU-LĂ€ndern) die EU-Nitratrichtlinie seit Jahren nicht eingehalten wird. Dies wird von der EU selber im Juli in einem Mahnschreiben und von UmweltverbĂ€nden in einem Positionspapier im April kritisiert. Deutschland plant nun eine VerschĂ€rfung der DĂŒngeverordnung. Die Thematik wird auch im Umweltbericht 2019 fĂŒr Deutschland aufgenommen. Dieser stellt dem GewĂ€sserschutz generell kein gutes Zeugnis aus: Bei den OberflĂ€chengewĂ€ssern wiesen nur 8,2 Prozent einen «sehr guten» oder «guten» ökologischen Zustand auf.
Die Debatte um Pflanzenschutzmittel wird auch in den NachbarlĂ€ndern intensiv gefĂŒhrt, namentlich zu Glyphosat. Beispielsweise verbietet das Parlament in Ăsterreich Glyphosat im Juli generell. BezĂŒglich Mikroplastik verlangt eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr Forschung; UmweltverbĂ€nde kritisieren die WHO-VorschlĂ€ge als zu defensiv. In Deutschland folgt der Bundesrat dem Antrag der LaÌnder Bayern, ThuÌringen und Hamburg, die ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetika gefordert haben. Zu EintrĂ€gen von Arzneimitteln in die Umwelt will die EU vorlĂ€ufig nur «weiche» Massnahmen (Ănderungen der Zulassungsrichtlinien, Sensibilisierungskampagnen) und nicht neue Gesetze beschliessen.
Die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) verabschiedet Empfehlungen zur Reduktion von Mikroverunreinigungen in GewĂ€ssern und empfiehlt unter anderem eine zusĂ€tzliche Reinigungsstufe fĂŒr KlĂ€ranlagen. In Baden-WĂŒrttemberg verlangt die Bevölkerung mit einer Online-Petition mit fast 50â000 Unterschriften verbindlichere Regeln zur EinfĂŒhrung der 4. Reinigungsstufe gegen Mikroverunreinigungen.
Die EU beschliesst, ihre Trinkwasserrichtlinie zu ĂŒberarbeiten. Die 20 Jahre alten QualitĂ€tsstandards sollen aktualisiert und die Ăberwachung der WasserqualitĂ€t neu geregelt werden.
Die Debatten um die zwei Volksinitiativen (Pestizidverbots- und Trinkwasserinitiative) werden fortgesetzt. Noch sind die Abstimmungstermine offen. Die Corona-Krise könnte dazu fĂŒhren, dass diese erst 2021 angesetzt werden. Wichtig wird sein, wie verbindlich das Parlament Absenkpfade oder weitere Massnahmen zum Schutz der GewĂ€sser und des Grundwassers noch vor den Abstimmungen verankert und ob es zu einer substantiellen Revision des Zulassungsverfahrens fĂŒr Pflanzenschutzmittel kommt.
Ab dem 1. April 2020 gelten in der GewĂ€sserschutzverordnung fĂŒr 19 Pestizide stoffspezifische Grenzwerte in GewĂ€ssern, die nicht der Trinkwassernutzung dienen. FĂŒr zwölf fĂŒr Wasserlebewesen besonders problematische Stoffe sind sie deutlich strenger als der bisherige pauschale Wert. Auch fĂŒr drei Arzneimittel sind erstmals Grenzwerte festgelegt. Wie diese Anforderungen von den Kantonen umgesetzt werden, muss sich weisen. Beim Schutz der Wasserressourcen, namentlich des Grundwassers, werden bisher (zu) wenig beachtete Metaboliten im Fokus bleiben. Dabei gewinnt die Interpretation aktueller Messdaten an Bedeutung, z.âB. zur Frage, welche GesundheitsgefĂ€hrdung durch Chlorothalonil-Metaboliten im Trinkwasser droht.
Die neue Zusammensetzung des Parlaments scheint teilweise dazu zu fĂŒhren, dass Fragen der Nachhaltigkeit und des Klimawandels stĂ€rker betont werden. Bereits liegen mehrere Vorstösse zu den Nachhaltigkeitszielen (SDG) vor, die auch das Wasser betreffen.
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