Erdbebensicheres Bauen von Tragkonstruktionen ist seit ca. 14 Jahren in den Schweizer SIA-Normen genĂĽgend geregelt und mittlerweile ein etabliertes Kriterium fĂĽr die Tragwerksplanung geworden. Die Erdbebenzone, die Bauwerksklasse und die Baugrundklasse werden in der Nutzungsvereinbarung definiert und die Tragwerkskonstruktionen dementsprechend auf den Lastfall Erdbeben dimensioniert.
Dringender Nachholbedarf besteht jedoch bei den sekundären Bauteilen [1]. Hierzu gehört u. a. die Verrohrung in Anlagen zur Trinkwasserversorgung (Aufbereitungen, Reservoire). Bei einem Erdbeben können infolge differenzieller Verschiebungen grosse Schäden an Rohren, Rohrhalterungen, Wanddurchführungen (Mauerstücke), Verzweigungen wie T- oder TT-Stücke und Anschlüssen/Stutzen an Pumpen oder Druckschlagkessel entstehen.
Gemäss Norm SIA 261 [2] muss «für sämtliche Bauteile, die im Falle des Versagens Personen gefährden, das Tragwerk beschädigen oder den Betrieb wichtiger Anlagen beeinträchtigen können, (…) die Bemessungssituation Erdbeben berücksichtigt werden.»
Für Trinkwasserversorgungsanlagen, die als Lifeline-Anlage (überlebenswichtige Anlage) gelten, ist demzufolge ein Nachweis der Erdbebensicherheit erforderlich, damit die Betriebssicherheit gewährleistet ist.
Um in Trinkwasser-Versorgungsanlagen die Verrohrung auf ihre Betriebsicherheit zu untersuchen, wird unter Berücksichtigung von verschiedenen Lastfällen eine Spannungsanalyse durchgeführt. Die Betriebssicherheit muss für alle möglichen Kombinationen von Lastfällen gegeben sein.
Die nachfolgenden Lastfälle werden im Rahmen der Spannungsanalyse berücksichtigt, wobei immer die kritischste Lastfallkombination (alle Lastfälle kombiniert) ausschlaggebend ist:
– Eigengewicht (der Rohre und der Ausrüstung)
– maximaler Druck (verursacht durch dynamische Druckstossbelastung)
– Temperatur (Ausdehnung /Kontraktion durch Temperaturänderung)
– Erdbeben (unter Berücksichtigung eines seismischen Bemessungswerts für Primärwellen, Sekundärwellen und Oberflächenwellen)
Die kritischste Lastfallkombination gibt u. a. vor, wie stark Formstücke (Verzweigungen, Bögen usw.) und Rohre verstärkt werden, und welchen Kräften Rohrhalterungen und Stutzen standhalten müssen, damit ein sicherer Betrieb der Anlage möglich ist.
In Projekten bei Schweizer Wasserversorgungen hat sich gezeigt, dass Erdbeben das Ausmass der erforderlichen Verstärkungen, das Ausmass der Kräfte auf Stutzen und Mauerstücke sowie die Spannungssituation innerhalb der Verrohrung massgebend bestimmen. Demzufolge ist die Betriebssicherheit einer Trinkwasserversorgungsanlage nur dann gegeben, wenn auch die Erdbebensicherheit entsprechend geltender Norm SIA 261 vorliegt.
Die Verrohrung einer im Hinblick auf ein Erdbeben sicher ausgelegten Trinkwasserversorgungsanlage ist derart zu realisieren, dass sie so flexibel wie möglich und nur so steif wie nötig ist. Die bei einem Erdbeben entstehende Kräfte und Momente können so gleichmässig auf die Anlage verteilt und an kritischen Stellen minimiert werden. Auf diese Weise können die Kosten für eine erdbeben- bzw. betriebssichere Anlage aufgrund nachfolgender Aspekte reduziert werden:
– Minimierung der Anzahl Rohrhalterungen
– Reduktion der kräftemässigen Anforderungen an die einzelnen Rohrhalterungen
– weniger ausgeprägte Verstärkungen der Rohre und der Formstücke (T-, TT- Stücke, Bögen usw.)
– Reduktion der kräftemässigen Anforderungen an die Anschlüsse (Stutzen) an Pumpen und Druckstosskessel
Â
Die Positionierung und der Typ der Rohrhalterungen haben einen signifikanten Einfluss auf die Erdbebensicherheit einer Anlage. Das Ausmass der Kräfte und Momente auf Anschlüsse und Rohrhalterungen sowie die Spannungssituation innerhalb der Verrohrung sind bei einem Erdbeben stark abhängig vom Typ der angeordneten Rohrhalterungen. Mit einer intelligenten Positionierung der Rohrhalterungen ist ein nahezu spannungsfreies und gleichmässig kräfteabsorbierendes Verrohrungslayout realisierbar, das erdbebenbedingte differenzielle Verschiebungen aufnehmen kann. Dadurch wird naturgemäss einerseits die Spannungssituation innerhalb der Verrohrung deutlich verbessert. Andererseits werden so die Kräfte und Momente auf Anschlüsse/Stutzen an Pumpen und Druckstosskesseln signifikant reduziert.
Da jede Trinkwasserversorgungsanlage nach einem individuellen Verrohrungslayout konzipiert ist, ergeben sich je nach Layout und der Erdbebengefährdung (Erdbebenzone) unterschiedliche Spannungs- und Kräftesituationen.
Demzufolge kann aus den Erfahrungen auf dem Gebiet der Spannungsanalyse keine einfach und allgemein gültige Faustformel zum Nachweis der Erdbebensicherheit abgeleitet werden. In vielen Fällen existieren jedoch einfache und vergleichsweise kostengünstige Möglichkeiten, die Verrohrung derart zu befestigen bzw. zu verstärken, dass bei einem Erdbeben keine Schäden an der Verrohrung entstehen, die den Betrieb der Anlage beeinträchtigen würden. Aus diesem Grund empfehlen wir, jede Trinkwasserversorgungsanlage mittels einer Spannungsanalyse auf die Gegebenheiten der Betriebssicherheit hinsichtlich der kritischsten Lastfallkombination hin zu überprüfen.
Zum Nachweis der Erdbebensicherheit einer Trinkwasserversorgungsanlage unter Berücksichtigung der geltenden Norm SIA 261 und der europäischen Norm EN 13480 ist eine Spannungsanalyse inkl. Erdbebenlastfall notwendig. Diese Spannungsanalyse ist bei Um- oder Neubauten in der Phase 31, Vorprojekt des SIA-Leistungsmodells anzusetzen. In dieser Phase sind die für die Spannungsanalyse relevanten Informationen bereits verfügbar, zugleich kann das Rohrleitungslayout gegebenenfalls noch nachoptimiert werden. Für bestehende Anlagen kann eine Zustandsuntersuchung durchgeführt werden, bei der die Spannungsanalyse aufzeigt, an welchen Stellen bei Erdbeben Schäden an der Verrohrung zu erwarten sind. Dementsprechend können punktuell Massnahmen erarbeitet werden, welche die gefährdeten Stellen besser vor Erdbebeneinwirkungen schützen.
[1] Braune, F. et al. (2016): Erdbebensicherheit sekundärer Bauteile und weiterer Installationen und Einrichtungen. Empfehlungen und Hinweise für die Praxis. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Wissen Nr. 1643: 98 S.
[2] SIA 261: 2014, Schweizer Norm 505 261. Einwirkungen auf Tragwerke. Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein, ZĂĽrich. 132 S.
[3] Kanton Zürich, Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) (2018): Erdbebenprävention bei Anlagen der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung: Leitfaden für Betreiber und Bauherren zum Vorgehen und Hinweise zur Verbesserung der Erdbebensicherheit. Zürich
Die Schweiz ist in vier Erdbebenzonen eingeteilt [2], wobei die Gefährdung innerhalb einer Zone als konstant angenommen wird. Jeder Zone ist ein seismischer Bemessungswert der horizontalen Bodenbeschleunigung agd (zwischen 0,6 und 1,6 m/s2) zugeordnet [2]. Die seismischen Bemessungswerte entsprechen der maximalen horizontalen Bodenbeschleunigung bei einer Wiederkehrperiode von 475 Jahren (Baugrundklasse A) [2].
Z1 | 0,6 m/s2 |
Z2 | 1,0 m/s2 |
Z3a | 1,3 m/s2 |
Z3b | 1,6 m/s2 |
«AQUA & GAS» gibt es auch als E-Paper. Abonnenten, SVGW- und/oder VSA-Mitglieder haben Zugang zu allen Ausgaben von A&G.
Den «Wasserspiegel» gibt es auch als E-Paper. Im SVGW-Shop sind sämtliche bisher erschienenen Ausgaben frei zugänglich.
Kommentare (0)