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Fachartikel
26. April 2018

Trinkwasser-Mikrobiologie

Wissenslücken in der Trinkwasserhygiene

Mikroorganismen im Wasser und an wasserberührten Oberflächen bilden komplexe Lebensgemeinschaften. Zweckmässig mit ihnen umzugehen ist wichtig für die Gewährleistung der einwandfreien Qualität von Trinkwasser. Trotz umfangreichem Regelwerk und langer Tradition der lebensmittelrechtlichen Anforderungen an die gute Hygienepraxis bestehen diesbezüglich jedoch einige Wissenslücken.
Irina Nüesch 

Seit mehr als 100 Jahren sind auf eidgenössischer Ebene lebensmittelrechtliche Anforderungen an Trinkwasser festgelegt. Seit Jahrzehnten finden amtliche Inspektionen in den Wasserversorgungen statt, die sich unter anderem auf die gute Hygienepraxis beziehen. Man müsste denken, unter diesen Voraussetzungen seien alle massgeblichen Aspekte der Trinkwasserhygiene bekannt und deren korrekte Handhabung beschrieben. Dem ist aber nicht so.

Anerkannte Regeln der Technik

Anlagen zur Trinkwasserversorgung müssen nach den anerkannten Regeln der Technik erstellt und betrieben werden. Diese rechtliche Vorgabe bezieht sich einerseits auf die Funktionalität und technische Sicherheit der Anlagen. Andererseits bezieht sie sich aber auch auf den Hygienezustand bei bestimmungsgemässem Betrieb. Die Hygiene schliesst alle Faktoren ein, die für die Gesundheit der Konsumentinnen und Konsumenten von Bedeutung sind. Das sind nebst den Mikroorganismen auch unerwünschte chemische Stoffe, die ins Trinkwasser gelangen können. Zwar gibt es ein umfangreiches technisches Regelwerk, das mithilft, eine Wertverminderung oder die Ungeniessbarkeit des Trinkwassers zu vermeiden. Die Schwierigkeiten bestehen indes oftmals darin, die anerkannten Regeln der Technik auf die individuellen, sehr heterogenen Betriebsgegebenheiten umzusetzen.

Qualifizierte Umsetzung im Betrieb

Die qualifizierte Umsetzung von anerkannten Regeln der Technik im Betrieb bedingt, dass die Kenntnisse der genannten Vorschriften beim Wasserversorger vorhanden sind. Nebst dieser anspruchsvollen Grundvoraussetzung ist auch die Aufmerksamkeit gegenüber Veränderungen oder unerwarteten Auffälligkeiten der Anlagen und Prozesse stets ein wichtiger Faktor für den sicheren Betrieb. Gerade in letzterer Hinsicht ergeben sich nicht selten Fragen und Abklärungsbedarf. Eine umfassende und systematische Abklärung von Auffälligkeiten oder Qualitätsverminderungen würde dabei leider oftmals die Möglichkeiten des betroffenen Einzelbetriebes sprengen. Die Umsetzung einer pragmatischen Lösung zur raschen, dauerhaften Wiederherstellung der Trinkwasserhygiene ist in diesen Situationen ein legitimes Vorgehen. Massnahmen zur Symptombekämpfung können zudem durchaus effektiv und von dauerhaftem Nutzen sein. Wenn die Ursachenabklärung aus Gründen des Aufwands oder der Komplexität der Fragestellung auf der Strecke bleibt, geht aber ein grosses Potenzial für Erkenntnisgewinn und präventive Verbesserungsansätze verloren, die allen Wasserversorgern zugutekommen könnten.

Verhältnismässiger Vollzug

Wenn von amtlicher Seite Massnahmen zur Behebung eines Mangels angeordnet werden, so hat sich diese Anordnung nach dem Grundprinzip der Verhältnismässigkeit zu richten: Die angeordnete Massnahme muss geeignet sein, das im öffentlichen Interesse liegende Ziel tatsächlich zu erreichen, sie muss erforderlich und zumutbar sein und sie darf nicht über das Notwendige hinausgehen.

Das bedeutet nicht, dass eine Vollzugsperson dem Wasserversorger vorschreibt, wie er einen Mangel zu beheben hat. Im Gegenteil. Normalerweise wird sie ihm vorschreiben, dass er den Mangel zu beheben hat. Spätestens wenn es darum geht, zu beurteilen, ob die vom Betriebsverantwortlichen vorgesehene/ausgeführte Mängelbehebung den allgemein anerkannten Regeln der Technik und den weiteren lebensmittelrechtlichen Vorgaben entspricht, ist aber seitens der Vollzugsperson dasselbe umfangreiche Fachwissen über das technische Regelwerk und die Belange der guten Hygienepraxis erforderlich wie aufseiten des Wasserversorgers.

Gründe für einen unverhältnismässigen Vollzug können eine ungenügende fachspezifische Ausbildung oder fehlende Erfahrung sein. Nicht zuletzt können sich Unsicherheiten bezüglich der Verhältnismässigkeit einer Massnahme aber auch ergeben, wenn bisher in der Fachliteratur keine auf die Problemstellung ausgerichteten Studien verfügbar sind und diesbezüglich hilfreiche Erkenntnisse deshalb fehlen.

Lernen aus Erfahrungen und Schliessen von WissenslĂĽcken

In der Schweiz treten trotz generell hohem Absicherungsniveau der kommunalen Trinkwasserversorgung jährlich mehrere Verunreinigungsfälle auf. Sehr viel häufiger kommt es allerdings zu geringfügigeren Qualitätsproblemen, die für Konsumentinnen und Konsumenten nicht unmittelbar störend oder gar gesundheitsgefährdend sind. Für die gute Herstellungs- und Hygienepraxis sind auch sie von Bedeutung. Als Beispiele seien genannt:

– Abgabe von assimilierbarem Kohlenstoff (für Bakterien verfügbare Nährstoffe) aus Trinkwasserkontaktmaterialien

– Auftreten von ungewöhnlichem Bewuchs, z. B. Pilze in Wasserkammern

– übermässige Biofilmbildung in Armaturen

– Einnistung von Keimen wie Legionellen, Pseudomonaden, Aeromonaden, Klebsiellen in unerwünscht hoher Konzentration

– hartnäckiger Insektenbefall von Anlagen

– fragliche Notwendigkeit oder Wirksamkeit von Reinigungs- und Desinfektionsarbeiten

Wenig untersucht ist zudem die Dynamik der Mikrobiologie in Trinkwasser-Hausinstallationen.

Fazit

Die vorhandenen Erfahrungen mit diesbezüglichen Problemstellungen, Lösungsansätzen und Massnahmenerfolgen/
-misserfolgen werden zurzeit nicht systematisch genutzt. Ein vermehrter Transfer in die Trinkwasserforschung wäre erfreulich. Die verstärkte, praxisorientierte Zusammenarbeit der Trinkwasser-Fachpersonen wäre eine gute Investition, denn letztlich würden die Konsumentinnen und Konsumenten profitieren, also die gemeinsamen Kunden von Wasserversorgern, Vollzugsbehörden und Gesetzgeber. «Wunde Punkte» hinsichtlich gute Hygienepraxis in der Trinkwasserversorgung lassen sich mit vereinten Kräften besser identifizieren, untersuchen und lösungsorientiert angehen.

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