Es besteht die Möglichkeit, Leitlinien für eine gute Verfahrenspraxis (GVP) zu erstellen und vom Bund genehmigen zu lassen. Darauf machte das damalige Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Lebensmittelwirtschaft bereits vor gut zehn Jahren im Jahr 2006 in einem Infoschreiben aufmerksam und verwies auf den Artikel 52 der Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung. Dazu lieferte das Bundesamt gerade noch einen Leitfaden für die Erstellung der Leitlinie.
Natürlich war damit auch die Trinkwasserbranche angesprochen. Unter der Leitung des SVGW nahm diese noch im selben Jahr die Arbeit auf. Bereits ein Jahr später lag eine erste Version vor. Doch aufgrund unzureichender Ausarbeitung des HAACP-Konzepts wies das BAG den damaligen Vorschlag des SVGW zurück. Die Branche hing aber dadurch nicht im luftleeren Raum, hatte sie doch bereits in den Jahren zuvor die Regelwerke «Richtlinie für die Qualitätsüberwachung in der Trinkwasserversorgung» (W1), die «Richtlinie für die Qualitätssicherung in Grundwasserschutzzonen» (W2) und die «Empfehlung für ein einfaches Qualitätssicherungssystem für Wasserversorgungen» (W1002) erarbeitet. Diese bildeten auch die Grundlage der im Jahr 2017 schliesslich vom Bund genehmigten Version einer Leitlinie für eine gute Verfahrenspraxis in Trinkwasserversorgungen. Diese taxiert Karin Hulliger vom jetzt dafür zuständigen Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) als strukturell sehr gut.
Die Leitlinie, die im SVGW-Regelwerk als Richtlinie W12 eingeordnet ist, besteht aus einer thematischen Einführung und dem Konzept der Leitlinie, die mit einem Arbeitsordner ergänzt werden. Im ersten Teil wird neben den allgemeinen Ausführungen zur guten Verfahrenspraxis und zu HAACP auch der Zweck und der Geltungsbereich der Leitlinie formuliert: «Sie ist ein Arbeitsinstrument zur Selbstkontrolle für Trinkwasserversorgungen ohne Aufbereitung oder mit einfacher Aufbereitung des Wassers. Sie macht Vorgaben in allen relevanten, zur Selbstkontrolle gehörenden Bereichen und erleichtert damit deren Umsetzung im Betrieb.» Das heisst, sie gilt primär für kleinere und mittlere Wasserversorgungen, die jedoch in der Schweiz sehr zahlreich sind und die teilweise auch Mühe bekundeten, das bereits vorhandene Regelwerk umzusetzen. Wenn jetzt aber eine Wasserversorgung gemäss der Leitlinie arbeitet, erbringt sie damit auch gegenüber den amtlichen Kontrollorganen den Nachweis, dass die lebensmittelrechtlichen Anforderungen erfüllt werden.
«Eine wichtige Hilfe, um vorhandene Dokumentationen zu überarbeiten.»
Samuel Wittwer, Bereichsleiter Wasserversorgung, EW Rothrist
Nimmt man die Leitlinie zur Hand, mögen vielleicht die ersten knapp 15 einführenden Seiten der Leitlinie beim Leser aufgrund des allgemeinen Charakters noch eine gewisse Unsicherheit erzeugen. Wie man genau vorzugehen hat, klärt sich anschliessend im Kapitel 5. Denn hier wird schrittweise die praktische Anwendung beschrieben. Der erste Schritt besteht darin, den aktuellen Stand der GVP aufzunehmen. Dafür nimmt man den Arbeitsordner zur Hilfe mit den Checklisten «GVP-Vorgaben», den GVP-Vorgaben selbst sowie den Themenblättern. Beispielsweise gibt es auf der Checkliste den Punkt «Deckel des Einstiegsschachtes». Dazu findet man in den Vorgaben die Ausführung: «Der Deckel überlappt die Einstiegsöffnung. Er schliesst entweder hermetisch dichtend oder ermöglicht einen Druckausgleich über einen Luftfeinfilter.» Entsprechend kann man in der Checkliste eintragen, ob die Vorgabe erfüllt ist, nicht erfüllt ist oder nur zum Teil. Je nach Punkt der Checkliste gibt es neben den Vorgaben ergänzend noch Themenblätter mit weitergehenden Erläuterungen zu spezifischen Fragestellungen. So ist dem Pflichtenheft ein solches gewidmet.
Ist die Checkliste abgearbeitet, kommt Schritt zwei. Bei diesem wird der aktuelle Stand des Risikomanagements aufgenommen. Dafür gibt es wiederum Hilfsmittel im Arbeitsordner. Im gleichen Teil wie die Checkliste «GVP-Vorgaben» befindet eine Liste von Punkten zum Risikomanagement, die aber im Prinzip auch eine Checkliste darstellt. Diese kombiniert man mit den sogenannten Gefahrenanalysetabellen oder den Themenblättern «Risikoabschätzung» bzw. «Kritische Kontrollpunkte und deren Überwachung». Ein Punkt bei diesem Schritt ist unter anderen die «Überwachung der Wasserqualität». Dabei hält man mithilfe der Gefahrenanalysetabelle die Kontrolltätigkeiten fest und beurteilt, ob das Risiko ausreichend abgesichert ist.
Ist man mit dieser ganzen Bestandesaufnahme zur GVP und dem Risikomanagement durch, erfolgt Schritt drei. Jetzt gilt es an den Leitlinienpunkten weiterzuarbeiten, bei denen man Korrekturmassnahmen identifiziert hat. Als Hilfe steht dafür das Themenblatt «Korrekturmassnahmen» zur Verfügung. Mit einer Systembewertung wird schliesslich noch die Wirksamkeit des Selbstkontrollkonzeptes überprüft und nötigenfalls eine Systemkorrektur vorgenommen. Konsequenterweise gibt es auch dazu eine einseitige Vorlage am Ende der Richtlinie. Dabei wird beispielsweise notiert, wann die GVP-Liste «Risikomanagement» aktualisiert wurde.
Aufgrund ihres Anspruchs, Vorgaben in allen relevanten, zur Selbstkontrolle gehörenden Bereichen deren Umsetzung im Betrieb zu machen, ist die Leitlinie sehr umfangreich geworden. Sie enthält über 150 Leitlinienpunkte. Trotzdem begrüsst sie der Praktiker. So relativiert Samuel Wittwer, Bereichsleiter Wasserversorgung bei EW Rothrist, den Umfang der Leitlinie mit dem Hinweis, dass sie sehr einfach und übersichtlich gestaltet sei. Für ihn stellt sie eine wichtige Hilfe dar, um vorhandene Dokumentationen wie die Branchenlösung oder das Qualitätsmanagement zu überarbeiten. Besitzt eine Wasserversorgung noch kein Qualitätsmanagement, sollte sie sich auch nicht zu schade sein, professionelle Hilfe von aussen beizuziehen, empfiehlt Wittwer.
Karin Hulliger vom BLV wiederum erachtet die vorgesehenen Schulungen als wichtig für die Umsetzung der Leitlinie. Formal erfülle sie auf jeden Fall alle Ansprüche des Bundes. Die Expertin des Bundes verspricht sich auch eine Erleichterung des Vollzugs, wenn die Wasserversorger den kantonalen Kontrollbehörden belegen können, dass sie nach der Leitlinie gearbeitet haben. Doch kommt die Leitlinie nicht zu spät? Denn schliesslich müssen Wasserversorgungen gemäss geltendem Recht schon seit Langem die Anforderungen an die Selbstkontrolle einschliesslich der guten Verfahrenspraxis einhalten. Die Branchen sind nicht verpflichtet, Leitlinien für ihre Mitglieder zu erstellen, antwortet Karin Hulliger. Leitlinien sind jedoch gerade für kleinere Betriebe wichtige Hilfsmittel zur Erfüllung der Selbstkontrolle. Auch wenn die Trinkwasserbranche länger als andere Lebensmittelbranchen benötigte, um ihre Leitlinie zu erstellen, resultiert daraus ein Vorteil: Sie erfüllt schon die Vorgaben des neuen Lebensmittelrechts, das seit Anfang Mai 2017 in Kraft ist, und muss deshalb nicht wie die anderen Leitlinien der Lebensmittelbranche revidiert werden.
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