Im Oktober 2023 tauschten sich an zwei halbtägigen Workshops an der Eawag verschiedenste Interessensvertretende über Herausforderungen, Potenziale und Perspektiven von ökologischer Infrastruktur aus. Die Workshops wurden im Rahmen des Forschungsprojekts «BlueGreenNet» durchgeführt. Ziel des Projektes ist es, ökologisch verbundene aquatische (blaue) und terrestrische (grüne) Elemente (im Folgenden als ökologische Infrastruktur bezeichnet) gemeinsam mit relevanten sozialen Akteuren als Netzwerke darzustellen und hinsichtlich ökologischer Vernetzung räumlich explizit zu analysieren (s. Box unten). Ökologische Infrastruktur unterstützt neben Ökosystem-Dienstleistungen im Zusammenhang mit Biodiversität auch solche im Zusammenhang mit menschlicher Gesundheit und Wohlergehen wie z. B. saubere Luft, Lärmreduktion, Erholung, Hochwasserschutz und Städtekühlung.
Insgesamt 65 Teilnehmende aus verschiedenen Sektoren wie Stadtplanung und Raumentwicklung, Familiengärten, Verkehr, Landwirtschaft, Umweltschutz, Kies- und Abbauwirtschaft, Fischerei, Forstwirtschaft, Sport- und Freizeit, Militär, Wasserwirtschaft und Forschung waren anwesend. Sie vertraten Institutionen wie Planungsbüros, Verbände und Nichtregierungsorganisationen, Bundesämter, Kantone und Gemeinden, vor allem aus den Regionen Zürich und Aargau. All die verschiedenen Stakeholder zusammenzubringen, ist für die Planung, Gestaltung und Umsetzung der ökologischen Infrastruktur entscheidend. Nur wenn unterschiedliche Perspektiven und die damit einhergehenden Ansprüche und Expertisen voneinander wissen und sich austauschen, können integrale Herangehensweisen für Planung, Gestaltung und Umsetzung von ökologischer Infrastruktur erfolgreich sein. Zudem ist der Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis entscheidend, um neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft mit den Erfahrungen und Bedürfnissen der verschiedenen Interessensvertretenden gemeinsam zu diskutieren und so Ressourcen und Synergien zu bündeln.
Das Design der beiden Workshops umfasste einen Prozess mit Formaten wie Check-Ins, World-Cafés und Reflexionsgesprächen. Diese wurden gezielt eingesetzt, um Begegnungen zwischen den unterschiedlichsten Interessensvertretenden zu ermöglichen, den sozialen Austausch zu stärken und eine förderliche Umgebung für ein Lernen voneinander und miteinander zu schaffen. Die Zusammenarbeit mit collaboratio helvetica (Workshop-Moderatorinnen Luea Ritter und Anaïs Sägesser) für das Prozessdesign und die Begleitung der beiden Workshops hat dazu beigetragen, eine beziehungsfördernde und interaktive Struktur zu schaffen.
Sektorenübergreifende Workshops, die eine Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis schlagen, haben einen vielschichtigen Wert. Sie fördern ein gemeinsames Verständnis zwischen involvierten Akteuren und Disziplinen und erleichtern die Zusammenarbeit sowie Koordination zwischen verschiedenen Fachbereichen. Der Fokus auf Interaktion und Dialog wiederum ermöglichte es den Teilnehmenden, über ihre alltagspraktischen Grenzen hinweg zu denken und das Verständnis füreinander und die Sache zu vertiefen. Der gemeinsame Lernprozess, den solche Veranstaltungen anstossen, trägt zur Entwicklung nachhaltiger Lösungen bei und schafft eine Grundlage für zukünftige Zusammenarbeit und Innovation bei der nachhaltigen Bewirtschaftung der vom Menschen geprägten Landschaften.
Die Teilnehmenden bewerteten die integrierte Analyse sozialer Akteure und ökologischer Lebensräume und deren Netzwerke (Box) als interessant und wichtig. Darauf basierend wurden zusammenfassend Aspekte herausgearbeitet, welche die gemeinsame und sektorübergreifende Arbeit an der Planung und Umsetzung von ökologischer Infrastruktur erschweren:
Erstens wurde auf Interessenkonflikte und unterschiedliche Arbeitskulturen, Zeithorizonte, Prioritäten und Sprachkulturen hingewiesen. Unterschiedliche Interessengruppen haben unterschiedliche Perspektiven, Prioritäten und Ziele im Zusammenhang mit ökologischer Infrastruktur. Die möglichen Missverständnisse, die aus solchen Unterschieden und Interessenskonflikten hervorgehen, können durch Dialog, Sichtbarmachen von Widersprüchen, Konsensbildung, partizipative Entscheidungsfindung und die kontinuierliche Kommunikation angegangen und überbrückt werden.
Zweitens wird ein fehlender politischer Wille festgestellt. So spielen politische Entscheidungsträger eine massgebliche Rolle bei der Festlegung von Rahmenbedingungen und Massnahmen sowohl auf ökologischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Politischer Wille kann durch die Sensibilisierung von politischen Entscheidungstragenden für die Bedeutung von ökologischen Netzwerken und die Einbindung der Öffentlichkeit in Entscheidungsprozesse erreicht werden. Wichtig sind auch gesetzlich formulierte, klare Vorgaben.
Drittens wurden unzureichende finanzielle und personelle Ressourcen bei den verschiedenen Anspruchsgruppen angesprochen. In verschiedenen Sektoren und bei verschiedenen Anspruchsgruppen, die mit ökologischer Infrastruktur zu tun haben, ist Biodiversität naturgemäss nur eines von vielen Zielen. Dementsprechend fehlen Ressourcen, zum Beispiel in Form von spezialisierten Personen, die Biodiversität und ökologische Infrastruktur systematisch mitdenken.
Das Potenzial, diese verschiedenen Herausforderungen durch Dialog, Verständnis und Bewusstwerden der unterschiedlichen Perspektiven anzugehen, wurde sicht- und spürbar in den kurzen, aber tiefgehenden Gesprächen während der jeweils halbtägigen Workshops. Alle Herausforderungen können nur mit einer langfristigen Perspektive angegangen werden, Verständnis für und Umgang mit verschiedenen Arbeitskulturen können nur durch langjährige Zusammenarbeit geschaffen werden. Ein wichtiger Mehrwert dieser Veranstaltungen war es, dass die Teilnehmenden anstelle eines sektorialen einen sektorübergreifenden Ansatz fördern möchten, und die ökologische Infrastruktur als sozial-ökologisches Netzwerk zu verstehen versuchen. Die Motivation der Teilnehmenden suggeriert, dass Austauschformate wie diese Workshops besonders in Bereichen mit vulnerablen Ökosystemen und komplexen Akteursnetzwerken so häufig wie möglich und nötig genutzt werden sollten.
Das Projektteam plant weitere ähnliche Workshops im 2025.
Sozial-ökologische Netzwerke (SEN, Social-Ecological Networks) bieten einen innovativen konzeptionellen und methodischen Ansatz, um komplexe Wechselwirkungen zwischen sozialen und ökologischen Systemen zu entflechten und zu analysieren. Mithilfe von SEN identifiziert und quantifiziert das Projekt die Zusammenhänge von blau-grüner Infrastruktur und den relevanten sozialen Akteuren. Somit soll die ökologische (blau-grüne) Infrastruktur unterstützt und Transformationspfade für eine nachhaltigere Ökosystem-Governance in peri-urbanen Regionen der Schweiz sollen identifiziert werden.
In acht Fallstudienregionen in den Kantonen Aargau und Zürich werden SEN identifiziert und analysiert. Die ökologischen Netzwerke repräsentieren Bewegungskorridore von Amphibien, die sozialen Netzwerke repräsentieren Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Anspruchsgruppen, die für relevante blau-grüne Habitate verantwortlich sind.
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