Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in einem Umkreis von weniger als drei Kilometern Entfernung von einem Binnengewässer. Eine der Folgen: durch Siedlungen und Strassen werden unbeabsichtigt auch Nachtlandschaften aquatischer Ökosysteme stark beleuchtet. Die Forschung zur Lichtverschmutzung hat sich bisher hauptsächlich damit befasst, wie sich zu viel künstliches Licht auf die menschliche Gesundheit und auf landlebende Arten auswirkt. Diese Erkenntnisse auf das Leben unter Wasser zu übertragen, ist jedoch nicht einfach, denn die optischen Eigenschaften von Wasser führen zu deutlichen Unterschieden in der Bestrahlungsstärke, der spektralen Zusammensetzung und Polarisationsmustern des Lichts. «Dies hat zur Folge, dass sich auch die physiologischen und Verhaltensanpassungen aquatischer Lebewesen an Licht von denen ihrer Artgenossen an Land unterscheiden», erläutert IGB-Forscher Franz Hölker, der am IGB eine Forschungsgruppe zu Lichtverschmutzung und Ökophysiologie leitet.
Klares Wasser absorbiert Licht vor allem langwelliges Licht im roten Teil des elektromagnetischen Spektrums und streut das kurzwellige blaue Licht. Deshalb erscheint ozeanisches Wasser oft blau.
Gelöste und partikuläre Stoffe beeinflussen jedoch in den meisten Binnengewässern das Wellenlängenspektrum des Lichts. Farbige, gelöste organische Stoffe wie Huminstoffe, aber auch kleine Algen und andere Schwebeteilchen lassen insgesamt weniger Licht durchdringen, insbesondere im kurzwelligen Bereich. Mit zunehmenden Konzentrationen von Huminstoffen erhöht sich der Anteil von Licht im langwelligen Spektrum (Gelb- und Rottöne) im Wasser. Bei hinreichendem Algenwachstum dominiert meist Streulicht im grünen Bereich des Spektrums, sodass Binnengewässer oft grün erscheinen.
(Bild: ©Solvin Zankl)
Licht liefert den Lebewesen über und unter der Wasseroberfläche Energie – etwa zur Photosynthese, gibt den zeitlichen Rhythmus vor und ist unerlässlich für die Weitergabe visueller Informationen. Es gibt kaum eine Pflanze, die sich nicht nach der Sonne ausrichtet und nur wenige Tiere haben keinen Sehsinn. Ihre Lichtsensorik reicht von einzelnen Lichtsinneszellen bis hin zu komplexen Kameraaugen, die für den Menschen unsichtbare Polarisationsmuster erkennen können.
Wasserorganismen in den tieferen Wasserschichten können auch bei wenig Licht noch erstaunlich gut sehen. Süsswassergarnelen erkennen selbst bei Mondlicht noch Farben. Während beispielsweise der Mensch mit seinen Zapfen auf der Netzhaut nur Rot, Grün und Blau wahrnimmt, verfügen viele Fische (und übrigens auch Vögel) zudem über einen vierten Farbrezeptor: Sie sehen beispielsweise ultraviolettes Licht. Die Empfindlichkeit gegenüber den verschiedenen Wellenlängen variiert jedoch je nach Lebensraum. So reagieren Fische, die im Meer leben, oft empfindlicher auf blaues Licht als Arten in Binnengewässern, die durch gelöste und partikuläre Stoffe wie Huminstoffe und Algen grünlich-bräunlich gefärbt sind. Beispiele hierfür sind der Flussbarsch und das Rotauge. Die spektrale Empfindlichkeit kann sich sogar im Laufe eines Lebens ändern.
Vor allem Wasserinsekten und Froschlurche, die ihr Leben im Wasser beginnen und als erwachsene Tiere an Land gehen, erleben dadurch drastische Veränderungen in ihrer Lichtumgebung, z.B. in der Bestrahlungsstärke, der spektralen Verteilung und der Polarisationmuster. Sie müssen ihre Lichtwahrnehmung entsprechend anpassen. Im Wasser lebende Nymphen von Eintagsfliegen sind beispielsweise überwiegend grünempfindlich, während erwachsene Tiere dieser Art eher auf kurzwellige Strahlung (blau, UV) reagieren. «Diese Beispiele zeigen den hohen Selektionsdruck auf ein der Umgebung angepasstes Sehvermögen», erläutert Franz Hölker.
(Bild: ©Dr. Julian Taffner / Terra Aliens)
Die meisten Wasserinsekten wie Käfer, Wanzen, Eintagsfliegen, Zuckmücken und Libellen können polarisiertes Licht wahrnehmen und nutzen es, um geeignete Lebensräume und Fortpflanzungsplätze zu finden. Um beispielsweise geeignete Orte für die Eiablage aufzusuchen, orientieren sie sich anhand der typischen Polarisationssignaturen natürlicher Gewässer, die durch Reflexionen an Wasseroberflächen entstehen. Polarisiertes Licht entsteht, wenn das elektromagnetische Feld des Lichts bei der Brechung oder Reflexion an der Wasseroberfläche beispielsweise nur noch in einer bestimmten Richtung schwingt, im Gegensatz zum Sonnen- und Mondlicht und dem Licht vieler künstlicher Lichtquellen.
Licht ist durch seine Bedeutung – auch unter Wasser – im Laufe der Evolution zu einem wichtigen Zeitgeber geworden. Der Wechsel von Licht und Dunkel reguliert beispielsweise eine der größten synchronisierten Bewegungen von Biomasse, die es auf unserem Planeten gibt: die täglichen Vertikalwanderungen von Zooplankton und Fischen in der Wassersäule mariner und limnischer Lebensräume. Viele Zooplanktonarten halten sich tagsüber bei geringen Lichtverhältnissen in tiefen Gewässerschichten auf, um ihren visuell jagenden Fressfeinden zu entgehen. Nur nachts wagen sie sich nach oben, um sich von Phytoplankton und Mikrozooplankton zu ernähren. Der Tagesaufenthalt im Schutz tieferer Wasserzonen scheint sich zu lohnen, obwohl die Bewegung Energie kostet und die kleinen Organismen tagsüber auf Nahrung verzichten müssen. Planktonfressende Fische in Seen, wie z. B. Maränen (Coregonus spp.) folgen diesen Bewegungen ihrer Beute.
(Bild: ©Dr. Julian Taffner / Terra Aliens)
Auch jahreszeitliche Rhythmen werden durch natürliches Licht, insbesondere durch die Tageslänge, synchronisiert. Sie sind besonders wichtig für die Fortpflanzung, wie die Laichwanderung vieler Fische, die Suche nach Paarungspartnern, das Ablaichen und die Entwicklung der Jungfische. Die abnehmende Tageslänge im Herbst ist auch wichtig, damit sich die Lebewesen rechtzeitig auf die schwierigen Temperatur-, Nahrungs- und Lichtverhältnisse im Winter vorbereiten können.
Das auf die Erdoberfläche auftreffende, natürliche Licht variiert je nach Tag und Nacht um viele Grössenordnungen, abhängig von den Positionen der Sonne und des Mondes, der Sterne sowie von Wetter und atmosphärischen Bedingungen. Die horizontale Beleuchtungsstärke wird dabei oft als Mass verwendet. Die Masseinheit ist Lux. Sie gibt den Lichtstrom an, der von einer Lichtquelle auf eine definierte Fläche von einen Quadratmeter trifft. Ein Beispiel: Eine normale Kerzenflamme erzeugt im Abstand von 1 Meter zirka 1 Lux. Unser natürliches Licht auf der Erde reicht von Spitzenwerten am Tag von über 100 000 Lux bis zu 800 Lux bei Sonnenuntergang und einem Minimum von etwa 1 Millilux in mondlosen Nächten.
(Bild: ©Shutterstock_67797310)
Lichtverschmutzung bezieht sich auf die übermässige, unnatürliche oder störende Beleuchtung in der Umwelt mit negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Es gibt zwei Formen: Die direkte Lichtverschmutzung ist die Strahlung, die direkt von öffentlicher oder zum Teil auch privater Beleuchtung ausgeht, etwa von Strassenbeleuchtung, Beleuchtung in Gebäuden, an Fahrzeugen, Leuchtreklamen oder Architekturbeleuchtung. «An der Oberfläche von Binnengewässern wurden in den bisherigen Studien Werte von bis zu 20 Lux gemessen, das ist 70 Mal mehr als die maximale Bestrahlungsstärke des Mondlichts. Indirekte Lichtverschmutzung ist das ,Himmelsleuchten‘ oder ,Skyglow‘, das leicht als Lichtkuppel über Städten oder Industrieanlagen zu erkennen ist», erläutert Professor Andreas Jechow, Gastwissenschaftler am IGB und Professor für Grundlagen der Augenoptik und der Optischen Gerätetechnik an der Technischen Hochschule Brandenburg. Himmelsleuchten wird durch Licht verursacht, das horizontal oder nach oben in die Atmosphäre abgestrahlt und zur Erde zurückgelenkt wird - hauptsächlich durch Streuung an Wassertröpfchen und Aerosolen in der Luft. Wolken verstärken das Himmelsleuchten, so dass in städtischen Gebieten Beleuchtungsstärken von über einem Lux erreicht werden. Dies ist ein Vielfaches heller als das hellste Mondlicht.
Lichtverschmutzung wirkt auch unter Wasser, auf allen Ebenen der biologischen Vielfalt, vom Individuum bis zum Ökosystem. So unterdrückt Lichtverschmutzung bei einer Beleuchtungsstärke von nur 0,01 bzw. 1 Lux die nächtliche Melatoninausschüttung bei Flussbarsch und Rotauge. Melatonin ist das Hormon, welches unsere innere Uhr stellt und bestimmt, wann wir beispielsweise müde oder wach sind. Lichtverschmutzung beeinflusst auch die Geschlechtsreife bei Fischen. Die Entwicklung der Keimdrüsen vieler Fische in gemässigten Klimazonen wird durch die abnehmende Tageslänge im Herbst ausgelöst. Wird dieses Signal durch künstliches Licht während einer solchen lichtsensiblen Periode überdeckt, geht der Hinweis auf die Keimdrüsenreifung verloren, wie sowohl beim Barsch als auch beim Rotauge nachgewiesen wurde.
(Bild: ©Solvin Zankl)
Direkte Lichtquellen in der Nähe von Gewässern können Barrieren für die Bewegung von Tieren im Wasser und an Land sein. Wanderfische wie einige Junglachse und Aale unterbrechen teilweise ihre Wanderungen zwischen Fluss und Meer an beleuchteten Brücken oder Wehren. Auch Fledermäuse, die die Wasserverläufe als Flugrouten und Futterplätze nutzen, werden durch Brückenbeleuchtung abgelenkt. Wandernde Erdkröten meiden Strassenabschnitte, die mit weissem oder grünem Licht beleuchtet sind – aber nicht, wenn das Licht rot ist.
Nachtaktive Insekten haben im Laufe der Evolution oft hochentwickelte Schwachlichtsensoren ausgebildet. Sie orientieren sich zum Teil an den Gestirnen und verirren sich deshalb, wenn sie an Strassenlampen angezogen werden. Viele Beleuchtungen wirken dabei wie eine Art Staubsauger, der die Insekten der Umgebung entzieht. Problematisch ist dies für aquatische Insekten wie Mücken und Eintagsfliegen, die als Larven im Gewässer leben, bevor sie als erwachsene adulte Tiere an Land kommen. Das Team von Franz Hölker hat die Auswirkungen von künstlichen Lichtquellen auf diese schlüpfenden Insekten untersucht und gezeigt, dass eine Strassenbeleuchtung den Insektennachwuchs entlang eines etwa 100 Meter langen Gewässerstreifens wie ein Staubsauger dem Ökosystem entziehen kann. Diese können nicht mehr erfolgreich der Nahrungs- und Partnersuche nachgehen wie in natürlich dunklen Nächten und fehlen als Bestäuber oder anderer Arten als Nahrungsgrundlage.
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«Räuberische Tiere haben über Jahrmillionen ausgeklügelte Techniken entwickelt, um ihre Beute aufzuspüren und zu fangen, während die Beute ihre Abwehrstrategien ständig verbessert. Künstliches Licht in der Nacht kann das Gleichgewicht in diesem Wettrüsten verschieben», sagt Franz Hölker. Wie Studien zeigen, profitieren zum Beispiel kleine räuberische Groppen – eine Knochenfischart – von einer erhöhten Dichte an Rotlachsbrut, die durch künstliches Licht angelockt wurde. Ähnlich verhält es sich mit jungen Königslachsen, deren Risiko, gefressen zu werden, sich mit der Zunahme der Beleuchtungsstärke von 0 auf 70 Lux an der Wasseroberfläche signifikant erhöht.
Im Gegensatz zu direkten Lichtquellen trifft die indirekte Lichtverschmutzung, das Himmelsleuchten aus praktisch allen Winkeln oberhalb des Horizonts auf die Wasseroberfläche, so dass ein viel grösserer Anteil des einfallenden Lichts ins Wasser gelangt. Die tägliche vertikale Wanderung von Zooplankton kann schon von geringen Beleuchtungsstärken wie einer städtischen Lichtglocke gestört werden. Das kann sich auch auf die Dichten und das Verhalten der Fische und der Kleinstalgen auswirken – die über das Nahrungsnetz eng mit dem Zooplankton verbunden sind.
Nicht zuletzt kann künstliches Licht mit anderen Stressoren des globalen Wandels interagieren, insbesondere in urbanen Gebieten. Franz Hölker fasst abschliessend zusammen: «Angesichts des Spektrums nachgewiesener und potenzieller Auswirkungen der Lichtverschmutzung auf Binnengewässer ist die Entwicklung und Umsetzung wirksamer Beleuchtungs- und Lichtschutzkonzepte von entscheidender Bedeutung. Aus technischer Sicht sind viele Massnahmen leicht umsetzbar. Eine entscheidende Voraussetzung für die Minderung der Auswirkungen der Lichtverschmutzung ist dabei die Sensibilisierung von Bürgern und Entscheidungsträgern für das Problem der Lichtverschmutzung und für das grosse Potential, durch politische Massnahmen und Strategien den Schutz der Binnengewässer vor Lichtverschmutzung viel zu erreichen, ohne auf die Vorteile der nächtlichen Beleuchtung für den Menschen zu verzichten.»
Light pollution of freshwater ecosystems: principles, ecological impacts and remedies
Franz Hölker; Andreas Jechow; Sibylle Schroer; Klement Tockner; Mark O. Gessner. Philosophical Transactions of the Royal Society of London : Ser. B, Biological Sciences. - 378(2023)1892, Art. 20220360
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