Plattform für Wasser, Gas und Wärme
Fachartikel
05. Dezember 2023

Regenüberlaufbecken Sennweid

Messdatengestütztes Vorgehen in der Dimensionierung von Regenüberlaufbecken

Für die Dimensionierung des Regenüberlaufbeckens Sennweid wurden zeitlich hoch aufgelöste Messdaten der Zulauffrachten verwendet. Die aus Sicht Gewässerschutz erforderliche Beckengrösse wurde in einem ersten Ansatz direkt anhand der Messdaten bestimmt. In einem zweiten Ansatz wurden die Messdaten als Grundlage für eine Kanalnetzsimulation verwendet. So konnte eine fundierte Entscheidungsgrundlage für die Dimensionierung geschaffen werden.
Claudio  Manz, Michael  Arnold, Flavia  Caprez,  Markus Gresch, 

Im Rahmen der Überarbeitung des GEP Steinhausen ZG wurde festgestellt, dass sich der Dorfbach in einem ökologisch und morphologisch schlechten Zustand befindet [1]. Hauptproblem ist ein erhöhter Eintrag von GUS (gesamte ungelöste Stoffe), der zur Kolmation der Sohle durch GUS-Akkumulation im Gewässer führt. Grund dafür sind die Einleitung von ungereinigtem Strassenabwasser der Autobahn, direkte Regenabwassereinleitungen sowie das Regenüberlaufbecken (RÜB) Sennweid, das Mischabwasser in den Dorfbach entlastet (siehe Fig. 1). Zur Verbesserung der Situation wurden im Rahmen des GEP verschiedene Massnahmen erarbeitet, unter anderem ein Beckenausbau auf bis zu 3000 m3 Speichervolumen. Im Folgenden wird detailliert auf den Ausbau des RÜB Sennweid eingegangen.

Formulierung Zielgrösse

In der VSA-Richtlinie «Abwasserbewirtschaftung bei Regenwetter» [2] werden Emissions- und Immissionsanforderungen für Ammonium definiert. Im Modul STORM sind Anforderungen zu GUS formuliert, aber in fast stehenden Fliessgewässern, wie es beim Dorfbach in Steinhausen der Fall ist, müssen die GUS-Einträge extrem tief sein, um die Grenzwerte einhalten zu können. Da dies im vorliegenden Fall nicht praktikabel war, wurde gemeinsam mit dem Gewässerökologen eine Zielgrösse für GUS erarbeitet. Dazu wurden Untersuchungen im Bachsediment durchgeführt, um den Gewässerzustand ergänzend zu den biologischen Gewässeraufnahmen im GEP einschätzen zu können. Diese bestätigen eine starke Belastung des Bachs durch Sedimente [3]. Als massgebende Zielgrösse für die Definition des notwendigen Beckenausbaus wurde eine 50%-Reduktion der heute emittierten GUS-Fracht festgelegt.

Schmutzstoffdynamik im Einzugsgebiet

Das Einzugsgebiet des RÜB Sennweid ist klein und kompakt mit Fliesszeiten von maximal 15 Minuten [1]. Knapp die Hälfte der Siedlungsfläche wird im Mischsystem entwässert [1]. Es wurde vermutet, dass beim Becken ein Schmutzstoss zu beobachten ist. Tritt ein solcher auf, ist die GUS-Fracht beim RÜB am Anfang eines Ereignisses erhöht und nimmt im weiteren Verlauf stark ab [4-6]. Hinsichtlich des Ausbaus des RÜB Sennweid bedeutet dies, dass für die Verbesserung des Gewässerzustands vor allem das stark mit GUS belastete Mischabwasser zu Beginn eines Regenereignisses zurückgehalten werden sollte.

Aufbau Messkampagne

Um Erkenntnisse über die Schmutzstoffdynamik im Einzugsgebiet des RÜB Sennweid zu gewinnen, wurde von April 2020 bis September 2021 eine Messkampagne in Zusammenarbeit mit dem Gewässerschutzverband der Region Zug (GVRZ) durchgeführt. Das RÜB Sennweid verfügt über einen Stromanschluss und war bereits an das Prozessleitsystem (PLS) des GVRZ angeschlossen. Dies erlaubte es, neue Messungen unkompliziert auf das PLS aufzuschalten und die Probennahme aus der Ferne anhand von Wetterbeobachtungen auszulösen. In einer ersten Phase wurde das hydraulische Verhalten untersucht. Darauf aufbauend wurden die Schmutzstoffe im Abwasser beprobt. Die Messwerte wurden laufend ausgewertet und Verbesserungen in der Messtechnik vorgenommen. Dabei wurden zusätzlich zur bestehenden Messtechnik eine Zufluss- und Entlastungsmengenmessung sowie ein Niederschlagsmesser installiert. In Figur 2 ist der finale Stand der messtechnischen Ausrüstung im RÜB Sennweid dargestellt. Ein zentrales Element der Kampagne war der beim Zufluss installierte Probennehmer mit 24 Einzelflaschen. Dieser entnahm bei verschiedenen Regenereignissen in einem zeitlichen Abstand von 5 bis 10 Minuten Proben des Abwassers. Die Installation des Probennehmers mit einem funktionierenden Ansaugstutzen war anspruchsvoll. Die Proben wurden im Labor analysiert auf GUS, chemischen Sauerstoffbedarf (CSB), Leitfähigkeit sowie Ammonium (NH4-N) und gesamten Stickstoff (Ntot). Das Resultat der Messkampagne war ein Datensatz von elf Regenereignissen und einem Trockenwettertag. Die beprobten Regenereignisse wiesen unterschiedliche Eigenschaften bezüglich Spitzenintensität, mittlerer Intensität und Regendauer auf. Entsprechend wurde auch sehr unterschiedliches Entlastungsverhalten des Beckens beobachtet.

Resultate Messkampagne

Die Auswertung der Messdaten zeigte, dass die Abflussspitze beim Regenüberlaufbecken mehrheitlich rund 15 Minuten nach der gemessenen Regenspitze beim Becken eintraf (Fig. 3). Nach ausgeprägten Trockenphasen vor den Regenereignissen wurde beobachtet, dass die GUS- und CSB-Konzentrationen zu Beginn ein Maximum aufwiesen. Innert 20 bis 30 Minuten fielen die Konzentrationen stark ab und verblieben auf tieferem Niveau (siehe beispielhaft Fig. 4 für das Ereignis vom 13. August 2020). Dies bestätigte die Annahme, dass im Einzugsgebiet nach Trockenphasen das Phänomen «Spülstoss» auftritt. Auch in der Filterprobe konnte die hohe GUS-Konzentration zu Beginn gut beobachtet werden (Fig. 5).

Variantenstudium Dimensionierung

Die Resultate der Messkampagne dienten als Grundlage für die Dimensionierung des Regenüberlaufbeckens. Dabei wurden zwei Ansätze angewendet, welche im Folgenden vorgestellt werden. In einem ersten Ansatz wurde die Dimensionierung direkt auf der Basis der Messdaten durchgeführt. In einem zweiten Ansatz wurde ein hydrologisches Kanalnetzmodell erstellt, welches mit den erhobenen Messdaten kalibriert wurde.

Messdatenbasierte Dimensionierung 

Bei der messdatenbasierten Dimensionierung wurden vier Regenereignisse ausgewertet. Bei all diesen Ereignissen wurden ein Spülstoss und eine Entlastung von Mischabwasser in den Dorfbach beobachtet. Es wurden die kumulativen Kurven der GUS-Fracht im Zulauf sowie der kumulative Zufluss ins Fangbecken berechnet (Fig. 6). Als Start eines Ereignisses wird derjenige Zeitpunkt definiert, ab welchem der Zufluss ins Becken grösser ist als die eingestellte Weiterleitmenge zur ARA. Analog gilt ein Ereignis als beendet, sobald die Zuflussmenge kleiner als die maximale Weiterleitmenge ist. Zusammen mit der definierten Zielgrösse von mindestens 50% GUS-Rückhalt konnte in einem nächsten Schritt das theoretisch erforderliche Beckenvolumen bestimmt werden. Figur 7 zeigt das erforderliche Beckenvolumen für einen Rückhalt von 50 bis 100% der gesamten zufliessenden GUS-Fracht während aller ausgewerteten Regen46 Ereignisse. Daraus ist ersichtlich, dass bei einem zusätzlichen Volumen von rund 500 bis 1000 m3 im Vergleich zum heutigen Becken bereits eine deutliche Reduktion der GUS-Emissionen in den Dorfbach erreicht werden könnte. Ein Ausbau des Beckens auf neu 2000 m3 würde für drei der vier ausgewerteten Ereignisse den GUS-Rückhalt auf über 80% erhöhen.

Simultationsbasierte Dimensionierung

Für die simulationsbasierte Dimensionierung wurde ein Einzugsgebiets- und Sonderbauwerksmodell in der Software KOSIM erstellt. Grundlage war das Entwässerungsschema des GEP der Gemeinde Steinhausen [1]. Das Modell wurde mit den in der Messkampagne gemessenen Trocken- und Regenwetterverhältnissen kalibriert. Der Schmutzparameter GUS wurde basierend auf vereinfachten Akkumulations- und Abtragungsprozessen auf Oberflächen modelliert. In Trockenphasen werden Schmutzfrachten auf der Oberfläche akkumuliert. Während Niederschlagsereignissen erfolgt ein Abtrag der Schmutzfracht. Figur 8 zeigt exemplarisch die gemessenen sowie die simulierten GUS-Konzentrationen im Beckenzulauf für das Ereignis vom 21. Juni 2021. Die gemessenen und simulierten Entlastungskennzahlen (2017 bis 2021) wurden abgeglichen und bestätigen die Verwendbarkeit des Modells [7].

Ausbau Fangbecken

In einem nächsten Schritt wurde mit dem Modell eine Langzeitsimulation über 25 Jahre (1996 bis 2021) für verschiedene Ausbauvarianten durchgeführt. Es zeigte sich, dass der Ausbau des Fangbeckens deutlich effektiver ist in Bezug auf GUS-Rückhalt als der Ausbau des Durchlaufbeckens (Tab. 1). Darüber hinaus wurde untersucht, wie sich die Reduktion der GUS-Entlastung für verschiedene Fangbeckenvolumen verhält (Tab. 2). Es ist zu erkennen, dass eine Vergrösserung des Fangbeckens um 500 mrespektive 1000 m3 den grössten Effekt hat mit jeweils einer Senkung der emittierten GUS um 50%. Für grössere Volumen ist immer noch ein positiver Effekt zu erwarten, jedoch deutlich weniger ausgeprägt.


Tab. 1 Gegenüberstellung Ausbau Fangbecken (FB) und Durchlaufbecken (DB) im Vergleich zum Ist-Zustand (Mittelwerte 1996–2021).


Tab. 2 Verschiedene Fangbeckenvolumen (FB) und deren Effekt auf die GUS-Emission (Mittelwerte 1996–2021).

 

Betriebliche Optimierungsmassahmen

Weiter wurde überprüft, inwiefern betriebliche Optimierungsmassnahmen am bestehenden Bauwerk die GUS-Emission verringern können. Mit solchen Massnahmen liesse sich der GUS-Rückhalt deutlich verbessern, als alleinige Massnahme verfehlen sie jedoch die angestrebte Reduktion der GUS-Emission um mindestens 50% (Tab. 3).

Tab. 3 Effekt betrieblicher Optimierungsmassnahmen am bestehenden Bauwerk. FB: Fangbecken, DB: Durchlaufbecken (Mittelwerte 1996–2021).

Fazit Dimensionierung

Figur 9 fasst die Erkenntnisse der simulationsbasierten Dimensionierung zusammen. Daraus ist klar ersichtlich, dass eine Erweiterung des Fangbeckens um 500 bis 1000 m3 signifikant zu einer Reduktion des Eintrags von GUS führt. Zusätzliche Vergrösserungen würden zwar die GUS-Emissionen weiter reduzieren, jedoch in einem geringeren Masse. Es konnte zudem gezeigt werden, dass eine Dimensionierung des Fangbeckenteils aufgrund der Messdaten gut und praktikabel funktioniert. Die Stichprobe ist mit vier verwendeten Ereignissen allerdings eher klein. Es ist deshalb davon auszugehen, dass das mittlere Entlastungsverhalten über einen längeren Zeitraum nicht vollständig korrekt abgebildet wird, wodurch die Dimensionierung weiterhin mit Unsicherheiten behaftet ist. Der Wissensstand ist dank der Kombination von Messkampagne und Simulation letztendlich belastbarer.

Variantenentwicklung und -bewertung

Aufgrund der messdaten- und simulationsbasierten Dimensionierung wurden die folgenden Varianten für die weitere Betrachtung ausgewählt und nach vier verschiedenen Kriterien bewertet (Machbarkeit, Gewässerschutz und Investitionskosten, Betriebsaufwand, Praxiserfahrung):

  • Variante 1: Ausbau des Fangbeckens um 500m3
  • Variante 2: Ausbau des Fangbeckens um 1000 m3
  • Variante 3: Betriebliche Optimierung durch Einbau von Schrägklärern im Durchlaufbecken

Im Rahmen der Machbarkeitsprüfung zeigte sich, dass für eine effektive Funktionsweise der Schrägklärer die verfügbare Wassertiefe nicht ausreichend ist. So wären eine Absenkung des Durchlaufbeckens und damit Bauarbeiten nötig, die genau durch den Einbau der Schrägklärer vermieden werden sollten. Diese Variante wurde deshalb nicht weiterverfolgt. Die finale Entscheidung wurde gemeinsam im interdisziplinären Team mit Vertreterinnen und Vertretern der GVRZ, der Gemeinde Steinhausen, der AquaPlus AG, dem AfU Zug sowie Hunziker Betatech AG getroffen. Es wurde beschlossen, den Rangbeckenteil des RÜB Sennweid um 1000m3 zu vergrössern. Hauptgrund für diese Entscheidung war, dass ein Ausbau um 1000m3 statt nur um 500m3 aus gewässerschutztechnischer Sicht einen grossen Mehrwert bringt (Fig. 9). Während des gesamten Prozesses bis zur Definition des notwendigen Beckenausbaus (Fig. 10) waren alle betroffenen Akteure in das Projekt und die Entscheidungen eingebunden. Dadurch wurden ein Verständnis und Bewusstsein für die Problematik, Lösungsansätze und auch Grenzen sowie Verhältnismässigkeit geschaffen.

Fazit und Ausblick

Der Dorfbach der Gemeinde Steinhausen ZG befindet sich in einem ökologisch schlechten Zustand. Hauptproblem ist ein hoher Eintrag von GUS, der zur Kolmation der Sohle führt. Eine Massnahme zur Reduktion des GUS-Eintrags ist der Ausbau des RÜB Sennweid. Da klare quantitative und gewässerökologisch begründete Zielvorgaben nicht abgeleitet werden können, wurde im interdisziplinären Team beschlossen, eine Reduktion der GUS-Emission um 50% im Vergleich zum Ist-Zustand anzustreben. Um die Schmutzstoffdynamik bei Regen und Trockenwetter im Einzugsgebiet besser zu verstehen, wurden zwischen April 2020 und September 2021 Beprobungen des Abwassers durchgeführt. Der erhaltene Datensatz bildete die Grundlage für zwei verschiedene Ansätze, um die erforderliche Beckengrösse zu ermitteln. In einem ersten Ansatz wurden die Messdaten während vier Regenereignissen direkt ausgewertet. Im zweiten Ansatz wurden die Daten für die Kalibration eines hydrologischen Kanalnetzmodells verwendet. Mit dem Modell wurde der Effekt verschiedener Ausbauvarianten auf das Entlastungsverhalten des Beckens untersucht. Beide Methoden können gut und praktikabel angewendet werden und ergänzen sich gegenseitig. Obwohl keine klare Beziehung zwischen GUS-Emissionen und dem ökologischen Zustand des Bachs festgestellt wurde, stellen die erhobenen Messdaten eine solide Entscheidungsgrundlage dar. Es zeigte sich, dass der Ausbau des Fangbeckenteils um 1000 m3 den GUS-Rückhalt deutlich steigert und so die Zielvorgabe erreicht werden kann. Auf der Basis der Mess- und Simulationsresultate wurde gemeinsam mit allen involvierten Parteien beschlossen, den Fangbeckenteil des RÜB Sennweid zu vergrössern. Dadurch leistet die Gemeinde Steinhausen einen ersten, bedeutenden Beitrag zur Verringerung der GUS-Belastung im Dorfbach. Die Messkampagne lieferte detaillierte Grundlagen, die zur Konkretisierung der Eckwerte für die Projektierung und als Entscheidungsgrundlage eingesetzt wurden. Die Kosten und der Aufwand für die Durchführung sowie Auswertung einer aussagekräftigen Messkampagne sind im Vergleich zu einem überdimensionierten Beckenausbau gering. Das Projekt zeigt somit, dass Messdaten in vielerlei Hinsicht einen wertvollen Beitrag bei der Planung und Dimensionierung von Sonderbauwerken und damit beim Gewässerschutz leisten können.

Bibliographie

[1] Geozug Ingenieure AG (2018): GEP Steinhausen
[2] VSA (2019): Abwasserbewirtschaftung bei Regenwetter. Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerfachleute
[3] AquaPlus AG (2022): Sedimentuntersuchungen Dorfbach Steinhausen
[4] Gujer, W. (2007): Siedlungswasserwirtschaft. 3. Auflage, Springer
[5] Butler, D. et al. (2018): Urban Drainage. 4th Edition, CRC Press
[6] Staufer, P. (2010): Wirkung einer bedarfsgerechten netzweiten Schwallspülung auf den Schmutzfrachtverlauf bei Regenwetter. Institut für Siedlungswasserwirtschaft der RWTH Aachen
[7] Hunziker Betatech AG (2023): RÜB Sennweid Variantenstudium, Technischer Bericht

 

Kommentar erfassen

Kommentare (0)

e-Paper

«AQUA & GAS» gibt es auch als E-Paper. Abonnenten, SVGW- und/oder VSA-Mitglieder haben Zugang zu allen Ausgaben von A&G.

Den «Wasserspiegel» gibt es auch als E-Paper. Im SVGW-Shop sind sämtliche bisher erschienenen Ausgaben frei zugänglich.

Die «gazette» gibt es auch als E-Paper. Sämtliche bisher erschienen Ausgaben sind frei zugänglich.