Libellen surren durch die sonnige Glattebene; Bläulinge und andere farbige Falter flattern von Blüte zu Blüte. Geburtshelferkröten auf der Suche nach Weibchen lassen ihren Ruf hören, während eine Ringelnatter im feuchten Gras nach Beute Ausschau hält: ein vielfältiges Biotop für bedrohte Arten, das in der einstigen Aue namens «Hundig» bei Glattfelden im Zürcher Unterland entstehen soll – dank einer landwirtschaftlichen Methode, die hier vor langer Zeit schon üblich war. Die Wässerung von Wiesen hat ihren Ursprung wohl im Mittelalter und konnte die Heuernte mehr als verdoppeln. Und um Wasser aus Flüssen und Bächen dorthin zu transportieren, nutzten Bauern im deutschen Franken um 1800 dazu fast 200 Wasserschöpf-Räder.
Diese umweltfreundliche Technologie wird hier wiederbelebt. «Ein ökologisches und kulturhistorisches Projekt also», wie Projektleiterin Daniela Eichenberger vom Verein «Wässerwiesen im Hundig» sagt. Doch dazu war auch Hilfe von Fachleuten wie Silvain Michel von der Empa-Abteilung «Mechanical Systems Engineering» nötig: Er wirkte bei der Umsetzung des Schöpfrades mit – auf der Basis eines 1:5-Modells, das der Metallbau-Unternehmer Bernhard Krismer in Wallisellen entworfen und gebaut hatte. «Die ersten Tests mit diesem Schöpfrad haben gezeigt, dass es prinzipiell funktioniert», erinnert sich Michel – doch die Arbeit sollte damit erst beginnen, denn es gab viele Fragezeichen.
Wie tief sollte das stählerne Rad mit einem Durchmesser von immerhin sechs Metern in die Glatt hineinragen? Würde die Wasserkraft des flachen Flusses an der geplanten Stelle genügen, um es anzutreiben? Und dabei die nötige Wassermenge zu heben, die dann aus den Schöpfbehältern in eine Rinne hin zu den Wiesen fliesst?
Die ersten Recherchen zeigten, dass die hydraulischen Daten über die Glatt an dieser Stelle teils widersprüchlich waren. Deshalb vermassen Fachleute den Fluss mit seinen Wasserständen am geplanten Standort neu – und beschlossen schliesslich, die Schwellen des Flussgrundes zu verändern. Oberhalb des Schöpfrades wurde die Schwelle um 30 Zentimeter angehoben, unterhalb um 30 Zentimeter abgesenkt. Aus zwei «Stufen», über die die Glatt dort in Richtung des Rheins fliesst, wurde also eine grössere gemacht – ein nutzbares Gefälle von knapp einem Meter, um die potenzielle Energie des Wassers für den Antrieb des Rades zu erhöhen.
Gleichwohl zeigten erste Analysen, dass die Wasserkraft knapp werden könnte; zumal die Entnahme aus dem Fluss begrenzt ist. Die vorgeschriebene Restwassermenge der Glatt von 1070 Liter pro Sekunde muss stets eingehalten werden – und die Entnahme wurde auf die nötigste Menge beschränkt: maximal 120 Liter pro Sekunde; diesen Bedarf hatten Vorversuche im Jahr 2019 auf den Wiesen ergeben. Bei Temperaturen über 20 Grad wird die Menge allerdings stufenweise reduziert – bis auf ein Viertel, abhängig von der Abflussmenge der Glatt in den Rhein, die rund um die Uhr erfasst wird.
Schliesslich wollen alle Beteiligten den langfristigen Klimaschutz im Blick behalten – und auch die Interessen des ansässigen Fischereivereins, der sich um den Wasserstand und seinen Fang, darunter begehrte Forellen, sorgte und Einsprache gegen das Konzessionsgesuch erhob. «Ich habe dafür volles Verständnis», sagt Metallbaumeister Krismer, Konstrukteur des Schöpfrads, der schliesslich selbst ein Angler ist. Und auch Projektleiterin Daniela Eichenberger ist froh, dass durch die gelungenen Verhandlungen eine sinnvolle Lösung gefunden wurde. «Jetzt geht es an die Umsetzung!», sagt die Biologin, die seit 2016 für das Projekt zuständig ist.
Unter diesen Bedingungen den zuverlässigen Antrieb des Acht-Tonnen-Schöpfrades zu sichern, erwies sich für Empa-Forscher Silvain Michel freilich als Knacknuss. In ersten Kalkulationen war von einem Wirkungsgrad von 90 Prozent ausgegangen worden – ein extrem günstiges Verhältnis von zugeführter zu genutzter Energie also. Doch Literatur-Recherchen zeigten, dass so ein «unterschlächtiges» Wasserrad, das vom Wasser von unten her angetrieben wird, gewöhnlich nur bis zu 40 Prozent erreicht. «Das Maximum sind 50 bis 60 Prozent», sagt Michel, «die ursprüngliche Annahme war also zu optimistisch.»
Was tun? Michel suchte Rat bei einem Experten: Der erfahrene Hydraulikfachmann und emeritierte Professor Michel Dubas von der Fachhochschule des Wallis in Sion stellte sein Wissen und seine Erfahrung zur Verfügung – unentgeltlich übrigens, wie der Empa-Forscher betont. Und nach gemeinsamen Überlegungen schlug Dubas eine simple, aber effiziente Lösung vor: ein «Kropf» in der stählernen Sohle unter dem Schöpfrad – also eine gezielte Ausbeulung nach unten, die dafür sorgt, dass sich das Wasser nochmals deutlich beschleunigt, bevor es in die Schaufeln des Rads drückt.
Mit dieser Idee und anderen Details, so errechneten die Hydraulik-Fachleute, erreicht die Förderleistung des Rades knapp die geforderten Werte. Und sie sind überzeugt, dass die Leistung auch trotz einiger technischer «Bremsen» des Wasserflusses genügt: Ein Rechen vor dem Rad muss schliesslich Schwemmmaterial wie Äste abhalten. Zudem soll ein «Vorhang» aus stählernen Ketten im Wasser mit seinem Lärm dafür sorgen, dass Fische in der Glatt bleiben und sich nicht in den Abzweigkanal zum Schöpfrad verirren.
Zwei Videokameras im Wasser werden filmen, ob diese Strategie tatsächlich aufgeht. Und wenn der Betrieb der Wiesenwässerung im kommenden Jahr erstmals beginnt, werden nicht nur die örtlichen Fischer das Schöpfrad im Auge behalten, sondern auch der Empa-Fachmann und die Konstrukteure – wegen genauer Kontrollen der Wassermengen und auch für einen reibungslosen Betrieb. Schliesslich muss man regelmässig nach dem Rechten schauen, Rechen und Zufluss-Schieber kontrollieren und auch die Drehachse des Stahlrads regelmässig schmieren – der Job für einen «Wasserrad-Wärter», der demnächst zu engagieren ist.
Der Betrieb der Wässerwiesen im Hundig mit dem Schöpfrad und der Zuleitung über Kanäle soll nach langer Planung und Umsetzung im kommenden Jahr beginnen. Das Rad allein kostet rund 300'000 Franken; die Summe für das gesamte Projekt liegt bei 2,4 Millionen. Die Finanzierung stammt einerseits vom Flughafen Zürich – als eine seiner ökologischen Ersatzmassnahmen, zu denen er verpflichtet ist. Und andererseits von zahlreichen Sponsoren, darunter der Lotteriefonds des Kantons Zürich und das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich sowie zahlreiche Stiftungen. Träger des Projektes sind der Verein Wässerwiesen im Hundig und die Fachstelle Naturschutz des Amtes für Landschaft und Natur des Kantons Zürich.
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Kommentare (1)
zitierte Restwassermenge korrekt?
Korrektur & Merci für den Hinweis!
Sehr geehrte Frau Schärer Vielen Dank für Ihren Hinweis auf den Fehler, der uns auch aufgefallen ist: Es sind 1070 Liter pro Sekunde gemeint und der betreffende Satz ist auf der Webseite der Empa schon korrigiert.