In kleinen und mittelgrossen Fliessgewässern sind Pflanzenschutzmittel (PSM) aus der Landwirtschaft die relevanteste Art von Mikroverunreinigungen. Für kleine Fliessgewässer liegen jedoch deutlich weniger Daten vor als für mittelgrosse und grosse Gewässer. Ziel der vorliegenden Studie NAWA SPEZ 2017 war es zu ermitteln, ob die in einer im Jahr 2015 durchgeführten Studie festgestellten hohen Belastungen auch in anderen kleinen Fliessgewässern in einem anderen Untersuchungsjahr zu beobachten sind. Zudem sollte die räumliche und zeitliche Variabilität der belastenden Substanzen evaluiert werden.
Dafür wurden fünf kleine Fliessgewässer in Einzugsgebieten mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung untersucht (Fig. 1). Zwei dieser Fliessgewässer waren bereits Teil der vorausgegangenen Studie aus dem Jahr 2015. Von Anfang März bis Mitte Oktober 2017 wurden kontinuierlich 3,5-Tagesmischproben genommen und auf 217 organisch-synthetischen PSM-Wirkstoffe analysiert.
Mit insgesamt 145 Substanzen wurde in dieser Studie erneut eine grosse Vielfalt an Wirkstoffen gefunden (Tab. 1 und 2). Dabei variierten sowohl die Nachweishäufigkeiten als auch die Konzentrationen stark. Die Anzahl nachgewiesener Stoffe pro Standort reichte von 71 bis 89. An vier Standorten hatten die Herbizide den höchsten Anteil an den mindestens einmal nachgewiesenen Substanzen, während im vom Rebbau geprägten Hoobach etwa gleich viele Fungizide wie Herbizide nachgewiesen wurden.
In jeder Probe wurden im Durchschnitt 34 Wirkstoffe gemessen. In allen fünf Gewässern wurden sowohl chronische als auch akute ökotoxikologische Qualitätskriterien überschritten. Insgesamt überschritten 31 verschiedene Wirkstoffe ihr akutes oder ihr chronisches Qualitätskriterium. Die maximalen Überschreitungen waren an allen Standorten hoch mit akuten Risikoquotienten (Verhältnis zwischen gemessener PSM-Konzentration und Qualitätskriterium) im Bereich von 2 bis 10 und chronischen Risikoquotienten zwischen 9 und 30. Im Median überschritten 9 Wirkstoffe pro Standort ihr chronisches Qualitätskriterium. Die Folge sind lang andauernde chronische Belastungen, denn an allen Standorten lag während mehr als der Hälfte der Zeit mindestens ein Wirkstoff über dem chronischen Qualitätskriterium. In allen untersuchten Bächen bestanden also hohe Risiken für die Gewässerorganismen (Tab. 2, Fig. 2 und 3).
Die Analyse langjähriger Niederschlagsdaten ergab, dass die Verhältnisse an vier von fünf Standorten trocken bis sehr trocken waren. Im Durchschnitt dürfte die Gewässerbelastung daher höher sein als in der vorliegenden Untersuchung.
In einer vertieften Evaluation wurden dann die drei bisherigen NAWA SPEZ-Studien zu PSM neu ausgewertet (siehe Box 1). Erhöhte Konzentrationen und ökotoxikologische Risiken liessen sich in allen, mittlerweile 13 untersuchten Fliessgewässern oft anhaltend nachweisen. Es handelt sich daher um ein räumlich verbreitetes Problem der Wasserqualität.
Eine Abschätzung basierend auf dem Vergleich der Landnutzung in den untersuchten Gebieten mit der gesamten Schweiz zeigt, dass in einem grossen Teil unserer Fliessgewässer eine Beeinträchtigung durch PSM nicht ausgeschlossen werden kann.
NAWA SPEZ 2017 beschreibt fundiert, wie stark Bäche vor Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von PSM mit PSM belastet waren. Diese Resultate verdeutlichen, dass in zahlreichen Einzugsgebieten grosse Anstrengungen nötig sind, um die Ziele des Aktionsplans zu erreichen. Dies erfordert, dass gleichzeitig verschiedene Massnahmen umgesetzt werden. Dazu zählen die Reduktion des PSM-Einsatzes, die Substitution besonders kritischer Stoffe, die Reduktion von Punkquellen wie auch die Reduktion der Verlustraten von den Produktionsflächen.
Den vollständigen Artikel von Spycher et al. «Anhaltend hohe PSM-Belastung in Bächen - NAWA SPEZ 2017: Kleine Gewässer in Gebieten mit intensiver Landwirtschaft verbreitet betroffen» finden Sie hier.
Wie bereits bei der NAWA-SPEZ-2015-Studie wurde auch 2017 das Mischungsrisiko für die Lebensgemeinschaften in den beprobten Bächen ermittelt. Dazu wurde zunächst anhand der gemessenen Konzentrationen und ökotoxikologischen Qualitätskriterien das akute und chronische Mischungsrisiko für die drei Organismengruppen Pflanzen, Invertebraten und Vertebraten bestimmt (siehe Box 2). Für Pflanzen wurde ergänzend mit dem kombinierten Algentest (siehe Box 2) das effektbasierte Risiko bestimmt. Während der Algentest in der Messkampagne von 2015 noch auf das Risiko durch Photosynthese hemmende Herbizide beschränkt war, wurde in der aktuellen Studie das Gesamtrisiko aller algentoxischen Pflanzenschutzmittel im kombinierten Algentest erfasst werden. Darüber hinaus wurde an allen Bächen auch der Zustand der Invertebratengemeinschaft anhand des SPEAR-Index bestimmt.
Die akute Risikobewertung hat gezeigt, dass die Wasserqualität für die Gewässerorganismen an allen Standorten mindestens einmal unbefriedigend war, d.h. der Mischungsrisikoquotient (RQmix) für mindestens eine der drei Organismengruppen während eines 3,5-Tage-Zeitfenster zwischen 2 und 10 lag (Fig. 4 und 5). Im Chrümmelisbach und Eschelisbach gab es auch Zeitfenster mit schlechter Wasserqualität (RQmix >10). Die chronischen Risiken waren insgesamt höher als die akuten. An allen Standorten gab es mindestens ein 14-Tage-Zeitfenster, während dem die Wasserqualität als schlecht eingestuft werden muss. Das Mischungsrisiko ist bei allen drei Organismengruppen unterschiedlich ausgeprägt. Am geringsten ist das Risiko für Vertebraten (Wirbeltiere, z.B. Fische). Das Risiko für Pflanzen dominiert im Weierbach und in der Bainoz, während das für Invertebraten (Wirbellose) im Eschelisbach und Hoobach am stärksten ausgeprägt ist. Im Chrümmlisbach sind sowohl Pflanzen als auch Invertebraten einem ähnlich hohen Risiko ausgesetzt. Bei den chronischen Risiken wird deutlich, dass es für Pflanzen und Invertebraten z.T. während Monaten keine Erholungszeiten gibt. Die Risiken für die Lebensgemeinschaft im Eschelisbach waren 2017 z.T. noch höher als 2015. Dagegen verringerten sich im Weierbach besonders das Risiko für Invertebraten gegenüber 2015 deutlich.
Der kombinierte Algentest zeigte ein hohes Risiko für Pflanzen in der Bainoz, dem Chrümmlisbach und den Weierbach an (Tab. 3 und Fig. 6). In vielen Fällen gab es eine gute Übereinstimmung mit dem chemisch-analytischen Mischungsrisiko für Pflanzen. Tendenziell zeigte der Algentest aber ein leicht höheres Risiko an.
Der SPEAR- (SPEcies At Risk-)Index zeigte, dass die Wirbellosengemeinschaft an den fünf landwirtschaftlich beeinflussten Bächen im Vergleich zu jeweiligen Referenzstellen beeinträchtigt sind (Fig. 8). Der SPEAR-Index wies nach, dass dort Arten fehlen, die für Pflanzenschutzmittel besonders empfindlich sind. Allerdings können beim Hoobach und beim Weierbach auch weitere Habitatfaktoren, wie z.B. eine schlechte Ökomorphologie der Bäche oder ein Austrocknen im Sommer, die Wirbellosengemeinschaft zusätzlich negativ beeinflusst haben.
Zusammenfassend zeigt die Studie NAWA SPEZ 2017, dass Bäche in landwirtschaftlich genutzten Gebieten mit Pestiziden belastet sind und Risiken für Gewässerorganismen bestehen.
Den vollständigen Artikel von Junghans et al. «Ökotoxikologische Untersuchungen: Risiko von PSM bestätigt - NAWA-SPEZ-Studie 2017 zeigt Beeinträchtigung von Gewässerorganismen» finden Sie hier.
Die drei NAWA-SPEZ-Studien ermöglichen es, Daten von 15 Untersuchungen an 13 verschiedenen Standorten zu evaluieren. Die Feldstudie im Jahr 2012 unterscheidet sich von den Kampagnen im Jahr 2015 und 2017 sowohl hinsichtlich der Gewässergrösse als auch der Probenahme. Im Jahr 2012 wurden fünf mittelgrosse Gewässer mit Zweiwochenmischproben untersucht, weshalb sich die folgende Analyse auf den Vergleich chronischer QK über alle drei Studien hinweg beschränkt.
In den drei Studien zusammen überschritten insgesamt 46 verschiedene PSM mindestens einmal ein chronisches Qualitätskriterium (CQK). Ein Sechstel der Wirkstoffe führte an fünf oder mehr Standorten zu Überschreitungen (5 Herbizide und 3 Insektizide) und vereinigte damit rund die Hälfte der Überschreitungen auf sich.
Ein Drittel der Wirkstoffe (16 von 46) führte an zwei bis vier Standorten zu CQK-Überschreitungen. Die Mehrheit dieser 16 Wirkstoffe war ebenso an anderen Standorten nachweisbar, 4 davon sogar an allen Standorten, wenn auch in sehr unterschiedlichen Konzentrationen und Nachweishäufigkeiten. Unter den 16 Wirkstoffen sind mit Carbofuran und Diazinon auch 2 seit mehreren Jahren nicht mehr zugelassene Wirkstoffe. In der Untersuchung 2017 führten diese nicht mehr zu Überschreitungen.
Knapp die Hälfte der Wirkstoffe überschritt das CQK nur an einem Standort (mit sehr unterschiedlicher Dauer von 2 bis 14 Wochen). Bis auf eine Ausnahme wurden diese Überschreitungen in den 2015 und 2017 untersuchten kleinen Einzugsgebieten beobachtet. Viele dieser Wirkstoffe wurden selten nachgewiesen , in 4 Fällen sogar ausschliesslich an dem Standort, wo sie auch ein QK überschritten (Chlorpyrifos-methyl, Diflubenzuron, Metosulam und Spinosad). Von den Stoffen mit CQK-Überschreitungen wurde Terbuthylazine mit 73% Nachweishäufigkeit über alle Standorte hinweg am häufigsten nachgewiesen, Chlorpyrifos mit 6% am seltensten. Bei Chlorpyrifos ist zu beachten, dass dieser Wirkstoff 2012 noch nicht analysiert wurde und die bisher angewandte analytische Methode eine im Vergleich zum CQK hohe Nachweisgrenze hat. Mit der ab 2019 im Rahmen von NAWA TREND eingesetzten Spezialanalytik werden auch für Chlorpyrifos deutlich tiefere Nachweisgrenzen erreicht werden.
Zusammenfassend lassen sich aus den drei Studien folgende Punkte ableiten:
Zur Bewertung der Wasserqualität von Oberflächengewässern wird die gemessene Umweltkonzentration (MEC) eines Stoffes mit seinem akuten bzw. chronischen Qualitätskriterium (AQK bzw. CQK) verglichen und so der Risikoquotient RQ berechnet: RQ = MEC/AQK bzw. RQ = MEC/CQK. Überschreitet die MEC den AQK bzw. CQK, so ist der Risikoquotient RQ >1 und eine Beeinträchtigung der Organismen kann nicht mehr ausgeschlossen werden.
Zur Berechnung des Mischungsrisikos werden die RQ der Einzelsubstanzen addiert. PSM sind jedoch oft spezifisch toxisch fĂĽr eine Organismengruppe (Pflanzen, wirbellose Tiere oder
Fische). Um das Mischungsrisiko fĂĽr Pflanzen, Wirbellose und Fische getrennt zu bestimmen, werden fĂĽr jede Organismengruppe nur die Risikoquotienten derjenigen Substanzen addiert, fĂĽr welche die Gruppe eine hohe Empfindlichkeit aufweist.
Der kombinierte Algentest zeigt an, wie stark die Photosynthese und das Wachstum der einzelligen Grünalge Raphidocelis subcapitata durch die im Festphasenextrakt einer Wasserprobe enthaltenen organischen Substanzen beeinträchtigt werden. Dafür werden Verdünnungen des Probeextraktes (Anreicherungsfaktor 2 bis 264) getestet und eine Dosis-Wirkungskurve erstellt. Mit einer Referenzkurve für das Herbizid Diuron kann die Wirkung der Probe in Diuron-Äquivalenten (DEQ, in ng/l) ausgedrückt werden, d. h. die hemmende Wirkung der Probe entspricht der Wirkung von x ng/l Diuron. Dabei wird der Anreicherungsfaktor berücksichtigt. Als Endpunkte werden die Hemmung der Photosynthese (nach 2 h) und das Wachstum (nach 24 h) erfasst.
Um das Risiko der Probe zu berechnen, werden abschliessend die gemessenen DEQ mit dem Qualitätskriterium (QK) für Diuron verglichen. Das Risiko ist ein Mass für die Wahrscheinlichkeit, mit der die Wasserprobe auf alle Organismen oder bestimmte Organismengruppen im Gewässer giftig wirkt. Toxische Effekte durch organische Pflanzenschutzmittel in der unbehandelten (nativen) Wasserprobe sind ab etwa 1000 ng/l DEQ (2 h) zu erwarten.
In der NAWA-SPEZ-2017-Kampagne wurden kontinuierlich 3,5-Tage-Mischproben genommen. Die im Algentest ermittelten DEQ für 3,5-Tage-Mischproben wurden zur Bestimmung des akuten Risikos mit dem akuten Qualitätskriterium (AQK) für Diuron (250 ng/l) verglichen. Für die Ermittlung des chronischen Risikos wurden DEQ-Werte von vier aufeinanderfolgenden 3,5-Tage-Mischproben gemittelt (Gesamtzeitraum: 14 Tage) und mit dem chronischen Qualitätskriterium (CQK) für Diuron (70 ng/l) verglichen.
Mit der Nationalen Beobachtung der Oberflächengewässerqualität (NAWA) schaffen Bund, Kantone und Institutionen die Grundlagen, um den Zustand der Schweizer Gewässer auf nationaler Ebene zu beurteilen. Mit zeitlich beschränkten NAWA-SPEZ-Messprogrammen werden spezifische Fragestellungen geklärt. So wurden nun nach 2012 und 2015 zum dritten Mal Pestiziduntersuchungen durchgeführt, die das NAWA-Basismessnetz ergänzen, das aus rund 100 Stationen besteht. Die Resultate von 2017 dokumentieren den aktuell unbefriedigenden Zustand und dienen dazu, das Messnetz so zu optimieren, dass später Aussagen gemacht werden können über zeitliche Entwicklungen – insbesondere über die Wirkung von Massnahmen aus dem nun anlaufenden Nationalen Aktionsplanes Pflanzenschutzmittel.
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