Die Stars der Schweizer Romantik würden ihre Sujets heute nicht mehr wiedererkennen. Weder Johann Heinrich Wüest, der sein berühmtestes Bild «Der Rhonegletscher» 1795 malte, noch Alexandre Calame, der es 50 Jahre später mit stimmungsvollen Fluss- und Seelandschaften zu Ruhm brachte. Der Rhonegletscher ist heute ein Schatten seiner selbst und die Auenlandschaften, wie sie Calame malte, sind grösstenteils verschwunden.
Warum die Gletscher schmelzen, wissen wir alle, doch weshalb sich das Gesicht der Schweizer Fluss- und Seelandschaften in den vergangenen 150 Jahren derart verändert hat, ist uns oft weniger bewusst. Die weitreichendsten Folgen hatten wohl die grossen Gewässerkorrektionen im 19. Jahrhundert. Doch wurden im Laufe der Zeit auch Tausende Kilometer kleinere Flüsse und Bäche begradigt, kanalisiert, künstlich verbaut und in Betonröhren verlegt. Fast ein Viertel aller Flussstrecken und Bachläufe sind heute durch menschliche Eingriffe stark beeinträchtigt, im intensiv genutzten Mittelland haben gar 40% der Fliessgewässer kaum mehr etwas mit ihrem natürlichen Zustand zu tun.
Bereits in Altertum und Mittelalter wurden in der Schweiz Gewässerläufe verändert. So beschloss man 1462 in Nidwalden, die drei Arme der Engelberger Aa einzutiefen. Das Profil des Wildbaches wurde auf Drängen von Bauern verändert, deren Felder in der Ebene von Stans bei Hochwasser überflutet wurden. Diese frühen Eingriffe waren jedoch lokal begrenzt. Das änderte sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit der Umleitung der Kander, bei der erstmals eine Gewässerkorrektion im grossen Stil erfolgte. Beweggrund war auch hier der Schutz vor wiederkehrenden Überschwemmungen, genauso wie hundert Jahre später, als bei der Linthkorrektion neue Massstäbe im Wasserbau gesetzt wurden.
Doch je länger je mehr ging es nicht bloss um Hochwasserschutz. Durch die Begradigung, Eindämmung und Umleitung von Flüssen wurden auch landwirtschaftliche Flächen gewonnen, genauso wie Siedlungsraum für die stark wachsende Bevölkerung. Das war auch beim grössten flussbaulichen Unternehmen der Schweiz der Fall, der Juragewässerkorrektion von 1868 bis 1891. Die grossen Gewässerkorrektionen des 19. Jahrhunderts waren gewaltige Bauwerke und galten im Zeitalter der Industrialisierung als Zeichen des Fortschritts. Möglich wurden sie übrigens nicht zuletzt dank dem Wissen der Ingenieure, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts an der neu gegründeten Eidgenössischen Technischen Hochschule ausgebildet wurden [1].
Doch die Zähmung der Gewässer kannte nicht nur Gewinner, sondern auch eine gewichtige Verliererin: die Natur. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts waren die Flussebenen in der Schweiz grossflächige Flachmoor- und Auenlandschaften, landwirtschaftlich nicht nutzbar und mit Malaria verseucht. Doch diese Gebiete stellten einen einzigartigen Lebensraum für Flora und Fauna dar. Das hat sich gründlich verändert. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden praktisch alle grösseren Schweizer Gewässer korrigiert. Unter anderem führte dies zwar zum Verschwinden der Malaria, brachte aber vor allem einen dramatischen Verlust von Auen mit sich. So wurden bis zu 90 Prozent der ursprünglichen Flächen zerstört. Durch die Tockenlegung der Feuchtgebiete wurden auch die Bestände von wasserliebenden Pflanzen und Tieren stark dezimiert.
Ökosysteme an der Schnittstelle von Wasser und Land sind ein Hotspot der Artenvielfalt – ihr Verlust wirkt sich deshalb besonders negativ auf die Biodiversität aus. Wie ein Blick auf die Roten Listen zeigt, sind über ein Fünftel der vom Aussterben bedrohten oder bereits ausgestorbenen Arten an Gewässer gebunden, ein weiteres Fünftel an Ufer und Feuchtgebiete. 60 Prozent der Wasserpflanzen gelten als bedroht – mit Abstand der höchste Wert aller Pflanzengruppen. Bei den Fischen und Rundmäulern gilt nur rund ein Viertel als «nicht gefährdet», neun Arten sind ausgestorben, fünf Arten haben den Status «vom Aussterben bedroht» [2]. Kurz: Die ökologischen Defizite der Gewässer sind zu einem guten Teil dafür verantwortlich, dass die Biodiversität in der Schweiz stark gefährdet ist.
In den 1990er-Jahren setzte beim Hochwasserschutz ein Umdenken ein. Das 1991 erlassene Bundesgesetz über den Wasserbau [3] zeugt von einer eigentlichen Neuausrichtung. Der Hochwasserschutz, so die neue Devise, sei möglichst naturnah zu realisieren. Die Gewässer sollen als Lebensräume und Landschaftselemente respektiert werden. Nachhaltiger Hochwasserschutz sei nur möglich, wenn er auch dazu beitrage, ökologische Defizite zu beheben. Konkret: Hochwasserschutzprojekte müssen von nun an den Bächen und Flüssen genügend Raum lassen, eine natürliche Strukturvielfalt in den aquatischen, amphibischen und terrestrischen Lebensräumen auszubilden. Inzwischen werden Projekte von Bund und Kantonen nur noch finanziert, wenn sie auch zu einer ökologischen Aufwertung der Gewässer beitragen.
Zurück zu den grossen Gewässerkorrektionen des 19. Jahrhunderts. Was der Schweiz durch den Verlust an natürlichen Gewässern verloren gegangen ist, lässt sich nicht nur anhand historischer Gemälde nachvollziehen. Eine Ahnung von ausgedehnten Auenlandschaften vermitteln auch einige grosse Revitalisierungsprojekte der letzten Jahre: Die ökologische Aufwertung des Chly Rhy bei Koblenz im Kanton Aargau zum Beispiel, bei der ein zugeschütteter Seitenarm des Rheins wieder freigelegt wurde. Oder die Thurauen beim zürcherischen Ellikon, dem grössten Auenschutzgebiet der Schweiz, wo der Fluss allmählich wieder einen natürlich gewundenen Lauf annimmt, nachdem Uferverbauungen entfernt und Ausbuchtungen ausgebaggert wurden.
Gemessen an den einst in der Schweiz vorhandenen Auenlandschaften stellen diese Revitalisierungen erst einen bescheidenen Anfang dar auf dem Weg zu wieder naturnaheren und vielfältigeren Bächen, Flüssen und Seen. Doch sie zeigen, wie sich unser Blick auf die Gewässer in den vergangenen 20 Jahren verändert hat. Sie werden nicht mehr ausschliesslich als Gefahr gesehen, die es zu bändigen gilt. Immer stärker rückt ihre ökologische Bedeutung in den Fokus, aber auch der Mehrwert, den naturnahe Flüsse, Bäche und Seen für die erholungssuchende Bevölkerung darstellen. Zudem hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Revitalisierungen häufig grosse Synergien für den Hochwasserschutz mit sich bringen.
Ein Zeichen dafür, dass die Dinge in Bewegung geraten sind, ist auch die «Landschaft des Jahres 2017». Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz hat mit ihrem letztjährigen Preis nicht etwa ein idyllisches Bergtal ausgezeichnet, sondern die «Energieinfrastrukturlandschaft» am Aare-Hagneck-Kanal, wo, wie sie schreibt, ein «fragiles Gleichgewicht zwischen Nutzen und Schützen» entstanden sei. So seien durch die Juragewässerkorrektion und den Bau von Kraftwerksanlagen zwar Lebensräume und Arten verloren gegangen, doch andererseits auch neue interessante Lebensräume entstanden. Vor allem aber unternähmen die Betreiber der Kraftwerke wegweisende ökologische Aufwertungsmassnahmen [4].
Bei allem Lob für die Kraftwerksbetreiber darf man nicht vergessen, dass die Wasserkraftnutzung ab dem 19. Jahrhundert entscheidend zur Zerstückelung des Lebensraums von Arten beigetragen und die strukturellen Defizite unserer Gewässer mitverursacht hat. Die negativen Folgen der Stromproduktion reichen von ungenügenden Restwassermengen und unzureichender Fischgängigkeit über Defizite im Geschiebehaushalt bis zur Schwall-Sunk-Problematik. So behindern zum Beispiel 1000 Hindernisse von Wasserkraftanlagen die Fischwanderung und ca. 100 Wasserrückgaben führen zu grossen künstlichen Abflussschwankungen der Gewässer.
Die Tatsache, dass sich unser Umgang mit Flüssen, Bächen und Seen verändert hat, zeigt nicht zuletzt die 2011 in Kraft getretene Änderung des Gewässerschutzgesetzes [5]. Es verfolgt einen Kompromiss zwischen Nutzen und Schützen und setzt dabei auf folgende Kernelemente: die Revitalisierung von Flüssen und Bächen, mehr Raum für die Gewässer sowie eine Reduktion der negativen Auswirkungen der Wasserkraftnutzung. Das Gesetz fordert eine allgemeine Verbesserung des schlechten Gewässerzustands. Sein konkretes Ziel, die Defizite bei Raumbedarf und Ökomorphologie der Fliessgewässer zu beseitigen, stellt eine Mehrgenerationenaufgabe dar. Bis 2030 muss die ökologische Sanierung der Wasserkraftproduktion abgeschlossen sein, und bis 2090 gilt es, 4000 Kilometer Gewässer zu revitalisieren. Beschlossen wurde die Änderung des Gewässerschutzgesetzes 2009 vor dem Hintergrund der Volksinitiative «Lebendiges Wasser», die eine Revitalisierung aller Schweizer Fliessgewässer bewirken wollte.
Bestandteil des neuen Gesetzes ist nicht zuletzt das Bestreben, den Gewässern einen Teil des Raums zurückzugeben, der ihnen in den vergangenen 150 Jahren abhandengekommen ist. Dazu müssen die Kantone einen sogenannten Gewässerraum ausscheiden. Dabei handelt es sich um Landstreifen entlang beider Ufer, in dem sich durch die Dynamik der Gewässer vielfältige Lebensräume mit unterschiedlichen Bereichen bilden können. Die Ausdehnung dieses Korridors ist von der Breite des Baches oder Flusses abhängig. Der Streifen kann landwirtschaftlich weiter extensiv bewirtschaftet werden und gilt als Biodiversitätsförderfläche. Der Gewässerraum dient nicht nur der ökologischen Aufwertung, sondern trägt auch zum Hochwasserschutz bei. Bäche und Flüsse, denen genügend Raum zur Verfügung steht, bremsen Hochwasser aufgrund ihres natürlichen Gewässerverlaufs und ihrer Vegetation. Und der zusätzliche Raum kann das Wasser zurückhalten und den Abfluss bremsen. Hochwasserspitzen werden dadurch abgeschwächt.
Das neue Gewässerschutzgesetz ist mit der Gesetzgebung in den umliegenden Ländern vergleichbar. Die Voraussetzungen für seine Umsetzung sind günstig, da das Parlament auch die entsprechenden finanziellen Grundlagen bewilligt hat. So werden die Revitalisierungen zu einem namhaften Teil vom Bund finanziert, der dafür 40 Mio. Franken pro Jahr bereitstellt und durchschnittlich zwei Drittel der Revitalisierungskosten übernimmt. Bei der Sanierung der Wasserkraftanlagen hingegen finanzieren die Verursacher sogar 100 Prozent der Kosten. Das heisst, wir Konsumenten bezahlen alle einen Zuschlag von 0,1 Rappen pro Kilowattstunde auf die Übertragungskosten der Hochspannungsnetze, wodurch jährlich rund 50 Mio. Franken zusammenkommen.
Obwohl ein Umdenken im Gang ist, steht es in der Schweiz – so ein kleines Zwischenfazit – um den Zustand der Gewässer in mancher Hinsicht nach wie vor schlecht. Eintönige Morphologie, fehlende Dynamik und Hindernisse als Folge von Wasserkraftnutzung, Hochwasserschutz und Landgewinnung haben die Gewässer als Lebensraum für viele angestammte Arten zerstört. Unter anderem leiden rund 2000 Gewässerkilometer wesentlich unter den Folgen eines Geschiebedefizits. Will heissen: Wo Staumauern, Kiessammler oder andere Hindernisse den natürlichen Geschiebehaushalt in Flüssen und Bächen behindern, fehlen flussabwärts auf der Gewässersohle Kies und Sand. Dadurch geht wichtiger Lebensraum für Tiere und Pflanzen verloren.
Doch wie ist es um die Wasserqualität bestellt, geht es unseren Gewässern wenigstens in dieser Hinsicht gut? Die Kurzversion einer entsprechenden Bilanz: Die Schweiz hat beim Schutz ihrer Gewässer in der Vergangenheit viel erreicht. Doch heute warten neue Herausforderungen, vor allem der Eintrag von Mikroverunreinigungen, dazu zählen unter anderem Rückstände von Medikamenten, Reinigungsmitteln, Pestiziden und Pflegeprodukten. In den kleinen Fliessgewässern ist die Situation hinsichtlich der Konzentrationen von Pflanzenschutzmitteln (PSM) kritisch und der Handlungsbedarf besonders gross.
Ein genauerer Blick zeigt ein vielschichtiges Bild der gegenwärtigen Situation der Wasserqualität in unseren Gewässern. Da sind auf der einen Seite die unbestrittenen Erfolge im Schweizer Gewässerschutz. Dank grosser Investitionen bei der Siedlungsentwässerung und der Abwasserreinigung werden heute viele Schmutz- und Schadstoffe von den Gewässern ferngehalten. In der Schweiz sind über 97 Prozent der Bevölkerung an eine ARA angeschlossen, ein Wert, der in der OECD nur noch in den Niederlanden übertroffen wird [7]. Die Bilder von schäumenden Bächen und algenverseuchten Seen, welche die Schweiz noch in den 1980er-Jahren aufrüttelten, sind dank dem technischen Gewässerschutz verschwunden. Unter anderem konnten die hohen Phosphorwerte in Fliessgewässern und Seen stark gesenkt werden. Sie haben sich inzwischen vielerorts wieder an die Konzentrationen der 1950er-Jahre angenähert. Allerdings sind einzelne Seen in Gebieten mit intensiver Viehmast noch immer allzu stark belastet, zum Beispiel der Baldegger- und der Zugersee. Das Problem dabei: Phosphor führt zu starkem Algenwachstum und beim Abbau der Algen wird nach ihrem Absterben viel Sauerstoff verbraucht, der den Seen und seinen Fischen in der Folge fehlt und zu einer Verarmung der Artenvielfalt führt. Als Gegenmassnahme werden verschiedene Gewässer künstlich belüftet – zum Teil seit Jahrzehnten.
Der fehlende Sauerstoffgehalt macht aber nicht nur phosphorbelasteten Gewässern zu schaffen. Rund die Hälfte der grössten Seen erfüllt die gesetzlichen Vorgaben zum Sauerstoffgehalt noch nicht. Denn von entscheidender Bedeutung für die Sauerstoffversorgung der Seen ist auch die zunehmend gestörte Zirkulation – ein Problem, das künftig an Bedeutung gewinnen könnte. So schränken steigende Wassertemperaturen als Folge des Klimawandels und weiterer Faktoren den Austausch von Oberflächen- und Tiefenwasser ein. Dadurch fehlt in der Tiefe zunehmend der Sauerstoff und es gehen Lebensräume verloren. Zudem werden bei Sauerstoffmangel aufgrund chemischer Prozesse unerwünschte Stoffe wie Schwermetalle und Nährstoffe aus dem Sediment gelöst.
Bei der Beurteilung der Wasserqualität ist auch die Einschätzung der Bevölkerung von Belang. Wie eine Untersuchung der Eawag, des Wasserforschungsinstitutes der ETH, zeigt, erachten über 80 Prozent der Befragten diese als «sehr gut» oder «gut» [8]. Dass diese subjektive Sicht viel zu positiv ausfällt, überrascht nicht. Allen Defiziten zum Trotz ist die hygienische Wasserqualität der Schweizer Seen und Flüsse dank gut ausgebauter Abwasserreinigung «sehr gut», wie das Bafu in seinen Informationen zur Badewasserqualität festhält. Das bedeutet, dass die Belastung der Badegewässer mit krankheitserregenden Keimen gering ist. Zu Recht also baden wir Sommer für Sommer mit grösstem Vergnügen in Bodensee, Aare und Lago Maggiore – und dies oft mitten in der Stadt.
Bei der Analyse des Gewässerzustands muss also stark differenziert werden. Aus biologischer Sicht ist der Zustand der Schweizer Fliessgewässer unterschiedlich gut. Die Resultate der Nationalen Beobachtung der Oberflächengewässerqualität (NAWA) zeigen, dass an mindestens 30 Prozent der Messstellen die ökologische Funktionsfähigkeit der Gewässer ungenügend ist. Dieses Monitoring liefert die Grundlagen, um den Zustand und die Entwicklung der Schweizer Gewässer auf nationaler Ebene beurteilen zu können. Defizite, so der letzte NAWA-Bericht, gibt es besonders im intensiv genutzten Mittelland, wo die Gewässer strukturell und stofflich beeinträchtigt sind [9].
Mit dem gereinigten Abwasser und via diffuse Einträge aus Quellen wie der Landwirtschaft gelangen Mikroverunreinigungen in die Gewässer. Dabei handelt es sich unter anderem um Rückstände von Pestiziden, Medikamenten, Kosmetikprodukten oder Holzschutzmitteln, die sich bereits in tiefen Konzentrationen negativ auf aquatische Lebensgemeinschaften auswirken können. Denn viele Wasserlebewesen reagieren weit empfindlicher auf die Belastung mit Mikroverunreinigungen als wir Menschen. Die Bedingungen für diese Tiere und Pflanzen sind schlecht und ihr Überleben ist mancherorts gefährdet.
Eine 2017 publizierte Studie der Eawag kommt zum Schluss, dass die kleinen Fliessgewässer in intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten mit einer Vielzahl von Pflanzenschutzmitteln (PSM) belastet sind. Selbst Stoffkonzentrationen, die für Gewässerorganismen als akut toxisch gelten, sind überschritten worden [10, 11]. Problematisch ist weiter, dass die Wasserlebewesen lang anhaltend durch unterschiedliche PSM beeinträchtigt werden. Die kleinen Bäche sind ökologisch von spezieller Bedeutung. Sie stellen Rückzugsorte sowie Brut- und Aufzuchtstätten für Wasserlebewesen – insbesondere für Fische – dar.
Neben dem Zustand von Seen und Flüssen ist auch die Qualität des Grundwassers von unmittelbarer und grosser Bedeutung für die Schweiz. Verborgen im Untergrund, ist es unsere wichtigste Trinkwasserressource – mehr als 80 Prozent des Trinkwassers werden aus Grundwasser gewonnen. Die Daten der Nationalen Grundwasserbeobachtung (NAQUA) zeigen den Zustand der Grundwasserressourcen an mehr als 600 Messstellen in der Schweiz.
Substanzen, die besonders langlebig und gleichzeitig sehr mobil sind, können auch bis ins Grundwasser gelangen. So finden sich hauptsächlich in Ballungsräumen und landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten Spuren von Fremd- und Schadstoffen im Grundwasser. Vor allem Nitrat sowie PSM-Abbauprodukte gelangen durch den Boden ins Grundwasser und beeinträchtigen die Wasserqualität.
Das Grundwasser kommt auch aus anderen Gründen zunehmend unter Druck. So wird durch die Zunahme von Siedlungsflächen und Verkehrswegen laufend Boden überbaut, der in der Folge seine Reinigungswirkung für verschmutztes Regenwasser verliert. Und aus Platzmangel werden Siedlungen, Strassen und Bahnlinien immer häufiger in den Untergrund – also ins Grundwasser – gebaut. Damit nimmt die Gefährdung unserer wichtigsten Trinkwasserressource durch Einträge von Fremdstoffen und Pathogenen zu. Hinzu kommen die zunehmend fehlenden offenen Flächen für Schutzzonen, weswegen immer mehr Trinkwasserfassungen aufgehoben werden. Auch wird es immer schwieriger, neue ergiebige Trinkwasserfassungen zu erstellen. Zwar sind viele gesetzeskonform geschützt, doch insbesondere bei kleinen Fassungen werden die Schutzbestimmungen nicht umgesetzt. Wollen wir auch künftigen Generationen eine sichere Wasserversorgung gewährleisten, müssen diese negativen Entwicklungen gestoppt werden.
Der Schweizer Gewässerschutz hat bei der Wasserqualität viele seiner Ziele erreicht. Doch was ist zu tun, damit diese Geschichte auch erfolgreich weitergeschrieben wird? Handlungsbedarf besteht vor allem in zwei grossen Bereichen: Einerseits müssen wir etwas gegen die Mikroverunreinigungen aus den dicht besiedelten Gebieten tun. Andererseits geht es um die Rückstände von PSM, die direkt von den Feldern in Flüsse und Bäche und ins Grundwasser eingetragen werden.
Bei den Mikroverunreinigungen aus den dicht besiedelten Gebieten liegt der Weg bereits klar vor uns. Wie vom Parlament beschlossen, werden die Abwasserreinigungsanlagen technisch aufgerüstet. Dank einer vierten Reinigungsstufe sollen zusätzlich zu Stickstoff und Phosphor auch Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser entfernt werden. In den kommenden rund 20 Jahren werden die wichtigsten der etwa 800 Schweizer Anlagen entsprechend ausgebaut. So lassen sich künftig bei fast zwei Dritteln aller Abwässer Mikroverunreinigungen eliminieren. Bereits sind drei mit Ozonungs- oder Pulveraktivkohletechnologie aufgerüstete ARA in Betrieb, neun weitere Anlagen befinden sich im Bau. Insgesamt dürfte diese Aufrüstung 1,2 Milliarden Franken kosten. Finanziert wird sie hauptsächlich über eine bei allen ARA erhobene Abwasserabgabe von jährlich maximal 9 Franken pro angeschlossenen Einwohner.
Zudem hat der Bundesrat 2017 einen Bericht verabschiedet, der aufzeigt, wie sich Mikroverunreinigungen an der Quelle reduzieren lassen. Vor allem müssen die heute bestehenden Regelungen konsequenter umgesetzt werden. Auch müssen die umweltschonende Anwendung und die Entsorgung von Produkten wie Arzneimitteln oder Pestiziden gefördert werden. Auf einer speziellen Internetplattform [12] stellt der Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute VSA Informationen über die Verfahrenstechnik zur Entfernung von Mikroverunreinigungen in kommunalen ARA zur Verfügung.
Deutlich schwieriger sieht die Situation bei den PSM aus. Um zu verhindern, dass kleinere und mittlere Bäche sowie Flüsse stark belastet werden, braucht es grosse Anstrengungen. Denn die Risikoreduktion ist in der Schweiz aufgrund der strukturellen, topographischen und klimatischen Gegebenheiten und eines verhältnismässig hohen Anteils an PSM-intensiven Spezialkulturen anspruchsvoll. PSM werden in grossen Mengen in unterschiedlichen Kulturen eingesetzt und gelangen durch zahlreiche Eintragspfade in die Gewässer. Deshalb lässt sich die PSM-Belastung in Gewässern nur mit einem Bündel von Massnahmen nachhaltig senken.
Der Bundesrat hat den Handlungsbedarf erkannt und im September 2017 einen Aktionsplan zur Risikoreduktion und zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln verabschiedet [13]. Das generelle Ziel des Aktionsplans, der rund 50 Massnahmen umfasst, ist es, die mit PSM verbundenen Risiken zu halbieren. Zusätzlich wurden auch spezifische Ziele für Grund- und Oberflächengewässer definiert.
Der Aktionsplan basiert auf drei Grundpfeilern: Zum einem sollen die Anwendung von PSM und die damit verbundenen Emissionen reduziert, zum anderen der Schutz der Kulturen sichergestellt werden. Um eine Anwendungsreduktion zu erreichen, muss insbesondere der nicht chemische Pflanzenschutz bzw. der integrierte Pflanzenschutz weiterentwickelt werden. Eine Reduktion der Emissionen (Eintrag von applizierten PSM in die Gewässer) bedingt Massnahmen auf Hof und Feld.
Für eine erfolgreiche Umsetzung des Aktionsplans ist es unerlässlich, dass die Massnahmen durch begleitende Instrumente wie Forschung, Bildung/Beratung, Monitoring und Information der betroffenen Kreise unterstützt und ergänzt werden. Ein weiteres zentrales Element stellt die Zulassung der PSM dar. Sie schafft die Voraussetzung dafür, dass PSM bei sachgemässer Anwendung keine unannehmbaren Nebenwirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt haben.
Die Umsetzung des Aktionsplans erfordert ein gemeinsames und starkes Engagement aller Akteure. Zudem braucht es Rahmenbedingungen, welche die Reduktion des Einsatzes von PSM unterstützen. Deshalb ist beispielsweise die Ausgestaltung der Agrarpolitik von grosser Bedeutung. Mit der Agrarpolitik 2022, die gegenwärtig erarbeitet wird, strebt der Bundesrat eine nachhaltigere Produktion an.
Handlungsbedarf besteht aber auch beim Schutz unserer wichtigsten Trinkwasserressource, des Grundwassers. Weil die Siedlungsentwicklung weitgehend ungebremst voranschreitet, kommen Grundwasserfassungen, wie geschildert, immer stärker unter Druck. Daher muss die Wasserversorgung vorausschauend geplant und das Grundwasser konsequent geschützt werden. Und schliesslich müssen wir auch dafür sorgen, dass die Infrastruktur unterhalten wird, die uns mit Trinkwasser versorgt – und unser Abwasser beseitigt. Die Investitionen in das Innenleben des Wasserschlosses Schweiz gewissermassen.
Ein weiteres Aktionsfeld muss die Reduktion des Nitrateintrags ins Grundwasser und in unsere Gewässer sein – dies vor allem zum Schutz unseres Trinkwassers und auch mit Blick auf die Probleme, die wir damit in der Nordsee verursachen. Die Rückstände des Düngers, der bei uns auf die Felder kommen, fördern im Meer das Algenwachstum auf kritische Weise.
Mit Blick auf die Zukunft des Gewässerschutzes gilt es noch weitere Aspekte zu beachten: die Folgen des Klimawandels. Die damit verbundenen steigenden Temperaturen verändern die aquatischen Ökosysteme. Auch vor diesem Hintergrund müssen unsere Bäche, Flüsse und Seen naturnäher und damit widerstandsfähiger werden. Nur in gutem Zustand können die Gewässer alle ihre Funktionen erfüllen. Sei es als Trinkwasserlieferanten, als Naherholungsgebiete für die Bevölkerung oder als Lebensräume für Pflanzen und Tiere.
Und schliesslich haben auch standortfremde Arten (Neozoen) einen wachsenden Einfluss auf die Fluss- und Seeökosysteme. Ihre Ausbreitung geht weitgehend unbemerkt vor sich. Die natürlichen Verbreitungsgrenzen der Fischarten sind sowohl durch fischereiliche Praktiken (u. a. Fischbesatz), den Bau von Kanälen, den Bootsverkehr und ökologische Veränderungen in den Gewässerlebensräumen stark aufgeweicht worden. So besiedelt etwa der Stichling, dessen Vorkommen Mitte des 19. Jahrhunderts in der Schweiz auf die Region Basel beschränkt war, heute als gebietsfremde Art praktisch das gesamte Mittelland. Im Bodensee ist er gar die wohl häufigste Fischart im See geworden.
Und seit bald 20 Jahren breiten sich mehrere Grundelarten aus dem Schwarzmeerraum explosionsartig im Rhein unterhalb von Basel aus. 2011 tauchten sie erstmals in Basel auf, inzwischen machen sie dort die Mehrheit der Fische aus. Die Ausbreitung rheinaufwärts schreitet stetig voran. Die Auswirkungen auf das Ökosystem sind derzeit erst in Ansätzen bekannt. Aufgrund von Erfahrungen in anderen Ländern sind aber durch Konkurrenz um Lebensraum und Nahrung sowie durch den Frass von Eiern und Jungfischen massive Auswirkungen auf die lokale Fischfauna zu befürchten.
Ganz allgemein ist das Wissen über die komplexen Zusammenhänge in Seeökosystemen noch sehr lückenhaft. Doch in den kommenden Jahren könnte sich das durch ein wegweisendes Projekt [14] am Bodensee ändern. Dieses «Seewandel» genannte, grenzübergreifende Forschungsvorhaben zielt darauf ab, das komplexe Wirkungsgefüge sowie das Zusammenspiel der gegenwärtig sehr schnellen Veränderungen der Seeökosysteme besser zu verstehen. Untersucht werden unter anderem die Auswirkungen steigender Wintertemperaturen auf die Zirkulation des Seewassers. Beobachtungen deuten nämlich darauf hin, dass die zunehmend wärmeren Winter zu einer schlechteren Sauerstoffversorgung des Tiefenwassers geführt haben. Diese Entwicklung könnte sich sowohl auf die Biodiversität wie auf die Trinkwassernutzung negativ auswirken.
Ist das Glas Wasser vor dem Hintergrund des Erreichten und der neuen Herausforderungen beim Gewässerschutz nun halb voll oder halb leer?
Auch auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Doch zusammenfassend lässt sich sagen: Es braucht sowohl Massnahmen an der Quelle wie technische Lösungen. Und der Gewässerschutz funktioniert in der Schweiz dann am besten, wenn alle Akteure auf den verschiedenen Ebenen zusammenarbeiten – von Industrie und Gewerbe über die Forschung bis zu Behörden und Interessenverbänden. All diese Akteure können durch ihre innovativen Beiträge zu weiteren Verbesserungen im Gewässerschutz beitragen.
Ganz allgemein gilt es, den erfolgreich eingeschlagenen Weg bei Schutz und Aufwertung der Gewässer weiterzugehen und konsequent die Interessen der Natur zu vertreten. Anders lässt sich das Ziel der Gewässerschutzpolitik, der Schweiz wieder zu möglichst vielfältigen Gewässern zu verhelfen, nicht erreichen. Oder anders gesagt: Unsere Bäche, Flüsse und Seen müssen wieder ihre natürlichen Funktionen übernehmen können. Dazu sollte nicht zuletzt die Agrarpolitik ihre Beiträge liefern. Und gemeinsam mit der Landwirtschaft müssen wir sicherstellen, dass der Aktionsplan Pflanzenschutzmittel engagiert umgesetzt wird.
[1] Vischer, D. (2003): Die Geschichte des Hochwasserschutzes in der Schweiz – Von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert, Berichte des BWG, Serie Wasser Nr. 5
[2] Gattlen, N.; Klaus, G.; Listios, G. (2017): Biodiversität in der Schweiz: Zustand und Entwicklung. Ergebnisse des Überwachungssystems im Bereich Biodiversität, Stand 2016. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Zustand Nr. 1630
[3] Bundesgesetz über den Wasserbau vom 21. Juni 1991
[4] Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (2017): Landschaft des Jahres 2017: Energieinfrastrukturlandschaft am Aare-Hagneck-Kanal, Medienmitteilung vom 25. April 2017
[5] Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) vom 24. Januar 1991
[6] Verband der Schweizer Abwasser und Gewässerschutzfachleute (2017): Moderne Siedlungshygiene verdoppelt die Lebenserwartung, Medienmitteilung vom 22. März 2017
[7] OECD (2017): Environmental Performance Review: Switzerland 2017
[8] Logar, I. et al. (2014): Cost-benefit analysis of the Swiss national policy on reducing micropollutants in treated wastewater. Environmental Science & Technology
[9] Kunz, M.; Schindler Wildhaber, Y.; Dietzel, A. (2016): Zustand der Schweizer Fliessgewässer. Ergebnisse der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA) 2011–2014. BAFU Bern. Umwelt-Zustand Nr. 1620
[10] Doppler, T.; Mangold, S. (2017): Hohe PSM-Belastung in Schweizer Bächen, Aqua & Gas Nr. 4
[11] Langer, M.; Junghans, M. (2017): Hohe ökotoxikologische Risiken in Bächen, Aqua & Gas Nr. 4
[12] www.micropoll.ch
[13] Schweizerische Eidgenossenschaft (2017), Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, Bericht des Bundesrates, 6. September 2017
[14] www.seewandel.org; www.youtube.com/watch?v=utXIdDUm9fQ&feature=youtu.b
Die Gewässer wurden in der Vergangenheit auch zur Entsorgung unserer Abwässer aus Haushalten, Industrie- und Gewerbebetrieben missbraucht. Über Jahrhunderte waren die Städte von Gestank erfüllt und Epidemien wie Typhus an der Tagesordnung. Dementsprechend tief war die Lebenserwartung. Erst im 19. Jahrhundert verlangten Ärzte, Stadtplaner und Architekten, die Abwässer müssten kontrolliert abgeführt werden. Eine Forderung, die unter anderem zur Zürcher Kloakenreform von 1867 führte. Dank der verbesserten Siedlungshygiene und dem Ausbau der Abwasserinfrastrukturen verdoppelte sich unsere Lebenserwartung seither von 40 auf über 80 Jahre [6].
Den verbesserten hygienischen Bedingungen im 19. Jahrhundert zum Trotz wurden die Gewässer in der Folge immer stärker mit Schmutzwasser belastet, was zu grossen Defiziten bei der Wasserqualität führte. Die Situation verbesserte sich erst nachhaltig, als zwischen Mitte und Ende des 20. Jahrhunderts flächendeckend Siedlungsentwässerungsinfrastrukturen und Abwasserreinigungsanlagen (ARA) gebaut wurden. Nach wie vor leistet die Siedlungsentwässerung, von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen, einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Gesundheit. Gelangt aber einmal ungereinigtes Abwasser ins Trinkwasser, hat dies gravierende Auswirkungen. So führte etwa ein Verschmutzungsereignis 2015 in Le Locle zu 1000 Krankheitsfällen.
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