Intuitiv erscheint es plausibel, dass sich die Klimaveränderung wegen der zunehmenden Starkniederschläge auch auf Hochwasser auswirkt. Doch wie genau, war bis anhin wissenschaftlich nicht geklärt. Erstmals kann nun das Mobiliar Lab für Naturrisiken an der Universität Bern zeigen, in welchem Ausmass sich die Klimaveränderung in der Schweiz auf Hochwasserschäden auswirkt und welche Gewässer an welchen Abschnitten besonders stark reagieren. Diese Aussagen sind dank einem am Lab entwickelten Tool möglich. Dieses Online-Werkzeug richtet sich an Fachleute in den Bereichen Naturgefahren und Bevölkerungsschutz sowie an Behörden.
Das Tool «Risikosensitivität – Schadenbringende Hochwasser im Klimawandel» liefert Antworten auf Fragen wie: Wie verändern sich die Schäden in einem Gewässerabschnitt, wenn sich der Abfluss durch die Klimaveränderung erhöht? Wie viele Personen oder Arbeitsplätze sind betroffen, wenn der See- oder Flusspegel ansteigt? Was passiert, wenn die bisher maximal gemessenen Abflüsse übertroffen werden? Diese Erkenntnisse sind für die ganze Gesellschaft relevant. «Für eine effiziente Prävention braucht es genau solche quantitativen Informationen», betont Andreas Zischg, Co-Leiter des Mobiliar Labs: «Nur so können an den Schwachstellen vorzeitig geeignete Massnahmen ergriffen und die vorhandenen Ressourcen optimal eingesetzt werden.»
Im wissenschaftlichen Kontext eingesetzt, liefert das Tool spezifische Aussagen zu den Veränderungen von Hochwassern als Folge der Klimaveränderung in der Schweiz. Die wichtigsten Erkenntnisse: Auch wenn die Hochwasser nur leicht über die bekannten Höchstwerte hinausgehen, steigen die Schäden sprunghaft an. Eine durch die Klimaveränderung verursachte Zunahme der Spitzenabflüsse führt zu einer deutlich höheren Zunahme an Schäden. Ausgehend vom bisher grössten beobachteten Hochwasser steigen so etwa die Gebäudeschäden bei einem Mehrabfluss von 10 Prozent durchschnittlich um mehr als 40 Prozent. Bei 20 Prozent Mehrabfluss steigen die Schäden sprunghaft um 80 Prozent an.
Die zu erwartenden Schäden unterscheiden sich allerdings entlang eines Flusses und von Gewässer zu Gewässer stark. Nicht alle Abschnitte reagieren gleich empfindlich auf grössere Hochwasser. So können die Schäden lokal um über das Doppelte ansteigen. «Aus dieser differenzierten Analyse lassen sich kritische Stellen entlang des Gewässers identifizieren. Der Bevölkerungsschutz beispielsweise findet so wertvolle Informationen», so Markus Mosimann, der Entwickler des Tools. Bei allen lokalen Unterschieden scheine allerdings klar, dass es in der Schweiz zu bisher nicht gekannten Hochwasserständen kommen wird, ergänzt Zischg: «Fachleute gehen davon aus, dass wegen der Klimaveränderung mit Mehrabflüssen von 10 bis 20 Prozent zu rechnen ist.»
Das Tool «Risikosensitivität – Schadenbringende Hochwasser im Klimawandel» soll in erster Linie zu einem besseren Umgang mit den Folgen der Klimaveränderung beitragen. «Beim Hochwasserrisikomanagement lassen sich nun Prioritäten setzen», erklärt Zischg, «und dies nach einheitlicher Methodik für die ganze Schweiz.» Bei Flussabschnitten, die gemäss dem neuen Tool als besonders gefährdet identifiziert würden, gelte es nun, Massnahmen im Hochwasserschutz rasch umzusetzen.
Im Bereich Hochwasser ergänzt das Mobiliar Lab an der Universität Bern die traditionelle Forschung zu Naturgefahren um den Aspekt der Schäden. Seit 2018 werden in diversen Projekten insbesondere Entscheidungshilfen für das Hochwasserrisikomanagement erarbeitet. Ausgangsfrage ist dabei oft, was über den bisherigen Erfahrungshorizont hinaus auch noch geschehen könnte (Was wäre wenn?). Insgesamt stehen auf der Plattform www.hochwasserrisiko.ch sieben praxisnahe Tools zur Verfügung, die Kantons- und Gemeindebehörden, weitere Fachleute und auch die Bevölkerung dabei unterstützen, Hochwasserrisiken zu erkennen und so Schäden zu minimeren. Zudem ermöglichen die Tools, Schutzmassnahmen zu dimensionieren und risikobasiert zu priorisieren.
Das neue Tool bezieht nun erstmals die Folgen der Klimaveränderung in diese Risiko- und Schadenüberlegungen mit ein. Es legt die Grundlagen für ein Hochwasserrisikomanagement, das auch künftigen Anforderungen genügt. Es erlaubt Prognosen und Analysen – bis zum lokalen Massstab – für eine nicht mehr allzu ferne Zeit, wenn Hochwasser wegen der Klimaerwärmung weiter zugenommen haben werden.
Das Mobiliar Lab für Naturrisiken ist eine gemeinsame Forschungsinitiative des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern und der Mobiliar. Untersucht werden in erster Linie die an Hagel, Hochwasser und Sturm beteiligten Prozesse und die Schäden, die daraus entstehen. Das Mobiliar Lab an der Universität Bern arbeitet an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis und strebt Resultate mit hohem Nutzen für die Allgemeinheit an. Die Unterstützung durch die Mobiliar ist Teil des Gesellschaftsengagements der Mobiliar Genossenschaft.
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