Insektizide, die als Pflanzenschutzmittel (PSM) oder als Biozide eingesetzt werden, werden regelmäßig in Schweizer Oberflächengewässern nachgewiesen. Obwohl die gemessenen Konzentrationen niedrig sind, haben Insektizide in der ganzen Schweiz mehrfach zu Überschreitungen der gesetzlichen Werte geführt [1, 2]. Insektizide aus der Familie der Pyrethroide (Pyr) und Organophosphate (OrgP; in diesem Artikel umfasst diese Abkürzung nur Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl) sind für Gewässerorganismen besonders toxisch [3-5]. Tatsächlich liegen die ökotoxikologischen Qualitätskriterien (QK) von Pyr & OrgP unter dem generellen Wert von 100 ng/l der eidgenössischen Gewässerschutzverordnung (GSchV) und oft sogar unter 1 ng/l.
In einer aktuellen Studie von Agroscope ergaben Modellrechnungen, dass die Pflanzenschutzanwendungen von Pyr & OrgP 99% des Gesamtrisikos von PSM in Oberflächengewässern ausmachen [6]. Die Resultate der ersten Messkampagnen in Schweizer Oberflächengewässern in den Jahren 2017 und 2018 zeigten ebenfalls, dass diese Insektizide für den grössten Anteil der Risiken verantwortlich waren [7]. Allerdings waren diese Ergebnisse auf sechs Messstationen beschränkt und ein Überblick über die Situation in der Schweiz fehlte bislang. Seit 2019 stehen dank des nationalen Beobachtungsnetzes für Mikroverunreinigungen (NAWA MV) weitere Daten von mehr Messstationen zur Verfügung. Das Ziel dieses Artikels ist es somit, erstmals einen Überblick über die Pyr & OrgP-Exposition für die gesamte Schweiz zu geben.
Pyrethroide sind sowohl in PSM wie auch in Biozidprodukten enthalten [4, 8]. Die Organophosphat-Insektizide Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl waren 2019 nur in PSM enthalten, diese sind aber seit Juli 2020 in der Schweiz nicht mehr zugelassen. Die Gesamtmenge an Pyr & OrgP-Wirkstoffen, die als PSM verkauft wurden, blieb zwischen 2016 und 2019 relativ stabil (~12 t/Jahr) [9]. Zu Biozidprodukten sind keine Verkaufsdaten verfügbar, aber die jährlichen Insektizidmengen, die als Biozid verkauft werden, wurden in einer aktuellen Studie geschätzt [8]. Mit einer geschätzten Gesamtverkaufsmenge im Bereich zwischen 1 und 12 t/Jahr dominierten die Pyrethroide den Markt für Biozide zur Insektenbekämpfung [8]. Permethrin war dabei das meistverkaufte Pyrethroid (siehe Tab. 2).
Im Rahmen des Mikroverunreinigung-Monitorings der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA-MV) werden Pyrethroide erst ab 2019 analysiert. Tatsächlich ist die Bestimmung von Pyrethroid-Konzentrationen in Umweltproben seit langem eine analytische Herausforderung [10, 11], insbesondere wegen der sehr tiefen QK. Um zu prüfen ob die QK eingehalten werden, braucht es analytische Methoden mit sehr niedrigen Bestimmungsgrenzen (LOQ). Die Eawag hat kürzlich eine Methodik für den Nachweis von Pyrethroiden in sehr niedrigen Konzentrationen entwickelt, die sogar pg/l (10-12 g/l) erreicht, was tausendmal unter den üblichen Bestimmungsgrenzen für andere Pestizide (ng/l, 10-9 g/l) liegt [12]. Mit dieser Methode werden auch für Organophosphate tiefe Bestimmungsgrenzen erreicht. Parallel dazu haben mehrere kantonale Gewässerschutzlabors durch einen intensiven Austausch im Rahmen einer «»Task Force Pyrethroide» sehr empfindliche Methoden zur Quantifizierung von Pyr & OrgP entwickelt [13].
Mit der vorliegenden Analyse der Pyr & OrgP-Daten der NAWA-MV-Messstationen 2019 sollen folgende Fragen beantwortet werden:
Der Fokus dieses Artikels liegt auf den NAWA-MV-Daten des Jahres 2019. Diese umfassen Daten von 17 Messstationen (Tab. 1), an denen zwischen 7 und 18 Pyrethroide und Organophosphate entweder von den Gewässerschutzlabors der Kantone BE, SG, SH und ZH oder von der Eawag analysiert wurden. So unterschieden sich die Anzahl der analysierten Substanzen, die Probenahmedauer und die Bestimmungsgrenzen zum Teil erheblich je nach Messstation. Bei der Interpretation der Ergebnisse haben wir diese Unterschiede so weit wie möglich berücksichtigt.
Für eine Messstation (Chrümmlisbach, BE) waren Messwerte für Pyr & OrgP aus drei aufeinanderfolgenden Jahren verfügbar. Die Daten für 2017 und 2018 wurden bereits von Rösch et al. veröffentlicht [7]. An diesem Beispiel kann die Entwicklung der chronischen Mischungsrisiken der Pyr & OrgP (Erklärungen unten) von 2017 bis 2019 analysiert werden.
In NAWA MV werden normalerweise das ganze Jahr über 14-tägige Mischproben genommen [2]. Diese bestehen aus Einzelproben, die in regelmäßigen Zeitabständen mit auf 4°C gekühlten Probenehmern entnommen werden. Die Analyse von Pyr & OrgP an den 17 Messstationen fand jedoch nur von März bis Oktober 2019 statt. An 12 dieser Stationen wurden von April bis Juli 3,5-tägige Mischproben genommen und anschließend die Ergebnisse von vier Proben gemittelt, um 14-tägige Proben von März bis Oktober zu erhalten (Tab. 1). Die Ergebnisse dieser Messstationen sind also eine Mischung aus gemessenen 14-Tages-Proben (März, August bis Oktober) und berechneten 14-Tages-Proben (April bis Juli).
Die zur Quantifizierung dieser Moleküle in Oberflächengewässern verwendeten Analysetechniken beruhen alle auf einem Flüssig-Flüssig-Extraktionsschritt, gefolgt von einer gaschromatografischen Trennung, gekoppelt mit einer Detektion durch Tandem-Massenspektrometrie (LLE-GC-MS/MS). Die verschiedenen kantonalen Methoden werden in Moschet et al. 2019 [13] und die Methode der Eawag in Rösch et al. 2019 [12] näher beschrieben. Die Anzahl der analysierten Substanzen variierte je nach Messstation zwischen 7 und 18 (Tab. 1). Die Unterschiede in den Bestimmungsgrenzen (LOQ) für die verschiedenen analysierten Moleküle hängen mit den verschiedenen verwendeten Geräten und insbesondere mit deren unterschiedlichen Ionisationstechniken zusammen.
Zur ökotoxikologischen Beurteilung der Wasserqualität werden die gemessenen Umweltkonzentrationen mit den stoffspezifischen chronischen Qualitätskriterien (CQK) verglichen. Die CQK für die verschiedenen Substanzen sind in Tabelle 2 aufgeführt. Es wurden nur ausreichend robuste QK verwendet, die gemäß dem technischen Leitfaden der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) der EU [14] abgeleitet wurden. Dies sind Qualitätskriterien, für die eine umfassende Datenrecherche und eine externe Qualitätskontrolle durchgeführt wurde. So unterscheiden sich die hier verwendeten Werte teilweise von den 2017 veröffentlichten [4] und den in Rösch et al. 2019 [7] dargestellten Werten, weil wir hier keine AdHoc-QK (AdHoc-Qualitätskriterien sind QK, für die keine vollständigen Dossiers mit umfassender Datenrecherche erstellt wurden, oder für die keine externe Qualitätskontrolle durchgeführt wurde) verwendet haben, und weil einige QK aufgrund neuer ökotoxikologischer Erkenntnisse überarbeitet wurden.
Die QK von Chlorpyrifos und Cypermethrin sind auch in Anhang 2 der GSchV als numerische Anforderungen verankert (Tab. 2). Bei der Interpretation der Messwerte wurde jedoch nicht zwischen Stoffen mit numerischen Anforderungen in der GSchV und solchen ohne solche Anforderungen unterschieden.
Die Analysemethoden sind nicht immer ausreichend empfindlich, um alle Risiken zu erfassen, die ein Stoff für aquatische Ökosysteme darstellen kann. Bei einigen Substanzen liegt der LOQ eines oder mehrerer Labore über dem CQK. Daher haben wir in Tabelle 2 den Prozentsatz der Messwerte aufgelistet, bei denen der LOQ unter dem CQK lag. Wenn dieser Anteil über 80% liegt, halten wir eine Risikobewertung für robust. Umgekehrt ist bei einem Prozentsatz unter 80% die Interpretation schwierig und die mit diesen Stoffen verbundenen Risiken werden a priori unterschätzt. Hier muss man davon ausgehen, dass es unerkannte QK-Überschreitungen gibt. In einigen Fällen (oder sogar in allen Fällen für Deltamethrin), hat man eine CQK-Überschreitung, sobald die Substanz quantifiziert wird.
Das Verhältnis zwischen der gemessenen Konzentration und dem QK wird als Risikoquotient (RQ) bezeichnet. Chronische RQ (CRQ) werden aus den gemessenen Konzentrationen von 14-tägigen Mischproben und den CQK berechnet. Junghans et al. (2018) [15] haben gezeigt, dass diese Probenahmedauer mit den Zeiten der ökotoxikologischen Tests, aus denen die CQK abgeleitet werden, vergleichbar ist. Liegt ein CRQ in einer Probe über 1, können chronische Risiken für Gewässerorganismen nicht ausgeschlossen werden. In diesem Artikel werden nur die chronischen Risiken betrachtet.
Neben den Risikoquotienten für die einzelnen Stoffe kann auch die Umwelttoxizität des Stoffgemisches beurteilt werden. Eine Abschätzung dieses Mischungsrisikos, welchem Gewässerorganismen während einer bestimmten Expositionszeit (hier 14 Tage) ausgesetzt sind, kann durch Mischungsrisikoquotienten erfolgen. Der chronische Mischungsrisikoquotient (CRQmix) wird durch Addition der Risikoquotienten für die einzelnen Stoffe berechnet:
Dies ist möglich, wenn die empfindlichsten Zielorganismen ähnlich sind [16]. Bei CRQmix-Werten über 1 können Risiken für die jeweilige Organismengruppe nicht ausgeschlossen werden. In unserem Fall beziehen sich alle QK-Werte von Pyr & OrgP auf wirbellose Wassertiere, mit Ausnahme des CQK von Deltamethrin, bei dem sowohl wirbellose Tiere als auch Wirbeltiere die empfindlichsten Zielgruppen darstellen.
Um den Anteil der Risiken durch die Pyr- & OrgP-Insektizide an allen Pestiziden abzuschätzen, wird das Verhältnis zwischen dem CRQmix der sieben Pyr & OrgP mit CQK (Tab. 2) und dem CRQmix der anderen gemessenen Pestizide (55 bis 68 Stoffe je nach Station) berechnet. Bei letzterem wurden alle einzelnen CRQmix für jede betrachtete Probe addiert, da wir dieses Verhältnis in Bezug auf die Gesamtheit der Gewässerorganismen abschätzen wollten. Dieser Ansatz der einfachen Addition wird vorgeschlagen, wenn die Wirkungsweisen der Einzelsubstanzen nicht vollständig bekannt sind [17].
In jedem der 17 untersuchten Gewässern wurden zwischen drei und acht verschiedene Pyr- & OrgP-Insektizide nachgewiesen. Insgesamt wurden 14 verschiedene Substanzen nachgewiesen (Tab. 1). Die Anzahl der analysierten Substanzen und die Anzahl der untersuchten Proben unterschieden sich zwischen den Messstationen, was die Anzahl der pro Station nachgewiesenen Substanzen beeinflusst haben kann. Tatsächlich war diese dort hoch (7 bis 8), wo die Anzahl der analysierten Substanzen am höchsten war (10 bis 18). Umgekehrt ist es möglich, dass an Messstationen wo die Anzahl der untersuchten Substanzen geringer war (7), mehr Substanzen im Gewässer vorhanden waren, die aber nicht analysiert wurden. Dieses Beispiel zeigt, dass die hier vorgestellten Ergebnisse immer noch unvollständig und stark vom Umfang der Analyse und den Bestimmungsgrenzen abhängig sind. Trotzdem sind diese Ergebnisse die bislang umfassendsten.
Die beiden Organophosphate Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl wurden an allen betrachteten Messstellen nachgewiesen (17). Die verschiedenen Pyrethroide wurden mehr oder weniger verbreitet nachgewiesen (1 bis 11 Messstationen; Tab. 2). Wichtig ist hier auch, dass 5 der untersuchten Substanzen gar nicht nachgewiesen wurden: Fenvalerat, Acrinathrin, Phenothrin, Metofluthrin und Empenthrin.
Die meisten der quantifizierten Werte (83%) lagen unter 1 ng/l (Fig. 1), was den Bedarf an hochempfindlichen Analysetechniken unterstreicht. Die Mediankonzentrationen schwankten zwischen 0,022 ng/l (Tefluthrin) und 0,45 ng/l (Permethrin). Diese Medianwerte liegen in einem ähnlichen Bereich wie die Werte, die in den Jahren 2017 und 2018 (0,031 bis 0,4 ng/l) von Rösch et al. ermittelt wurden [7].
Die gemessenen Maximalkonzentrationen unterschieden sich je nach Substanz um mehrere Grössenordnungen (Tab. 2). Chlorpyrifos-methyl wurde beispielsweise im Furtbach (ZH) vom 01. bis 14. April 2019 mit 508 ng/l quantifiziert. Diese ausserordentlich hohe Konzentration sank danach auf 15 ng/l (14. bis 28.04.2019). Abgesehen von diesem Extrembeispiel und den fünf selten quantifizierten Substanzen (n<10; Cyfluthrin, Cyphenothrin, Etofenprox, Tetramethrin und Tau-Fluvalinat) lagen die Maximalkonzentrationen zwischen 0,14 (Transfluthrin) und 51 ng/l (Permethrin) (Fig. 1 und Tab. 2).
Von den 7 Stoffen mit robusten chronischen Qualitätskriterien (CQK) wurden bei 6 Stoffen Überschreitungen festgestellt (Fig. 2). Chlorpyrifos war die Substanz, die das größte Risiko für das aquatische Ökosystem darstellte, mit 65 CQK-Überschreitungen (Fig. 2A) an 10 verschiedenen Stationen (Fig. 2B). Chlorpyrifos-methyl, das zweite untersuchte Organophosphat, verursachte 21 Überschreitungen in sechs verschiedenen Gewässern. Diese beiden Wirkstoffe sind in der Schweiz seit Juli 2020 nicht mehr zugelassen.
Drei Pyrethroide verursachten ebenfalls zahlreiche Überschreitungen ihrer CQK: Bifenthrin (57 Überschreitungen an 7 Stationen), Lambda-Cyhalothrin (35 Überschreitungen an 9 Stationen) und Cypermethrin (33 Überschreitungen an 8 Stationen) (Fig. 2). Obwohl die Quantifizierungsmethoden für diese drei Stoffe nicht immer die erforderliche Sensitivität (LOQ) für die Bewertung der CQK besaßen, zeigen die Ergebnisse für diese drei Stoffe bereits eine besorgniserregende Situation. Überschreitungen der CQK wurden auch bei zwei anderen Pyrethroiden beobachtet: Deltamethrin (12 Überschreitungen an 3 Stationen) und Permethrin (9 Überschreitungen an 2 Stationen). Die Risiken von Pyrethroiden werden wahrscheinlich unterschätzt, da die LOQ nicht immer zur Überprüfung der CQK geeignet sind, insbesondere für Deltamethrin (Tab.2).
Die Anzahl der Überschreitungen der chronischen Qualitätskriterien variierte stark, je nach Station zwischen 1 (Küntenerbach, AG) und 34 (Landgraben, SH) (Tab. 1). An 6 Stationen betrug sie mehr als 20, an 3 Stationen zwischen 10 und 20 und an 8 Stationen weniger als 10.
Mit insgesamt 248 Überschreitungen weisen diese Ergebnisse auf erheblichen chronischen Risiken hin, die Pyr & OrgP für aquatische Ökosysteme darstellen. Die Risiken werden damit wahrscheinlich noch unterschätzt, weil nicht für alle untersuchten Stoffe robuste CQK verfügbar waren. Tatsächlich verursachten Tefluthrin, Transfluthrin und Cyfluthrin 24 Überschreitungen ihrer AdHoc-QK an 7 verschiedenen Stationen, davon 20 Überschreitungen allein durch Tefluthrin. Diese vorläufigen Ergebnisse zeigen die Notwendigkeit, robuste Qualitätskriterien für diese potenziell problematischen Stoffe zu entwickeln.
Der chronische Mischungsrisikoquotient (CRQmix) von Pyr & OrgP war in jedem der 17 untersuchten Gewässer in mindestens einer Probe größer als 1 (Fig. 3). An 15 Stationen war er während mindestens zweieinhalb Monaten (5 Proben, 30% der Zeit) größer als 1. Im Durchschnitt aller Stationen war der CRQmix während 59% der Zeit größer als 1 (Tab. 1) und während 23% der Zeit größer als 10. Ein Unterschied war zwischen den Zeiträumen April bis Juli sowie August bis Oktober und im März zu beobachten. Der CRQmix von April bis Ende Juli war sehr häufig größer als 1 (73% der Proben). Im Gegensatz dazu lag der CRQmix in der Zeit von August bis Oktober und im März weniger regelmäßig über 1 (45% der Proben).
Im Landgraben (SH) lag der CRQmix während der gesamten Saison von März bis Oktober über 1, und im Chrümmlisbach (BE) und Furtbach (ZH) wies nur je eine Probe einen CRQmix unter 1 auf. An 4 Stationen lag der CRQmix während mehr als 50% der Zeit über 10 (Landgraben, SH; Chrümmlisbach, BE; Furtbach, ZH; Le Combagnou, VD) (Tab. 1).
Im Gegensatz dazu bilden der Küntenerbach (AG) und die Mönchaltorfer Aa (ZH) Ausnahmen, in denen nur 1 bzw. 2 Proben einen CRQmix von über 1 aufwiesen, diese Werte lagen jedoch über 10. Somit zeigen diese Ergebnisse deutlich, dass Pyr & OrgP über lange Zeiträume und an vielen Messstationen ein großes Risiko für Gewässerorganismen darstellen.
Der durchschnittliche Anteil von Pyr & OrgP am Gesamtrisiko durch Pestizide, die an den 17 NAWA-Messstationen von März bis Oktober 2019 analysiert wurden, betrug 63% (Fig. 4). Dieser Anteil variierte aber je nach Station zwischen 27 und 87 %, mit hohen Werten (>70 %) im Zapfenbach (SG), Ballmoosbach (BE), Beggingerbach und Landgraben (SH) sowie im Boiron de Morges und Combagnou (VD). Diese Anteile wurden berechnet indem für jede Probe der CRQmix der Pyr & OrgP ins Verhältnis zum CRQmix aller Pestizide gesetzt wurde. Dabei wurden alle RQ pro Probe addiert ohne zu unterscheiden, welches die empfindlichste Organismengruppe für die jeweilige Substanz ist. Der Anteil der Risiken durch Pyr & OrgP wäre noch größer, wenn wir nur die Risiken für Wirbellose berücksichtigt hätten. Diese Ergebnisse bestätigen, dass einige wenige Insektizide den größten Teil des Gesamtrisikos aller gemessenen Pestizide ausmachen können. Dies wurde auch im Chrümmlisbach 2017 von Rösch et al. [7] nachgewiesen und von Korkaric et al. [6] anhand von theoretischen Indikatoren für Oberflächengewässer auf nationaler Ebene modelliert.
Von den 19 Substanzen, die 2019 gemessen wurden, waren 8 Substanzen nur als Biozid zugelassen, 3 nur als PSM, 6 Substanzen besaßen eine Doppelzulassung und 2 Substanzen waren gar nicht zugelassen (Tab.2).
Von den 3 Substanzen, die nur als PSM zugelassen waren, wurden Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl an allen Messstationen nachgewiesen und verursachten viele Überschreitungen ihrer CQK. Tefluthrin wurde ebenfalls verbreitet (9 Stationen), aber in niedrigen Konzentrationen nachgewiesen. Seine ausschließliche Verwendung als Saatbeizmittel für Rüben, könnte dieses Ergebnis erklären. Importe von gebeiztem Saatgut werden in der PSM-Verkaufsstatistik des BLW [9] nicht erfasst (vgl. Tab. 2). Da für diese Substanz kein robustes CQK vorliegt, war es nicht möglich, die Risiken dieser Substanz zu bewerten.
Von den 8 Substanzen, die nur als Biozide zugelassen waren, wurde nur Permethrin häufig nachgewiesen. Permethrin ist tatsächlich der am häufigsten verwendete Wirkstoff in Biozidprodukten zur Insektenbekämpfung oder zum Holzschutz [8] (Tab.2). Die sieben Nachweise von Cyfluthrin können möglicherweise auf sporadische Biozidanwendungen zurückgeführt werden, da es nur in einer geschätzten Menge von weniger als 100 kg pro Jahr verkauft wurde [8]. Cypherothrin und Transfluthrin wurden sehr selten nachgewiesen, die anderen vier ausschliesslich als Biozid zugelassenen Substanzen nie.
Von den sechs Substanzen, die doppelt zugelassen waren (PSM & Biozid), wurden 3 Substanzen häufig in Oberflächengewässern nachgewiesen und verursachten auch viele Überschreitungen der CQK: Bifenthrin, Cypermethrin und Lambda-Cyhalothrin. Bei diesen 3 Stoffen ist die Verwendung als PSM sehr wahrscheinlich wichtiger als die Verwendung als Biozid, wie aus den verfügbaren Daten hervorgeht (siehe Tab. 2). Bei Cypermethrin und Lambda-Cyhalothrin sind die Verkaufsmengen als PSM höher; Bifenthrin ist zwar als Biozid zugelassen, aber es werden keine Biozidprodukte verkauft, die diesen Stoff enthalten. Die Bifenthrinbelastung stammt demnach aus Pflanzenschutzanwendungen. Bei Deltamethrin und Etofenprox sind die verkauften oder geschätzten Mengen von PSM und Biozidprodukten relativ ähnlich. Daher können die Nachweise und Überschreitungen der CQK für diese Stoffe von Anwendungen als PSM oder als Biozid stammen.
Letztendlich deuten diese Ergebnisse eindeutig darauf hin, dass PSM-Anwendungen für die meisten der häufig nachgewiesenen Substanzen, mit Ausnahme von Permethrin, die wichtigere Quelle sind. Der Zulassungsstatus eines Stoffes sagt jedoch nicht unbedingt etwas darüber aus, ob die Stoffe aus landwirtschaftlichen Anwendungen oder Wohngebieten stammen. Tatsächlich wird Permethrin als Biozid in Ställen eingesetzt [18] und Cypermethrin kann als PSM in städtischen Grünanlagen und Privatgärten oder im Wald zur Bekämpfung von Insekten während der Holzlagerung verwendet werden [19].
Die NAWA-MV-Daten 2019 von Insektiziden aus der Stoffgruppe der Pyrethroide und von zwei Organophosphaten (Pyr & OrgP) ermöglichten eine erste Bewertung der Belastung durch diese Insektizide auf nationaler Ebene. Durch eine vergleichbare Probenahme an 17 Messstationen und die anschließende Quantifizierung mithilfe hochempfindlicher Analysemethoden ist eine umfassende Bewertung möglich. Dies war nur dank des grossen Engagements der Kantone und des Bundes sowie der fruchtbaren Zusammenarbeit mit zahlreichen Partnern (Eawag, Oekotoxzentrum, VSA) möglich.
Mit mindestens 3 nachgewiesenen Substanzen pro Station zeigen diese Ergebnisse, dass die Insektizide Pyr & OrgP häufig und verbreitet gefunden werden. Obwohl die gemessenen Konzentrationen überwiegend unter 1 ng/l liegen, stellen sie ein erhebliches Risiko für Gewässerorganismen dar. Tatsächlich wurden die ökotoxikologischen Qualitätskriterien von März bis Oktober 2019 in den 17 untersuchten Gewässern 248 Mal überschritten. Die Überschreitungen waren weit verbreitet und häufig. Die Ergebnisse zeigen auch, dass 7 Insektizide den größten Teil des Gesamtrisikos von rund 60 Pestiziden ausmachen können. Schließlich fanden sich Einträge von PSM generell häufiger in den Gewässern wieder als Einträge aus Biozidanwendungen.
Diese erste landesweite Risikobewertung für die Insektizide Pyr & OrgP ist die umfassendste, die bislang möglich war. Aus verschiedenen Gründen werden die Risiken jedoch wahrscheinlich unterschätzt: Nicht alle Substanzen wurden an jeder Station gemessen, die LOQ für einige Substanzen lagen oft über ihren CQK und Substanzen ohne ausreichend robuste CQK wurden nicht berücksichtigt. Für 3 Stoffe wären robuste Qualitätskriterien angesichts der Überschreitungen ihrer AdHoc-QK wünschenswert.
Die Weiterentwicklung der Analysetechniken und des ökotoxikologischen Wissens kann die Einschätzung des Gesamtrisikos von Pyr & OrgP in naher Zukunft verbessern. Ausserdem haben kürzlich mehrere gewässerrelevante Insektizide ihre Zulassung als PSM verloren (z. B. Chlorpyrifos, Chlorpyrifos-methyl, Bifenthrin, Thiamethoxam, Thiacloprid und Imidacloprid). Dies wird wahrscheinlich zu erheblichen Veränderungen der Insektizidbelastung von Gewässern führen. Die hier vorgestellten Ergebnisse sind als eine erste Auswertung auf nationaler Ebene zu sehen, und eine ähnliche Analyse der NAWA-MV-Daten wird in späteren Jahren notwendig sein, um die Veränderungen der Insektizidbelastung zu bewerten.
Der chronische Mischungsrisikoquotient (CRQmix) konnte mit den verfügbaren Daten für diesen Bach in drei aufeinanderfolgenden Jahren, von 2017 bis 2019, während des Zeitraums von März bis Oktober berechnet werden (Fig. 5). Von den 44 betrachteten Proben überschritten alle bis auf drei den Wert von 1. Somit konnten in 82 von 88 untersuchten Wochen negative Auswirkungen auf wirbellose Wassertiere im Zusammenhang mit Pyr & OrgP nicht ausgeschlossen werden. Der CRQmix lag in 34 Wochen über 10, in 32 Wochen zwischen 2 und 10 und in 16 Wochen zwischen 1 und 2.
Es waren vor allem drei Substanzen, die signifikant zum Risiko der Mischung beitrugen: Chlorpyrifos (Anteil am CRQmix pro Probe im Schnitt 42%), Lambda-Cyhalothrin (27%) und Permethrin (23%). Der Beitrag von Chlorpyrifos zum Gesamtrisiko war in allen 3 Jahren vergleichbar und schwankte je nach Jahr zwischen 32 und 52%. Der Einfluss von Lambda-Cyhalothrin auf das Mischungsrisiko war im Jahr 2017 (57%) größer als in den beiden anderen Jahren (11 und 14%). Der Beitrag von Permethrin war im Jahr 2017 gering (5%), im Jahr 2019 jedoch deutlich größer (37%).
Während mehr als 90% der Dauer der Anbausaison sind demnach die chronischen Risiken durch Pyr & OrgP im Chrümmlisbach erheblich. Das Beispiel zeigt auch, dass sich die Substanzen, die überwiegend für die Risiken verantwortlich sind, von Jahr zu Jahr ändern können.
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[19] Forter, M. (2019): Hochgiftige Insektizide im Schweizer Wald. Oekoscope 1/19: 6–9
An dieser Stelle möchten wir uns bei den kantonalen Gewässerschutzfachstellen für die gute Zusammenarbeit und bei der Sektion Hydrologische Grundlagen Gewässerzustand des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) für die Bereitstellung der Daten bedanken. Vielen Dank auch an Irene Wittmer von der Plattform Wasserqualität des VSA sowie an Nicole Munz und Anke Hofacker von der Sektion Wasserqualität des BAFU für ihre wertvollen Kommentare zum Artikel.
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