Um Ă–kosysteme schĂĽtzen und erhalten zu können, mĂĽssen Zustand, vorkommende Arten und die möglichen Ursachen ihrer Beeinträchtigungen bekannt sein. Die letzten Jahre haben gezeigt, wie rasch sich Seeökosysteme und ihre Artengemeinschaften verändern können [1–3]. Die Belastung mit Nährstoffen, die Besiedlung durch gebietsfremde Arten wie z. B. die Quagga-Muschel oder der Einfluss des Klimawandels auf die Zirkulation in der Wassersäule und damit die Nährstoff- und SauerstoffverfĂĽgbarkeit sind nur drei negative Beispiele unter vielen. Es gibt jedoch auch positive Veränderungen: Der Bau von Abwasserreinigungsanlagen (ARA), weitere Massnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität und Uferrevitalisierungen haben vielerorts den ökologischen Zustand der Stehgewässer verbessert. Zahlreiche weitere Massnahmen zur Förderung naturnaher Gewässerlebensräume sind in Planung oder werden umgesetzt. Das Zusammenspiel all dieser Veränderungen beeinflusst die Artenvielfalt, die Fischbestände und schlussendlich die fischereiliche Nutzung. Möglichst genaue Kenntnisse ĂĽber die Fischbestände und ihre Entwicklung ĂĽber Zeit erlauben es, das Zusammenspiel der UmwelteinflĂĽsse besser zu verstehen und darauf basierend die richtigen Massnahmen im Bereich Schutz und Nutzung von FischÂbeständen und Förderung naturnaher Seeökosysteme festzulegen.
Um den Fischbestand eines Stehgewässers und dessen Vielfalt umfassend und unvoreingenommen zu erfassen, müssen standardisierte und reproduzierbare Methoden angewandt werden, die sämtliche Lebensräume erfassen. In der Schweiz gab es für diesen Zweck bisher keine standardisierte Methode. Das Wissen über den Fischbestand unserer Stehgewässer beruhte hauptsächlich auf Fangstatistiken der Berufs- und Angelfischerei, Erfahrungen der Behörden oder einzelnen gezielten Studien. In der EU sind standardisierte Monitoring-Befischungen seit Jahren in der CEN-Norm (European Committee for Standardization) vorgeschrieben [4]. Ab 2010 wurden im Rahmen des Forschungsvorhabens «Projet Lac» [5] erstmals in grossen, natürlichen und tiefen Alpenrandseen standardisierte Erhebungen der Häufigkeit und Lebensraumnutzung der Fische sowie deren Artenvielfalt in Seen durchgeführt.
Die Erfahrungen aus dem «Projet Lac» wurden genutzt, um eine aufwandÂoptimierte Befischungsmethode herzuleiten und zu testen. Diese Methode kombiniert den Einsatz von Netzen und Elektrofischerei mit modernen Methoden zur Identifikation und Dokumentation der Fischvielfalt [6]. Die vorliegende Publikation fasst diese aufwandsoptimierte Methode zusammen und stellt Praxisbeispiele einer möglichen Anwendung vor. Detaillierte Angaben zur Methode können dem ausfĂĽhrlichen Expertenbericht entnommen werden [6].
Das Gewässerschutzgesetz (GSchG, SR 814.20) und das Bundesgesetz über die Fischerei (BGF, SR 923.0) verpflichten Bund und Kantone, die Öffentlichkeit über den Gewässerschutz, die Bedeutung sowie den Zustand der Gewässer zu informieren. Seit 1993 werden Methoden zur Untersuchung und Beurteilung der Schweizer Gewässer erarbeitet und im Rahmen des Modul-Stufen-Konzepts (MSK) publiziert. Für Fliessgewässer stehen für die Beprobung und Beurteilung des ökologischen Zustands mehrere MSK-Methoden zur Verfügung, unter anderem auch für Fische. Für Fische in Stehgewässern gibt es im MSK bisher noch keine gleichwertige Methode.
Hier und im ausführlichen Expertenbericht [6] präsentiert wird eine Methode für die standardisierte Untersuchung von Fischbeständen in Stehgewässern. Durch die Standardisierung des Befischungsaufwands kann festgestellt werden, wie häufig verschiedene Fischarten oder Längenklassen im Fang auftreten. Durch die gesamtheitliche Beprobung aller Lebensräume lässt sich erfassen, wie sich die Fische im Stehgewässer verteilen. Die wichtigsten Ergebnisse, die mit der Methode generiert werden können, sind folgende:
Parameter | Erläuterung |
Anzahl Arten | Die Anzahl Arten wird je nach erforderlichem Detailgrad erfasst. |
Anzahl Individuen pro Art | Insgesamt gefangene Anzahl Individuen pro Art, zusammengefasst fĂĽr alle Befischungsaktionen. |
Biomasse pro Art | Insgesamt gefangene Biomasse pro Art, zusammengefasst fĂĽr alle Befischungsaktionen. |
NPUE (Number Per Unit Effort) | Anzahl gefangener Individuen pro Art, korrigiert fĂĽr den Befischungsaufwand. |
BPUE (Biomass Per Unit Effort) | Biomasse der gefangenen Individuen pro Art, korrigiert fĂĽr den Befischungsaufwand. |
Längenverteilung | Anzahl Individuen pro Art und Längenklasse. |
Tiefenverteilung und Nutzung der Tiefenhabitate | Anzahl Individuen, die pro Tiefenklasse (in benthischen und pelagischen Netzen) gefangen werden (NPUE oder BPUE). Nutzung der Tiefenhabitate. |
Geografische Verteilung | Erfassung der geografischen Verteilung (NPUE oder BPUE) der einzelnen Arten im See. |
Nutzung der Uferhabitate | Erfassung der Verteilung der Arten in verschiedenen natĂĽrlichen und kĂĽnstlichen Uferhabitaten (gemessen als NPUE oder BPUE). |
Weiterführende Fragestellungen | Mit zusätzlichem Aufwand und in Zusammenarbeit mit der Forschung lassen sich zahlreiche weitere Fragestellungen bearbeiten (z. B. genetische Analysen, Mageninhaltsanalysen, Altersbestimmungen). |
Wichtigsten Ergebnisse, die mit der standardisierten Befischungsmethode generiert werden.
Der Schritt von der Erfassung der Fischbestände zu einer standardisierten Beurteilung des Gewässerzustands (analog der CEN-Norm der EU-Wasserrahmenrichtlinie oder den MSK-Methoden für Fliessgewässer) ist in der Schweiz aktuell nicht geplant. Mit der hier vorgestellten Methode kann aber durch eine sorgfältige Datenauswertung und -interpretation durch Experten dennoch eine Beurteilung des Seezustands gemacht werden. Im Interesse einer Harmonisierung der angewandten Methoden und einer landesweiten Vergleichbarkeit der fischökologischen Erhebungen begrüsst das Bundesamt für Umwelt (BAFU) die Anwendung dieser Methode.
Ein detaillierter Beschrieb der Vorgehensweise und der verwendeten Gerätschaften kann dem Methodenbericht entnommen werden [6, 7]. Nachfolgend wird die Methode nur kurz beschrieben.
Für die Erfassung der Fischbestände wird eine Kombination von Kiemennetzbefischungen und elektrischen Befischungen eingesetzt. Dabei wird unvoreingenommen, d. h. ohne Berücksichtigung von spezifischem Vorwissen über bevorzugte Aufenthaltsorte einzelner Fischarten, gearbeitet. Folglich werden auch fischereilich weniger interessante Bereiche eines stehenden Gewässers untersucht, wie z. B. die grossen Tiefen unserer Voralpenseen oder gewisse seltene Uferhabitate. Der Vorteil dieses Vorgehens liegt darin, dass alle ökologisch relevanten Lebensräume untersucht werden und der Fischbestand unverzerrt erhoben wird. Ergänzend zur standardisierten Methode können zusätzliche Befischungen an gezielten Standorten erfolgen. Dieser zusätzliche Aufwand ist gerechtfertigt, wenn z. B. Vorkommen von seltenen Arten zwar bekannt, aber gleichwohl lokal beschränkt sind und diese Arten ebenfalls erfasst werden sollen.
Die Befischungsmethode ist so aufgebaut, dass genügend Befischungsreplikate (Anzahl Netze pro Tiefenbereich, Anzahl elektrischer Uferbefischungen) durchgeführt werden, um einen statistisch robusten Vergleich zwischen verschiedenen Erhebungen sicherzustellen. Dabei können die Ergebnisse der Untersuchungen nicht nur innerhalb eines Stehgewässers im Verlauf der Zeit miteinander verglichen werden, sondern auch die von verschiedenen Stehgewässern gegenübergestellt werden, wie dies z. B. beim «Projet Lac» gemacht wurde [5]. Im Sempachersee wurde die Vergleichbarkeit der Daten anhand von zwei unabhängigen Erhebungen überprüft. Dabei konnte gezeigt werden, dass beide Erhebungen vergleichbare Ergebnisse lieferten [8].
Die heute durchgefĂĽhrten FischmoniÂtorings in Stehgewässern zielen in der Regel darauf ab, Grundlagen fĂĽr das Management von Felchen oder anderen fischereilich interessanten Fischarten bereitzustellen. Ergänzend dazu ermöglicht die Anwendung der vorgeschlagenen Methode eine Erhebung des gesamten Fischbestands. Damit kann der ökologische Zustand des gesamten Sees beschrieben und mögliche Ursachen fĂĽr Defizite können besser ermittelt werden. Das Monitoring stellt somit nicht nur Grundlagen fĂĽrs Fischereimanagement, sondern auch Informationen fĂĽr die Umsetzung von Gewässerschutz- und Naturschutzmassnahmen bereit.
Vor einer Befischung müssen die Habitate eines Stehgewässers kartiert werden. Dies ist notwendig, weil sich die einzelnen Fischarten nicht zufällig im Stehgewässer verteilen, sondern sich bevorzugt in gewissen Habitaten aufhalten und diese Habitate gezielt befischt werden sollen. Im ersten Schritt der Habitatkartierung wird das gesamte Stehgewässer in Tiefenkompartimente eingeteilt. Anschliessend werden in Ufernähe Substrate, die sich bis zu einer Tiefe von 6 m befinden, und das Vorhandensein von Zu- und Abflüssen kartiert.
Die eigentliche Erhebung des Fischbestands erfolgt durch Kiemennetze und elektrische Befischungen (Fig. 1). Dabei werden Kiemennetze eingesetzt, die gestützt auf die Ergebnisse des «Projet Lac» ebenso wie auf gezielt durchgeführte Versuchsfänge eigens dafür entwickelt wurden [6] (Fig. 2). Die Netze weisen vorgegebene Maschenweiten und Flächen auf [6]. Bei der Entwicklung der Netze wurde viel Wert darauf gelegt, den Fang von Jungfischen, z. B. von den in vielen Gewässern zahlreich vorhandenen kleinen Egli, tief zu halten, ohne dabei die Repräsentativität zu schmälern. Die damit erhobenen Daten sind vergleichbar mit den Ergebnissen der europäischen CEN-Norm und des «Projet Lac».
Für die Positionierung der horizontalen benthischen Netze im Stehgewässer wird das Vorgehen der CEN-Norm [4] übernommen. Dabei wird eine Strategie der zufälligen Probenahme in verschiedenen vorgegebenen Tiefenbereichen angewandt [6]. Die zufällige Verteilung der Netze wird vor der Probenahme anhand von Tiefenkarten und einem Koordinatennetz festgelegt. Alle vorgängig kartierten Uferhabitate in Tiefen zwischen 0–3 m werden mit Netzen mindestens einmal, idealerweise mehrmals, an zufällig ausgewählten Standorten befischt.
Für das Anbringen der pelagischen Netze wurde die europäische CEN-Methode modifiziert. Anstatt eine einzelne Wassersäule an der Stelle mit der maximalen Tiefe des Stehgewässers mit horizontalen pelagischen Netzen von 6 m Höhe zu befischen [5], werden die Netzblätter als Vertikalnetze eingesetzt (Fig. 3). Sämtliche verwendeten Maschenweiten sind auf sechs Rollen (Schwimmer) verteilt und fischen jeweils in der gesamten Gewässertiefe. Damit können im Rahmen einer Erhebung mehrere pelagiale Standorte im Stehgewässer befischt werden, was die Anzahl Replikate und damit die Aussagekraft der Daten im Vergleich zur europäischen CEN-Methode deutlich verbessert.
Alle kartierten Uferhabitate mit geringen Wassertiefen (< 1,5 m) werden mittels elektrischer Befischungen untersucht. Die zu befischenden Standorte werden zufällig im gesamten Uferbereich des Stehgewässers ausgewählt. Es wird darauf geachtet, dass jedes kartierte Uferhabitat idealerweise mindestens dreimal befischt wird. Pro Untersuchungsabschnitt wird die Anode über eine auf den Quadratmeter geschätzte Fläche geführt und alle auftauchenden Fische werden eingefangen. Die befischte Fläche wird an jedem Standort an die Anzahl gefangener Fische angepasst [6].
Die Befischungen sollten bei einer einmaligen Erhebung zwischen Mitte August und Mitte Oktober stattfinden, da zu dieser Jahreszeit die meisten Jungfische bereits bis auf Artniveau bestimmt werden können und sich in diesem Zeitraum nur wenige Fischarten fortpflanzen. Zudem sind grosse Stehgewässer in diesen Monaten geschichtet. Schliesslich sind alle Fischarten zu dieser Jahreszeit aktiv, was die Fangwahrscheinlichkeit erhöht. Um spezifische Fragen zu klären, können zusätzliche Probenahmen zu anderen Zeiten des Jahres sinnvoll sein, z. B. wenn die Verteilung der Fische im Stehgewässer während der Fortpflanzungszeit untersucht werden soll. Um die Effekte tagesbedingter Fangwahrscheinlichkeiten auszugleichen, wird idealerweise an mindestens drei Tagen bzw. Nächten gefischt.
Nach dem Heben der benthischen Netze werden die Fische an Land entmascht (Fig. 4). Es wird jeweils festgehalten, in welchem Netz und in welcher Maschenweite jeder Fisch gefangen wurde. Bei den pelagischen Vertikalnetzen werden die Fische direkt auf dem Stehgewässer noch beim Heben des Netzes im Boot entmascht (Fig. 4). Dabei wird nebst dem Standort und der Maschenweite auch die Fangtiefe auf einen Meter genau erfasst. Bei den elektrischen Befischungen werden die gefangenen Fische vor Ort im Boot narkotisiert, bestimmt, vermessen und anschliessend wieder freigelassen.
Bei einigen Fischen ist die ArtÂbestimmung im Feld schwierig. FĂĽr gewisse Taxa kann die Artbestimmung mit einer repräsentativen Stichprobe im Labor morphologisch ĂĽberprĂĽft werden. Bei anderen, artenreichen Gruppen ist es hingegen nicht möglich, alle Individuen anhand von morphologischen Merkmalen bis auf Artniveau zu bestimmen. In diesem Fall sind fĂĽr die Artbestimmung genetische Untersuchungen notwendig. Sofern eine genaue Erfassung der Artzusammensetzung wichtig und Ziel des Monitorings ist, wird empfohlen, wissenschaftliche Forschungsanstalten (z. B. Eawag, Universitäten, Museen) zu kontaktieren. Somit können jeweils die neusten Kenntnisse aus der Forschung einfliessen und allfällige Laboruntersuchungen eingeplant werden. Dies ist insbesondere dann notwendig, wenn die Artzuweisung fĂĽr Bewirtschaftungsfragen oder fĂĽr ein Biodiversitätsmonitoring erforderlich ist. Ein Paradebeispiel dĂĽrfte die Artzuweisung der Felchen sein, die im Feld oftmals nicht auf Artniveau bestimmt werden können, fischereilich aber intensiv bewirtschaftet werden und oftmals im Zentrum von fischereilichen Fragestellungen liegen.
Die im «Projet Lac» durchgeführten morphologischen und genetischen Untersuchungen zeigen, dass die Biodiversität der Fische in unseren Seen bisher unterschätzt wurde [5]. Die Befischungen sollten daher auch dazu genutzt werden, Fotos und Proben sicherzustellen. Diese Daten können anschliessend genutzt werden, um unsere Ökosysteme und die darin vorkommenden Lebewesen anhand geeigneter Massnahmen besser zu schützen. In jedem Fall sollten mindestens zehn Individuen pro Art im Feld standardisiert fotografiert werden. Hierfür sind Fische auszuwählen, die in einem guten morphologischen Zustand sind und möglichst das ökologische und morphologische Spektrum der Art abdecken. Weitere Proben wie Schuppen, Gewebeproben für genetische oder biochemische Untersuchungen sollten je nach Fragestellung oder nach Rücksprache mit den Forschungsinstituten ebenfalls entnommen werden.
Im Rahmen des «Projet Lac» und bei gewissen nachfolgenden Untersuchungen wurden standardisierte Befischungsmethoden in vielen Seen des Alpenraums eingesetzt. Die dabei gewonnenen Daten können dem «Projet Lac»-Synthesebericht [5] oder den seespezifischen Fachberichten (s. Box) eingesehen werden. Nachfolgend werden ausgewählte Ergebnisse vorgestellt, welche die Anwendungsmöglichkeiten und den Nutzen von standardisierten Befischungen beispielhaft veranschaulichen.
Besonders aussagekräftig sind MoniÂtorings, wenn sie wiederholt und miteinander verglichen werden. Dies erlaubt es, Veränderungen im Fischbestand mit Veränderungen der Umweltbedingungen in Zusammenhang zu bringen und damit mögliche Ursachen der Veränderungen zu identifizieren.
In Frankreich wurden standardisierte Befischungen in den 90er-Jahren schon in gewissen kleineren Seen durchgefĂĽhrt. So wird beispielsweise der Lac de Remoray schon seit 1991 regelmässig standardisiert befischt [9, 10]. Bei der ersten Erhebung 1991 wurde festgestellt [9, 10], dass die Fischgemeinschaft von kälteliebenden und sauerstoffbedĂĽrftigen Fischarten, insbesondere Felchen, domiÂniert wurde (Fig. 5). Im Vergleich zu den wärmeliebenden karpfenartigen Fischarten (Rotaugen, Schleien und Rotfedern) stellten sie ca. zwei Drittel des standardisierten Fangs dar. Dieser Anteil veränderte sich im Verlauf der nachfolgenden Jahre markant. 2017 wurden die gleichen karpfenartigen Fischarten im Stehgewässer viel häufiger gefangen (80% der Fänge) und die Biomasse der Felchen nahm im standardisierten Fang ab (20% der Fänge, Fig. 5).
Die Untersuchungen des Lac Remoray zeigen eindrücklich, wie rasch und wie ausgeprägt sich die Zusammensetzung von Fischbeständen verändern kann, wenn sich die Umweltbedingungen ändern. Der See litt bereits 1991 unter den Folgen der Eutrophierung, so wurden unterhalb von 16 m Tiefe schon damals keine Fische gefangen [10]. Die Eutrophierungsproblematik verschärfte sich im Laufe der Zeit weiter. In Kombination mit der klimabedingten Erwärmung des Gewässers veränderte sich das Dominanzverhältnis der Artenzusammensetzung in 30 Jahren grundlegend, ohne dass dabei eine Art verschwunden wäre.
Bis anhin lieferten Fischfangstatistiken gerade für Stehgewässer oftmals die einzigen Langzeitdaten. Diese ermöglichen jedoch häufig nur stark verzerrte Einblicke in die Entwicklung der Fischbestände, da sie vor allem die Entwicklung der fischereilich genutzten Arten widerspiegeln und vom fischereilichen Aufwand beeinflusst sind. Monitoringprogramme von Fischen mit standardisierten Methoden, die den gesamten Fischbestand erfassen, liefern genauere Informationen über die effektive Entwicklung der Fischbestände über die Zeit.
Die Schweizer Seen werden von jeher fischereilich genutzt und seit geraumer Zeit wissenschaftlich untersucht. Trotzdem lieferten die standardisierten «Projet Lac»-Befischungen einiger Seen überraschende Ergebnisse (s. unten). Im Bodensee wurde beispielsweise im Pelagial des Sees eine bisher nicht bekannte grosse Dichte an Stichlingen festgestellt (Fig. 6). So waren im Pelagial 96% der gefangenen Fische Stichlinge, was trotz ihrer geringen Grösse einen Anteil von 28% der gefangenen Biomasse ausmachte [11]. Natürlicherweise dominieren im Pelagial der grossen und tiefen voralpinen Seen wie dem Bodensee verschiedene Felchenarten.
In vielen grossen und tiefen Seen wurden interessanterweise Fische bis zur maximalen Seetiefe festgestellt. Fänge bis in grosse Tiefen waren in denjenigen Seen möglich, die in der Tiefe nicht nur zum Zeitpunkt der Beprobung einen hohen Sauerstoffgehalt aufwiesen, sondern auch in der Vergangenheit in der Tiefe immer gut mit Sauerstoff versorgt waren. Insbesondere verschiedene Felchenarten, Trüschen und Groppen wurden oftmals sehr tief gefangen. Die beobachteten Fischdichten waren teilweise beachtlich, wie dies am Beispiel des Brienzersees [12] illustriert werden kann (Fig. 7). Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, bei einem Monitoring alle Teilbereiche des Sees miteinzubeziehen, wenn man den gesamten Fischbestand eines Sees erfassen will.
Durch die Untersuchungen des «Projet Lac» von 2010 bis 2020 liegt heute erstmals ein standardisiertes Bild des Ist-Zustands der Fischartenzusammensetzung der meisten grossen voralpinen Seen vor. Insgesamt konnten 106 Fischarten festgestellt werden. Darunter sind 82 beschriebene Arten, aber auch 28 Arten, die bisher noch nicht taxonomisch beschrieben wurden. Manche von ihnen waren zwar schon zuvor aus wissenschaftlichen Untersuchungen bekannt, aber bei den Felchen, den Seesaiblingen, den Flussschleimfischen und den Groppen (Fig. 8) wurden im «Projet Lac» auch zuvor unbekannte Arten gefunden [5]. Dies war dank detaillierten genetischen morphologischen Analysen möglich. Somit leistete das «Projet Lac» einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zu einer gesamtheitlichen Übersicht über die in der Schweiz vorkommenden Fischarten.
Die Ergebnisse zeigen zudem, wie sich die Fischgesellschaften je nach natürlichen und anthropogen beeinflussten Bedingungen im See [5] unterscheiden (Fig. 9). So dominieren in grossen, tiefen und sauerstoffreichen Seen wie Brienzer-, Thuner- und Walensee, die nie stark organisch belastet waren, die verschiedenen vorkommenden Felchenarten. Dies sind auch die Seen, in denen Felchen und Seesaiblinge die grösste Artenvielfalt aufweisen [2]. Mit zunehmendem Nährstoffgehalt nimmt der Anteil Flussbarsche und Rotaugen in den grossen und tiefen Seen zu. In flacheren und nährstoffreichen Seen schliesslich dominieren Rotaugen [13]. Auffallend war auch, wie häufig Neozoen in gewissen Seen vorkamen. Im Silsersee, Lago di Poschiavo, Lugano und Bodensee dominierten nicht heimische Arten den Fischbestand. Standardisierte Befischungen verbessern also auch unser Wissen über die Häufigkeit von Neozoen in Stehgewässern. Man kann also in den Schweizer Seen ein ganzes Spektrum an Fischgemeinschaften beobachten und mittels des Monitorings in Zukunft auch dokumentieren, wie sich diese Artenzusammensetzung verändert.
Die Vorteile einer standardisierten Methode mit vorgeschriebenen Gerätschaften beschränkt sich nicht allein auf den Einsatz im gesamten See. Die vorgegebenen Netze und die standardisierten Uferbefischungen können auch gezielt eingesetzt werden, um lokalen Fragestellungen nachzugehen.
Ein typisches Beispiel dafür ist die Wirkungskontrolle von Sanierungsmassnahmen (z. B. Uferrevitalisierungen, Sanierung der Wasserqualität oder der hydrologischen Verhältnisse). Von 1999 bis 2008 wurde das Reussdelta im Randbereich (ausserhalb der Kiesentnahmestellen) mittels Seeschüttungen erstmals ökologisch aufgewertet [16]. In den nächsten Jahren soll das Delta mit erneuten Schüttungen weiter vergrössert werden. Um den ökologischen Nutzen dieser Schüttungen zu dokumentieren, wird eine umfassende Wirkungskontrolle durchgeführt, bei der auch die Entwicklung der Fischbestände betrachtet wird. 2021 wurde dazu erstmals im gesamten Deltabereich eine standardisierte Erhebung des Fischbestands mittels elektrischer Befischungen und Netzbefischungen durchgeführt. Dabei wurde nicht nur der in Zukunft beeinflusste Bereich untersucht, sondern auch bereits revitalisierte und nicht revitalisierte Kontrollbereiche.
Sowohl für die elektrischen Befischungen als auch für die benthischen Netzbefischungen wurde auf den hier vorgestellten standardisierten Befischungsmethoden aufgebaut. Mit dieser Vorgehensweise bei der Wirkungskontrolle können die Ergebnisse vor und nach der Revitalisierung im beeinflussten Bereich und in den revitalisierten und nicht revitalisierten Kontrollbereichen miteinander verglichen werden. Zusätzlich wird es auch möglich sein, die Ergebnisse direkt mit den Daten der «Projet Lac»-Befischungen zu vergleichen, die 2014 im gesamten See durchgeführt worden waren [17].
Der menschliche Nutzungsdruck an den Gewässern ist immens und nimmt weiter zu. Der Zustand unserer Stehgewässer hat sich in der Vergangenheit stark verändert und wird sich auch in Zukunft wandeln. Eine möglichst langfristige Dokumentation der Artenvielfalt und der Zusammensetzung der Fischgesellschaften ist vor diesem Hintergrund wichtiger denn je. Fische eignen sich als Bioindikatoren besonders gut, da sich viele Umwelteinflüsse direkt oder indirekt auf die Artenzusammensetzung und die Bestandsdichten auswirken [18, 19]. Die neu entwickelte und aufwandoptimierte standardisierte Befischungsmethode ermöglicht einen Vergleich der Fischbestände verschiedener Stehgewässer ebenso wie die Dokumentation der zeitlichen Entwicklung von Fischbeständen innerhalb eines Gewässers. Die Methode erfasst dabei nicht bloss den Bestand fischereilich relevanter Fischarten, sondern alle im Gewässer vorkommenden Arten. Die bei einer Anwendung gewonnenen Erkenntnisse leisten einen Beitrag, um Zusammenhänge zwischen menschlichen Einflüssen und dem Zustand von Ökosystemen besser zu verstehen. Die identifizierten Defizite können anschliessend mit Schutz- und Sanierungsmassnahmen angegangen werden.
[1] Kottelat, M.; Freyhof, J. (2007): Handbook of European Freshwater Fishes. Cornol, Switzerland: Publications Kottelat
[2] Vonlanthen, P. et al. (2012): Anthropogenic eutrophication drives extinction by speciation reversal in adaptive radiations. Nature. 482:375–362
[3] Zaugg, B. (2018): Fauna Helvetica – Pisces – Atlas. CSCF; 239 S.
[4] DIN EN 14757 (2015): Wasserbeschaffenheit – Probenahme von Fischen mittels Multi-Maschen-Kiemennetzen; Deutsche Fassung EN 14757: 2015. DIN – Normausschuss Wasserwesen (NAW); S. 34
[5] Alexander, T.; Seehausen, O. (2021): Diversity, distribution and community composition of fish in perialpine lakes – «Projet Lac» synthesis report. Kastanienbaum: Eawag: Swiss Federal Institute of Aquatic Science and Technology
[6] Vonlanthen, P.; Périat, G. (2021): Projet Lac –Methodenbericht – Entwicklung und Anwendung einer Methode zur Erfassung des Fischbestands in stehenden Gewässern. Cordast: Aquabios GmbH, Teleos Suisse sà rl; S. 74
[7] Vonlanthen, P.; Périat, G. (2021): Methodik zur standardisierten Befischung von Stehgewässern der Schweiz. Cordast: Aquabios GmbH, Teleos Suisse sà rl; S. 16
[8] Vonlanthen, P. et al. (2019): Standardisierte Befischung Sempachersee – Resultate der Erhebungen vom September 2018. Aquabios GmbH; (Auftraggeber: Kanton Luzern, Dienststelle Landwirtschaft und Wald, Sursee)
[9] Degiorgi, F. (1994): Étude de l’organisation spatiale de l’ichtyofaune lacustre. [Besançon]: Université de Franche-Comté
[10] Brocard, J. S. et al. (2017): Suivi piscicole du lac de Remoray – Plan de gestion 2016–2025 de la RNN. Beure, France: Fédération du Doubs pour la Pêche et la Protection des Milieux Aquatiques
[11] Alexander, T. J. et al. (2016): Artenvielfalt und Zusammensetzung der Fischpopulation im Bodensee. Kastanienbaum: Eawag (Projet Lac)
[12] Vonlanthen, P.; PĂ©riat, G. (2013): Artenvielfalt und Zusammensetzung der Fischpopulation im Brienzersee. Kastanienbaum: Eawag, S. 40
[13] BAFU (2016): Wie funktioniert ein See? Zur Limnologie von Seen. Ittigen: Bundesamt fĂĽr Umwelt (BAFU)
[14] Vonlanthen, P. (2018): Standardisierte Befischung Lauerzersee - Resultate der Erhebungen vom September. Aquabios GmbH; (Auftraggeber: Kanton Schwyz, Abteilung Natur, Jagd und Fischerei, Schwyz)
[15] Alexander, T. J. et al. (2015): Estimating whole-lake fish catch per unit effort. Fisheries Research; 172:287–302
[16] Ernst Basler + Partner AG (2017): Seeschüttung Urner See – Dokumentation Erfolgskontrolle 2015
[17] Alexander, T. J.; Vonlanthen, P. (2007): Artenvielfalt und Zusammensetzung der Fischgemeinschaft im Vierwaldstättersee. Kastanienbaum: Eawag
[18] Chovanec, A. (2003): Fish as bioindicators. In: Bioindicators and biomonitors. Elsevier Science Ltd; S. 639–76
[19] Karr, J. R. (1981): Assessment of biotic integrity using fish communities. Fisheries. 6:21–7
«Projet Lac» Synthesebericht
www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wasser/fachinformationen/massnahmen-zum-schutz-der-gewaesser/fischerei/projet-lac.html
«Projet Lac» Methodenbericht
https://modul-stufen-konzept.ch/befischung-von-seen/
«Projet Lac» Berichte zu untersuchten Seen
www.eawag.ch/de/abteilung/fishec/projekte/projet-lac/
Praxisdokumentation zur Wirkungskontrolle in Fliessgewässern
www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wasser/fachinformationen/massnahmen-zum-schutz-der-gewaesser/renaturierung-der-gewaesser/revitalisierungen/praxisleitfaden-zur-wirkungskontrolle.html
Wir bedanken uns bei der Vielzahl an Personen, die direkt am Gelingen der Methodenentwicklung beteiligt waren und hier leider nicht alle namentlich genannt werden können. Das Projekt wurde massgeblich von der Eawag und der Universität Bern als langjähriges Forschungsvorhaben unterstützt. Das BAFU unterstützte das Projekt und die nachträglichen Berichterstattungen und Publikationen finanziell und personell. Viele kantonale Fischerei- und Gewässerschutzfachstellen unterstützten das Projekt personell und finanziell für die seespezifischen Befischungen. Verschiedene Forschungsinstitute waren an der Forschungsarbeit beteiligt: Eawag, Universität Bern, Naturhistorisches Museum Bern, Universität Besançon, Fischereiforschungsstelle Baden-Württemberg, IRSA Verbania, OFB France.
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