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Fachartikel
30. März 2021

Gewässer

Burgunderblutalge im Zürichsee

Sieht man im Herbst rötliche Oberflächenfilme in manchen grossen Seen, so handelt es sich nicht um aufsteigendes Blut von ertrunkenen Soldaten aus dem Burgund, sondern um ein Cyanobakterium, das aufgrund der Historie im Volksmund Burgunderblutalge genannt wird. Dieses Cyanobakterium produziert einen vielfältigen Cocktail aus Giftstoffen und bildet besonders in grossen nährstoffarmen Seen Massenerscheinungen, weshalb es intensiv beobachtet und wissenschaftlich erforscht wird.
Deborah  Knapp, Thomas Posch, 

Fast alle Jahre breitet sich im Herbst auf einigen grossen alpennahen Seen (z. B. Hallwilersee und ZĂŒrichsee, Ammersee [D], Wörthersee [A]) ein rötlicher Film auf der WasseroberflĂ€che aus. Der Volksmund spricht von der Burgunderblutalge, die Wissenschaft von Planktothrix rubescens (in Ă€lteren Arbeiten auch Oscillatoria rubescens). Biologisch gesehen handelt es sich aber nicht um eine Alge, sondern um ein fĂ€diges, rötlich gefĂ€rbtes Cyanobakterium (s. Box unten), das man schon mit blossem Auge in einer Wasserprobe erkennen kann. Im ZĂŒrichsee ist P. rubescens seit ĂŒber 100 Jahren zu finden und entwickelte sich innerhalb der letzten fĂŒnf Jahrzehnte zum dominanten Organismus im Nahrungsnetz des Freiwassers [1, 2]. Der erste schriftliche Nachweis geht auf einen Zeitungsartikel der NZZ aus dem Jahr 1899 zurĂŒck, in dem das PhĂ€nomen des Burgunderbluts beschrieben wird. Massenentwicklungen gab es vor der stĂ€rksten NĂ€hrstoffbelastung (Eutrophierung) in der ersten HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts. WĂ€hrend der stĂ€rksten Eutrophierungsphase (1960 bis 1970) war P. rubescens allerdings phasenweise kaum nachweisbar. Erst nachdem der Phosphoreintrag in den See durch die Inbetriebnahme von KlĂ€ranlagen nachhaltig reduziert wurde, etablierte sich P. rubescens wieder massenhaft im ZĂŒrichsee und zeigt zunehmende PopulationsstĂ€rke seit den 1990er-Jahren.

Problematik in Planktothrix-belasteten Seen

Planktothrix rubescens hat das Potenzial, in Bezug auf die Gesamtbiomasse zum dominantesten Lebewesen in einem Seeökosystem zu werden. Das Cyanobakterium hat kaum natĂŒrliche Fressfeinde, weshalb es als Senke und nicht als Verbindung in der Nahrungskette und fĂŒr den gesamten NĂ€hrstoffpool angesehen werden muss. Einerseits haben filtrierende RĂ€uber (wie z. B. Wasserflöhe) mechanische Probleme, die bis zu 5 mm langen FĂ€den (Filamente) aufzunehmen. Diese Filamente entstehen aus einer Aneinanderreihung von Hunderten einzelnen Zellen, die selbst nur 0,005 mm gross sind. Andererseits bildet P. rubescens, wie viele andere Cyanobakterien auch, giftige, zellintern gelagerte Stoffwechselprodukte, die potenziell auf alle tierischen Organismen (Wirbellose und Wirbeltiere) und auch auf den Menschen wirken [3, 4]. Dies kann zu Problemen fĂŒhren, da viele der betroffenen Seen als Trinkwasserressourcen und Erholungsgebiete dienen. Die bekanntesten toxischen Substanzen der Cyanobakterien sind: Cyanopeptoline, Anabaenopeptine, Aeruginosine und Microcystine [5]. Die Klasse der Microcystine wurde bis dato am besten untersucht und so ĂŒberrascht es nicht, dass bereits ĂŒber 90 chemische Struktur­varianten beschrieben sind [6]. Auch fĂŒr P. rubescens ist bekannt, dass mehrere Microcystin-Varianten produziert und auch andere oben erwĂ€hnte Toxine gebildet werden können [7]. Microcystine schĂ€digen vor allem die Leber, können aber auch andere Organe betreffen und sind in hoher Dosis bei oraler Aufnahme tödlich. FĂŒr die Bevölkerung an einem Planktothrix-belas­teten See ergeben sich theoretisch drei Expositionsmöglichkeiten bezĂŒglich der Cyanobakterientoxine (Details s. [8]):
– Kontakt ĂŒber die Haut beim Schwimmen oder Wassersport
– Kontakt ĂŒber das Einatmen von Aerosolen im Uferbereich und auf der WasseroberflĂ€che
– direkte orale Aufnahme der Toxine ĂŒber unbehandeltes Seewasser

Zu einem direkten Hautkontakt mit den Giftstoffen sollte es nur in seltenen FĂ€llen kommen, am wahrscheinlichsten im Herbst, wenn die roten OberflĂ€chenansammlungen auftreten. Die FĂ€den in diesem roten OberflĂ€chenfilm zersetzen sich mit der Zeit aufgrund zu hoher LichtintensitĂ€ten, dadurch erfolgt die Freisetzung der zellintern gelagerten Toxine (s. auch Kap. «OberflĂ€chenmischung»). Bei Kontakt mit den Giftstoffen kann dies zu Rötungen und Irritationen der Haut fĂŒhren. Diese PhĂ€nomene wurden fĂŒr Seen mit anderen Cyanobakterien­arten (z. B. Microcystis) beschrieben, eine spezifische Studie zu P. rubescens liegt bis dato nicht vor. Ebenso fehlen wissenschaftliche Arbeiten zur Frage, inwieweit bei einem solchen Szenario toxinhaltige Aerosole entstehen können. Gesichert ist jedoch, dass eine direkte Nutzung (ohne Reinigungsschritte) von Planktothrix-belastetem Seewasser als Trinkwasser fĂŒr Tier und Mensch auf jeden Fall vermieden werden muss. Selbst mechanische Reinigungsstufen einer Wasseraufbereitung reichen nicht aus, um die Toxine zu eliminieren. Ein mechanisches Aufbrechen der Planktothrix-Filamente verschlimmert die Situation sogar, da durch diesen Schritt die zellgebundenen Toxine erst freigesetzt werden. Die zuverlĂ€ssigste Methode zur Zerstörung der Giftstoffe ist nach wie vor die Ozonierung des Rohwassers. Durch den Einsatz von Ozon bei der Trinkwasseraufbereitung werden die molekularen Strukturen der Microcystine innerhalb von Sekundenbruchteilen aufgebrochen und zerstört [9]. Dies bedeutet, dass alle Trinkwasserwerke, die Rohwasser aus einem Planktothrix-belas­teten See gewinnen, mit Ozonierungsstufen ausgerĂŒstet sein sollten. Inwieweit eine direkte orale Aufnahme von Toxinen ĂŒber Fische oder Fischprodukte aus einem Planktothrix-See möglich ist, lĂ€sst sich nach wie vor nur schwer beurteilen. AussagekrĂ€ftige Literatur zu diesem Thema findet man kaum [10]. Da P. rubescens aufgrund ihrer ToxizitĂ€t von fast allen tierischen Konsumenten gemieden wird, erscheint die Gefahr einer Anreicherung der Giftstoffe ĂŒber die Nahrungskette als eher gering.

Ursachen fĂŒr die Ausbreitung 

Aufgrund der ĂŒber 40 Jahre durchgefĂŒhrten Langzeitprogramme der Wasserversorgung ZĂŒrich (WVZ) und der Limnologischen Station Kilchberg (UniversitĂ€t ZĂŒrich) lĂ€sst sich das Massenvorkommen dieses Cyanobakteriums mittlerweile recht schlĂŒssig erklĂ€ren [1, 11]. Die Reduktion des Phosphorgehaltes und die daraus resultierende VerĂ€nderung der Lichtbedingungen und der NĂ€hrstoffverhĂ€ltnisse im See sind nur ein Teil der zugrundeliegenden Faktoren. Massgeblich fördernd waren in den letzten Jahrzehnten die klimabedingten VerĂ€nderungen der chemisch-physikalischen Strukturen des Sees, bedingt durch steigende Lufttemperaturen und zunehmende Sonneneinstrahlung [12]. WĂ€hrend klassische Algengruppen wie Schlund- oder Kieselalgen negativ auf die SeeerwĂ€rmung reagieren, scheinen Cyanobakterien in vielfĂ€ltiger Weise vom rasanten Klimawandel zu profitieren [2]. Diese Beobachtung gilt nicht nur lokal, sondern scheint ein globales PhĂ€nomen zu sein [13].
Cyanobakterien verfĂŒgen ĂŒber eine Reihe von physiologischen Eigenschaften, welche sie zu erfolgreichen Konkurrenten von Algen machen, besonders in schnell verĂ€ndernden Systemen. Einige Arten, wie z. B. das Cyanobakterium Microcystis, werden direkt von erhöhten Wassertemperaturen gefördert, besonders in Kombination mit einem reichen NĂ€hrstoffangebot [13]. Andere Arten hingegen, wozu auch P. rubescens gezĂ€hlt wird, profitieren von der stĂ€rkeren, temperaturbedingten Schichtung des Wasserkörpers und den daraus resultierenden Konsequenzen fĂŒr die Verteilung der NĂ€hrstoffe [1]. Im Folgenden wird – anhand der ausgeprĂ€gten jĂ€hrlichen Dynamik von P. rubescens im ZĂŒrichsee – auf die besonderen physiologischen Eigenschaften dieses Cyanobakteriums eingegangen. DarĂŒber hinaus werden die limnologischen (chemischen, physikalischen und biologischen) Kenngrössen erlĂ€utert, welche die Etablierung und das derzeitige Wachstum von P. rubescens im ZĂŒrichsee erklĂ€ren.

Klimabedingte VerÀnderung der Tiefenmischung

Als klassischem monomiktischem See kommt es im ZĂŒrichsee theoretisch einmal im Jahr zu einer Tiefenmischung, nĂ€mlich dann, wenn die temperatur­bedingten Dichteunterschiede zwischen OberflĂ€chen- und Tiefenwasser minimal sind. Die Durchmischung (Mixis) findet in der Regel zwischen Januar und MĂ€rz statt und fĂŒhrt erstens zu einer NĂ€hrstoffanreicherung des OberflĂ€chenwassers (Epilimnion, [2]) und zweitens zur Sauerstoffanreicherung des Tiefenwassers (Hypolimnion, [14]). WĂ€hrend dieser Zeit werden auch die P. rubescens-Filamente zunehmend in die Tiefe gedrĂŒckt (Fig. 2 und 3). Eine vollstĂ€ndige Tiefenmischung (Holomixis), im ZĂŒrichsee bis auf 136 m, bewirkt grosse Verluste der Cyanobakterien-Population. Grund hierfĂŒr ist der hohe hydrostatische Druck im Tiefenwasser, der die Gasvesikel (intrazellulĂ€re gasgefĂŒllte Strukturen) des Cyanobakteriums kollabieren lĂ€sst. Die stĂ€rksten bekannten Gasvesikel, die P. rubescens produzieren kann, widerstehen einem Druck bis zu einer Tiefe von ungefĂ€hr 100 m [15]. Gasvesikel dienen P. rubescens fĂŒr die aktive vertikale Bewegung in der WassersĂ€ule. Die Bildung neuer Gasvesikel ist nur bei ausreichenden LichtverhĂ€ltnissen möglich. Daher können Filamente, deren Gasvesikel nach einer Tiefenmischung kollabiert sind, nicht mehr in das lichtdurchflutete Epilimnion aufsteigen, was mit der Zeit zum Absterben der Filamente im dunklen Hypolimnion fĂŒhrt. Somit ist das Cyanobakterium nach einer Holomixis im FrĂŒhsommer kaum nachweisbar und der Aufbau einer neuen Population beginnt erst im SpĂ€tsommer.
WĂ€hrend der letzten zwei Jahrzehnte traten im ZĂŒrichsee jedoch immer hĂ€ufiger schwache Tiefenmischungen auf [1]. Klimabedingte VerĂ€nderungen in der WĂ€rmekapazitĂ€t des Sees fĂŒhren zu einer VerstĂ€rkung der thermischen Schichtung, die sich bis in den Winter halten kann. Diese erschwert die jĂ€hrliche FrĂŒhjahrstiefenmischung [2] und P. rubescens wird oft nur noch in Tiefen von 60 bis 80 Metern gedrĂŒckt. In diesen Tiefen ist der hydrostatische Druck zu gering, um die Gasvesikel kollabieren zu lassen, wodurch ein grosser Teil der Population eine schwache Tiefenmischung unbeschadet ĂŒbersteht [1]. Dies fĂŒhrt bereits im FrĂŒhjahr und FrĂŒhsommer zu grossen Mengen an P. rubescens. Allerdings bedeutet eine schwache Tiefenmischung auch einen schlechteren Transport von NĂ€hrstoffen in die oberen Wasserschichten. Darunter leiden jedoch vor allem klassische Algengruppen, wie Kiesel- und Schlundalgen. P. rubescens hingegen scheint besser an nĂ€hrstoffarme Situationen angepasst zu sein [2].

Thermische Schichtungsphase – Rolle der Sprungschicht

Wenn nach der Tiefenmischung die thermische Schichtungsphase im See beginnt, zeigen sich die Vorteile der Gasvesikel. Filamente, deren Gasvesikel intakt geblieben sind, bewegen sich nun aktiv in die Zone mit den idealen Lichtbedingungen. Da die Cyanobakterien eher gemĂ€chlich aufsteigen (mit einer Geschwindigkeit von 0,6 m pro Tag), kann es dementsprechend eine Weile dauern, bis sie ihr Ziel erreichen. Hier kommt P. rubescens zugute, dass sie sogar mehrere Wochen in Dunkelheit und bei niederen Wassertemperaturen ĂŒberleben kann [16]. Neben der lichtabhĂ€ngigen Fotosynthese ist das Cyanobakterium auch fĂ€hig, aktiv AminosĂ€uren aus dem Wasser aufzunehmen, um Phasen der Dunkelheit zu ĂŒberbrĂŒcken [17]. Ziel der aufsteigenden Filamente ist die Sprungschicht (Metalimnion), die sich im ZĂŒrichsee in circa 12 bis 15 Metern Tiefe bildet. Das Metalimnion ist die Zone mit einer sehr starken Abnahme der Wassertemperatur pro Meter Tiefenstufe und wirkt als physikalische Barriere zwischen dem warmen Epilimnion und dem kalten Hypolimnion. Planktothrix rubescens ist ein schwachlichtangepasster Organismus [18] und findet in 12 bis 15 Metern Tiefe die idealen LichtverhĂ€ltnisse vor (6 bis 10 Όmol m–2 s–1). Ein stabiles Metalimnion im FrĂŒhling in Tiefen mit geeigneten Lichtbedingungen ist daher auch entscheidend fĂŒr das Aufbauen einer neuen Population nach der FrĂŒhjahrstiefenmischung. Die klimabedingten VerĂ€nderungen bieten dabei einen weiteren Vorteil fĂŒr P. rubescens, da der See tendenziell immer frĂŒher im Jahresverlauf eine thermische Schichtung aufweist, wodurch sich sehr schnell ein Metalimnion ausbilden kann [19].
Stimmen Licht- und Metalimnionbedingungen allerdings nicht ĂŒberein, wie es im FrĂŒhling 2019 der Fall war, so kommt es zu einem massiven Zusammenbruch der Population im FrĂŒhling, die sich erst spĂ€t im Herbst wieder erholt. Das Metalimnion ist aber nicht nur wĂ€hrend des FrĂŒhlings unentbehrlich fĂŒr P. rubescens. WĂ€hrend der Sommermonate bis in den Herbst hinein bleibt das Cyanobakterium im Metalimnion eingeschichtet, weit weg von möglichen BadegĂ€sten. Einerseits ist P. rubescens dadurch vor zu hohen LichtintensitĂ€ten geschĂŒtzt, welche in der turbulenten Zone des Epilimnions vorherrschen. Andererseits entgeht das Cyanobakterium so dem Konkurrenzdruck mit schneller wachsenden Algen, welche die OberflĂ€chenzone bevorzugen. Umgekehrt könnten die meisten Algen unter den Schwachlichtbedingungen im Metalimnion gar nicht wachsen.
Zur Zeit der stĂ€rksten Eutrophierung im ZĂŒrichsee (1960 bis 1970) wurde dem Cyanobakterium diese Anpassung an sehr geringe LichtverhĂ€ltnisse aber wohl zum VerhĂ€ngnis. WĂ€hrend dieser Phase gab es ausgeprĂ€gte oberflĂ€chennahe AlgenblĂŒten, wodurch sich die LichtverhĂ€ltnisse im Metalimnion massiv verschlechterten. Planktothrix rubescens war, um fotosynthetisch aktiv zu bleiben, zur Einwanderung ins Epilimnion gezwungen, wo sie aber dem Konkurrenzdruck mit den schnellwachsenden Algen nicht gewachsen war.

OberflĂ€chenmischung – das Burgunderblut-PhĂ€nomen

Im SpĂ€therbst, wenn sich die thermische Schichtung auflöst, Ă€ndert sich die Situation fĂŒr P. rubescens. AbkĂŒhlendes OberflĂ€chenwasser und die Kraft der HerbststĂŒrme drĂŒcken das Metalimnion in die Tiefe und schwĂ€chen die thermische Schichtung ab. Die schlechter werdenden Lichtbedingungen zwingen
P. rubescens an die obere Grenze des Metalimnions und letztendlich in das turbulente Epilimnion. Die LichtintensitĂ€ten im herbstlichen Epilimnion sind im Gegensatz zum Sommer wesentlich schwĂ€cher und entsprechen eher den BedĂŒrfnissen des Cyanobakteriums. Aufgrund der Turbulenzen fĂ€llt es P. rubescens aber schwer, sich stabil einzuschichten, wodurch sie gelegentlich zu viel Auftrieb generiert und an die OberflĂ€che gedrĂŒckt wird [20]. Dies kann zur Bildung von rötlich gefĂ€rbtem Wasser oder sogar OberflĂ€chenfilmen fĂŒhren, im Volksmund auch als Burgunderblut-PhĂ€nomen bekannt. Schafft es P. rubescens nach so einem Ereignis nicht mehr, rechtzeitig zu sinken, können zu hohe LichtintensitĂ€ten und ScherkrĂ€fte an der OberflĂ€che zu Zersetzungsprozessen und zur Freisetzung der Toxine fĂŒhren. ErfahrungsgemĂ€ss passiert dies im ZĂŒrichsee erst ab Ende September. Üblicherweise sind zu dieser Jahreszeit nur noch wenige Schwimmer im See anzutreffen. Probleme ergeben sich aber aufgrund zunehmend langanhaltender, milderer Temperaturen im SpĂ€therbst, da somit vielerorts die Badesaison bis in den spĂ€ten Oktober verlĂ€ngert wird. Die Überschneidung von Badesaison und Risikozeitraum fĂŒr eine OberflĂ€chenfilmbildung vergrössert die Gefahr fĂŒr direkte Kontakte mit dem Toxin erheblich.
Ein weiteres Risiko bergen hĂ€ufiger auftretende und intensiver werdende HerbststĂŒrme. Treten diese bereits Anfang September auf, wenn P. rubescens normalerweise noch immer im Metalimnion eingeschichtet ist, kann es zu unerwartet auftretenden OberflĂ€chenfilmen kommen, wie im ZĂŒrichsee im September 2020 beobachtet werden konnte. Mit sinkenden Wassertemperaturen und grösserer Durchmischungstiefe im Winter, wird P. rubescens erneut in die Tiefe gedrĂŒckt.

Überwachung

FĂŒr eine genaue Charakterisierung der saisonalen Dynamik von P. rubescens sind hochauflösende Messprofile mit in-situ-Sonden nötig. Messdaten in einer Auflösung von 1-Meter-Schritten oder kleiner sind die Voraussetzung, um die vertikale Verteilung zu dokumentieren. WĂ€hrend stabiler thermischer Schichtungsphasen befindet sich das Maximum von P. rubescens im Metalimnion und das Populationsmaximum ist teilweise nur in einer 0,5 bis 1 Meter breiten Tiefenschicht ausgebildet [21]. Bei Beprobungen von fixen Standardtiefen mit grossen ZwischenabstĂ€nden kann dementsprechend eine Massenentwicklung komplett ĂŒbersehen werden.

Hochaufösende Chlorophyll a und Temperaturanstieg

FĂŒr hochauflösende Messungen von Chlorophyllkonzentrationen in der WassersĂ€ule wird ein in-situ-Spektrofluorometer verwendet. GerĂ€te wie z. B. die Fluoro Probe von bbe (Moldaenke, D) können anhand spezifischer Fluoreszenzmuster (optischer Fingerprints) der unterschiedlichen Algenklassen das Gesamtchlorophyll a den einzelnen Klassen zuteilen und sie so quantifizieren. Es empfiehlt sich, den standardmĂ€ssig gespeicherten Fingerprints fĂŒr GrĂŒnalgen, Blaualgen, Kieselalgen und Schlundalgen (Kryptomonaden) eine zusĂ€tzliche spezifische Eichung fĂŒr P. rubescens hinzuzufĂŒgen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das Fluoreszenzmuster von P. rubescens ansonsten zu einer Falscheinteilung zu den Kryptomonaden fĂŒhren kann. Aber auch ohne spezielle Eichung sind Gesamtchlorophyll-a-Messungen hilfreich fĂŒr die Erkennung potenzieller P. rubescens-BlĂŒten. Ist wĂ€hrend der Schichtungsphase ein tief liegendes Chlorophyll-a-Maximum im Metalimnion erkennbar, kann dies bereits ein wichtiger Hinweis sein.
Um das Metalimnion mit seinen stark abfallenden Temperaturgradienten detailreich wiedergeben zu können, sind ebenfalls hochauflösende Messdaten unentbehrlich. DafĂŒr geeignete Messin­strumente sind Multiparametersonden. Neben der Temperatur werden gleichzeitig weitere wichtige limnologische Parameter wie Sauerstoffkonzentration und SĂ€ttigung, TrĂŒbung und LeitfĂ€higkeit gemessen. Vor allem hochauflösende Daten zu Temperatur und Sauerstoff sind nötig, um die StĂ€rke der Durchmischung abzuschĂ€tzen. Zahlreiche Multiparametersonden können zusĂ€tzlich mit einem Sensor fĂŒr die Messung von Phycoerythrin, einem fĂŒr Cyanobakterien typischen Pigment, ausgestattet werden. Auch damit ist es möglich, die Konzentration und Verteilung von P. rubescens zu messen.

Unterwasser-Lichtklima

Um die Tiefen der relevanten LichtintensitĂ€ten fĂŒr P. rubescens zu bestimmen, werden Unterwasser-Lichtquantensensoren (z. B. von LI-COR, D) verwendet. Mit diesen misst man idealerweise in 1-Meter-Intervallen die photosynthetisch aktive Strahlung (Bereich: 400 bis 700 Nanometer) in der Einheit ÎŒmol m–2 s–1 (also die Menge von Photonen, die pro FlĂ€che und Zeiteinheit zur VerfĂŒgung steht). Eine logarithmische Auftragung der erhaltenen Werte vereinfacht die Interpretation der Profile deutlich. Ist ein ausgeprĂ€gter «Knick im Lichtprofil» im Bereich des Metalimnions erkennbar, kann dies ein deutliches Anzeichen fĂŒr eine P.-rubescens-BlĂŒte sein. Anschliessend sind mikroskopische Analysen nötig, um den Verdacht zu bestĂ€tigen oder zu verwerfen.
FĂŒr P. rubescens gibt es drei entscheidende LichtintensitĂ€ten, die ihr Wachstum sowie ihre Positionierung in der WassersĂ€ule beeinflussen. Im ZĂŒrichsee liegt die geringste relevante LichtintensitĂ€t bei 0,8 Όmol m–2 s–1. Bei dieser sehr geringen IntensitĂ€t ist lichtabhĂ€ngige Fotosynthese nicht mehr möglich, aber die Aufnahme von AminosĂ€uren wird stimuliert, um ein minimales Wachstum zu erreichen [17]. Die Filamente beginnen nun, Gasvesikel zu bilden und Kohlenhy­drate abzubauen, wodurch sie in der WassersĂ€ule aufsteigen. Bei einer LichtintensitĂ€t von 6,5 Όmol m–2 s–1 ist ein Grossteil der Population in einem Schwebezustand [18]. Aufbau und Abbau von dichteren Zellkomponenten gleichen sich aus und die Filamente behalten ihre Position bei. WĂ€hrend der thermischen Schichtungsphase befindet sich der Grossteil der Population in einer Tiefe mit dieser LichtintensitĂ€t. Daher kann man schon anhand des Lichtprofils einschĂ€tzen, in welcher Tiefe sich P. rubescens gerade aufhĂ€lt. Die obere Populationsgrenze befindet sich bei einer IntensitĂ€t von 25 Όmol m–2 s–1. Hier können die Filamente so effektiv Kohlenhydrate und andere Zellkomponenten aufbauen, dass sie schwerer werden und absinken [15].
Die oben genannten relevanten Licht­intensitĂ€ten können zwischen einzelnen GewĂ€ssern und ihren P.-rubescens-Populationen leicht variieren. Sie liegen allerdings immer im Schwachlichtbereich und ĂŒberschneiden sich mit der Ausdehnung des Metalimnions [18]. Treten in einem GewĂ€sser starke vertikale Schwankungen der LichtintensitĂ€t innerhalb kurzer ZeitrĂ€ume auf, spricht dies gegen eine P.-rubescens-Besiedelung. Da sich das Cyanobakterium nur sehr gemĂ€chlich in der WassersĂ€ule bewegen kann, hĂ€tte es keine Möglichkeit, sich aktiv einzuschichten.

Mikroskopie und Genetik

Mikroskopisch ist P. rubescens relativ einfach zu erkennen. Die roten Filamente sind schon mit blossem Auge in Wasserproben zu erkennen und mit dem Lichtmikroskop eindeutig identifizierbar. Mit Fluoreszenzmikroskopie lassen sich P.-rubescens-Filamente schnell und effizient anhand der intensiven Eigenfluoreszenz ausmachen. Bei Wasserproben, die mit der brĂ€unlichen Lugol-Lösung (Kaliumjodid) fixiert wurden, kann es allerdings aufgrund der FarbverĂ€nderung zu Verwechslungen mit dem grĂŒnlich gefĂ€rbten Ökotypen Planktothrix agardhii kommen. Vom Erscheinungsbild her lassen sich die zwei Ökotypen fast nur durch die unterschiedliche FĂ€rbung auseinanderhalten. Grosse Unterschiede zeigen sich aber in der Physiologie. WĂ€hrend P. rubescens grösstenteils in tiefen, geschichteten GewĂ€ssern auftritt, toleriert P. agardhii auch höhere LichtintensitĂ€ten und besiedelt hauptsĂ€chlich flache GewĂ€sser [22]. Ausserdem bestehen rot pigmentierte Planktothrix-Populationen in der Regel ĂŒberwiegend aus Toxin produzierenden StĂ€mmen, wĂ€hrend ein grosser Teil der grĂŒn pigmentierten Ökotypen keine Giftstoffe bilden kann. Auch genetisch Ă€hneln sich die zwei Ökotypen sehr, wodurch es erschwert wird, die beiden Arten bei Gesamtgenomanalysen von GewĂ€ssern zu differenzieren. FĂŒr zielgerichtete genetische Methoden, wie z. B. der quantitativen Echtzeit-PCR (qPCR), stehen mittlerweile zahlreiche publizierte Anleitungen zur VerfĂŒgung (z. B. [23]). Diese Methoden erlauben nicht nur die Unterscheidung der zwei Ökotypen, sondern auch die Beurteilung, ob tatsĂ€chlich potenziell Giftstoff produzierende StĂ€mme vorhanden sind.

Schlussbemerkung fĂŒr die Praxis

In typischen Planktothrix-belasteten GewĂ€ssern, in denen das Cyanobakterium seit vielen Jahren und in hohen Konzentrationen auftritt, ist ĂŒblicherweise das saisonale Wachstumsmuster bekannt. Dieses sich jĂ€hrlich wiederholende Muster erlaubt es, einzuschĂ€tzen, in welchen ZeitrĂ€umen ein Risiko fĂŒr die Nutzung des GewĂ€ssers besteht. Ausserdem verfĂŒgen Wasserversorgungsanlagen, welche Rohwasser aus solch belasteten Seen beziehen, ĂŒber die nötigen zusĂ€tzlichen Ozonierungsstufen. Jedoch können anhaltende klimatische VerĂ€nderungen und ihre Effekte auf GewĂ€sser in Abweichungen der bekannten Wachstumsmuster resultieren. Dies wiederum kann zu unerwarteten PhĂ€nomenen wie dem Zusammenbruch einer Population oder OberflĂ€chenfilmbildungen fĂŒhren. Zudem kommt es immer wieder zu plötzlichem Massenauftreten von P. rubescens in bisher unbelasteten GewĂ€ssern. Dies fĂŒhrt zu neuen Problemen im Management der GewĂ€sser und stellt AnsprĂŒche an die Behörden, auf die verĂ€nderte Situation zu reagieren. Als eindrucksvolles Beispiel sei hier der Bodensee erwĂ€hnt, in welchem es 2016 zu einem bis dato einmaligen Massenauftreten von P. rubescens kam. Die HintergrĂŒnde fĂŒr dieses plötzliche Auftreten und ob sich P. rubescens in Zukunft permanent im Bodensee etablieren kann, wird derzeit im Forschungsprojekt «Seewandel: Leben im Bodensee – gestern, heute und morgen» genauer untersucht.

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Weder Burgunder noch Alge 

Die Schlacht bei Murten im Jahr 1476, bei der sich Truppen der Eidgenossenschaft und des burgundischen Herzogs Karl des KĂŒhnen bekriegten, trug wesentlich zur Namensgebung des Cyanobakteriums bei. Die Truppen der Eidgenossenschaft trieben viele Soldaten der Burgunder in den Murtensee, wo die meisten klĂ€glich ertranken.
Noch im 19. Jahrhundert erinnerten sich die Bewohner am Murtensee an die Schlacht. Denn als sich das Wasser 1825 wegen eines Massenvorkommens des Cyanobakteriums rot fĂ€rbte, glaubten sie, das Blut der verstorbenen Burgunder komme wieder an die OberflĂ€che. So entstanden der Trivialname Burgunderblutalge sowie der erste beschriebene Nachweis fĂŒr ein Massenvorkommen des Cyanobakteriums. Der Name ist aber nicht nur bezĂŒglich des Burgunderblutes irrefĂŒhrend, denn es handelt sich auch nicht um eine Alge, sondern um ein Cyanobakterium. Im Gegensatz zu Algen besitzen Cyanobakterien keinen Zellkern, d. h. ihre DNS ist nicht von einer Zellmembran umgeben, sondern frei in der Zelle. Beide Organismen-Gruppen enthalten unter anderem Chlorophyll a und können Photosynthese betreiben, um Energie zu produzieren.

Dank

Wir bedanken uns herzlich bei der UniversitĂ€t ZĂŒrich, beim Amt fĂŒr Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) des Kantons ZĂŒrich und beim Bundesamt fĂŒr Umwelt (BAFU), Sektion WasserqualitĂ€t, fĂŒr die UnterstĂŒtzung. Ein besonderer Dank geht an unsere KapitĂ€ne und Mitarbeiter, Eugen Loher, Daniel Marty und Barbara Bassin, fĂŒr die jahrelange Hilfe bei den Probenahmen. Diese Studie erhielt UnterstĂŒtzung durch das Forschungsprojekt «SeeWandel: Leben im Bodensee – gestern, heute und morgen» im Rahmen des Interreg-V-Programms «Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein (Deutschland/Österreich/Schweiz/Liechtenstein)» welches Mittel aus dem EuropĂ€ischen Fonds fĂŒr regionale Entwicklung erhĂ€lt sowie Fördergelder vom Schweizer Bund und von den Kantonen. Es bestand keine aktive Mitwirkung seitens der Geldgeber bei der Entwicklung des Studiendesigns, der Datenerfassung und -analyse, der Entscheidung zur Veröffentlichung oder bei der Erstellung des Manuskriptes. Die Forschungsarbeiten wurden zudem vom Schweizer Nationalfonds (Projekt 31003A_182489) unterstĂŒtzt.

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