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Fachartikel
08. Januar 2024

ARA: Nitrit-Akkumulation

Wie kann der Nitrit-Richtwert eingehalten werden?

Nitrit ist eine ökotoxikologisch problematische Substanz und führt auf Kläranlagen zur Bildung von klimaschädlichem Lachgas. Auf nitrifizierenden Belebtschlammanlagen kann Nitrit saisonal akkumulieren und erhöhte Ablaufwerte treten auf. Hier diskutieren wir die Häufigkeit von Überschreitungen des Nitrit-Richtwerts auf Schweizer ARA und schlagen Gegenmassnahmen vor.
 , Robert Niederdorfer, Pravin  Ganesanandamoorthy, Helmut Bürgmann , Eberhard Morgenroth, Adriano Joss, 

Auf Abwasserreinigungsanlagen (ARA) wird Nitrit (NO2–) beim biologischen Stickstoffabbau als Zwischenprodukt in der Nitrifikation und Denitrifikation biologisch gebildet und im Normalfall auch weitgehend biologisch abgebaut. Teilweise akkumuliert Nitrit jedoch, typischerweise während der Nitrifikation, und gelangt so in Folgeprozesse und in den Ablauf von ARA. Gemäss neuesten Abschätzungen wird der Nitrit-Richtwert (0,3 mg NO2–-N/l) auf 50–80% der ARA in der Schweiz regelmässig überschritten [1].

Auswirkungen von Nitrit

Nitrit ist für viele Organismen toxisch und weist eine starke Reaktivität mit Metallen und organischen Stoffen auf [2]. Nitrit- Akkumulation kann sich negativ auf die Ablaufqualität, die Treibhausgasbilanz und den Energieverbrauch von ARA auswirken [3]. Nitrit erhöht die Ökotoxizität im ARA-Ablauf sowohl aufgrund akut-toxischer Effekte sowie der mutagenen Wirkung von Nitriten und Nitrosaminen [2]. Es hat akute Effekte auf die Atmung von Vertebraten (Wirbeltieren) und insbesondere Wasserlebewesen, wie Fischen. Mutagene (krebserregende) Effekte treten bei der Reaktion von Nitrit mit organischen Stoffen und durch die direkte Reaktion mit der DNA von Organismen auf [4]. Bei einer Ozonung als vierter Reinigungsstufe steigt bei Nitrit-Akkumulation die Mutagenität im Ablauf zusätzlich. Zudem kommt es zu einer deutlichen Erhöhung des Ozon- und Energieverbrauchs in der Ozonierung [5]. In biologischen Reinigungsstufen führt die Nitrit-Akkumulation zur Bildung von klimaschädlichem Lachgas (N2O) [6], das oftmals die Treibhausgasbilanz einer ARA dominiert [7]. Aufgrund der toxischen Wirkung von Nitrit auf gewisse Mikroorganismen wurden zudem negative Effekte auf beispielsweise Schlammabsetzeigenschaften beobachtet. Trotz all dieser negativen Auswirkungen existiert in der aktuell gültigen Gewässerschutzverordnung (SR 814.201, 1998) lediglich ein Richtwert (0,3 NO2–-N/l) und kein Grenzwert für Nitrit. Dies hängt mit dem Fehlen einer zuverlässigen Laboranalysemethode für Nitrit auf ARA zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung (1998) zusammen. Obwohl heute zuverlässige Schnelltests zur Verfügung stehen, werden Nitrit-Konzentrationen im Ablauf von ARA aufgrund der Freiwilligkeit schweizweit nicht systematisch erfasst. Im Zuge der aktuellen Revision der Gewässerschutzverordnung stellt sich die Frage, ob der heutige Nitrit-Richtwert noch zeitgemäss bzw. verfahrenstechnisch umsetzbar ist, da die Ursachen für die Nitrit Akkumulation teilweise unklar sind.

Nitrit-Akkumulation auf ARA

Nitrit-Akkumulation tritt typischerweise bei einer verminderten Abbauleistung von Nitrit-oxidierenden Bakterien (NOB) auf, insbesondere im Vergleich mit der Abbauleistung von Ammonium (NH4+)-oxidierenden Bakterien (AOB). Während die gezielte Nitrit-Akkumulation für die Anwendung in Anammox-Systemen gut untersucht wurde [8], existieren vergleichsweise wenige Studien zur ungewollten Nitrit-Akkumulation in Belebtschlammsystemen mit Nitrifikation und Denitrifikation. Gemäss Studien der Eawag und weiterer Forschungsgruppen sind auf nicht ganzjährig nitrifizierenden ARA tiefe Temperaturen in Verbindung mit einem zu tiefen Schlammalter ursächlich für eine unkontrollierte Nitrifikation mit Nitrit-Akkumulation [9]. Bei ganzjährig nitrifizierenden Anlagen ist die Populationsdynamik von NOB möglicherweise ursächlich für erhöhte Nitrit- Ablaufwerte. So wurde auf einer Anlage (ARA Uster) ein kausaler Zusammenhang zwischen saisonalen mikrobiologischen Veränderungen in der NOB-Population und Nitrit-Akkumulation beobachtet [3]. Die typischerweise häufigste NOB-Spezies (Nitrospira) wurde aufgrund unbekannter Faktoren nach einer Phase mit hohen Nitrit-Ablaufwerten durch eine NOB-Spezies mit Wachstumsvorteil bei tiefen Temperaturen (Ca. Nitrotoga) ersetzt. Gegenwärtig fehlt jedoch eine systematische Analyse zur Häufigkeit von NOB-Populationswechseln sowie eine Diskussion der Ursachen und angepasster Massnahmen, um der Nitrit-Akkumulation entgegenzuwirken.

Das Projekt Nitripop und seine Ziele

Daher wurde im Forschungsprojekt Nitripop die Nitrit-Akkumulation auf ganzjährig nitrifizierenden ARA mit Belebtschlamm untersucht. Dazu wurden die Nitrit-Dynamik und mikrobiologische Zusammensetzungen auf 9 ARA erhoben und um Laborversuche sowie Modellierungsstudien ergänzt. Die vorliegende Publikation fasst die Ergebnisse des Nitripop-Projekts zusammen.

Anlagenauswahl & Methoden

Bei der Auswahl der ARA wurde auf nitrifizierende und denitrifizierende Belebtschlammanlagen in verschiedenen Prozesskonfigurationen – konventionell, alternierend beschickt und intermittierend belüftet (A/I), Sequencing Batch Reactor (SBR) – mit regelmässiger (alle 5 Tage) Nitrit-Messung fokussiert. Zudem wurden ARA mit zeitweisen Nitrit Überschreitungen priorisiert. Die abschliessende Auswahl wurde anhand der Anlagen aus einem früheren Eawag-Projekt (N2Oara; [7]) sowie basierend auf Expertengesprächen mit Reto Manser, Remo Freimann und Thomas Hug getroffen. Die wichtigsten Charakteristiken der ausgewählten ARA sind in Tabelle 1 zusammengefast. Auf diesen wurden die Proben zur Bestimmung der Nitrit- und Ammonium-Konzentrationen im Ablauf der biologischen Reinigungsstufen genommen. In einigen Fällen entsprechen die so ermittelten Werte wegen Abbauprozessen in Sandfiltrationsstufen nicht den Ablaufwerten der ARA. Für die Konzentrationsbestimmung wurden entweder fotometrische oder chromatografische Messverfahren eingesetzt. Soweit möglich, wurden durchgehende Datenreihen von 2017 bis Mitte 2023 verwendet. Schlammproben für mikrobiologische Analysen wurden wöchentlich aus den Belebtschlammbecken gezogen und bei –20 °C bis zur weiteren Verwendung zwischengelagert. Nach Extraktion wurde die DNA für die Analyse der mikrobiellen Artengemeinschaft mit 16S rRNA-Gen-Sequenzierung an die Firma Novogene verschickt. Die Proben des Klärwerks Werdhölzli wurden durch die Firma DNAsense mit der gleichen Methode analysiert. Die Sequenzdaten wurden mit der kläranlagenspezifischen Sequenzdatenbank Midas abgeglichen, die Informationen über die Funktionen der Mikroorganismen bereitstellt [10]. Laborversuche zu möglichen Auslösern der Nitrit-Akkumulation (Temperatursturz, erhöhte Kochsalzkonzentrationen im Zulauf von ARA) wurden an der Eawag in 12-l-Reaktoren durchgeführt. Die grundlegenden Daten der Nitripop-Studie sowie Auswertungen sind im digitalen Anhang (SI) unter folgendem Link zu finden: https://doi.org/10.25678/000AN8

 

Tab. 1 Ăśbersicht der ARA, die im Rahmen des Nitripop-Projekts untersucht wurden.

 

Resultate & Diskussion

Ăśberschreitungen und saisonale Dynamik

Insgesamt wurden 8096 Nitrit-Ablaufwerte aus 11 biologischen Reinigungsstufen von 9 Kläranlagen analysiert. Der Median aller Proben betrug 0,05 mg NO2–-N/l mit einer Standardabweichung von 1,7 mg NO2-N/l, was die starke Variation der Ablaufwerte der biologischen Reinigungsstufe widerspiegelt (vgl. Fig. 1). Nitrit-Überschreitungen traten auf allen 9 Anlagen auf (1,8% bis 51,2% der Proben je ARA). Über die gesamte Probenahmedauer lag eine Reinigungsstufe (Richterswil_1) im Mittel (Median) beim gesetzlichen Richtwert, alle anderen darunter. Auf 4 der 11 beprobten biologischen Reinigungsstufen wurde der Richtwert bei 90% oder mehr der Messungen eingehalten (90%-Perzentil, Fig. 1) und somit die gesetzliche Vorgabe erfüllt. Im Ablauf der ARA mit Sandfiltration wurde der Nitrit-Richtwert in allen Fällen eingehalten, da Sandfilterstufen die Nitrit-Konzentrationen aus der Biologie weiter reduzieren. Die Richtwertüberschreitungen fanden meist nur während weniger Wochen pro Jahr statt. Auffällig war eine reproduzierbare Jahresdynamik mit Spitzenwerten und Überschreitungen im ersten Quartal (siehe Beispiel in Fig. 2). Dabei unterschieden unterschieden sich die Spitzenwerte und die Anzahl Grenzwertüberschreitungen von Jahr zu Jahr stark. Die Jahresdynamik konnte auf allen ARA in gewissen Jahren und auf 6 von 9 Anlagen in jedem Jahr beobachtet werden. Entsprechend trat eine ausgeprägte Nitrit-Dynamik auch bei ARA auf, die den Grenzwert in der biologischen Reinigung einhielten. Die ausgeprägte Dynamik unterstreicht, dass eine regelmässige Beprobung notwendig ist, um eine ausreichende Erfolgskontrolle zu gewährleisten, insbesondere wenn kein Sandfilter implementiert ist. Zudem weist der saisonale Konzentrationsverlauf grosse Ähnlichkeiten mit der beobachteten saisonalen Dynamik der N2O-Emissionen aus biologischen Reinigungsstufen auf. Aus diesem Grund ist die Nitrit-Dynamik in der biologischen Reinigung auch bei eingehaltenem Richtwert im Ablauf der Anlage relevant und sollte wöchentlich beprobt werden. Im Gegensatz zu Nitrit wies Ammonium im Ablauf der Biologie der untersuchten ARA keine ausgeprägte Jahresdynamik auf und korrelierte weder im Median noch bei den 90%-Perzentilen mit Nitrit (siehe SI). Daher lässt die Einhaltung des Ammonium-Grenzwerts auf den untersuchten ARA keine Aussage bzgl. der Einhaltung des Nitrit-Richtwerts zu. Entsprechend wird angenommen, dass kein direkter kausaler Zusammenhang zwischen erhöhten Ammonium- und Nitrit-Ablaufwerten aus biologischen Reinigungsstufen auf ganzjährig nitrifizierenden Anlagen besteht. Im Vergleich dazu ist auf ARA mit C-Elimination und instabiler Nitrifikation ein solcher Zusammenhang klar gegeben. Bei diesen kann sowohl der Ammonium-Grenzwert als auch der Nitrit-Richtwert in erster Linie wegen eines saisonal zu knappen Schlammalters nicht eingehalten werden.

Mikrobiologische Dynamik und mögliche Ursachen

Zur Untersuchung der mikrobiologischen Dynamik wurden 1008 DNA-Proben aus 9 ARA analysiert. Für 8 Anlagen waren Daten über 1,5 Jahre (2022 bis Mitte 2023) verfügbar. Für die ARA Werdhölzli konnte auf mikrobiologische Daten aus 2,5 Jahren zurückgegriffen werden. Aufgrund der geringen Häufigkeit von Nitrit-Überschreitungen im Ablauf der biologischen Reinigungsstufen der 9 ARA während des Untersuchungszeitraums in den Jahren 2022 und 2023 war der Zeitrahmen eher ungünstig, um den Einfluss der mikrobiologischen Zusammensetzung auf die Nitrit-Akkumulation zu untersuchen. Dennoch konnten reproduzierbare Trends in der NOB-Population im Zusammenhang mit Nitrit-Akkumulation beobachtet werden Auf 3 von 9 ARA kam es zu einem zeitweisen Wechsel der dominierenden NOBSpezies zwischen Nitrospira und Nitrotoga mit einer reproduzierbaren Dynamik im Beobachtungszeitraum. Typischerweise stieg das Vorkommen von Nitrotoga zwischen Januar und März an. Zwischen Mai und Juni kam es wiederum zu einem Wechsel und somit zur Dominanz von Nitrospira (vgl. Fig. 3). Ein Wechsel der Population muss jedoch nicht in jedem Jahr oder auf jeder Anlage zwingend auftreten.
Auf der ARA Uster beispielsweise war Nitrospira über die gesamte Messperiode dieser Studie dominant, und im Gegensatz zum Jahr 2018 konnte Nitrotoga nicht gefunden werden. Eine Nitrit-Akkumulation in der biologischen Reinigung trat typischerweise vor einem Populationswechsel in der NOB-Population auf (Fig. 4). Dabei folgte dem Anstieg der Nitritkonzentration ein Einbruch der Nitrospira-Population. Die Nitrotoga-Population etablierte sich im Anschluss und parallel dazu sank die Nitritkonzentration. Daher ist der Populationswechsel wahrscheinlich eine Folge der geringeren Abbauleistung von Nitrospira bzw. eine Störung in der Nitrospira-Population. Auch während oder nach einem starken Rückgang von Nitrotoga konnten leichte Tendenzen zur Nitrit-Akkumulation beobachtet werden (siehe Fig. 3). Da diese aber eher in die Phasen wärmerer Temperaturen und höherer Abbauleistung fallen, sind die Effekte weniger gravierend. Der Anstieg in der Population des Konkurrenten erfolgt erst nach dem Einbruch der gerade dominanten Population. Nitrospira wird folglich nicht direkt durch Nitrotoga auskonkurrenziert, sondern Letztere profitiert von der Schwächung der Nitrospira-Population durch andere Faktoren. Zum gleichen Resultat kommt auch ein kinetisches Modell zu NOB, in dem die unterschiedlichen Temperaturabhängigkeiten der Wachstumsgeschwindigkeiten von Nitrotoga und Nitrospira bei tiefen Temperaturen in keinem Fall zu einer Nitrit- Akkumulation führten. Offenbar liegen die Gründe für den Einbruch von Nitrospira eher bei externen dynamischen Störfaktoren (z. B. Temperatur, Zulaufmenge, Nährstofffrachten) im Zulauf sowie in der Betriebsweise der biologischen Reinigung. Demnach scheinen also Nitrit- Akkumulationen mit Stresssituationen der dominanten NOB-Populationen (meist Nitrospira) im Zusammenhang zu stehen, was zu vorübergehenden Problemen bei der Nitrit-Oxidation und einem Vorteil für den jeweiligen Konkurrenten führt. Als mögliche Auslöser für Nitrit-Akkumulation im Ablauf werden in der Praxis oftmals Regenereignisse in Verbindung mit tiefen Temperaturen oder Schnee und der Anwendung von Kochsalz (NaCl) auf Strassen diskutiert. Tatsächlich können Regenereignisse im Winter zu starken Temperaturabfällen von mehreren Grad Celsius innerhalb eines Tages führen. Ein gleichzeitiges Auftreten von erhöhten Nitritkonzentrationen und erhöhten Abflussmengen bei tiefen Temperaturen konnte auf mehreren, hier untersuchten Anlagen beobachtet werden (vgl. Fig. 5). Allerdings trifft dies nur auf einzelne kalte Regenereignisse zu und es besteht keine Korrelation zwischen den Abflussmengen oder der Abwassertemperatur und den täglichen Nitrit-Ablaufkonzentrationen. Für die Leistungsreduktion und den potenziellen Verlust von Nitrospira während Regenereignissen mit starker Temperaturabnahme, bei denen möglicherweise auch höhere Salzgehalte vorliegen, können drei Faktoren ursächlich sein:

  • Die Wachstumsgeschwindigkeit von Nitrospira fällt bei tiefen Temperaturen im Vergleich zu beispielsweise AOB oder Nitrotoga stärker ab [11]. Hierbei sind zeitliche Skalen relevant, da Organismen unterschiedlich auf einen starken Temperaturabfall innerhalb weniger Stunden gegenĂĽber einer sukzessiven saisonalen Veränderung der Temperatur reagieren.
  • Die hydraulische Belastung fĂĽhrt zu einer zeitlichen (in SBR-Systemen) oder räumlichen (in Pfropfenstromreaktoren) Verzögerung bzw. Verschiebung der Nitrit- Oxidation, insbesondere da NOB abhängig von der Aktivität der AOB sind. Hinsichtlich der Verschiebung respektive Verzögerung der Nitrit- Oxidation im biologischen Prozess sind vor allem dynamisch geregelte Prozesse komplex, da bei einer Regelung der BelĂĽftung anhand der Ammonium-Konzentrationen eine Nitrit-Akkumulation unbemerkt induziert werden kann [12]. Ausserdem kann eine Erhöhung des Denitrifikationsvolumens ohne Ăśberwachung von Nitrit diesen Prozess unterstĂĽtzen. Dies konnte auf der ARA Reinach nachvollzogen werden, wo eine durchgehende anoxische Zone zu tieferen Nitrat-, aber höheren Nitrit-Ablaufwerten fĂĽhrte (vgl. SI).
  • Eine erhöhte Salzkonzentration fĂĽhrt aufgrund des Austauschs von divalenten Kationen durch monovalente Na+- Kationen im Schlamm zu einem Zerfall der Schlammflocken und somit zu einem Anstieg der TrĂĽbung im Ablauf [13]. Dies kann bei knappem Schlammalter zu Nitrit-Akkumulation fĂĽhren.

 

Für eine Überschreitung des Richtwerts müssen typischerweise nur wenige Prozent der N-Fracht im Zulauf als Nitrit akkumulieren. Deshalb ist es plausibel, dass bereits eine geringfügige Störung der Aktivität oder eine Verlagerung des Schlamms ins Nachklärbecken (siehe Fig. 5) zu Nitrit-Akkumulation führen kann. In Batch-Versuchen im 12-l-Massstab konnte gezeigt werden, dass eine Temperaturabnahme um mehrere Grad und eine erhöhte Salzkonzentration, insbesondere in Kombination, den Nitrit- Abbau verlangsamen. Beide Faktoren kommen aber nicht als alleiniger Grund für den Nitrospira-Verlust bzw. die Nitrit- Akkumulation infrage, da es bei AOB ebenfalls zu einer Leistungsabnahme kommt. Bei Regenwetter findet die Nitrifikation später im Prozess statt und bei reduzierter NOB-Leistung kann die Oxidation von Nitrit möglicherweise nicht vollständig abgeschlossen werden. Somit ist Nitrospira unter winterlichen Bedingungen mit Regenwetter das schwächste Glied in der Nitrifikation. Diese Hypothese wird unterstützt durch mikrobiologische Messungen auf einem Hybridwirbelbettsystem (vgl. SI), wo es zwar im Schlamm, aber nicht auf dem Trägermaterial Trägermaterial zu einem Populationswechsel von Nitrospira zu Nitrotoga kommt. Während sich Nitrosomonas (AOB) ganzjährig im Schlamm halten kann, findet sich Nitrospira ganzjährig in hohen Abundanzen nur auf dem Trägermaterial, wo sich langsam wachsende Bakterien etablieren können. In einem Granulärschlammsystem (inDENSE®-Verfahren) wurden in den Granulen ebenfalls hohe Abundanzen an Nitrospira gefunden. Der Verlust von Nitrospira ist jedoch nicht in jedem Fall an winterliche Bedingungen gebunden. Auf der ARA Uster trat Nitrit- Akkumulation typischerweise zwischen März und Mai auf, als die Abwassertemperaturen bereits wieder anstiegen. Parallel dazu wurde ein Zerfall des Belebtschlamms mit erhöhten Trübungswerten im Ablauf beobachtet. In jedem Fall geht bei steigenden Nitrit- Konzentrationen eine ökologische Nische für Nitrotoga auf. Nitrotoga hat im Vergleich zu Nitrospira eine tiefere Affinität für Nitrit und wächst erst bei erhöhten Nitrit- Konzentrationen, dafür aber bereits bei tieferen Temperaturen mit maximaler Rate. Bei sehr ausgeprägter Nitrit-Akkumulation (10 mg NO2–-N/l) kommt es zusätzlich zu einer Hemmung von Nitrospira durch salpeterige Säure (HNO2). Dabei ist zu beachten, dass Nitrit-Konzentrationen in Belebtschlammflocken oder Biofilmen aufgrund der lokalen Produktion und gleichzeitiger Diffusionslimitierung lokal substanziell über den gemessenen Konzentrationen in der umgebenden Flüssigkeit liegen können [14]. Eine Hemmung spielt jedoch vermutlich nur bei starker Nitrit-Akkumulation eine Rolle und erfordert letztlich einen Austausch der Biomasse. Dies konnte 2018 und 2019 auf der ARA Uster beobachtet werden.

Gegenmassnahmen

Obwohl die Gründe für die Nitrit-Akkumulation im Nitripop-Projekt nicht gänzlich geklärt werden konnten, können dennoch Massnahmen zur Verhinderung von Nitrit-Akkumulation im Ablauf von ARA empfohlen werden. Die Massnahmen lassen sich dabei in drei Kategorien einteilen:

  1. Erhöhung des Schlammrückhalts sowie des aeroben Schlammalters
  2. Dynamische Regelung der Nitrifikation inkl. Nitrit-Messung
  3. Sandfiltration
Erhöhung Schlammrückhalt und -alter

Während auf C-eliminierenden Anlagen eine substanzielle Erhöhung des aeroben Schlammalters in Verbindung mit einem Ausbau erforderlich ist, um eine stabile Nitrifikation zu erhalten, ist auf ganzjährig nitrifizierenden Anlangen eher eine Verbesserung des Schlammrückhalts zielführend. Dazu reichte im Beispiel der ARA Uster die Dosierung von Flockungshilfsmitteln (ab 2021), was zu einer deutlich weniger ausgeprägten Nitrit- Akkumulation führte, wie aus Figur 6 hervorgeht. Eine ganzjährig stabile Nitrospira-Population wurde auf diese Weise erreicht. Ab 2021 wurden zudem keine erhöhten Trübungswerte im Ablauf beobachtet. Obwohl kein selektiver Verlust von NOB über den feinsuspendierten Anteil im Ablauf festgestellt werden konnte, erwies sich der verbesserte Schlammrückhalt dennoch als nützlich, um genügend NOB im System zu halten. Die Dosierung der Flockungshilfsmittel führte zusätzlich zu einer kürzeren Sedimentationsphase im SBR-Zyklus, was längere Reaktionsphasen ermöglichte. Somit konnten Reserven für die Nitrifikation geschaffen werden. Generell sind grössere Reserven beim aeroben Schlammalter und bei den Beckenvolumen nützlich, um den Nitrit-Richtwert auf ganzjährig nitrifizierenden ARA einzuhalten, da so Nitrospira eher im System gehalten werden kann (vgl. Nitrospira im Hybridwirbelbett und in granulärem Schlamm).

Dynamische Regelung

Der positive Effekt einer längeren Reaktionszeit auf den Nitritabbau unterstreicht die Wichtigkeit eines ausreichenden aeroben Schlammalters in der Nitrifikation. Die Nitrit Oxidation wird aufgrund der Prozessabfolge frühestens gleichzeitig mit der Ammonium-Oxidation abgeschlossen. Bei zu kurzen Belüftungsphasen oder zu tiefem aerobem Schlammalter kann NH4+ abgebaut werden, während Nitrit akkumuliert. Das gleichzeitige Auftreten von Nitrit-Akkumulation und verkürzten Reaktionsphasen durch erhöhte Zulaufmengen unterstreicht die Relevanz von ausreichend langen Belüftungsphasen. Im Falle von Regen als Auslöser für zu kurze Belüftungsphasen können mithilfe von Wetterprognosen Vorsorgemassnahmen getroffen werden [12]. In bestehenden Infrastrukturen ist die Aufteilung zwischen anoxischem und  aerobem Volumen zu optimieren. Um bei Nitrit optimiertem Betrieb ausreichende Stickstoffabbauraten und tiefe Lachgasemissionen zu erzielen, empfiehlt sich die Implementierung eines dynamischen Regelungskonzepts gemäss LUIW [15]. Dabei wird das anoxische Volumen an die momentanen Fracht im Zulauf und an die momentane Anlagenleistung angepasst. Daher sind Online-Nitrit-Messungen in dynamisch geregelten Systemen, wie beispielsweise SBR- oder A/I-Verfahren, essenziell. Die Messungen geben dabei wichtige Hinweise, wenn Belüftungszyklen zu kurz sind, um Nitrit vollständig abzubauen, und helfen so, Nitrit-Akkumlation frühzeitig zu erkennen. Online- Messverfahren für Nitrit sind jedoch mit Unsicherheiten behaftet und erfordern Testphasen vor dem Einbau. Zudem ist die Messstelle bei der Nitrit-Messung kritisch. Bei Pfropfenstromreaktoren kann der Standort der Nitrifikation im Reaktor in Abhängigkeit von der Temperatur und hydraulischen Belastung variieren. Entsprechend ist eine Messung am Ende des Beckens zu bevorzugen. Für die Entwicklung von Gegenmassnahmen würden systematische, längere Datenreihen der Nitrit- Konzentration in Zukunft ein besseres Verständnis ermöglichen. Als Alternative kann der Nitrat-Gradient als Annäherung für den kompletten Nitrit- Abbau verwendet werden [12].

Sandfiltration

Neben den Optimierungen in der biologischen Reinigung sind Sandfilter ein sehr probates Mittel, um die Nitrit-Werte im Ablauf einzuhalten. Bei den untersuchten Anlagen zeigt sich deutlich, dass ein Sandfilter die Nitrit-Werte um bis zu 0,5 mg NO2–-N/l absenken kann (vgl. Fig 7). Bei sehr hohen Nitrit-Ablaufwerten(> 5 mg NO2–-N/l) konnten Abbauraten von über 2 mg NO2–-N/l beobachtet werden. Generell ist jedoch zu beachten, dass es bei erhöhten Ammonium-Ablaufwerten auch zu einer Bildung von Nitrit im Sandfilter kommen kann. Aufgrund des zunehmenden Baus von Verfahren zur Elimination von Mikroverunreinigungen und des Baus von Sandfiltern ist dennoch insgesamt mit einer künftigen Reduktion der Nitrit-Ablaufwerte in entsprechend ausgebauten Anlagen zu rechnen.

Bedeutung fĂĽr den ARA-Ausbau

Bei den untersuchten Anlagen zeigt sich deutlich, dass eine Einhaltung des aktuellen Nitrit-Richtwerts (90%-Perzentil < 0,3 mg NO2–-N/l) unter Berücksichtigung der vorgeschlagenen Massnahmen (Erhöhung Schlammalter auf C-eliminierenden Anlagen, Optimierung Nitrifikation, Nitrit-Messung, Sandfilter) möglich ist. Hinderlich für die Umsetzung der verschiedenen Massnahmen sind aktuell aber die fehlenden gesetzlichen Anforderungen und die fehlende Messpflicht. Eine Umwandlung des Richtwerts in einen Grenzwert wäre daher prüfenswert. Eine Absenkung des Ammonium-Grenzwerts mit dem Zweck der Einhaltung des Nitrit-Richtwerts erachten wir als nicht zielführend. Ein tieferer Grenzwert als 0,3 mg NO2–-N/l ist mit dem aktuellen Prozessverständnis nicht flächendeckend umsetzbar. In Bezug auf die diskutierte Erhöhung der erforderlichen Stickstoffelimination kann es in einer bestehenden Anlage zu einem Optimierungsbedarf zwischen einem genügend hohen aeroben Volumen für den vollständigen Abbau von Nitrit durch NOB und einer Erhöhung des anoxischen Volumens kommen. In solchen Situationen kann eine dynamische Regelung der Biologie Abhilfe schaffen. Die erhöhten Anforderungen zur Elimination von Mikroverunreinigung bei verschiedenen Anlagentypen dürften sich positiv auf die Nitrit-Ablaufwerte auswirken, da diese Verfahrensstufen die Ablaufwerte senken. Dennoch darf die Nitrit-Dynamik in der biologischen Reinigung, vor allem wegen der starken Korrelation mit N2O und der Netto-Null-Ziele, nicht ausser Acht gelassen werden.

Schlussfolgerung

Die vorliegende Studie zeigt auf, dass Nitrit-Akkumulation auf nitrifizierenden Anlagen typischerweise im ersten Quartal des Jahres auftritt. Dabei kommt es zu verlängerten Phasen mit erhöhten Nitrit-Ablaufwerten. Die Ursachen für dieses Phänomen liegen vermutlich bei einer verminderten Abbauleistung des häufigsten NOB (Nitrospira) und einer zu kurzen Prozessdauer der Nitrifikation. Dabei können bereits geringfügige metabolische Störungen zu einer Akkumulation von Nitrit führen, da für eine Überschreitung lediglich ein Prozent des Stickstoffs in Form von Nitrit austreten muss. Um eine Nitrit-Akkumulation zu verhindern, empfiehlt es sich, Reserven beim Schlammrückhalt und beim belüfteten Volumen vorzusehen. Darüber hinaus können Sandfilter und Verfahren zum Abbau von Mikroverunreinigungen zur Reduktion von Nitrit-Werten im Ablauf beitragen. Um dennoch ausreichend Stickstoffabbauraten und tiefe Lachgasemissionen zu erzielen, empfiehlt sich die Implementierung einer dynamischen Regelung in der Biologie unter Berücksichtigung einer Online-Messung der Nitrit-Ablaufwerte.

Dank

Die Autoren danken den folgenden finanzierenden Projektpartnern: Bundesamt für Umwelt (BAFU), Kanton Bern (AWA), Kanton Basel- Landschaft (AIB), Kanton Zürich (AWEL), REAL Abwasser Luzern, Entsorgung St. Gallen, ARA Werdhölzli (ERZ) und ARA Junholz (Uster). Ein besonderer Dank geht an die Betreiber der teilnehmenden ARA: Birs (Birsfelden), Buholz (Emmen), Furt (Bülach), Hofen (Wittenbach), mittleres Emmental (Rüegsau), Richterswil (Richterswil), Thunersee (Uetendorf), Jungholz (Uster), Werdhölzli (Zürich). Zudem geht ein grosser Dank an Damian Dominguez (BAFU), Tobias Bührer (Kuster & Hager), Xingzhou Lyu (DTU/Eawag), Benjamin Vetsch (ETH/Eawag), Jörg Ringwald (ARA Jungholz), Manuela Kaufmann (Rittmeyer AG), Reto Pfendsack (ARA Reinach) und Roman Bieri (ARA Langmatt).

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