Die Verwendung von 3D-Modellen für die Anlagenplanung ist heute Standard. Auch Virtual Reality (VR) ist den meisten im Umfeld von Building Information Modeling (BIM) ein Begriff. Bis dato waren aber VR-Anwendungen eher umständlich zu nutzen. So musste vor Beginn einer VR-Session das Equipment vor Ort aufgebaut, die Sensoren kalibriert und diverse Kabelverbindungen erstellt werden. Zudem war ein leistungsfähiger Rechner notwendig, um eine akzeptable Performance beim Rundgang in der virtuellen Realität zu erreichen. Zusammen mit der VR-Brille beliefen sich die Kosten für die Hardware schnell auf mehrere Tausend Franken. In der Summe hat dies dazu geführt, dass VR mehrheitlich als Marketing-Gag eingesetzt wurde, der hauptsächlich zu PR-Zwecken an Messen zu erleben war. Eine regelmässige produktive Anwendung in realen Projekten war eine Seltenheit.
Eine Anfrage eines Kunden 2020 gab den Anstoss zur virtuellen Modellbegehung. Er fragte, ob das Modell seines Reservoirs im Internet publiziert werden könnte, damit alle Interessierten selbstständig einen individuellen virtuellen Rundgang durch das geplante Bauwerk machen könnten. Bei der Hegias AG in Zürich wurde eine innovative Lösung gefunden, die das Kundenbedürfnis mittels Cloud-Plattform erfüllen konnte.
Im Rahmen der Zusammenarbeit wurde rasch klar, dass die Lösung insbesondere durch ihre Konzeption für die Verwendung von VR Potenzial hat, um digitale Planung auf ein nächstes Level zu bringen. Bei Holinger entstand die Vision, künftig Projektbesprechungen nicht mehr nur an Modellen und daraus abgeleiteten Plänen zu machen, sondern die beteiligten Stakeholder direkt in das Modell eintauchen zu lassen und so das Raumgefühl des künftigen Bauwerks bereits 1:1 im Planungsprozess vermitteln und erleben zu können. Dadurch würde eine bessere Einbindung des Kunden in die Planung und eine vereinfachte Kommunikation möglich. Zudem würde man als Planer wertvolle Hinweise zu Positionierung von Aggregaten und Komponenten erhalten in Bezug auf spätere Bedienung und Betrieb der Anlage. Diese Rückmeldungen könnten zu einem frühen Zeitpunkt einfach in den laufenden Planungsprozess einfliessen und so die Qualität der Planung erhöhen.
Die anhaltende Pandemie und die damit verbundene zeitweise vollständige Umstellung auf Webmeetings haben gezeigt, dass Meetings nicht mehr zwingend vor Ort durchgeführt werden müssen. Dies hat Holinger in der Vision bestärkt, dass in einer nicht allzu fernen Zukunft Projektbesprechungen ortsunabhängig direkt mittels VR im 3D-Modell stattfinden könnten. So wie die persönliche Schutzausrüstung eines Mitarbeiters auf der Baustelle mit Helm und Sicherheitsschuhen selbstverständlich ist, könnte künftig eine VR-Brille zum persönlichen Arbeitsmittel eines jeden am Planungsprozess Beteiligten gehören.
Seit VR durch namhafte Internetkonzerne massiv gepusht wird, hat sich die benötigte Technologie sehr rasch weiterentwickelt. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass qualitativ hochwertige VR-Brillen bereits ab 400.– Franken im Consumer-Segment für jedermann erhältlich sind. Damit war der Weg von VR-Brillen als persönliches Standard-Arbeitsmittel geebnet.
Die gewählte Lösung von Hegias besticht durch ihre Einfachheit und Bedienerfreundlichkeit. Vom bestehenden nativen 3D-Modell im CAD wird durch den Planer eine IFC-Datei generiert. Diese wird in die Cloud geladen und anschliessend durch den Planer selbst aufbereitet. Dabei geht es hauptsächlich um die Zuweisung von Materialien zu den 3D-Objekten. Durch diese sogenannte Materialisierung entsteht die spätere realitätsnahe Darstellung der Objekte in der virtuellen Umgebung. Dies bedeutet einen gewissen Aufwand. Wurde bereits beim Modellieren im CAD auf eine saubere und einheitliche Materialzuweisung geachtet, so hält sich der Aufwand aber in Grenzen. Grundsätzlich könnte man auch ohne Materialisierung einen VR-Rundgang machen, allerdings ist dann der «Realitätseffekt» vermindert. Es lohnt sich durchaus, hier etwas Aufwand zu betreiben, auch wenn die Ansprüche an realistische Oberflächentexturen im Anlagenbau sicher tiefer sind als beispielsweise im Immobiliensektor, wo der Kunde eine perfekt realistische Darstellung seiner Eigentumswohnung in der VR erwartet. Nach erfolgter Aufbereitung wird das fertig 3D-Modell in der Cloud publiziert. Mit einem Link kann nun von jedem PC mit Internetzugang auf das Modell in der Cloud zugegriffen werden. Die Begehung des Modells kann alleine oder zu mehreren im sogenannten Multi-User-Modus erfolgen. Im Multi-User-Modus navigieren mehrere User gleichzeitig durch das Modell. Jeder User ist als «Avatar» an seiner aktuellen Position im Modell sichtbar (Fig. 1). Während man sich durch das Modell bewegt, kann mit den anderen Usern wie bei einem klassischen Webmeeting gesprochen und kommuniziert werden. Die Navigation erfolgt in diesem Falle über Maus und Tastatur.
Um nun das Modell mittels VR zu erleben, nutzt der User eine VR-Brille. Erfreulicherweise sind die neusten Modelle nicht nur preiswert, sondern kommen auch gänzlich ohne Kabel aus. Dadurch benötigt man eigentlich auch keinen zusätzlichen PC mehr. Die VR-Brille hat den PC quasi integriert. Nach dem erstmaligen Einrichten der VR-Brille wird diese per WLAN mit der Cloud verbunden und der virtuelle Rundgang kann losgehen. Auch mit VR-Brille können sich mehrere User gleichzeitig im Modell bewegen und miteinander kommunizieren über das an der VR-Brille eingebaute Sprechset, analog einem Webmeeting.
Bevor der Entscheid gefällt wurde, VR im Projekt ARA Jungholz (Fig. 2) einzusetzen, wurde ein Besuch bei der Firma Hegias vereinbart, damit alle Beteiligten den virtuellen Modellrundgang vorab erleben können. Grundsätzlich ging es darum, ein Gefühl für die Technologie zu entwickeln und zu beurteilen, ob VR produktiv genutzt werden kann. Am eindrücklichsten war für alle Beteiligten sicherlich, wie intensiv man in die virtuelle Realität «abtaucht». Die Navigation im Modell mit den beiden Controllern, die man in den Händen hält, ist sehr einfach und intuitiv, und bereits nach wenigen Minuten hat man vergessen, dass man sich in einer künstlichen Welt befindet. «Was mich am meisten beeindruckt hat, war, wie schnell man in diese virtuelle Welt eingetaucht ist. Am Ende des fünfminütigen Rundgangs wollte ich die beiden Hand-Controller, welche zum Navigieren im Modell dienen, auf einem im Modell vorhandenen Möbelstück ablegen!», lacht Autor Andreas Stadelmann, BIM-Manager bei Holinger. Im Gegensatz zu einer Betrachtung des Modells in einem klassischen IFC-Viewer (Fig. 3 und 4) hat VR den Vorteil, dass man bereits im Planungsprozess das künftige Bauwerk mit seinen Grössenverhältnissen erleben kann. Dies zu einem Zeitpunkt, wo man Änderungen noch leicht und praktisch ohne grosse Kostenfolgen ins Projekt einbringen kann. Einen weiteren Vorteil sieht Jörg Ringwald, Leiter ARA Jungholz, darin, dass seine Mitarbeiter mittels VR die Möglichkeit haben, schnell konkretes Feedback über Anordnung von Bedienelementen oder Zugänglichkeit zu geben. Beispielsweise wurde im Testmodell ein Lavabo unabsichtlich auf Kniehöhe modelliert. Mit VR war es anlässlich der Modellbegehung schnell aufgefallen, dass hier offensichtlich ein Fehler vorliegen muss. Diesen Fehler anhand von Plänen zu finden, wäre wohl nur durch Zufall möglich gewesen.
VR als Technologie ist kein Allzweckmittel. Es ist nicht zielführend, jedes Projekt-Meeting mittels VR im Modell durchzuführen. Einerseits muss das Modell jeweils in die Cloud geladen und aufbereitet werden, was immer auch einen gewissen Aufwand bedeutet. Andererseits gibt es durchaus Meetings, wo es mehr Sinn ergibt, das Modell gemeinsam in einem IFC-Viewer zu betrachten und zu diskutieren. Insbesondere wenn es um konzeptionelle Anordnung oder übergeordnete Themen im Planungsprozess geht, nutzt man die Vorteile der 3D-Visualiserung besser in einem geeigneten IFC-Viewer, wo man beliebig Schnitte durch das Modell legen kann und Modelle und Objekte nach Bedarf ein- und ausblenden kann. VR sollte mit einer klaren Zielsetzung angewendet werden, wenn das Modell bereits einen gewissen Reifegrad hat und es insbesondere um Zugänglichkeit und Bedienbarkeit geht. Bei diesen Fragestellungen ist es wichtig, die Raumwirkung im Modell 1:1 erleben zu können. VR ist also kein Ersatz für eine normale Projektbesprechung am Modell, sondern eine wertvolle Ergänzung, die auf andere Aspekte der Planung fokussiert. Der Aufwand, VR zu nutzen, ist überschaubar, werden doch die aus der Planung vorliegenden IFC-Dateien einfach für eine zusätzliche Anwendung genutzt.
Im Verlaufe des Projekts ARA Jungholz wurden weitere Erfahrungen mit dem Einsatz von VR gemacht und die Projektmeetings (Fig. 4) entsprechend angepasst. Es wurde beispielsweise festgestellt, dass die Diskussion erschwert wird, wenn sich ein Teilnehmer in der VR befindet und die anderen nicht sehen, was der User in der VR-Brille sieht. Aus diesem Grund wurde dazu übergegangen, das in der VR-Brille dargestellte Sichtfeld mittels Streaming auf einen grossen Bildschirm zu projizieren. Nun konnten alle Sitzungsteilnehmer auf dem Bildschirm sehen, was der User mit der VR-Brille sah und wohin er im Modell blickte, was die Diskussion erheblich vereinfacht hat.
Das entscheidende Argument, VR im Projekt zu verwenden, war für Jörg Ringwald, dass mittels VR die Teilhabe am Planungsprozess für ihn und insbesondere für seine Mitarbeiter der ARA sehr einfach möglich wurde. Pläne muss man lesen, interpretieren, sich vorstellen können. Auch der Umgang mit IFC-Viewern ist gewöhnungsbedürftig, denn das Ein- und Ausblenden von Objekten und das Legen von Schnitten und die Navigation im Modell sind für ungeübte Benutzer nicht ganz einfach. Die Idee, das Projekt mit der VR-Brille zu betrachten, war für den ARA-Leiter eine Möglichkeit, den Zugang zum 3D-Modell zu vereinfachen. «Der Hauptvorteil für mich ist, dass ich das Projekt jetzt mit meinen Mitarbeitern ‹live› anschauen kann!», meint er. «Dadurch können sich die Mitarbeiter der ARA schon in der Planung und nicht erst nach der Realisierung ins Projekt einbringen. Ihre Erfahrungen aus dem Anlagenbetrieb werden ernst genommen und fliessen in die Planung ein. Damit ermöglicht man den Mitarbeitern das Einbringen ihrer Ideen in die Planung.» Voraussetzung für den Entscheid, VR einzusetzen, war, dass alle ARA-Mitarbeiter sich schnell mit der VR-Brille und der Navigation im virtuellen Raum zurechtfinden. Dies wurde vor der Bestellung durch den Bauherrn im Rahmen eines Tests ausprobiert. Es hat sich gezeigt, dass die Handhabung sehr einfach und intuitiv ist. Alle Mitarbeiter haben sich innerhalb einer halben Stunde in der virtuellen Realität zurechtgefunden. Die neue Technologie wurde von den Mitarbeitern positiv aufgenommen. Sie waren neugierig und bringen sich nun aktiv in den Planungsprozess ein und diskutieren mit. Jörg Ringwald ist überzeugt, dass VR in der Zukunft immer breiter angewendet wird. Er wollte anlässlich des Projekts selber Erfahrungen mit VR sammeln, um beurteilen zu können, ob es einen Mehrwert für den Betrieb generiert. «Es gibt sicherlich noch das eine oder andere Optimierungspotenzial, aber grundsätzlich sehe ich für uns als Betreiber einen echten Mehrwert in der Nutzung von VR im Planungsprozess!»
Am Anfang war natürlich alles etwas gewöhnungsbedürftig und zwar für alle Beteiligten. Vonseiten Holinger musste ein Ablauf für die Modellaufbereitung aus der CAD-Umgebung entwickelt werden. Da Hegias ursprünglich für die Verwendung im Immobiliensektor konzipiert wurde, waren die grossen Datenmengen aus der Anlagenplanung ungewohnt. Gerade die Darstellung von komplexen Rohrleitungssystemen erfordert viel Performance beim Upload und Wandeln der IFC-Dateien in der Cloud. Diese Probleme konnten aber rasch und unbürokratisch durch Hegias gelöst werden. Kinderkrankheiten sind bei solchen Pilotprojekten im digitalen Bereich nicht zu vermeiden. Wichtig ist, dass alle Beteiligten den richtigen Mindset haben und gemeinsam die auftretenden Schwierigkeiten pragmatisch und lösungsorientiert überwinden. Die Verwendung von VR in der Anlagenplanung bringt auch neue Inputs und innovative Verbesserungsvorschläge.
Die Modelle sind wesentlich weitläufiger als im Immobiliensektor. Zwischendurch kann es schon mal passieren, dass ein User in der virtuellen Begehung verloren geht. Daraus resultierte die Funktion «Sammlung» in Hegias, mit der der Guide per Knopfdruck alle User wieder zu sich holen kann, sodass niemand durch das Modell irren muss. Weiter wurde angeregt, dass es bei der Besprechung einer verfahrenstechnischen Anlage sinnvoll wäre, eine Art «Laserpointer» zu haben, mit dem man in der Diskussion auf ein Bauteil zeigen kann, sodass alle sehen, wovon man im Modell spricht. «Es ist sehr interessant, zu sehen, welche neuen Herausforderungen mit jeder neuen Anwendung an uns herangetragen werden, und wir schätzen die Anregungen aus der Praxis. Damit entwickelt sich das Produkt auch ständig weiter», sagt Patrik Marty, CEO von Hegias. Diese enge Zusammenarbeit wird auch von Holinger sehr geschätzt. «Wir können mit unseren Erfahrungen in der Anlagenplanung und im BIM-Bereich wichtige Inputs geben, welche dann in der Weiterentwicklung von Hegias einfliessen und so auch unseren Kunden zugutekommen», meint Andreas Stadelmann.
Die neusten technischen Entwicklungen im Bereich VR-Brillen haben dazu geführt, dass die VR-Technologie benutzerfreundlicher und nicht zuletzt auch wesentlich preiswerter wurde. In Kombination mit einer innovativen Cloud-Anwendung ist eine Lösung entstanden, welche VR-Technologie für die Anwendung in der Anlagenplanung einfach nutzbar macht. Die bestehenden 3D-Daten aus dem Planungsprozess werden mit wenig Aufwand für die VR-Anwendung aufbereitet. Dadurch steht dem Bauherrn ein neues Werkzeug zur Verfügung, um die künftige Anlage bereits in der Planung virtuell zu begehen und zu erleben. So kann langjährige Betriebserfahrung mittels virtuellen Rundgangs einfach und ohne aufwendiges Planstudium in den Planungsprozess eingebracht werden.
Building Information Modeling, kurz BIM, ist eine neue Methode aus dem Hochbau, die hauptsächlich auf der Verwendung von 3D-Modellen basiert. Durch die durchgängige und konsequente Verwendung von 3D-Modellen steigt die Qualität der Planung, und der Planungsprozess insgesamt wird effizienter. Die Grundidee besteht darin, dass alle beteiligten Planer regelmässig ihren Planungsstand in Form von 3D-Modellen austauschen. Die verschiedenen Teilmodelle werden zu einem sogenannten Koordinationsmodell zusammengebaut. Das Koordinationsmodell dient nun als Diskussionsgrundlage in den regelmässig stattfindenden Planungs-Meetings. Die Nutzung von 3D-Modellen vereinfacht die Diskussion zwischen allen Beteiligten erheblich und trägt entscheidend zu einer verbesserten Zusammenarbeit und damit insgesamt zu einer höheren Qualität des Planungsprozesses bei.
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