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Fachartikel
27. September 2021

ARA Glarnerland

Bessere Schlammeigenschaften mit S::Select®

Das neue Verfahren S::Select® zeichnet sich durch eine gute Absetzeigenschaft des Belebtschlamms und einen geringeren Platzbedarf für die biologische Reinigung aus. In der ARA Glarnerland ist S::Select® seit 2018 auf der Hälfte der biologischen Reinigung in Betrieb, seit Sommer 2019 auf der ganzen Anlage.
Alain Meyer, Klaus Biermann, 

Der Abwasserverband Glarnerland betreibt die Abwasserreinigungsanlage (ARA) Glarnerland in Bilten. Die Anlage wurde Anfang der 1970er-Jahre erstellt, sie reinigt das Abwasser aus dem ganzen Kanton Glarus sowie von den vier St. Galler Gemeinden Amden, Schänis, Weesen und Quarten. Im Jahr sind dies aktuell (2019) ca. 7,5 Mio. m3 Abwasser.

Sanierungsbedarf der ARA Glarnerland

2015 machte sich ein Handlungsbedarf auf der ARA Glarnerland deutlich: Nicht nur standen bauliche Sanierungen an (Installationen/Bauwerke), auch die Kapazität der ARA von 70'000 Einwohnerwerten (EW) war erreicht und sollte auf 105'000 erhöht werden. Zudem hatte die ARA Glarnerland in der Vergangenheit wiederholt mit schlechten Schlammabsetzeigenschaften zu kämpfen.

Entwicklung des S::Select®-Verfahrens

Die Entwicklung des S::Select®-Verfahrens wurde begünstigt durch die vorhandene separate Filtratwasserbehandlung. Seit 2006 wird das Filtratwasser aus der Schlammentwässerung (Faulwasser) in einem Anammox-Reaktor separat behandelt. Die Anammox-Bakterien charakterisieren sich durch einen energieeffizienteren Abbau von Ammonium und haben eine gute Absetzeigenschaft. Mittels Hydrozyklon werden die Anammox-Bakterien beim Schlammabzug gezielt zurückgehalten.

Diese zwei Eigenschaften (Energieeffizienz und gute Absetzbarkeit) sind interessant auch für die Reinigung des gesamten Abwassers. Aus diesem Grund versuchten der ARA-Betreiber und die Firma EssDe GmbH, die Anammox-Bakterien der biologischen Hauptreinigungsstufe zuzuführen, indem der Überschussschlamm aus dem Anammox-Reaktor der Biologie zugeleitet wurde. Mittels Hydrozyklonen wurde analog zum Anammox-Prozess versucht, die Anammox-Bakterien beim Überschussschlammabzug in den Biologiebecken zurückzuhalten (eine der vier Biologiestrassen wurde in dieser Form betrieben). Durch diesen Betrieb stellten sich bessere Schlammabsetz-eigenschaften ein, doch die Menge an Anammox-Bakterien aus der Filtratwasserbehandlung war zu gering, um einen Anammox-Prozess in der Biologie zu erreichen. Um den Prozess der besseren Absetzung zu unterstützen, wurde anschliessend zusätzlich Trägermaterial (Mimics®) mit gleicher Struktur und gleichen Absetzeigenschaften wie die Anammox-Bakterien in die Biologie zugegeben. Mit dieser Betriebsweise resultierte in der Biologie ein granulen-ähnlicher Schlamm mit sehr guten Absetzeigenschaften (Fig. 1).
Als Grundlage für das Verfahren dienen Zyklone, die den gut absetzbaren vom schlecht absetzbaren Schlamm trennen. Der schlecht absetzbare Schlamm wird über die Zyklone als Überschussschlamm aus dem System entnommen und zur Faulung gefördert. Dadurch erfolgt eine Selektion der Schlammfraktionen. Dieser Prozess der gezielten Schlammselektion beim Überschussschlammabzug wird auch bei einem weiteren neuen Verfahren, beim Nereda®-Verfahren, angewendet, jedoch erfolgt die Selektion dort nicht über Zyklone.
Für die Auslegung des Verfahrens spielen zwei Aspekte eine Rolle: Durch die Selektion verbessert sich die Schlammabsetzung und dadurch erhöht sich die Kapazität der Nachklärung. Andererseits ist die spezifische Leistung des Schlamms (NH4-N Abbau/kg TS) höher, dadurch kann die Anlage bei gleicher Belastung mit niedrigerem Trockenschlamm (TS) betrieben werden. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass sich zwei verschiedene Schlammalter ergeben. Der schlecht absetzbare Schlamm weist ein tiefes Schlammalter auf, dagegen bleibt der gut absetzbare Schlamm lange in den Biologiebecken und von dieser Schlammfraktion ergibt sich ein hohes Schlammalter.

Pilotversuche

Die ARA Glarnerland stand 2015 vor einer umfangreichen Sanierung und Erweiterung der Kapazität der biologischen Reinigung von 70'000 auf 105'000 EW. Hunziker Betatech AG und die Eawag begleiteten den ARA-Betrieb mit S::Select® vom Testbetrieb zur Realisierung. Vor der grosstechnischen Umsetzung des S::Select®-Verfahrens führte die Eawag Pilotversuche für die Erhebung von Dimensionierungsgrundlagen, zum Nachweis der Leistung im Ausbauziel und dem Verhalten der Mimics® durch.
Dabei hat die Eawag aufgezeigt, dass die Biologiestrasse mit dem S::Select®-Verfahren eine höhere Nitrifikationsleistung aufweist als die parallel dazu betriebene Referenzstrasse. Ein Teil der Leistungssteigerung basierte darauf, dass die TS-spezifische Nitrifikationsleistung in der Strasse mit dem S::Select® ca. 50% höher war als in der Referenzstrasse. Der andere Teil der möglichen Leistungssteigerung basierte auf der besseren Schlammabsetzung. Die Biologiestrasse mit S::Select® könnte im Bedarfsfall mit einer höheren TS-Konzen­tration in der Biologie betrieben werden. Während sechs Monaten wurde zudem die Hälfte der Anlage mit der Belastung im künftigen Ausbauziel erfolgreich betrieben. Bei dieser Belastung betrug das spezifische Beckenvolumen pro EWCSB 90 Liter.
Da der Mimics®-Einsatz vom Projektteam als kritisch erachtet (ev. Plastik im Ablauf) wurde, untersuchte die Eawag dessen Stoffflüsse. Im Ablauf der Kläranlage wurde das Material kaum gefunden (die Menge des ohnehin im Abwasser vorhandenen Mikroplastiks war höher). Die Eawag stellte fest, dass die Mimics® mit der Zeit das System über die Zyklone verliessen (ca. 10% Verlust über Zyklone) und mit dem Überschussschlamm in der Schlammbehandlung landeten, von wo der Schlamm schlussendlich zur Verbrennung gelangte. Die erfreulichen Resultate waren aber die weiterhin guten Schlammeigenschaften – auch ohne Mimics®. Seit Sommer 2015 wird dem System das Trägermaterial nicht mehr zugegeben.

Grosstechnische AusfĂĽhrung
Anlagenlayout 

Die ARA Glarnerland reinigte ursprünglich das Abwasser mit dem A/I-Verfahren. Elemente davon wurden bei der Integration des S::Select®-Verfahrens übernommen, da sich diese in den Pilotversuchen bewährt haben (z. B. Intervallbelüftung, Nachbelüftung). Neu sind die vier Biologiebecken jedoch komplett voneinander getrennt. Jedes Biologiebecken wird über eine separate Rohrleitung, ausgerüstet mit einer MID-Durchflussmessung, beschickt. Die Beschickung von allen vier Strassen ist gleichmässig, eine mögliche Betriebsweise mit alternierender Beschickung ist in Planung.

Die Biologie wird grundsätzlich intermittierend belüftet. Über eine Ammoniumsonde im hinteren Teil des Biologiebeckens wird abhängig von der Ammoniumkonzentration die Belüftung in der Hauptbelüftung ein- und ausgeschaltet. Zur Sicherstellung der Ablaufwerte ist im hinteren Bereich eine Nachbelüftung (ca. 8% des Biologievolumens; Restnitrifikation) vorhanden, die permanent betrieben wird.

Einbindung Zyklone

Die Einbindung der Zyklone erfolgt aus dem RĂĽcklaufschlamm (s. Schema Fig 2). Mittels einer Pumpe wird ein Teilstrom des RĂĽcklaufschlamms abgezogen und ĂĽber ein Sieb auf die Hydrozyklone (Fig. 3) gepumpt. Das Sieb soll die Zyklone vor Verstopfungen schĂĽtzen. Ăśber die Anzahl der in Betrieb stehenden Zyklone wird die abziehende Ăśberschussschlammmenge eingestellt. Pro Biologiestrasse ist ein Block von sechs Zyklonen installiert (Fig. 3).
Der leichte, schlecht absetzbare Schlamm verlässt den Zyklon am oberen Ende und wird im Untergeschoss in einem Vorlagebehälter aufgefangen. Es ist jeweils für zwei Biologiestrassen ein Vorlagebehälter vorhanden, aus dem der Schlamm zur Überschussschlammeindickung gepumpt wird (Fig. 4). Der Überschussschlamm wird bewusst nicht in den Zulauf der Vorklärung gegeben, damit eine Rezirkulation des schlecht absetzbaren Schlamms zurück in die Biologie verhindert wird. Ansonsten ist der Überschussschlamm deutlich besser eindickbar, als es im konventionellen Betrieb der Fall war.
Der schwere, gut absetzbare Schlamm verlässt den Zyklon am unteren Ende und gelangt direkt in die Zulaufleitungen zur Biologie (Fig. 4). Die Zulaufleitungen verlaufen direkt unter dem Zyklonraum im Untergeschoss an der Decke.

Betriebserfahrungen
FĂĽnfeinhalb Jahre Betrieb

Das S::Select®-Verfahren ist inzwischen seit fünfeinhalb Jahren auf der ARA Glarnerland in Betrieb, wobei in den ersten drei Jahren nur im Pilotbetrieb auf einem und etwas später während der Umbauphase auf zwei der vier Biologiebecken. Seit Sommer 2019 sind alle vier Biologiebecken im Normalbetrieb mit dem S::Select®-Verfahren ausgerüstet.

Erfahrungen Schlammeigenschaften

Ein wesentlicher Aspekt des Verfahrens sind die guten Schlammabsetzeigenschaften. Die ARA Glarnerland kämpfte über Jahre hinweg mit immer wieder sehr schlechten Schlammabsetzeigenschaften (Fig. 5). Diese Eigenschaften haben sich durch S::Select® deutlich verbessert. Während früher wiederholt Schlammvolumenindizes (SVI) über 400 ml/g gemessen wurden, liegt der Schlammvolumenindex nun meist bei < 100 ml/g (Fig. 5).
Im Herbst 2019 wurden erhöhte Indizes (Fig. 6, roter Kreis) gemessen. Damals lief ein Versuch mit Vorfällung im Zulauf zur Vorklärung. Es zeigte sich jedoch, dass durch die Vorfällung eine geringere Denitrifikation stattfand und sich die Menge an Schlamm über die Zyklone verringerte. Dadurch verschlechterte sich die Flockenstruktur. Nach Abschluss der Vorfällung Ende Oktober verbesserten sich die Absetzeigenschaften wieder. Beim Biologiebecken 3 war der TS-Gehalt tief, sodass für eine Zeit der Schlammabzug über die Hydrozyklone gestoppt wurde. Dies hat zu einer Verschlechterung des Absetzverhaltens geführt, was sich dann erst nach zwei Monaten wieder stabilisiert hat. Dies zeigt auf, dass ein Betrieb ohne Hydrozyklone sofort eine Vermehrung der leichten Flockenstruktur fördert.
In Figur 6 verweist der orange Kreis auf ein weiteres Beispiel einer Verschlechterung der Schlammabsetzeigenschaften in einem Biologiebecken (Biologiebecken 2). Parallel dazu wurde zu diesem Zeitpunkt in den anderen Biologiebecken keine Veränderung der Schlammabsetzeigenschaft festgestellt. Ursache war eine Verstopfung der Düse im Ablauf des Zy­klons. Somit wurde die Schlammselektion unterbunden und es resultierte daraus, dass der Überschussschlamm wie bei einer konventionellen Biologie abgezogen wurde.

Erfahrung bezĂĽglich Leistung

Die Abbauleistungen der Biologie sind sehr gut. Die Ablaufwerte erfüllen die geforderten Einleitbedingungen. Die Ammoniumkonzentration liegt meist unter 1 mg N/l, Nitrit immer unter 0,3 mg N/l. Die Stickstoffelimination lag während des Zeitraums von September 2019 bis August 2020 bei 40 bis 50% über der Gesamtanlage. Mit den Rückläufen aus der Schlammbehandlung wird durch Fremdschlammannahmen und Co-Substrate jedoch zusätzlicher, externer Stickstoff ins System eingetragen. Dieser Stickstoffeintrag ist in der Stickstoffelimination nicht berücksichtigt. Wird der externe Stickstoff berücksichtigt, liegt die Elimination zwischen 50 und 60%. Mit Verzicht auf die Vorfällung und einer zusätzlichen Implementierung einer alternierenden Beschickung der Biologie ist geplant, künftig die Denitrifikationsleistung weiter zu verbessern.
Energetisch schneidet die biologische Reinigung gut ab. So lag der spezifische Energieverbrauch der gesamten Biologie, inkl. Nachklärung und Rücklaufschlammförderung für den Zeitraum von September 2019 bis August 2020 bei 16,1 kWh/EW. In den Jahren 2013 und 2014 lag der Energieverbrauch der Biologie bei 880 000 kWh/a, im betrachteten Zeitraum mit dem S::Select®-Verfahren noch bei 815'000 kWh/a, bei einer leichten Zunahme der Belastung.

Erfahrung mit PAK

Im Rahmen der Abklärungen zum künftigen MV-Verfahren auf der ARA Glarnerland wurde durch die Eawag die Zugabe von Pulveraktivkohle (PAK) in die Biologie mit S::Select® geprüft. Die Eawag stellte dabei eine Akkumulation der PAK in der Biologie fest, was bedeutet, dass die Zyklone die PAK im System zurückhalten. Eine Zugabe von PAK in einer Menge, wie sie vor der Sandfiltration benötigt wird, ist nicht möglich. Eine Zugabe von geringerer Menge an PAK als Unterstützung einer zusätzlichen Stufe zur Elimination von Mikroverunreinigungen (MV) ist aber denkbar. Auffallend bei den Tests war, dass während des Versuchs der Vorfällung die Verschlechterung der Schlammeigenschaften in der Biologiestrasse mit PAK deutlich geringer ausfiel. Die Zugabe von PAK scheint die Schlammeigenschaften positiv beeinflusst zu haben.

Betriebliche Erfahrungen

Aus betrieblicher Sicht kann das S::Select®-Verfahren als einfach beurteilt werden. Insbesondere das Handling bei der Inbetriebnahme oder bei Ausserbetriebnahmen von Becken ist vergleichbar mit einer konventionellen Biologie. Beckenentleerungen sind nicht aufwendiger als beispielsweise bei einem Wirbelbett-Hybrid-Verfahren. Der Schlamm kann problemlos von einem Becken ins andere gepumpt werden. Bei einer Wiederinbetriebnahme sind keine zusätzlichen Massnahmen notwendig.
Bei den Beckenentleerungen während der Umbauarbeiten konnten keine verstärkten Ablagerungen des Belebtschlamms festgestellt werden. Mit der Belüftung und den installierten Rührwerken kann der Schlamm in der Schwebe gehalten werden.
Mehraufwand erfordert einzig die Reinigung der Siebe vor den Zyklonen. Diese werden auf der ARA Glarnerland aktuell einmal wöchentlich manuell gereinigt. Mittlerweile steht auch hier eine automatisierte Lösung zur Verfügung.

Fazit

Die Betriebserfahrungen bestätigen, dass S::Select® ein sehr interessantes Verfahren für die biologische Reinigung darstellt. Da es weniger Beckenvolumen im Vergleich zu einer konventionellen Biologie benötigt und die Installationen eher einfach nachrüstbar ist, eignet sich das Verfahren insbesondere für Kapazitätserweiterungen von bestehenden Anlagen. Es steht dadurch in Konkurrenz zum Wirbelbett-Hybrid-Verfahren. Aufgrund der Schlammselektion weist S::Select® konzeptionelle Parallelen zum Nereda®-Verfahren auf.
Auf der ARA Glarnerland ist das Anlagelayout geprägt vom ursprünglichen A/I-Betrieb. Eine Realisierung mit anderen Anlagelayouts ist aber mit heutigem Kenntnisstand gut denkbar.

Bibliographie

[1] McArdell, Ch.; Böhler, M. (2020): Pilotversuche zur erweiterten Abwasserbehandlung mit granulierter Aktivkohle (GAK) und kombiniert mit Teilozonung (O3/GAK) auf der ARA Glarnerland (AVG) – Schlussbericht. Herausgegeben von Eawag, Dübendorf
[2] Joss, A. et al. (2017): ARA Glarnerland: Begleitstudien zur Pilotierung des S::-Select-Verfahrens. Eawag, Dübendorf

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