Der Abwasserverband Region Lenzburg (AVRL) betreibt die ARA Langmatt in Wildegg. Seit 1971 wird dort das Abwasser aus 15 politischen Gemeinden im Einzugsgebiet behandelt. Mit einer Dimensionierungsgrösse von 110'000 Einwohnergleichwerten zählt die ARA Langmatt zu den grössten Kläranlagen im Kanton Aargau.
Die Aufgabe, Abwasser zu reinigen und zu regenerieren, erfüllt der AVRL stets in Verbindung mit Innovation, Nachhaltigkeit und hoher Leistungsbereitschaft. Dabei gibt sich der AVRL nie mit dem Erreichten zufrieden. Mit immer wieder neuen Ideen wird stetig an der Verbesserung der Qualität der Abwasserreinigung – sowohl ökologisch als auch ökonomisch – gearbeitet.
Seit rund 30 Jahren wird das in der Schlammbehandlung anfallende Klärgas auf der ARA Langmatt in Blockheizkraftwerken in thermische und elektrische Energie umgewandelt, die in den Reinigungsprozessen der Kläranlage verwertet wird. Ein stetig wachsendes Einzugsgebiet, damit einhergehende Anlagenerweiterungen und die kontinuierliche Optimierung der Verfahrensprozesse führten dazu, dass die produzierte Gasmenge den Eigenbedarf an Energie in den letzten Jahren überstieg. Aus diesem Grund wurde 2018 die Gasverwertung durch den AVRL dahingehend optimiert, dass überschüssiges Klärgas aufbereitet und in das regionale Erdgasnetz eingespeist werden kann.
Zur Gewährleistung der langfristigen Betriebssicherheit musste die Infrastruktur der Energieverteilung altersbedingt saniert werden. In diesem Zusammenhang wurde eine weitere Möglichkeit erkannt, um die Klärgasverwertung zu optimieren.
Im Rahmen der Projektausarbeitung wurde die Machbarkeit einer autonomen Notstromversorgung mittels Blockheizkraftwerken und Klärgasverbrennung diskutiert und bewiesen. Die zusätzlich notwendigen Anpassungen aufseiten der Energieverteilung und Prozessautomation konnten mit geringem Mehraufwand in das Projekt der werterhaltenden Massnahmen integriert werden.
Die Motivation zur Realisierung der Notstromversorgung liegt insbesondere in der aktuellen Transformation des Strommarktes. Es ist leider damit zu rechnen, dass die Versorgungssicherheit längerfristig abnehmen wird.
Bei der Projektausarbeitung wurden die folgenden minimalen Anforderungen an die Notstromversorgung definiert. Die Einhaltung sämtlicher Anforderungen konnte nach Projektabschluss im Rahmen eines integralen Testes bestätigt werden.
Die Kläranlage weist einen elektrischen Energieverbrauch von 2,4 GWh auf. Im Jahresmittel bezieht die Kläranlage rund 55% der benötigten elektrischen Energie über das Mittelspannungsnetz vom regionalen Netzbetreiber, wobei die Kläranlage über zwei Trafostationen mit je 630 kVA verfügt. Die restliche Energie wird mit zwei Blockheizkraftwerken mit einer Nennleistung von je 220 kWel aus dem anfallenden Klärgas erzeugt.
Der elektrische Leistungsbedarf der Kläranlage variiert je nach anfallender Abwassermenge in einem Bereich von 150 kW bis 550 kW.
Die Faulanlage produzierte im Jahr 2020 im Durchschnitt 3200 m3 Klärgas pro Tag. Davon wurden im Jahresmittel 1700 m3 pro Tag aufbereitet und in das Erdgasnetz eingespeist. Die restlichen 1500 m3 pro Tag wurden in den Blockheizkraftwerken verwertet.
Der AVRL verfügt über die Möglichkeit, die produzierte Gasmenge durch Zugabe von Co-Substraten kurzfristig zu variieren. Die Gasproduktion kann dadurch bei Bedarf mehr als verdoppelt werden.
Im Gasspeicher mit einem Volumen von 1500 m3 kann Klärgas zum Ausgleichen von Produktions- und Verbrauchsschwankungen gepuffert werden.
Ein einzelnes Blockheizkraftwerk verbrennt bei 80% Teillastbetrieb 68 m3 Klärgas pro Stunde. Die Blockheizkraftwerke werden wärmegeführt betrieben. Sie decken den eigenen Wärmebedarf der ARA vollständig ab, ohne dass überschüssige Wärme abgeführt werden muss.
Solange sich die Kläranlage im Inselbetrieb befindet, ist ein sorgfältiges Lastmanagement zwingend notwendig. Die Gasmotoren der Blockheizkraftwerke weisen, physikalisch bedingt, ein sehr träges Regelverhalten auf und können kurzfristig auftretende Laständerungen schlecht auffangen. Damit sind Blockheizkraftwerke für den Betrieb als Netzersatzanlage schlecht geeignet. Trotz dem Wissen um diese Einschränkung beschloss der AVRL nach sorgfältiger Prüfung, ein gewisses unternehmerisches Restrisiko zu tragen und die Notstromversorgung mit den Blockheizkraftwerken zu realisieren.
Eine der grössten Herausforderungen ist, nach einem Netzausfall die Energieversorgung arealübergreifend wieder bereitzustellen. Die ARA verfügt über zwei Transformatorenstationen. Die Einspeisung der BHKW erfolgt auf der Niederspannungsebene in einer der Transformatorenstationen. Die Übertragung der Energie zwischen den beiden Transformatorenstationen erfolgt auch im Inselbetrieb über die Mittelspannungsebene und muss dazu zweimal transformiert werden. Beim Einschalten der Transformatoren tritt der sogenannte Rush-Effekt auf, der kurzfristig sehr hohe Einschaltstromstösse verursacht. In Kombination mit der, im Verhältnis zu den Transformatoren, kleinen Leistungen der BHKW, stellen die Einschaltstromstösse eine erhebliche Belastung für die Gasmotoren dar.
Die Funktionsfähigkeit der Notstromanlage wurden nach Abschluss aller notwenigen Arbeiten im Rahmen eines integralen Tests verifiziert. Der Netzausfall wurde durch das regionale Energiewerk erzeugt, indem die Netzeinspeisung der ARA auf der Mittelspannungsebene für jeweils eine Stunde getrennt wurde. Die integralen Tests wurden während einer Trockenwettersituation durchgeführt.
In einer ersten Sequenz wurde die Netzeinspeisung getrennt, während eines der Blockheizkraftwerke in Betrieb war. Die grössten Energieverbraucher der ARA wurden zunächst gesperrt, um das Lastmanagement unter vereinfachten Bedingungen zu prüfen. In einer zweiten Sequenz wurden die Anforderungen erhöht, indem der Netzausfall bei Stillstand beider BHKW simuliert und alle Verbraucher freigegeben wurden.
Die integralen Tests waren ein voller Erfolg. Die Notstromversorgung war im Inselbetrieb in beiden Sequenzen innerhalb von etwa 30 Sekunden gewährleistet. Vonseiten des Betriebspersonals waren dafür keinerlei Eingriffe notwendig. Die Reinigungsleistung der ARA war nach wenigen Minuten wieder auf Vorniveau. Die Umschaltung zurück in Normalbetrieb bei wiederkehrender Netzversorgung erfolgte ohne Betriebsunterbruch. Bis auf ein, zwei Gerätestörungen von untergeordneten Hilfsbetrieben konnten bei beiden Sequenzen keine Probleme erkannt werden.
Je nach anfallender Abwassermenge kann die Reinigungsleistung der Kläranlage im Inselbetreib vollständig erhalten werden.
Bei Trockenwetter liegt das kurzzeitige Leistungsmaximum der Kläranlage bei rund 400 kW und kann mit den beiden BHKW vollständig abgedeckt werden. Die benötigte elektrischen Energie kann mit einem mittleren Gasverbrauch von 120 m3/h in den Blockheizkraftwerken erzeugt werden. Die ARA ist durch Zugabe von Co-Substraten in der Fermentation in der Lage, genügend Biogas für den Inselbetrieb auch langfristig zu produzieren. Die Fermentation wird durch den Inselbetrieb nicht eingeschränkt.
Damit ist bei Trockenwetter ein zeitlich uneingeschränkter Autonomiebetrieb möglich. Die einzige Einschränkung ist, dass die elektrische Leistung der BHKW nicht ausreicht, um den anfallenden Klärschlamm kontinuierlich zu entwässern. Der AVRL verfügt jedoch über ausreichend Stapelvolumen für 14 Tage. Diese Einschränkung ist damit vernachlässigbar.
Bei Regenwetter steigt das kurzzeitige Leistungsmaximum der Kläranlage auf bis zu 500 kW (ohne Gasaufbereitung). Die Energieversorgung kann mit den beiden BHKW nicht immer vollständig abgedeckt werden. Ein Lastabwurf und damit eine Reduktion der Reinigungsleistung der ARA ist teilweise notwendig.
Nach erfolgreicher Inbetriebnahme der Notstromversorgung hat der AVRL bereits den Grundstein für weitere Optimierungen gelegt. So hat der AVRL beschlossen, ein Solarfaltdach mit einer Nennleistung von 260 kWp zu errichten. Mit dem Solarfaltdach wird eine zweite Quelle für erneuerbare Energie erschlossen. Gegenüber anderen Energiequellen hat die Solarenergie den Nachteil, dass die Energieproduktion nicht bedarfsgerecht geregelt werden kann. Dieser Nachteil kann in Kombination mit der einfach regelbaren Biogasenergie jedoch effektiv beseitigt werden. Für den AVRL eröffnen sich dadurch insbesondere im Bereich der elektrischen Lastspitzenreduktion interessante Anwendungsmöglichkeiten. Mittelfristig wird angestrebt, kurzzeitige, elektrische Lastspitzen durch ein vollautomatisches Lastmanagement zu eliminieren.
Dies, indem sowohl Energieverbrauch als auch Energieproduktion unter Verwendung von aktuellen Meteodaten bedarfsgerecht reguliert werden. Es ist vorgesehen, diese Projekte bis 2023 zu realisieren.
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