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Fachartikel
27. September 2018

Regenwasserbewirtschaftung

Das Schwammstadt-Prinzip

Das häufige Auftreten von Starkregenereignissen zeigt deutlich, dass Kanalisationsnetze die Wassermengen nicht immer ausreichend ableiten können. Auch die Hitze in den Wohngebieten mit einer hohen Bebauungs- und Versiegelungsdichte verringern die Lebensqualität in den Städten. Um diesen Auswirkungen entgegenzuwirken, sind neue Entwässerungs- und Klimatisierungskonzepte gefragt. Neben Überflutungsflächen, Fliesswegen und begrünten Dächern zur Verbesserung der Verdunstungsrate bietet die Gestaltung des städtischen Bodens Möglichkeiten gegen Sturzfluten und überhitzte Städte.

Spätestens seit den letzten sommerlichen Starkregenereignissen wurde klar, dass städtische Kanalisationsnetze die dabei anfallenden Wassermengen nicht mehr ableiten können. Verstärkte Oberflächenabflüsse über unkontrollierte oberflächige Fliesswege können dann zu lokalen Überflutungen mit verheerenden Schäden an Infrastrukturen und Gebäuden führen. Aber nicht nur die Wassermengen machen im Sommer zu schaffen. Auch die steigenden Hitzebelastungen in den urban geprägten Gebieten mit einer hohen Bebauungs- und Versiegelungsdichte verringern die Lebensqualität in den Städten. Um diesen und in beiden Fällen manchmal katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels entgegenzuwirken, sind angepasste Entwässerungs- und Klimatisierungskonzepte in den Städten gefragt. Neben der Nutzung von temporären Überflutungsflächen und der Ausgestaltung von definierten Fliesswegen zur sicheren oberirdischen Ableitung von Niederschlagswasser bei Starkregenereignissen, den sogenannten urbanen Sturzfluten, oder die Erhöhung der Anzahl der begrünten Dächer zur Verbesserung der Verdunstungsrate, bietet die Gestaltung des städtischen Bodens im Strassenraum bisher ungenutzte Handlungsmöglichkeiten zur Umsetzung von Massnahmen gegen urbane Sturzfluten und überhitzte Städte.

Das Schwammstadt-Prinzip als Lösung

Im Bericht des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) «Überflutungs- und Hitzevorsorge durch die Stadtentwicklung» werden diese Massnahmen als sogenanntes Schwammstadt-Prinzip bezeichnet. Ziel dieser veränderten Nutzungen ist, die Oberflächen der Stadt stärker als bisher für die Aufnahme und Speicherung von Niederschlagsmengen in den Städten zu etablieren. Durch diese Art des naturnahen Regenwassermanagements in den Städten können Grünflächen zu natürlichen «Kühlschränken» der Stadt werden, indem sie ausreichend mit Wasser versorgt werden. Diese Kühlleistung kann durch die Speicherung von Niederschlagswasser, bodenverbessernde Massnahmen und kontinuierliche Versorgung der Vegetation mit Wasser gesteigert werden. Die Förderung des Schwammstadt-Prinzips und die Entwicklung nachhaltiger Speicher- und Bewässerungssysteme werden daher als zentrale Zukunftsaufgaben für klimaangepasste Städte beschrieben [1].

Auch die Wasserwirtschaft hat den Nutzen der bewussten Verdunstung von Wasser zur Kühlung der Stadt im Klimawandel als neues Aufgabengebiet erkannt. Dies hat sich z. B. im aktuell vorliegenden Entwurf des Arbeitsblatts DWA-A 102 [2] niedergeschlagen. Es werden Massnahmen zur Umsetzung des Schwammstadt-Prinzips als zukünftige Entwässerungskonzepte zum «Erhalt des lokalen Wasserhaushalts» beschrieben. Hierzu gehört auch die Vegetation mit ihrem Anteil an Verdunstung. Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass konventionelle Entwässerungsverfahren als Misch- oder Trennkanalisation in ihrer «Reinform» mit vollständiger Ableitung von Regenwasser der Zielvorgabe zum lokalen Wasserhaushalt eindeutig nicht mehr gerecht werden. Sie sollten bei zukünftigen Planungen im Bestand und Vorliegen entsprechender Handlungsspielräume durch die Integration vorzugsweise dezentraler Massnahmen der Regenwasserbewirtschaftung sukzessive in modifizierte Systeme überführt werden. Die Abkopplung abflusswirksamer Flächen von der bestehenden Kanalisation zeigt sich dabei als wirkungsvoller Ansatz

– zur Reduzierung hydraulischer Systembelastungen

– zur Verbesserung des Überflutungsschutzes sowie

– zur Minderung der stofflichen und hydraulischen Gewässerbelastung durch Regenwetterabflüsse [2].

Grundsätzlich handelt es sich bei der Umsetzung des Schwammstadt-Prinzips, auch im Sinne des Regelwerks der DWA, um innerstädtische Abkopplungsmassnahmen, bei denen private Flächen, der Strassenraum oder andere öffentliche Flächen zusätzlich zu der vorhandenen Nutzung für die Niederschlagswasserbewirtschaftung unter Einbeziehung der Vegetation (Verdunstung) multifunktional genutzt werden.

Abkopplungspotenziale besser nutzen

Das Abkopplungspotenzial von Strassenflächen wurde bereits beispielhaft ermittelt und in [3] dargestellt. So liegt das langfristige Abkopplungspotenzial von Anliegerstrassen in den untersuchten Ortsteilen Erle und Resser Mark in der Stadt Gelsenkirchen (D) bei bis zu 53% und kurzfristig dürften etwa 22% erreichbar sein. Im Vergleich mit Ergebnissen zur Potenzialermittlung für die Abkopplung von Dachflächen ergeben sich für Strassenflächen etwa gleich grosse Abkopplungspotenziale. Sowohl für die Abkopplungsmassnahmen auf den privaten Grundstücken als auch für diejenigen auf den öffentlich genutzten Flächen bedarf es einer Motivation, um die Massnahmen umzusetzen. Bei privaten Flächen kann es eine reduzierte Abwassergebühr sein. Für eine Umsetzung auf öffentlichen Flächen im Strassenraum muss jedoch in erster Linie die grundsätzliche Bereitschaft der Kommune/des Baulastträgers vorhanden sein, gegebenenfalls Strassenraum für Anlagen zur Versickerung und/oder Rückhaltung zur Verfügung zu stellen [3].

Hinzu kommt, dass die technischen Lösungen so gestaltet werden müssen, dass sie jeweils von den unterschiedlichen Abteilungen/Ämtern/Eigenbetrieben einer Stadt mitgetragen werden und den in den Regelwerken beschriebenen Anforderungen an die eingesetzten Materialien und Bauteile entsprechen. Des Weiteren sind Lösungen zu bevorzugen, die keine Einschränkungen der Gebrauchstauglichkeit der so genutzten Räume zur Folge haben. Lösungen im Raum unterhalb von genutzten Verkehrsflächen sind zu bevorzugen. Zu beachten ist jedoch, dass diese Räume ebenfalls nicht ungenutzt sind. Abwasserkanäle, Trinkwasser- und Gasleitungen, Stromkabel sowie Telekommunikationsleitungen werden bereits unterirdisch eingebaut und führen schon jetzt zu Konkurrenzsituationen. Hinzu kommen ungeplante unterirdische Versorgungsnetze, nämlich das Wurzelwerk von Bäumen, die scheinbar unkontrolliert mit den Kanälen und Leitungen interagieren [4]. Somit bedarf es zur Umsetzung des Schwammstadt-Prinzips einer interdisziplinären Abstimmung unter Einbeziehung der Abteilungen für Stadtgrün.

Bau- und vegetationstechnische Anforderungen

Für die Lösung dieser auf den ersten Blick scheinbar unlösbaren Aufgabe gibt es einige wesentliche verbindende Elemente. Dies sind zum einen Porenräume in groben gebrochenen Bettungsmaterialien von Kanälen und Leitungen. Diese können als Speicher für Regenwasser genutzt werden und gleichzeitig Bäumen einen ausreichend grossen Wurzelraum bieten. Zum anderen sind es Rohrsysteme, die ausreichend robust sind und nicht von den spitzkörnigen Bettungsmaterialien geschädigt werden. Zusätzlich müssen sie dicht gegenüber Wasseraussendruck sein und nachweislich wurzelfest sind. Dieses Boden-Rohr-System unterscheidet sich somit vom üblichen Rohr-Boden-System, bei dem die Böden so ausgewählt oder auch modifiziert werden, dass sie lediglich eine optimale Bettung der Kanäle und Leitungen sicherstellen. Gebrochene grobkörnige Substrate stellen einen ausreichend grossen Porenraum für Niederschlagswasser und Baumwurzeln sicher, die dabei hochverdichtet werden können und nach der Fertigstellung eine vollständige Nutzung der Oberfläche ermöglichen [5].

Diese oberflächennahe Umsetzung des «Schwammstadt-Prinzips» greift im Gehwegbereich sehr stark in die Leitungsbereiche von Versorgungsunternehmen ein. Trinkwasser- und Gasleitungen werden bevorzugt im Gehweg eingebaut. Hier finden sich auch die Kabel der Strom- und der Kommunikations-Netzbetreiber. Hinzu kommt, dass sich Kellerräume häufig direkt in der Nähe der Gehwege befinden und so bei Einleitung von Niederschlagswasser eine Kellervernässung planerisch und bautechnisch vermieden werden muss. Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, eine Bauweise zur Niederschlagswasserbewirtschaftung in den Leitungsgräben von Abwasserkanälen umzusetzen.

 

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Duktile Guss-Rohrsysteme – Lösungen mit einem robusten Boden-Rohr-System

Ein Rohrsystem, das in diesem grobkörnigen Bettungsmaterial eingebaut werden darf, wird aus duktilem Gusseisen nach EN 598 [6] gefertigt und mit einer Zementmörtel-Umhüllung (ZM-U) nach EN 15542 [7] gegen Korrosion und mechanische Beanspruchung geschützt. Die verwendeten Steckmuffen-Verbindungen, Typ Tyton®, sind wurzelfest und dicht gegenüber Wasseraussendruck. Die Zementmörtel-Umhüllung kann in gebrochenem Bettungsmaterial mit einem Grösstkorn bis 63 mm und Einzelkörnern bis max. 100 mm Grösse eingesetzt werden [8].

Die Integration dieses Boden-Rohr-Systems in das städtische Umfeld veranschaulichen Figur 5 und 6. Der Leitungsgraben mit den duktilen Gussrohren wird unterhalb der Fahrbahn zum Speicher für Niederschlagswasser. In diesen Speicher kann das Wasser von nicht belasteten Flächen, wie beispielsweise Dachflächen (Ausnahme Dächer mit Kupfer- oder Zinkdeckung), direkt eingeleitet werden. Belastete Niederschlagswässer werden zunächst vorbehandelt und dann in den Niederschlagswasser-Speicher eingeleitet. Für die Vorbehandlung können z. B. auf dem Markt befindliche Systeme mit DIBt-Zulassung verwendet werden. Das Wasser dient entweder der Bewässerung der im Leitungsgraben wachsenden Baumwurzeln oder wird im Sinne eines Rigolen-Systems versickert. Diese dezentrale Speicherung, Versickerung und Verdunstung von Niederschlagswasser am Ort des Niederschlagsereignisses hat mehrere positive Auswirkungen:

– Verbesserung des lokalen Wasserhaushalts

– Verringerung der Anzahl und der Höhe von Abschlagsereignissen aus der Mischwasserkanalisation

– Verringerung der Einleitungsmenge von verschmutztem Niederschlagswasser in Gewässer aus der Trennkanalisation

– Rückhalt von Niederschlagswasser bei Starkregenereignissen

– Schaffung von Wurzelraum für ein optimiertes Wachstum von Stadtbäumen

– gezielte Bewässerung von Stadtbäumen mit Niederschlagswasser

– Erhöhung der Verdunstungsrate der Bäume mit einer verbesserten Klimatisierung des Umfelds

– Verbesserung des Objektschutzes durch Abkopplung der Regenwasserfallleitungen von der Gebäudeentwässerung

Fazit

Beim Bau von Strassen und Bauwerken der unterirdischen Infrastruktur stehen bis heute die Bettung der Rohre und die Tragfähigkeit der Bauwerke im Vordergrund. Hochverdichtete Böden prägen deshalb den städtischen Untergrund. Unplanmässig geschaffene Porenräume im Boden werden vom Wurzelwerk der städtischen und privaten Bäume genutzt und führen zu ungewollten Interaktionen mit Kanälen und Leitungen. Erhöhte Anforderungen an die Gewässerqualität sowie die Auswirkungen des Klimawandels machen ein Umdenken erforderlich und führen dazu, dass der Speicherwirkung von Böden verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, um Niederschlagswasser vor Ort im Boden zu bewirtschaften. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass durch diese Art des naturnahen Niederschlagswasser-Managements in den Städten Grünflächen zu natürlichen «Kühlschränken» der Stadt werden können, indem sie ausreichend mit Wasser versorgt werden. Diese Kühlleistung kann durch die geplante Speicherung von Regenwasser, bodenverbessernde Massnahmen und kontinuierliche Versorgung der Vegetation mit Wasser gesteigert werden. Die Förderung dieses sogenannten Schwammstadt-Prinzips und die Entwicklung nachhaltiger Speicher- und Bewässerungssysteme sind daher zentrale Zukunftsaufgaben für klimaangepasste Städte.

Bauweisen, die dieses Prinzip berücksichtigen, werden bis heute lediglich in Einzelfällen umgesetzt. Das hier dargestellte Boden-Rohr-System, bestehend aus grobkörnigen gebrochenen Bettungsmaterialien mit einem grossen Porenraum und robusten duktilen Guss-Rohrsystemen, stellt einen wichtigen Schritt bei der Umsetzung des Schwammstadt- Prinzips dar. Auch der Entwurf des DWA-Regelwerks A 102 [10] kann als Hinweis gedeutet werden, dass in Zukunft vornehmlich die Betreiber von Entwässerungsnetzen mit der Planung, dem Bau und dem Betrieb solcher dezentralen Niederschlagswasserbewirtschaftungsanlagen befasst sein werden und so einen wichtigen Beitrag im Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels leisten.

Bibliographie

[1] BBSR (2015): Überflutungs- und Hitzevorsorge durch die Stadtentwicklung – Strategien und Massnahmen zum Regenwassermanagement gegen urbane Sturzfluten und überhitzte Städte – Ergebnisbericht der fallstudiengestützten Expertise «Klimaanpassungsstrategien zur Überflutungsvorsorge verschiedener Siedlungstypen als kommunale Gemeinschaftsaufgabe»

[2] DWA 102, Teil A (Entwurf 2016-08)

[3] Harms, R. et al. (2006): Ermittlung des Abkopplungspotenzials von Strassenflächen. Korrespondenz Abwasser (53) Nr. 3, S. 244–252

[4] Bennerscheidt, C. (2014): Hintergründe zum Merkblatt Bäume, unterirdische Leitungen und Kanäle. 3R – International, Ausgabe 7–8, S. 43–47

[5] Embrén, B. et al. (2008): Optimierung von Baumstandorten – Stockholmer Lösung: Wurzelräume schaffen und Regenwasser nutzen, Konfliktpotenzial zwischen Baum und Kanal entschärfen, WWT 7–8, S. 38–43

[6] EN 598 (2007) und A1 (2009)

[7] EN 15542 (2008)

[8] DVGW-Arbeitsblatt W 400-2 (2004-09)

[9] DVGW-Merkblatt GW 125 (2013-02)Merkblatt textgleich als DWA-M 162 und FGSV Nr. 939 erschienen

[10] Entwurf DWA-A 102 (2016-10)

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