Hartnäckig hält sich die Vorstellung, der Ingenieur als Planer und Tüftler sei primär an der perfekten technischen Lösung interessiert und die Kosten erachte er als Nebensache! Dem ist natürlich nicht so. Bereits in der Ausbildung werden heutzutage junge Ingenieurinnen und Ingenieure mit der Thematik «Wirtschaftlichkeit – Kostenvergleich» vertraut gemacht. Gefehlt hat aber eine einheitliche Handhabung der Kostenvergleichsrechnung in der Praxis der Abwasserentsorgung: Entscheide für Investitionsvorhaben werden häufig auf der Basis individueller Annahmen getroffen; Bewertungsverfahren werden gegen ihren ursprünglichen Zweck eingesetzt; bedeutende Kostenbereiche – wie der Betriebsaufwand – werden nicht in die Berechnung aufgenommen; es mangelt an Transparenz und Nachvollziehbarkeit im Rechnungsweg. Kurz: Es fehlt ein einheitlicher, schweizweit in Anwendung stehender Standard.
Die neue VSA-Empfehlung will diese Lücke schliessen und Wege zu klaren Kostenvergleichen aufzeigen, die auf der Basis einheitlicher Einflussgrössen resultieren. Die im Juni 2017 publizierte Empfehlung richtet sich an alle Personen, die im Rahmen ihrer Tätigkeit mit Investitionsentscheiden zu tun haben. Dazu zählen in erster Linie Planerinnen, Ingenieure und Betreiber von Abwasserinfrastrukturen, aber auch für die politisch Verantwortlichen in den diversen Gremien dürften die Inhalte von Interesse sein.
Die Abwasserentsorgung in der Schweiz (im Folgenden ist immer die Ableitung und Reinigung des Abwassers gemeint) ist eine besondere Branche: Sie ist zur Hauptsache gebĂĽhrenfinanziert und darf als Teil des öffentlichen Dienstes keine gewinnÂorientierten Ziele verfolgen. Umso wichtiger ist es, dass sie einen wirtschaftlichen Betrieb ihrer Infrastruktur anstrebt, um sich gegenĂĽber den GebĂĽhrenzahlenden zu legitimieren. Insbesondere beim Ausbau oder der Sanierung von Abwasseranlagen stehen die EigentĂĽmer vor der Aufgabe, sich fĂĽr die wirtschaftlich beste der möglichen Lösungen zu entscheiden.
Doch was bedeutet «wirtschaftlich beste Lösung»? Die Empfehlung definiert Wirtschaftlichkeit als Verhältnis zwischen erreichtem Erfolg (oder «Nutzen») und dem dafür benötigten Mitteleinsatz (oder «Aufwand»). Auf der Nutzenseite ist dabei auf die Gleichheit aller Varianten zu achten: Um eine Entscheidung auf Basis der Investitionsvergleichsrechnung zu treffen, müssen die Beteiligten dafür sorgen, dass alle Optionen bei der Verwendung die möglichst gleichen Resultate erzielen und damit der Aufwand zum bestimmenden Faktor wird. Oder anders gesagt: Äpfel sollen mit Äpfeln verglichen werden, Birnen mit Birnen. In der Praxis bedeutet dies, dass beispielsweise alle Varianten das gleiche Niveau an Gewässerschutz garantieren müssen.
Bei der Aufwandseite beschränkt sich die Empfehlung auf die zweckmässige Ermittlung der Kosten. Bei einer Investition spielen nicht nur die einmalig investierte Summe, sondern auch die Folgekosten, sprich der Betrieb, eine Rolle. Gerade bei komplexeren Investitionsvorhaben darf auf keinen Fall einzig auf Grundlage der Investitionssumme entschieden werden! Diese Tatsache ist für einen professionellen Abwasserbetreiber eine Binsenwahrheit – ob der Gedanke auch bei den politisch Verantwortlichen im Milizsystem immer vorhanden ist, darf bezweifelt werden.
Aus dem Strauss verschiedener Verfahren der Investitionsvergleichsrechnung pflückt die vorliegende Empfehlung deren vier heraus, die sich für die Anwendung in der Abwasserentsorgung eignen. Dabei ist der Detaillierungsgrad von Bedeutung: So gibt es Verfahren, die insbesondere beim Zeitpunkt der Investitionen genaue Angaben benötigen. Bei ersten Abklärungen auf hoher Planungsstufe sind solche Angaben meist nur als grobe Schätzungen bekannt. Gerade in diesen Fällen ist es nicht sinnvoll, mit exakten Angaben und komplexen Berechnungsverfahren eine Scheingenauigkeit vorzutäuschen – die Anwendung von einfachen, gut kommunizierbaren Verfahren ist deshalb sinnvoller. Je nach Schwierigkeit der Fragestellung bietet die Empfehlung einfache bis komplexe Verfahren. Als Hilfestellung zur Auswahl steht eine Kriterienliste zur Verfügung.
Ein grosses Anliegen der Autoren ist die Ermittlung und Zusammenstellung der Eingabedaten. Diese sollen nach einheitlichen Grundsätzen und Definitionen ermittelt werden. Diesbezügliche Fragen aus der Praxis, die sich öfters stellen, sind unter anderem: Was beinhalten die Betriebskosten? Wie sind Investitionen zu verzinsen und welcher Zinssatz muss angewandt werden? Sollen allfällige Subventionen berücksichtigt werden? Welche Nutzungsdauer wird den Bestandteilen der Kostenermittlung zugrunde gelegt? Diese Aspekte werden umfassend in der neuen Empfehlung abgehandelt. Beispielhaft sei auf die Tabelle 1 mit der empfohlenen Nutzugsdauer verwiesen.
Beim Aufwand werden einzig monetäre Grössen, sprich die Kosten, erfasst – dies unter Annahme der Nutzengleichheit aller Varianten. Ziel der Analyse ist, eine Rangfolge der möglichen Varianten und eine Vorstellung über den relativen Abstand zwischen diesen Alternativen zu erhalten. Die Investitionsvergleichsrechnung liefert keine Angabe der absoluten Kosten, aus denen beispielsweise zukünftige Gebührenerhöhungen ableitbar wären. Auch Fragen der Finanzierung (Woher kommt das Geld?) werden in der Empfehlung nicht behandelt. Sie sind dennoch wichtig und sollten nicht erst nach dem Investitionsentscheid aufs Tapet kommen.
Der hier vorgestellte Kostenvergleich ist nur ein Aspekt im Entscheidungsprozess – zugegebenermassen ein sehr wichtiger. Es existieren weitere Faktoren, die in der Regel nicht monetär bewertbar sind. Dazu zählen Projektrisiken und Unsicherheitspotenziale, aber auch regionalpolitische Erwägungen. Alle relevanten Faktoren münden in eine umfassende Variantenbeurteilung. Ein kritischer Gedanke sei an dieser Stelle angebracht: Je höher die Investitionssumme und je kleiner der Detaillierungsgrad, desto wichtiger werden die sogenannt weichen Faktoren!
Das Anwendungsfeld der Empfehlung ist bewusst breit gehalten, deshalb finden sich nebst sehr einfachen Beispielen auch komplexere Anwendungsfälle. Zu den komplexesten Aufgabenstellungen gehört die Frage, ob eine ARA entweder ausgebaut oder an eine Nachbaranlage angeschlossen werden soll. Diese Frage dürfte in den nächsten Jahren einen Anwendungsschwerpunkt der Empfehlung bilden: Mit der Einführung der Reinigungsstufe zur Elimination von organischen Spurenstoffen erstellen oder aktualisieren viele Kantone eine ARA-Planung. Im Kanton Bern bestehen seit Jahren gute Erfahrungen in der Anwendung von Kostenvergleichen auf der Basis von Jahreskosten (Fig. 1). Wichtig ist die Investitionsvergleichsrechnung in diesem Fall auch deshalb, weil kantonale Subventionen nur an wirtschaftliche Lösungen ausgerichtet werden dürfen. Hierfür bildet der Vergleich der Jahreskosten die massgebliche Basis. In der Regel wird dabei in einer ersten Phase eine statische Vergleichsrechnung durchgeführt, an die sich je nach Komplexität der Aufgabenstellung dynamische Vergleichsrechnungen anschliessen können (s. Artikel «Regionalisierung der Abwasserreinigung», Aqua & Gas 1/14). Diese Berechnung wird in der Empfehlung detailliert erläutert.
Finanzielle Fragen in der Abwasserentsorgung sind aber nicht erst seit EinfĂĽhrung der Bundesabgabe zur Elimination von Spurenstoffen wichtig. So ist die vorliegende neue Empfehlung auch von weiteren Hilfsmitteln des VSA und dessen Schwesterorganisationen flankiert.
So finden sich massgebliche Grundlagen zur Strukturierung der Kosten in der Empfehlung «Definition und Standardisierung von Kennzahlen für die Abwasserentsorgung» (VSA, 2016); die zugehörigen Kennzahlen enthält der Bericht «Kosten und Leistungen der Abwasserentsorgung» (VSA/OKI, 2011). Weitere Hinweise für Betreiber von Abwasserinfrastrukturen enthalten die beiden Publikationen «Planungsmodell Nachhaltige Finanzierung der Abwasserentsorgung» (VSA/OKI, 2011) sowie das «Handbuch Infrastrukturmanagement» (OKI/ Wasseragenda 21, 2014). Nicht zuletzt bietet die Richtlinie «Finanzierung der Abwasserentsorgung» (VSA/FES, 1994) Informationen u. a. zu Gebührenmodellen und Kostenverteiler; diese Richtlinie wird zurzeit einer umfassenden Überarbeitung unterzogen und soll Mitte 2018 neu publiziert werden.
Die Empfehlung kann im VSA-Sekretariat oder unter www.vsa.ch bestellt werden.
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