Das Harmonisierte Rechnungsmodell (HRM) wurde in den 80er-Jahren in den Gemeinden und Kantonen eingeführt mit dem Ziel, das öffentliche Rechnungswesen formell zu harmonisieren. Verschiedene Entwicklungen (z. B. Wunsch nach Anlehnung an privatwirtschaftliche Modelle) haben dazu geführt, dass die Finanzdirektorenkonferenz (FDK) ein neues Rechnungsmodell (HRM2) ausgearbeitet und 2008 in einem Handbuch [1] veröffentlicht hat. Den Kantonen wurde empfohlen, dieses neue Modell innerhalb von zehn Jahren umzusetzen. Seither wurde HRM2 bereits in vielen Kantonen eingeführt, wobei die Umsetzungen in den einzelnen Kantonen unterschiedlich sind.
Eines der Ziele von HRM2 ist, gemäss des True-and-Fair-View-Grundsatzes die tatsächlichen Verhältnisse der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage in der Finanzbuchhaltung abzubilden. Eine wesentliche den Rechnungskreis Abwasser betreffende Anpassung ist in diesem Zusammenhang die Einführung von Abschreibungssätzen, die etwa der Lebensdauer der Anlagen entsprechen. Da häufig jedoch auf eine Aufwertung der bestehenden Anlagen verzichtet wurde, führt dies zu einer Verringerung der Abschreibung und somit zu einem geringeren Gesamtaufwand. Da die spezialfinanzierten Rechnungskreise immer eine ausgeglichene laufende Rechnung besitzen, führen niedrigere Abschreibungen zu höheren Einlagen in die Spezialfinanzierung und somit zu mehr Eigenkapital. Ohne eine differenzierte Betrachtung einer langfristigen Finanzierungsplanung könnte sehr schnell der Ruf nach einer Gebührensenkung laut werden. Das nachfolgende Beispiel illustriert, wie sich die laufende Rechnung und die Bestandsrechnung nach der Reduktion der Abschreibungssätze entwickeln und welche Schlussfolgerungen getroffen wurden.
Die EinfĂĽhrung von wenigen Kennzahlen der Finanzierung
unterstĂĽtzt die Verantwortlichen bei der Interpretation der Prognose der laufenden Rechnung und der Bilanz. Auch wird aufgezeigt, wie eine langfristige Finanzierungsplanung als wichtiger Steuerungsprozess etabliert werden kann.
Um eine langfristige Prognose der Finanzierung der Anlagen durchzuführen, muss – ausgehend von der aktuellen Bilanz – sowohl die laufende Rechnung als auch die Investitionsrechnung möglichst realitätsnah abgebildet werden. Hierfür werden in einem ersten Schritt – ausgehend vom heutigen Kenntnisstand und unter Berücksichtigung eines Zeithorizontes von 30 Jahren –
über mögliche Entwicklungen folgender Grössen prognostiziert:
– erforderliche Investitionen
– Betriebskosten
– Erträge
Mit diesen Eingangsgrössen ist es möglich, die Entwicklung der laufenden Rechnung und die Bestandsrechnung (Bilanz) abzubilden. Zusätzlich erleichtern Finanzkennzahlen die Interpretation der Ergebnisse. Idealerweise werden Finanzkennzahlen verwendet, die bereits in der Beurteilung der Gemeindefinanzen etabliert sind, wie z. B.
– Selbstfinanzierungsgrad, als langfristiger Mittelwert (Verhältnis von Cashflow zu Investitionen)
– Zinsbelastungsanteil als langfristiger Mittelwert (Zinsaufwand im Verhältnis zum Gesamtertrag)
– Eigenfinanzierungsgrad (mittlerer Anteil des Eigenkapitals am Gesamtkapital)
Gemeinsam mit den Verantwortlichen werden diese Finanzkennzahlen diskutiert und interpretiert. An dieser Stelle fliessen strategische Überlegungen ein, bspw. die maximal zulässige Höhe des Fremdkapitals, die maximal zulässige Belastung der laufenden Rechnung durch Zinsaufwände oder die Höhe des Spezialfinanzierungskontos.
In einem nächsten Schritt können unter Berücksichtigung definierter strategischer Ziele die Höhe der Beiträge angepasst werden, sodass die gesetzten Ziele erreicht werden können (Fig. 1).
Der Abwasserverband bewirtschaftet ein vielfältiges Anlagenportfolio mit unterschiedlichen Ver- und Entsorgungsanlagen. In den nächsten Jahren sind hohe Investitionen erforderlich, hauptsächlich für den Bau der neuen Reinigungsstufe zur Entfernung von Mikroverunreinigungen (MV-Anlage) und für die Erneuerung der Biologie.
Die 170,2 Mio. Franken Wiederbeschaffungswert aller Anlagen beinhalten die Abwasserreinigungsanlage (ARA), das Kanalnetz sowie Sonderbauwerke. Nach dem Bau der Mikroverunreinigungsanlage wird dieser Wert auf 178,9 Mio. Franken ansteigen.
Darüber hinaus wurde der Aufgabenbereich des Abwasserverbandes in den letzten Jahren ständig erweitert: So erbringt der Verband zusätzlich Dienstleistungen für Dritte und profitiert zudem von der kostendeckenden Einspeisevergütung des produzierten Stroms. Im Bereich der Aussenanlagen plant der Verband weitere Pumpwerke verschiedener Verbandsgemeinden zu übernehmen.
Der Abwasserverband ist vermögensfähig, das heisst die Anlagen werden in der Bilanz des Verbandes und nicht anteilig in den Bilanzen der Gemeinden geführt. Die Verbandsgemeinden stellen dem Verband zur Bewirtschaftung seines Anlagenportfolios ein Budget von 5,3 Mio. Franken jährlich zur Verfügung. Mit diesem Budget muss der Betrieb der Anlagen sichergestellt und erforderliche Investitionen finanziert werden. Diese Beitragshöhe wurde 2001 festgelegt und ist seither nicht überprüft worden.
Ebenfalls im Jahr 2001 wurde die Abschreibungspraxis von einer degressiven Abschreibung von 10% zu einer linearen umgewandelt. Vereinfacht dabei gilt, dass alle Anlagen der Aussenanlagen (Sonderbauwerke und Kanalisation) mit 2% pro Jahr abgeschrieben werden und alle Anlagen der Abwasserreinigungsanlage (ARA) mit 5%. Eine Neubewertung des Anlagenportfolios wurde nicht durchgeführt. Damit führte der Verband bereits vor mehr als 15 Jahren Abschreibungssätze ein, die in ungefähr der Lebenserwartung der Anlagen entsprechen.
Vereinfacht lassen sich die Aktiva der Bestandsrechnung mit 37,2 Mio. Franken Verwaltungsvermögen und 1,3 Mio. Franken Umlaufvermögen zusammenfassen. Diesen Werten stehen auf der Passivseite der Bilanz 11,3 Mio. Franken Fremdkapital und 27,3 Mio. Franken Eigenkapital in Form der Spezialfinanzierung gegenüber (Fig. 2). Der Eigenfinanzierungsgrad (Eigenkapital im Verhältnis zum Gesamtkapital) lag 2015 bei 70%.
Die laufende Rechnung weist insgesamt Erträge von 6,1 Mio. Franken auf (Gemeindebeiträge: 5,3 Mio.; Ergänzungsdienstleistungen und KEV (Kostendeckende Einspeisevergütung): 0,8 Mio.). Die Aufwandseite setzt sich aus 3,3 Mio. Franken Betriebskosten und Abschreibungen in Höhe von 1,1 Mio. Franken zusammen. Um eine ausgeglichene Rechnung zu erhalten, wurden 2015 1,6 Mio. Franken als Einlagen in die Spezialfinanzierung verbucht (Fig. 3).
Mit einer ausschliesslichen Betrachtung der heutigen Situation – also gemäss der aktuellen Bilanz und der aktuellen laufenden Rechnung – könnte die Finanzierung des Verbands wie folgt beurteilt werden:
Das Verwaltungsvermögen ist zu 70% eigenkapitalfinanziert, die Zinsbelastung ist mit 0,2% bezogen auf die Gesamterträge gering. Die laufende Rechnung kann mit einem Gewinn von 1,6 Mio. Franken (Einlage Spezialfinanzierung) abgeschlossen werden.
Insgesamt könnten die Verantwortlichen schlussfolgern, dass die Beiträge der Gemeinden gesenkt werden könnten.
Die politisch und operativ Verantwortlichen des Verbandes stellten sich die Frage, ob eine langfristige Finanzierung der Anlagen gesichert ist und initiierten ein Projekt zur Überprüfung der langfristigen Finanzierung. Im Zentrum des Projektes standen die Festlegung neuer Beiträge der Gemeinden, aber auch die Auseinandersetzung mit sich ändernden Randbedingungen sowie die Etablierung eines strategischen Steuerungsprozesses, der es ermöglicht, die Finanzierung laufend zu überprüfen.
Eine detaillierte Prüfung der Investitionen ergab, dass für die Erhaltung der bestehenden Anlagen und die Erweiterungen (MV-Anlage) bis 2050 pro Jahr Investitionen von durchschnittlich 4,3 Mio. Franken erforderlich sein werden. Dieser Wert liegt deutlich unter dem mittleren jährlichen Wertverlust der Anlagen (einem Vergleichswert, der sich aus dem Wiederbeschaffungswert und der mittleren Lebensdauer der einzelnen Anlagenbestandteile berechnet) von 5,1 Mio. Franken. Die Differenz ist darauf zurückzuführen, dass die hohen Ersatzinvestitionen im Bereich Kanalisation erst nach Ende des Betrachtungszeitraumes erwartet werden.
Basis für die Bestimmung der Investitionen waren einerseits detaillierte Kenntnisse über die getätigten Investitionen in den Bereichen ARA und Aussenanlagen, Sonderbauwerke und Kanalisation in den Jahren 1998 bis 2016. Innerhalb dieser Bereiche wurden Anteile für bauliche Massnahmen, für elektromechanische Anlageteile und für Steuer- und Regelungstechnik unterschieden, da diese Bestandteile mit unterschiedlichen Lebensdauern und -zyklen in der nachfolgenden Investitionsprognose berücksichtigt wurden. Darüber hinaus konnten weitere Informationen zum Alter bisher noch nicht erneuerter Anlagenteile einbezogen werden. In Figur 4 sind diese auf Basis des Lebenszyklus prognostizierten Investitionen mit «Prognose» gekennzeichnet.
Für die nächsten 15 Jahre konnten bereits geplante Massnahmen der Finanzplanung (in Fig. 4 mit «Inv.» bezeichnet) berücksichtigt werden. Insgesamt ergibt sich eine sehr differenzierte Investitionsprognose für den Betrachtungszeitraum.
Die jährlichen Betriebskosten liegen aktuell bei 3 Mio. Franken. Diese werden durch die Beiträge für die MV-Anlage und später durch erhöhte Betriebskosten der MV-Anlage auf 3,3 Mio. Franken ansteigen.
Diesen Kosten von jährlich 7,6 Mio. Franken stehen durchschnittlich 5,8 bis 6,3 Mio. Franken (Betrieb: 3,3 Mio.; mittlere Investitionen: 4,3 Mio.) an Erträgen gegenüber, von denen 5,3 Mio. Franken durch Beiträge der Verbandsgemeinden geleistet werden und 0,5 bis 1,0 Mio. Franken durch Ergänzungsdienstleistungen erwirtschaftet werden.
In einer einfachen summarischen Betrachtung fehlen somit jährlich 1,3 bis 1,8 Mio. Franken, um die Kosten des Verbands zu decken.
Im vorangegangenen Kapitel wurden die für eine Prognose der Finanzierung erforderlichen Eingangsgrössen bestimmt. Diese fliessen nun in die weiteren Berechnungen der Entwicklung der laufenden Rechnung und der Bilanz ein.
In einem ersten Szenario «Status quo» wurde von der aktuellen Höhe der Beiträge der Gemeinden (5,3 Mio. Franken pro Jahr) ausgegangen. Zusätzlich gelten folgende Randbedingungen:
– Es werden keine Teuerungen berücksichtigt.
– Das Zinsniveau bleibt weiterhin niedrig (1,5 %).
Die Entwicklung der laufenden Rechnung (Fig. 5) zeigt, dass unter den heutigen Voraussetzungen bis 2021 Einlagen in die Spezialfinanzierung (SF) zu erwarten sind. Ab diesem Zeitpunkt ist mit einem Bezug aus der Spezialfinanzierung zu rechnen, der sich stetig erhöhen wird.
Eine wichtige wirtschaftliche Messgrösse der laufenden Rechnung ist der Cashflow. Er gibt an, wie viel Liquiditätszugewinn im laufenden Jahr erwirtschaftet wird. Diese Liquidität nutzt der Verband, um die Investitionen zu finanzieren. Im Szenario «Status quo» reduziert sich der Cashflow von aktuell 2,5 Mio. auf 1,0 Mio. Franken. Da im Mittel bis 2050 ca. 4,3 Mio. Franken pro Jahr investiert werden, müsste die Differenz in Form von Fremdkapital bereitgestellt werden, um die Investitionen zu realisieren. Dies führt in der laufenden Rechnung zu einem Anstieg der Zinsbelastung, wodurch sich der Cashflow weiter reduziert und der Bezug aus der Spezialfinanzierung weiter ansteigt.
Der hohe Fremdkapitalbedarf spiegelt sich in der Entwicklung der Bilanz (Fig. 6) des Verbands wider. Auf der Aktivseite der Bilanz stehen die Vermögenswerte. Die Passivseite gibt an, wie die Vermögenswerte finanziert sind. Da ab 2022 aus der Spezialfinanzierung bezogen wird (s. laufende Rechnung), nimmt das Eigenkapital stetig ab. 2038 wäre das Eigenkapital in diesem Szenario aufgebraucht. Somit entsteht ab 2039 auf der Aktivseite ein Fehlbetrag der Spezialfinanzierung. Dieser entsteht, wenn ein Aufwandsüberschuss nicht mit Eigenkapital gedeckt werden kann.
Zum heutigen Zeitpunkt ist unklar, wie viel Fremdkapital durch die Banken zur Verfügung gestellt wird. Erste Abklärungen ergaben, dass hier ein Interpretationsspielraum besteht, der darauf hinweist, dass in diesem Szenario im Zeitraum von 2025 bis 2035 die Bereitstellung von weiterem Fremdkapital eingeschränkt wäre.
Der aktuelle Cashflow der laufenden Rechnung reicht nicht aus, um die mittel- und langfristigen Investitionen zu finanzieren. Dadurch würde der Fremdkapitalbedarf in den nächsten Jahren stark ansteigen. Eine Finanzierung der Anlagen ist unter diesen Randbedingungen langfristig nicht gesichert. Die heutigen Beiträge der Gemeinden in Höhe von 5,3 Mio. Franken pro Jahr reichen nicht aus. Es wird eine Finanzierungsstrategie benötigt, die sicherstellt, dass der Abwasserverband seinen Leistungsauftrag erfüllen kann. Es ist die Aufgabe der Mitglieder des Verbands und deren gewählten politischen Vertretern, die Ziele und Randbedingungen einer Finanzierung zu definieren.
Mithilfe von unterschiedlichen Szenarien wurden die Auswirkungen verschiedener Einflussgrössen (z. B. Höhe der Beiträge der Gemeinden, Zinsniveau, Teuerung, Fremdkapitalbedarf) auf die Finanzierung untersucht und gemeinsam mit der Betriebskommission eine Finanzierungsstrategie definiert, wobei folgende Ziele und Randbedingungen erarbeitet werden konnten:
– Zinsbelastungsanteil langfristig < 5%
– Selbstfinanzierungsgrad langfristig > 90%
– Eigenfinanzierungsgrad 60 bis 70%
– möglichst konstante Beiträge der Verbandsgemeinden
– langfristige Planungssicherheit für die Verbandsgemeinden
– Generationengerechtigkeit gewährleisten
– Vermeidung eines Investitionsstaus
– keine Berücksichtigung von zusätzlichen Sicherheiten für eine Kompensation der Teuerung
– Der Zinssatz für Fremdkapital wird mit 1,5% angenommen, es erfolgt keine Berücksichtigung eines langfristig höheren Zinsniveaus.
Beim Selbstfinanzierungsgrad, Zinsbelastungsanteil und Eigenfinanzierungsgrad handelt es sich um bereits etablierte Finanzkennzahlen, die von den Kantonen zur Beurteilung der Gemeindefinanzen bestimmt werden. Die kantonalen Verwaltungen geben für diese Kenngrössen Ziele an. Diese liegen beim Selbstfinanzierungsgrad im langjährigen Mittel bei 100%. 90% werden als «gut bis vertretbar» bezeichnet. Ein Zinsbelastungsanteil zwischen 4 und 9% wird als genügend bewertet [2].
Mit diesem Szenario wurde ein realistisches Szenario für eine stufenweise Erhöhung der Beiträge der Gemeinden entwickelt, das die langfristige Finanzierung der Anlagen sicherstellt, d. h. einen sicheren, gesetzeskonformen Betrieb der Anlagen ermöglicht (nach den heutigen Vorgaben) und die Werterhaltung der Anlagen gewährleistet.
Die Anpassung der Beiträge wird an grosse Investitionsblöcke (MV-Anlage, Ausbau Biologie) in den nächsten Jahren gekoppelt:
– 2019: Erhöhung der Beiträge der Gemeinden auf 6,3 Mio. Franken
– 2021: Erhöhung der Beiträge der Gemeinden auf 6,8 Mio. Franken
Die Entwicklung der laufenden Rechnung (Fig. 7) zeigt, dass unter diesen Voraussetzungen bis 2030 Einlagen in die Spezialfinanzierung zu erwarten sind. Ab diesem Zeitpunkt ist mit einem Bezug aus der Spezialfinanzierung zu rechnen.
Aufgrund der getätigten Investitionen erhöhen sich die Abschreibungen fortlaufend. Da der Cashflow (Summe aus Abschreibung und Einlagen SF, abzüglich Bezug SF) der laufenden Rechnung sich bei ca. 3,3 Mio. Franken einpendelt, können die Investitionen durch ein angemessenes Verhältnis von Fremdkapital und Eigenkapital finanziert werden.
Im Mittel beträgt der Anteil des Eigenkapitals am Verwaltungsvermögen 60% (heute 70%). Da das Verwaltungsvermögen im Betrachtungszeitraum auf über 70 Mio. Franken ansteigt, erhöht sich proportional auch das Fremd- und Eigenkapital (Fig. 8).
Mit einer gestuften Anpassung der Beiträge können die Kennwerte der Finanzierung in Tabelle 1 erreicht werden. Sie erfüllen die Anforderungen der definierten Finanzierungsstrategie, beinhalten aber keine Sicherheiten bezüglich Teuerung oder Zinsentwicklung. Aus diesem Grund sollte die langfristige Finanzierung periodisch überprüft werden.
Finanzkennzahl |
Szenario «Status quo» |
Szenario «Gestufte Anpasung» |
Selbstfinanzierungsgrad (Verhältnis von Cashflow zu Investitionen) Mittel bis 2050 |
45% | 90% |
Zinsbelastungsanteil Mittel bis 2050 |
13% | 5,6% |
Bezug Spezialfinanzierung | Ab 2022 | Ab 2031 |
Mittlere Höhe des Eigenkapital (Spezialfinanzierung) in Franken |
16 Mio. | 37 Mio. |
Eigenfinanzierungsgrad Mittlerer Anteil des Eigenkapitals am Gesamtkapital |
28% | 60% |
Die Ergebnisse wurden im Rahmen der Delegiertenversammlung vorgestellt und insbesondere die strategischen Randbedingungen der Finanzierung besprochen. Da gemäss Verbandsreglement Anpassungen der Beiträge der Gemeinde nicht für mehrere Jahre im Voraus beschlossen werden können, ist der definitive Entscheid bezüglich einer Anpassung der Beiträge noch ausstehend.
Die Finanzkennzahlen Selbstfinanzierungsgrad, Zinsbelastungsanteil und Eigenfinanzierungsgrad sind Kenngrössen, die fortlaufend bestimmt werden können und zur Etablierung eines politisch strategischen Controllings beitragen. Die Betriebskommission wird zukünftig diese Werte im Rahmen eines politisch strategischen Controllings prüfen.
Aus Sicht der Gemeinden ist diese langfristige Finanzierungsplanung des Abwasserverbands nur ein Teilaspekt, denn sie bewirtschaften zusätzlich noch eigene Anlagen der Siedlungsentwässerung. Die Gemeinden des Verbands erhalten mit dieser langfristigen Finanzierungsplanung die Möglichkeit, die Finanzierung ihrer Anlagen ebenfalls zu prüfen und in einem gleichen Vorgehen Ziele für ihre Gemeinde festzulegen.
Für den Abwasserverband wird die langfristige Tendenz der Finanzierung seiner Infrastrukturanlagen aufgezeigt. Die Führungsverantwortlichen besitzen jetzt ein Instrument, mit dem sie Finanzierungsbelastung steuern und alle zehn Jahre mittels des erarbeiteten Modells schnell und einfach überprüfen können. Dies schafft Übersicht und Vertrauen. Die Verbandsgemeinden erhalten Planungssicherheit und können so ihre Gebührenplanung aktualisieren. Die Einführung von wenigen Finanzkennzahlen garantiert eine fortlaufende Überprüfung der Finanzierungsziele. In diesen Sinn ist die Erarbeitung eines solchen Instrumentes zu empfehlen.
Die Figuren 2 und 3 verdeutlichen, dass die Kenndaten der aktuellen Situation nicht ausreichen, um die Finanzierung der Siedlungsentwässerung zu beurteilen. Eine langfristige Finanzierungsplanung ermöglicht eine differenziertere Betrachtung. Sie verknüpft technische und finanzielle Sichtweisen, gegenseitige Abhängigkeiten werden sichtbar und der Einfluss von sich ändernden Randbedingungen wird deutlich. Eine langfristige Finanzierungsplanung zeigt, dass es weder die eine Finanzierung gibt, noch eine eindeutig daraus resultierende Gebührenhöhe. Vielmehr sind die erforderlichen Gebühren ein Ergebnis der definierten strategischen Ziele und der Randbedingungen.
Vergleiche der Finanzkennzahlen mit anderen Gemeinden oder Verbänden können die strategischen Ziele plausibilisieren und Sicherheit schaffen. Ohne eine Abschätzung der langfristigen Entwicklung der Betriebskosten und der Investitionskosten ist eine langfristige Finanzplanung nicht möglich. Vereinfacht kann in einem ersten Schritt von gleichbleibenden Betriebskosten ausgegangen werden. Zur Abschätzung der Investitionskosten stehen verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung [3, 4]. Hier gilt es, den Zustand und das Alter der Anlagen in einer angemessenen Weise zu berücksichtigen.
Das Beispiel des Abwasserverbandes verdeutlicht, dass, obwohl bereits 2001 angepasste reduzierte Abschreibungssätze eingefĂĽhrt wurden und trotz eines ausgeglichenen Investitionsverhaltens, erst ca. 25 bis 30 Jahre später eine konstante Höhe der Abschreibungen erreicht wird (Fig. 7). Somit ist erst ab diesem Zeitpunkt ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage in der Finanzbuchhaltung abgebildet, also eine «True and Fair View» erreicht.Â
Diese Übergangsphase kann nur durch eine Neubewertung (Aufwertung) der Anlagen vermieden werden, da durch eine Aufwertung der Anlagen die Abschreibungen steigen. In einigen Kantonen ist eine Neubewertung mit Einführung des HRM2 erforderlich, einige Kantone verzichten bewusst darauf, während andere diese Entscheidung den Gemeinden überlassen.
In den Bilanzen der Gemeinden werden die Höhen der Spezialfinanzierungskonten (Passivseite der Bilanz) und die Höhe des Verwaltungsvermögens (Aktivseite der Bilanz) für die spezialfinanzierten Rechnungskreise separat erfasst und nachgeführt. Aus diesen beiden Zahlen kann ein theoretisch vorhandenes Finanzvermögen oder Fremdkapital berechnet werden. Dabei handelt es sich jedoch nur um einen theoretischen Wert, denn in der Regel wird für die spezialfinanzierten Rechnungskreise kein eigenes Finanzvermögen oder Fremdkapital ausgewiesen, sondern diese Bewirtschaftung in die Gesamtbilanz der Gemeinde integriert.
Diese Tatsache und der Umstand, dass bei vielen Gemeinden das ausgewiesene Verwaltungsvermögen relativ gering ist, hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Beurteilung der Finanzierung der Anlagen auf eine Interpretation der Höhe der Spezialfinanzierungskonten reduziert wurde. Dabei wurde häufig die Höhe der Spezialfinanzierung mit dem Finanzvermögen gleichgesetzt, was aber nur der Fall ist, wenn kein Verwaltungsvermögen mehr vorhanden ist.
Nach Einführung HRM2 führt eine Vereinfachung dieser Art zur Fehlinterpretationen, da das Verwaltungsvermögen bedingt durch die geringen Abschreibungen ansteigen wird.
– Immer die gesamte Bilanz (Abwasser) beurteilen oder darstellen
– Die absolute Höhe der Zahlen ins Verhältnis zum Wiederbeschaffungswert setzen oder Finanzvermögen oder Nettoschulden (Fremdkapital) als Franken pro Einwohner ausweisen
In der Praxis wird Einlage in die Spezialfinanzierung mit «Gewinn» gleichgesetzt. Sind hohe Einlagen vorhanden, folgt die Forderung nach einer Gebührensenkung. Mit der Einführung von niedrigeren Abschreibungssätzen ohne eine Neubewertung der Anlagen muss auf diese Vereinfachung verzichtet werden.
In der laufenden Rechnung führen die niedrigeren Abschreibungen (wenn keine Neubewertung der Anlagen vorgenommen wurde) bei gleichbleibenden Gebühren zu höheren Einlagen in die Spezialfinanzierung. Je nach Höhe der erforderlichen Investitionen sind diese Einlagen aber erforderlich, um die Investitionen in einem angemessenen Verhältnis selbst zu finanzieren.
Für die Verantwortlichen (politisch oder operativ) einer Anlage stellt sich folgende Ausgangsfrage: Wie kann man die langfristige Finanzierung einer Anlage beurteilen? Diese Frage ergibt sich unabhängig vom aktuellen Rechnungsmodell, aber Anpassungen der Randbedingungen (z. B. tiefe Abschreibungssätze) rücken die Frage der langfristigen Finanzierung stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit. Verantwortliche können die Gelegenheit nutzen, die Fragen der Finanzierung in ihren Managementprozess zu integrieren, d. h.:
1. Definition der Ziele fĂĽr die Finanzierung
2. Festlegung von Indikatoren, die diese Ziele messbar machen
3. Definition der Zielwerte fĂĽr diese Indikatoren
4. Periodische Bestimmung dieser Indikatoren
5. Handeln, wenn die Ziele nicht erreicht werden.
 Eine Prognose der Finanzierung hilft, die wichtigen Indikatoren zu finden und deren Zielwerte festzulegen. Ob als Ergebnis die Abwassergebühren angepasst werden sollten, ist daher keine Frage des sich ändernden Rechnungsmodells, sondern eine der definierten Ziele der Finanzierung.
[1] Konferenz der Kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren (2008): Handbuch Harmonisiertes Rechnungsmodell fĂĽr die Kantone und Gemeinden HRM2
[2] Kanton Thurgau (2015): Handbuch HRM2, Kapitel 13 Finanzkennzahlen
[3] Zuleger, D.; Herlyn, A. (2017): Langfristiger Investitionsbedarf fĂĽr den Werterhalt der Kanalisation, Aqua & Gas No. 11
[4] Herlyn, A.; Staufer, Ph. (2015): Werterhalt Kanalisation – Was erwartet uns? Aqua & Gas No. 6
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