Im September 2020 veröffentlichte das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) die Weisung 2020/1 «Anordnung von Massnahmen bei Höchstwertüberschreitungen von Chlorothalonil-Metaboliten im Trinkwasser». Das BLV hatte bereits im August 2019 zur Sicherstellung eines einheitlichen Vollzugs die Kantone angewiesen, bei einer Überschreitung des Höchstwerts für Chlorothalonil-Metaboliten im Trinkwasser Massnahmen zu verfügen, sodass das Trinkwasser innerhalb von zwei Jahren die rechtlichen Anforderungen erfüllt. Gemäss der angepassten Weisung 2020/1 können nun die Kantone den Trinkwasserversorgern in Ausnahmefällen eine längere Frist gewähren. Rolf Meier fasste den Inhalt der Weisung in seiner Einführung zusammen und verwies auf das SVGW-Argumentarium für Wasserversorger «Chlorothalonil», das nach der Publikation der Weisung überarbeitet wurde.
Auch Mark Stauber, Leiter des Fachbereichs Lebensmittelhygiene am BLV, thematisierte die Weisung in seinem Vortrag «Regulierung von Pflanzenschutzmitteln (PSM), insbesondere von Chlorothalonil und dessen Metaboliten».
Darüber hinaus zeigte Stauber die Unterschiede der PSM-Regulierungen bei Lebensmitteln und bei Trinkwasser auf: Während im Lebensmittelbereich die Anwesenheit von PSM die Folge einer zulässigen Anwendung sei, stellten PSM im Trinkwasser eine unerwünschte Kontamination dar. Die Herleitung von Höchstwerten für PSM-Rückstände in Lebensmitteln beruhe einerseits auf der Risikobewertung für Konsumenten und andererseits auf der guten Herstellungs- bzw. guten Pflanzenschutzpraxis. Daher würden stoff- und lebensmittelspezifische Höchstwerte festgelegt. Für Trinkwasser dagegen werde ein gefahrenbasierter Ansatz verfolgt, weshalb hier ein genereller PSM-Höchstwert gelte, in dem sich auch die hohen Qualitätsansprüche ans Trinkwasser widerspiegelten. Schliesslich sei ein Lebensmittel, in dem der spezifische Höchstwert überschritten werde, weder verkehrsfähig noch dürfe es weiterverarbeitet werden. Es gelte ein striktes Mischverbot. Auch in diesem Punkt unterschieden sich die Regelungen fürs Trinkwasser, wie Stauber ausführte: Das Mischen von PSM-belasteten mit weniger belasteten oder unbelasteten Wässern sei erlaubt und die Inverkehrbringung generell möglich. Im Einzelfall müsse beurteilt werden, ob bei einer Überschreitung des Pestizid-Höchstwerts ein Risiko für die Gesundheit bestehe.
Viele betroffene Wasserversorger bewegt die Frage: «Wie lange braucht es, bis die Konzentrationen der Chlorothalonil-Metaboliten in der Wasserfassung nach dem Verbot der Muttersubstanz unter den Höchstwert sinken werden?» Daniel Hunkeler von der Universität Neuenburg ging dieser Frage nach und verglich die Chlorothalonil-Problematik mit Erfahrungen zu persistenten Metaboliten anderer PSM (Atrazin, Chloridazon). Die gute Nachricht war: «Die Chlorothalonil-Metaboliten, die in hohen Konzentrationen im Grundwasser gefunden werden, haben eine hohe Mobilität, sodass eine raschere Auswaschung als im Falle der Atrazin- resp. Chloridazon-Metaboliten zu erwarten ist.» Von einer Reservoirwirkung des Bodens und der ungesättigten Zone, wie für andere Metaboliten beobachtet, sei daher nicht auszugehen. Aber Metaboliten bewegten sich auch nicht schneller als das Wasser, schränkte Hunkeler ein. Folglich sei das Grundwasseralter meist der limitierende Faktor. Dabei sei nicht das mittlere Alter, sondern vielmehr die Altersverteilung relevant. Aufgrund der oft deutlich erhöhten Metaboliten-Konzentrationen könne bereits ein kleiner Anteil älteren Wassers die Zeitdauer drastisch verlängern, bis der Höchstwert unterschritten werde. Hunkeler schlussfolgerte: «Kenntnisse über die Altersverteilung sind zentral, um Voraussage zu machen.»
Im nächsten Vortrag zeichnete Christoph Moschet vom Interkantonalen Labor in Schaffhausen die Entwicklungen der Metaboliten-Analytik und die Lernkurve nach. Bis vor kurzen hätten sich die Untersuchungen, z. B. im Rahmen des NAQUA-Programms, auf nur wenige Metaboliten beschränkt, weil einerseits das Wissen über weitere Metaboliten und andererseits das Referenzmaterial fehlte. Lange Zeit galt, so Moschet: «Man findet nur, was man sucht!» Eine bahnbrechende analytische Neuerung sei das Unbekannten-Screening, wodurch sich Substanzen finden liessen, nach denen nicht gesucht werde.
Zum Abschluss seiner Ausführungen blickte Moschet in die Zukunft und stellte die Frage «Was kommt noch auf uns zu?» Erste Antworten auf diese Frage seien im EBP-Bericht «Evaluation von Massnahmen zum Schutz des Grundwassers vor PSM und deren Metaboliten» (Oktober 2020; im Auftrag des BAFU) zu finden. Im Rahmen dieser Studie seien u. a. Wirkstoffe bzw. deren Metaboliten mit Potenzial für erhöhte Konzentrationen im Grundwasser identifiziert worden: Bentazon, Chloridazon, Chlorothalonil, Metazachlor, S-Metolachlor und Terbuthylazine und zusätzlich noch Dimethachlor, Pethoxamid und Dimethenamid-P. Moschet verwies weiter auf das Ziel des Nationalen Aktionsplans PSM, die Konzentrationen von nicht relevanten Metaboliten im Grundwasser zu verringern. Auch werde bei der Zulassung von PSM vorsichtiger vorgegangen. Doch bestehe die Diskrepanz in der Bewertung (Faktor 100) zwischen relevanten und nicht-relevanten Metaboliten weiterhin. Daher müsse der Wirkstoffeinsatz im Auge behalten und in die Vorsorge investiert werden, vor allem durch die Ausscheidung von Zuströmbereichen.
Basierend auf der chemischen Struktur lassen sich die Chlorothalonil-Metaboliten in zwei Gruppen einteilen: die Phenole und die Sulfonsäuren, zu denen auch die am häufigsten und in den höchsten Konzentrationen gefundenen Metaboliten R471811 und R417888 gehören. In der Aufbereitung verhalten sich diese beiden Gruppen unterschiedlich, wie Karin Kiefer von der Eawag ausführte. So liessen sich Phenole durch Ozonung oder erweiterte Oxidationsvervahren (AOP) weitgehend entfernen, während diese Verfahren bei den Sulfonsäure-Metaboliten wirkungslos seien. Für letztere seien zwei Verfahren anwendbar, nämlich die Adsorption an Aktivkohle und die Umkehrosmose, doch beide seien mit grossen Nachteilen behaftet. Um den Durchbruch von Sulfonsäure-Metaboliten zu verhindern, müsse die Aktivkohle häufig ausgetauscht werden. Die Nachteile der Umkehrosmose seien der hohe Energiebedarf und der Anfall von grossen Mengen Abwasser, das entsorgt werden müsse.
Vertreter von zwei stark betroffenen Kantonen, Stefan Mürner (Kanton Bern) sowie Stephan Christ und Rainer Hug (Kanton Solothurn) stellten ihre Lösungsansätze zur Bewältigung der Chlorothalonil-Krise vor. Die Referenten machten klar: Aufbereitung ist keine geeignete Lösung, zumal dies auch den vorsorglichen Grundwasserschutz torpedieren würde. Ebenfalls käme nicht in Frage, auf Fassungen ohne gesetzeskonforme Schutzzonen auszuweichen, da die Risiken einer mikrobiologischen Beeinträchtigung zu hoch seien. In beiden Kantonen würden weiterhin die Regionalisierung und Vernetzung der Wasserversorgungen vorangetrieben, berichteten Mürner und Hug. Ein neuer Aspekt käme hierbei jedoch hinzu: die Diversifizierung der Wasserbeschaffung. Die genutzten Wasserressourcen sollten nicht nur hydrogeologisch unabhängig sein – wie für ein 2. Standbein gefordert –, sondern auch unterschiedliche Einflüsse und Risikofaktoren aufweisen.
Alex Bukowiecki, Geschäftsführer des Schweizerischen Verbands Kommunale Infrastruktur SVKI, nannte zunächst drei Handlungsfelder für einen besseren Trinkwasserschutz aus kommunaler Perspektive:
Anschliessend gab er einen Überblick über den Trinkwasserschutz in der Bundespolitik, indem er die Kernelemente der zwei Volksinitiativen «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung» und «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide», der drei Gesetzesvorlagen – Agrarpolitik 2022+ samt Kommissionspostulat WAK–S 20.3931, parlamentarische Initiative 19.475 «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» und parlamentarische Initiative 19.430 «Konsequenter Schutz des Grund-, Trink-, Fluss- und Seewassers vor nachweislich schädlichen Pestiziden» – wie auch verschiedener Motionen zum Thema zusammenfasste.
Michael Schärer (BAFU) ging in seinem Vortrag «Schutz der Trinkwasserressourcen – ist die Vorsorge noch zu retten?» ebenfalls auf einige der politische Vorstösse ein, die auf eine Stärkung des Ressourcenschutzes abzielen, und hob dabei hervor: «Eine schweizweite Festlegung von Zuströmbereichen ist nötig.» Das betreffe Fassungen, für die die Gefahr einer Verunreinigung bestehe, wie auch Fassungen von regionaler Bedeutung. Bei rund 2800 Fassungen im Mittelland und in den Alpentälern seien diese Kriterien erfüllt. Neben der Verbesserung des Schutzes von Fassungen durch Zuströmbereiche und Schutzzonen gelte es aber auch, die Versorgungssicherheit im Auge zu behalten. Um für Trockenperioden vorzusorgen, brauche es Wasserressourcenplanung und -management sowie Brauchwasserplanung für landwirtschaftliche Bewässerung. Schliesslich müssten gemäss der Verordnung über die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung in schweren Mangellagen VTM unverzichtbare Anlagen gesichert werden.
«Selbstkontrolle heisst auch selber kommunizieren», hob Andreas Peter von der Wasserversorgung Zürich hervor. Er empfahl, dass die Kommunikation über die gesetzliche Informationspflicht hinausgehe. Zudem lohne es sich, aktiv auf Behörden, weitere Anspruchsgruppen und Verbraucher zuzugehen. Es gebe schliesslich viel zu berichten und keinesfalls nur Negatives, sondern auch viel Positives. Peter zählt einige Beispiele auf: Ein regionales Forum zu Chlorothalonil veranstalten, Führungen durch die Versorgung anbieten, ein Berufsportrait Brunnenmeister zusammenstellen, über Bauprojekte, Messkampagnen, neue Mitarbeitende informieren usw.
Im letzten Vortrag des Webinars zeigte Martin Bärtschi vom SVGW auf, dass die Chlorothalonil-Krise auch eine Chance für die Trinkwasserbranche darstellen könnte. Die grosse Betroffenheit, die das Thema Chlorothalonil auslöse, ermögliche es, den Ressourcenschutz voranzutreiben und entsprechende Projekte jetzt anzustossen. Die Wasserversorger könnten lokal und regional viel zur Verbesserung des Ressourcenschutzes beitragen, indem sie beispielsweise Qualitätskontrollen und Gefahrenanalysen im Zuströmbereich durchführten, für die Ausscheidung von Zuströmbereichen bei der Bevölkerung und den lokalen Behörden Werbung machten und die Kantone mit ihrem Wissen (eigene Gutachten, Daten usw.) unterstützten. Abschliessend fasste Bärtschi zusammen: «Nutzen wir gemeinsam den fruchtbaren Boden, um nachhaltige Veränderungen zu implementieren und dadurch eine resilientere und zukunftsfähigere Wasserversorgung zu schaffen.»
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