Das Europäische Forschungsprojekt «Hydrogen in Gas Grids» (HIGGS) hatte zum Ziel, den Einfluss von Wasserstoff (H₂)-Konzentrationen zwischen 10 und 100% im Gastransportnetz theoretisch und experimentell zu untersuchen und das dafür erforderliche Wissen zu erarbeiten. Aus der Schweiz war das IET Institut für Energietechnik an der OST am Projekt beteiligt mit der Aufgabe, eine techno-ökonomische Analyse vom Gastransportnetz durchzuführen. Dieser Artikel fasst diese Arbeiten zusammen.
Das Ziel der Modellierung ist es, den Einfluss höherer H₂-Anteile auf die Wirtschaftlichkeit des Gastransports zu bewerten. Zu diesem Zweck wird ein numerisches Modell erstellt, um den technischen Betrieb und die wirtschaftlichen Auswirkungen zu beschreiben. Das Modell ermöglicht es, die verschiedenen technologischen Anpassungen des Netzes (abhängig vomVol.-% H₂) sowie die Betriebsstrategien für ein Netz mit H₂-Einspeisung zu analysieren.
Das Modell wird mit einer kommerziell erhältlichen Netzsimulationssoftware (Synergi Gas) berechnet. Die Software wird um eigene Modelle und AuswertungsÂalgorithmen ergänzt, die Temperaturveränderungen an den Druckreduzier- und Messstationen sowie die Separation von Hâ‚‚ aus Methan (CHâ‚„) modellieren, lösen und auswerten. Zur Vereinfachung wird Erdgas als reines CHâ‚„ modelliert.
Erdgastransportleitungen werden als Kombination aus den drei Komponenten Rohrleitungen, Kompressoren und Druckreduzier- und Messstationen (DRM-Stationen) modelliert und betrachtet. Die Gleichungen für diese drei Komponenten sind in Tabelle 1 aufgeführt und stellen gegenüber der Realität plausible Vereinfachungen dar. Zum Beispiel werden Höhenunterschiede und Kurven vernachlässigt. Die Gleichungen erlauben die Berechnungen mit Gemischen aus CH₄ und H₂ auch bei hohem Druck, wie er in Transportleitungen vorkommt. Gase verhalten sich dabei nicht mehr wie ideale Gase.
Als erstes wird der Fall untersucht, bei dem ein konstanter Energiefluss (Brennwert, HHV) transportiert werden muss. Die Auswirkungen des H₂-Anteils auf verschiedene Betriebsgrössen sind in Figur 1 gezeigt. Die Kompressionsarbeit und die Gasgeschwindigkeit nehmen stetig zu. Der Druckabfall nimmt auch zu, hat bei 85 Vol.-% ein Maximum, um bei höheren H₂-Anteilen wieder abzunehmen. Die notwendige Vorwärmleistung in einer DRM-Station nimmt mit zunehmendem H₂-Anteil ab wegen des umgekehrten Joule-Thomson-Effekts von H₂. Bei Volumenanteilen von 45% H₂ muss nicht mehr vorgewärmt werden (–100%) und bei höheren Volumenanteilen muss gekühlt anstatt vorgewärmt werden.
Im Gegensatz zum bisherigen Fall wird nun der Druckabfall entlang der Leitung festgelegt, so dass die Bedingungen für die Verbraucher am Ende der Pipeline denen entsprechen, die in ihren Lieferverträgen festgelegt sind. Dazu muss der Massenstrom entsprechend der Veränderung der Gaseigenschaften angepasst werden und der chemische Energiestrom (Brennwert, HHV) nimmt in Abhängigkeit vom H₂-Anteil im CH₄ ab. Die Änderungen aller Parameter sind in Figur 2 dargestellt. Auch in dieser Grafik wird ersichtlich, dass bei 45 Vol.-% H₂ nicht mehr vorgewärmt und bei höheren Anteilen gekühlt werden muss.
Ă–konomische Modellierung
BezĂĽglich Investitionskosten (CAPEX) werden der Austausch und die NachrĂĽstung der folgenden Systemkomponenten berĂĽcksichtigt:
Nach heutigem Kenntnisstand sind nur geringe Anpassungen an der Infrastruktur erforderlich, um 6 Vol.-% H₂ in die Netze einspeisen zu können. Die eigentliche Schwelle für Investitionen wird bei etwa 10 Vol.-% angesetzt. Die Schwelle für grössere Investitionen liegt bei 20 Vol.-%. Die relativen Veränderungen der Brutto-CAPEX bei jeder Überschreitung einer Schwelle sind in Figur 3 dargestellt [2]. Figur 4 zeigt die spezifischen Leitungskosten der deutschen Erdgasnetzausbauprojekte in Abhängigkeit vom Leitungsdurchmesser (bereinigt um Ausreisser). Der Durchschnittswert liegt bei 2,07 Mio. €/km.
Als Vereinfachung werden für Kompressorstationen die gleichen Neubau- und Umbaupreise angenommen wie bei reinen H₂-Systemen. Die Gesamtkosten von Kompressorstationen in Abhängigkeit von ihrer Kapazität sind in Figur 5 dargestellt.
Zu Abrechnungszwecken wird die Gasqualität immer an den DRM gemessen. Da die heute eingesetzten Geräte nur bis ca. 10 Vol.-% H₂ genau genug sind, müssten sie bei höheren Beimischungen ausgetauscht werden. Die Gesamtkosten in Abhängigkeit vom übertragbaren Nennvolumenstrom einer DRM-Station sind in Figur 6 zu sehen. Darüber hinaus ist aus dem vorangegangenen Abschnitt bereits bekannt, dass bis zu einem H₂-Gehalt von 40 Vol.-% weniger Vorwärmleistung erforderlich wäre und danach sogar von der Vorwärmung auf die Kühlung des Gases umgestellt werden müsste.
Bei den Betriebskosten (OPEX) unterscheidet das Modell zwischen variablen OPEX für Strom und fixen OPEX gemäss Tabelle 2. Im Projekt HIGGS wurden Zahlen aus dem European Hydrogen Backbone (EHB) [4] übernommen und ergänzt.
Kostenfaktor | Einheit | EHB [4] | GASUNIE [5, 6] | James et al. [6] | HIGGS-Modell |
Strompreis | €/MWh | 40-90 | 114,2 | 42,7 | 90 |
Volllastunden Kompressor | h/year | 5000 | 8760 | 5260 | Wird vom Modell berechnet |
OPEX fix | % CAPEX | 0,8-1,7 | 2 | 11,94 | [2, 3.5, 6] |
Zinsen | % | 5-7 | N/A | 8, 12, 26.6 | 6 |
Amortisationszeit | Years | 15-33/30-55 | N/A | 33 | [50, 33, 33] |
Tab. 2 Parameter für OPEX (Betriebskosten).Erläuterung der Zahlenarrays (a, b, c): a = Rohrleitungen, b = Druckreduzierstationen, c = Kompressoren
Als Beispielfall wurde eine techno-ökonomische Analyse von Teilen der TENP-Pipeline und der MEGAL-Pipeline, die sich in Mittelbrunn kreuzten, durchgeführt. Beide Transportsysteme verfügen über zwei parallel verlaufende Pipelines, sind für die Versorgungssicherheit in Europa von grosser Bedeutung und Teil des europäischen H₂-Verbundes. Der Grund für diese Wahl ist, dass der Ausschnitt repräsentativ für das europäische Transportnetz ist und Daten in guter Qualität verfügbar sind. Das betrachtete System der TENP-MEGAL-Pipelines und die durchschnittlichen Energieflüsse der Jahre 2017 bis 2019 sind in Figur 7 gezeigt.
Es wird ein Szenario für den H₂-Transport in einem nachgerüsteten Erdgasnetz untersucht, bei dem keine Technologie zur Trennung von CH₄ und H₂ eingesetzt wird. Es wird angenommen, dass die Energieströme aus Figur 7 von den Endkunden abgenommen werden. Anders als im bestehenden Netz wird ein Teil des CH₄ durch H₂ ersetzt (konstanter Energiefluss, Brennwert). Es werden Gemische von 10, 20, 30, 60 und 100 Vol.-% H₂ am Eingang des modellierten Netzabschnitts untersucht. In diesem Szenario wird das Netz auf die jeweilige maximale H₂-Konzentration ertüchtigt, wobei der Zusammenhang zwischen dem H₂-Anteil im Gemisch und den Kosten für die Umrüstung des Netzes nicht linear ist und gemäss Figur 3 angenommen wird.
Die Ergebnisse zeigen, dass bis zu 40 Vol.-% keine signifikanten Unterschiede in den Kosten für den Transport zu erwarten sind. Allerdings sind sie etwa doppelt so hoch wie bei der Umstellung auf reine H₂-Netze, wie Figur 9 zeigt. Mit zunehmendem Anteil H₂ steigt der Anteil der Energie aus H₂ im Gemisch nicht linear an, wie in Figur 10 dargestellt. Die jährlichen Kosten für die Umrüstung müssen somit auf eine geringere Energiemenge verlagert werden.
Die ca. 3 € pro MWh pro 1000 km für den Transport von 100% H₂ decken sich auch in etwa mit dem mittleren Szenario der in Figur 11 dargestellten Ergebnissen einer Studie zum EHB, bei der die Nachrüstung mit 75% angenommen wurde [4]. Letztlich erscheinen die 3–6 €/MWh H₂/1000 km im Vergleich zu den für grünen H₂ angenommenen Produktionskosten von 25–50 €/MWh als ein verhältnismässiger Aufschlag [7].
Im zweiten Szenario strömen im betrachteten Transportnetz Gemische von 10, 20 30 Vol.-% H₂ mit dem gleichen Energieinhalt (Brennwert) wie in Figur 7. Eine Separationstechnologie (Palladium-Membranen) wird auf der Ebene des Transportnetzes installiert und stellt sicher, dass die H₂-Konzentrationen im Verteilnetz 2 Vol.-% H₂ und 10 Vol.-% H₂ nicht überschreiten. Das abgetrennte H₂ wird wieder auf den Druck der Transportleitung komprimiert und in diese zurück eingespeist (daher die definierte Route in Figur 12). Das führt zu einem Anstieg der CAPEX und der OPEX. Die Auswirkungen werden für den Sommer und den Winter untersucht.
Die ermittelten Transportkosten gemäss Figur 13 unter Berücksichtigung der Membranen und des zulässigen H₂ auf Verteilebene belaufen sich im Sommer auf 10,7 bis 21,1 €/MWh/1000 km. Im Winter sind die Kosten höher und belaufen sich auf 18,1 bis 47,3 €/MWh/1000 km.
Aufgrund des höheren Energiebedarfs im Winter steigt auch die Menge an transportiertem H₂. Das bedeutet, dass im Winter mehr H₂ für eine bestimmte Zielkonzentration auf Verteilebene abgetrennt werden muss. Das hat zur Folge, dass die erforderliche Membranfläche grösser sein muss. Damit steigen die Investitionskosten. Die benötigte Membranfläche wird ausserdem auch durch den Abscheidegrad beeinflusst: Je geringer die H₂-Konzentration im Gemisch ist, desto weniger Durchfluss ist nötig, um den Abscheidegrad zu erreichen. Das bedeutet aber auch, dass pro Zeit und Fläche weniger H₂ abgetrennt werden kann. Auf ein Jahr gerechnet bedeutet dies, dass die Investitionskosten auf weniger H₂ verteilt werden müssen, was sich wiederum negativ auf die CAPEX auswirkt bzw. diese erhöht.
Die OPEX haben auch einen nicht unerheblichen Anteil an den Transportkosten. Die Kosten werden zum einen durch den Energiebedarf fĂĽr die Abtrennung selbst und zum anderen durch die Wiedereinspeisung des Hâ‚‚ in das Netz verursacht.
Die Transportarten von Hâ‚‚ unterscheiden sich in der Form des Hâ‚‚ und in den Transportmitteln. Hâ‚‚ kann in den folgenden Formen transportiert werden:
Je nach Entfernung und transportierter Menge sind bestimmte Kombinationen aus Form und Transportmittel besser geeignet als andere (Fig. 14). Ausgehend von der 1000-km-Linie in Figur 14 ergeben sich die Preise pro Kilogramm fĂĽr die in Tabelle 3 dargestellten nivellierten Kosten.
Auch hier liegen die Ergebnisse des techno-ökonomischen Modells in der gleichen Grössenordnung wie [8], zumindest was den Transport in Pipelines ohne Separationstechnologie betrifft. Der Transport von H₂ in Pipelines ist die mit Abstand kostengünstigste Methode. Die geringe volumetrische Energiedichte spricht gegen einen grossräumigen Transport per LKW. Bei LH₂ ist dies zwar weniger ein Hindernis, aber der Energiebedarf und die notwendige Infrastruktur zur Verflüssigung wirken sich negativ auf die Transportkosten aus.
Dagegen ist die Wahl des kostenoptimalen Transportmediums nicht mehr so eindeutig, wenn die Trennung auf der Transportebene erfolgen muss. Der Vergleich mit Pipelines ist nicht mehr möglich, da Membranen in [7] nicht berücksichtigt werden. LH₂ wird in diesem Fall (sowohl per LKW als auch per Schiff) im europäischen Kontext nach wie vor als wenig sinnvoll erachtet aufgrund fehlender Schifffahrtswege. Damit bliebe «nur» der Transport per LKW in Form von komprimiertem Gas oder als LOHC. Vergleicht man jedoch Tabelle 3 mit Figur 14, so erkennt man, dass es eine grosse Überschneidung in der Bandbreite der Transportkosten gibt.
Form | Transportmittel | €/MWh/1000km | Quelle |
CGH2 | Pipeline | 2.7-5.8 | HIGGS |
CGH2 | Pipeline mit Separation | 10.9-47.3 | HIGGS |
CGH2 | Pipeline | 2.3-4.3 | [8] |
CGH2 | Pipeline | 2.5-4.3 | [7] |
CGH2 | LKW | 17-43 | [7] |
LH2 | Schiff | >15 | [7] |
LH2/LOHC | LKW | 24-97 | [7] |
Tab. 3 Kostenvergleich der verschiedenen Formen des H2-Transports.
Der Transport im Sommer über Pipelines ist tendenziell etwas günstiger als der Transport per LKW, allerdings nur, wenn die Mengen angemessen sind. In den berechneten Fällen ist dies bei mehr als 20 Vol.-% H₂ in den Pipelines der Fall. Müssen jedoch grössere Mengen H₂ transportiert werden, wie es im Winter der Fall ist, scheint der LKW wegen der hohen Kosten für die erforderlichen Membranen besser geeignet zu sein.
Die Frage, ob H₂ in einem Gemisch mit Erdgas (oder CH₄) in einem umgebauten Erdgasnetz kostengünstig transportiert werden kann, ist nicht eindeutig zu beantworten. Die Antwort hängt davon ab:
a) eine bestimmte Gasqualität auf der Verteilebene sicherzustellen,
b) Hâ‚‚ auch grenzĂĽberschreitend zu transportieren, wenn keine harmonisierten Hâ‚‚-Anteile im Gemisch auf EU-Ebene definiert sind.
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[1] Mischner, J. et al. (2015): Gas2energy.net: Systemplanerische Grundlagen in der Gasversorgung, 2., ĂĽberarbeitete und erweiterte, Auflage, DIV, MĂĽnchen
[2] Trouvé, T. et al. (2019): Technical and economic conditions for injecting hydrogen into natural gas networks, GRTgaz; GRDF; Terega; storengy France; Géométhane; elengy; Réseau GDS
[3] NEP-Gas-Datenbank – Ausbaumaßnahmen, [August 23, 2021.631Z], https://www.nep-gas-datenbank.de/app/#!/ausbaumassnahmen
[4] Wang, A. et al. (2020): European Hydrogen Backbone: How a dedicated hydrogen infrastructure can be created, The European Hydrogen Backbone (EHB) initiative
[5] Gasunie, Energinet (2021): Pre-feasibility Study for a Danish-German Hydrogen Network
[6] James, B. (2021): Analysis of Advanced H2 Production & Delivery Pathways: https://www.hydrogen.energy.gov/pdfs/review18/pd102_james_2018_p.pdf
[7] Bhavnagri, K. et al. (2020): Hydrogen Economy Outlook: Key messages, BloombergNEF
[8] Rik van Rossum, JJ. et al. (2021): Analysing future demand, supply and transport of hydrogen, The European Hydrogen Backbone (EHB) Initiative
Dieses Projekt wurde von Clean Hydrogen Partnership (zuvor Fuel Cells and Hydrogen 2 Joint Undertaking) unter der Fördernummer (Grant Agreement) Nr. 875091 «HIGGS» gefördert. Das Joint Undertaking erhält Unterstützung aus dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union, von Hydrogen Europe und Hydrogen Europe Research.
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